AbeJ. Dueck Celebmting 150 Yeors Die AAennoniten-Brüdergemeinden in oller Welt Abe J. Dueck Celebrating 150 Years Die AAennoniten-Brüdergemeinden in aller Welt Dieses Buch ist zu beziehen bei: Buchhandlung Atempause, Engeland Esch 33, D-46325 Borken. Telefon 02862/4179626, bestellungi@‘atempause-ms.dc Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Brüdergemeinden Deutschland e. V. (AMBD), Falkenstr, 24. D-32791 Lage, Telefon 05232/61770 Bund Taufgesinnter Gemeinden e. V. (BTG), Moritz-Rülf-&r. 5, D-32756 Detmold, Telefon 05231/6166252, btg@btg-online.de Die englische Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel The Mennonite Brethren Cfiurch around the warld: celebrating ISOyears bei Pandora Press, Kitchener, Ontario (Kanada), und Kindred Produclions. Winnipeg. Manitoba (Kanada) Copyright © 2010 The Historical Commission Die vorliegende deutsche Ausgabe wurde mit freundlicher Unterstützung der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Brüdergemeinden in Deutschland e. V. (AMBD. www.ambd.de) sowie des Bundes Taufgesinnter Gemeinden c. V. (BTG, www.btg-online.de) herausgegeben Projektleitung: Andreas Isaak. Burghausen UmscMaggestaltung: John R. Klassen. Borken Abtildiingen der Kontinente: Wikimedia Commons Produktion und Herstellung: Edition Wortschatz, ein Imprinl des Neufeld Vferlages, Schwarzenfeld www.edition-wortschatz.de 5 Inhaltsverzeichnis Vorwort.13 Einleitung. 15 Die Anfänge der Mennoniten-Brüder.19 Die Ursprünge der Täufer 1 9 Die russische Periode 21 Geburtswehen 22 Die Krimmer Mennoniten-Brüder 27 Festigung 28 Neue Freunde 30 Kontroversen 33 NORD-UND MITTELAMERIKA.37 Die Mennoniten Brüdergemeinde in den Vereinigten Staaten von Amerika... 39 Eine neue Ära 43 Mission in den USA 49 Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts 52 Jugend - bereit zu dienen 53 Die Mennoniten-Brüdergemeinden in Kanada.55 Durch Missionsarbeit entstanden 56 Wachstum durch Verfolgung und Leiden 58 Bildung und Mission 60 Dienst als Mission 64 Krieg, Frieden und der Staat 65 Gemeindeleben 67 Gemeinde, Geseilschaft und Kultur 68 Evangelikaler Protestantismus 70 Horizonterweiterung: Bewusste und zielgerichtete Evangelisation 72 Enoch und Grace Wong - Gemeindegründer 75 Die Mennoniten Brüdergemeinden in Mexiko.77 Von den Mennonitenkolonien zu der mexikanischen Bevölkerung: 1950 -1960 77 6 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Vom Enthusiasmus zur Ablehnung: 1961 -1970 78 Ein neuer Anfang; 1970 -1983 79 Andauernde Unsicherheit: 1984 - 2002 80 Eine neue Vision: 2001 -2010 81 Die Mennoniten Brüdergemeinden in Panama.83 Geistlicher Kampf 85 ASIEN. 93 Die Mennoniten Brüdergemeinden in Indien.95 Historischer Hintergrund 95 Dalits und christliche Missionare 98 Mennoniten Brüder und Dalits 100 Der wahre Gott 101 Beitrag der einheimischen Mennoniten Brüder 103 Übergang von Mission zu Gemeinde und schnellem Wachstum 105 Soziokulturelle und ökonomische Probleme 108 Täuferische Mennoniten Brüderidentität 113 Abschluss 115 Die Mennoniten Brüdergemeinde in China.117 Provinz Shandong (Shandong-Henan-Grenze) 118 Provinz Fujian 120 Zeugnis 122 Innere Mongolei 123 Westchina 123 Abschluss 124 Die Mennoniten Brüder in Japan.127 Die Geburt der Mennoniten Brüdergemeinde 127 Einige Highlights 127 Zeugnis 129 Theologische Herausforderungen im Bezug auf das Täufertum 130 Was die JMBC zu anderen Mennoniten Brüderkonferenzen beitragen kann 134 Geschenke anderer Mennoniten Brüderkonferenzen 136 Prioritäten für die Zukunft 139 Abschluss 142 INHALTSVERZEICHNIS 7 AFRIKA.143 Die Mennoniten Brüdergemeinde im Kongo. 145 Die Pionierperiode (1913 -1942): Aaron und Ernestine Janzen 145 Missionare und Kongolesen bei der Arbeit in Kafumba 149 Die Hauptmerkmale der Gemeinde von 1922 bis 1943 150 Ein zweiter Anfang 152 Übergabe der Verantwortung an die Mennoniten Brüderkonferenz von Nordamerika 152 Ausweitung (1944-1960) 153 Unabhängigkeit 155 Eine Kirche mit zwei Häuptern 155 Der Zustand der Kirche zur Zeit der Vereinigung 157 Kongolesen leiten ihre eigenen Gemeinden (1971-2008) 158 Evangelisation und Gemeindewachstum 159 Ausbildung von Leitern 161 Entwicklung, Gesundheitswesen und Literatur 162 Partnerschaft mit MBMSI 164 Abschluss und Aussichten für die Zukunft 165 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Angola.167 Anfänge 168 Konflikt, Spaltung und Übergang: 1986-1991 170 Partnerschaften, Gemeindegründung und Ausbildung: 1992 -1999 171 Weitere Beispiele für Spaltung und Ausweitung der Arbeit: 2000 - 2007 172 Jetziger Stand der Gemeinde 172 Probleme und Herausforderungen 173 Vision für die Zukunft 175 EUROPA.177 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Russland und der ehemaligen Sowjetunion. 179 Ein verdunkelter Himmel (1917-29) 179 Der Weg des Todes (1929-38) 182 David Pätkau 184 Kein Ende der Trauer (1941-45) 185 Exil (1945-55) 188 Erweckung (1955-59) 191 8 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEiNDE Gewitterwolken (1959-65) 195 Stabilität (1965-85) 197 Neue Freiheit für das Evangelium 200 Zurück in die Ukraine 203 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Deutschland.205 Die AMBD-Gemeinden in Deutschland 209 Missions-orientierte Gemeindewerke 212 1990/1998 in Steinhagen durch Bl-Immanuel 213 Gemeinschaftliche Unternehmungen 214 Schule und Ausbildung 216 Evangelisation und Mission 217 Soziale Unternehmen und Wohlfahrt/Wbhltätigkeit 217 Die Bayerischen Mennoniten Brüdergemeinden des VMBB 218 Die Anssied/er-Mennoniten Brüdergemeinden 219 Die ersten Aussiedler Mennoniten Brüdergemeinden 221 Das Wachstum der Auss/ed/er-Mennoniten Brüdergemeinden 223 Entwicklungen innerhalb der Organisationen 224 Charakteristisches der Aussiedler-Gemeinden 225 Hoffnung und die Zukunft 229 Verzeichnis der AMBD/VMBB und Aussiedler-Mennoniten Brüdergemeinden. 230 Die frühen Mennoniten Brüdergemeinden 231 Die Mennoniten Brüdergemeinden in Österreich.233 Anfänge 234 Die Erste Kirchengemeinde: Linz 234 Andere Gemeinden 235 Wels 237 Salzburg 237 Wien 238 Gmunden 239 Wachstum und Rückschläge 240 Organisatorische Entwicklungen 240 Ziele für die Zukunft 241 Sorgen der letzten Jahre 242 Fazit 243 INHALTSVERZEICHNIS 9 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Portugal.245 Entwicklung der Mennoniten Brüdergemeinde in Portugal 246 SÜDAMERIKA.253 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Paraguay.255 Eine sich entwickelnde Kirche (1930- 1961) und ihre Theologie 256 Missionarische Theologie und einheimische Gesellschaft 258 Der Ruf hinein in die Stadt: Missionarische Anfänge in Asuncion und Ostparaguay 260 Konferenzen der Mennoniten Brüdergemeinden 261 Gemeinden und Missionen durch Bildungsmstitutionen aufbauen 263 Aufbau von Gemeinden und Mission über die Medien 264 Paraguayische Theologie und Pastoren- bzw. Leitungsschulung 267 läuferische Theologie, landwirtschaftliche und städtische Theologie 269 Die Beziehung der Mennoniten Brüder zur größeren läuferischen Familie 270 Mennoniten Brüder in der paraguayischen Gesellschaft 272 Herausforderungen für die Mennoniten Brüder in Paraguay; Ganzheitliche Mission 274 Fidelina Cuquejo 276 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Brasilien.279 Anfänge 280 Höhepunkte in der Entwicklung der Mennoniten Brüdergemeinde Brasiliens 281 Der aktuelle Stand der Mennoniten Brüdergemeinde in Brasilien 285 Ethnische Beziehungen 288 Missionsbemühungen 290 Jemand Wunderbaren treffen 291 Probleme und Herausforderungen 292 Die globale Mennoniten Brüderfamilie 295 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Kolumbien.297 Anfänge 1945-1960 297 Wachstum 1960-1970 299 Die nationale Gemeinde 1970 - 2001 300 Christus finden 302 Die unabhängige Gemeinde nach 2001 304 Die Zukunft 308 10 DiE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Die Mennoniten Brüdergemeinde in Uruguay.311 Die Mennoniten Uruguays 311 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Uruguay 312 Lila Radionov 314 Die Gemeinde in Uruguay heute 316 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Peru.317 Frühe KMB-Mission 317 Antwort auf das Desaster 318 Eine Gemeinde entsteht 320 Ausbreitung und Leiterschaft 322 Welche Freude 325 Neue Ansätze 326 Krise in der Gemeinde 326 Erstellung einer neuen Vision 328 Horizonterweiterung.329 ASIEN 329 Mongolei 329 Laos 329 Die Philippinen 330 Thailand 331 AFRIKA 332 Burkina Faso 332 Namibia 334 Südafrika 334 Nordafrika 335 LATEINAMERIKA 336 Venezuela 336 EUROPA 336 Litauen 336 ICOMB - Vision und Geschichte. 339 Geschichte 339 Vision und Entwicklungen 340 Treffen und Wachstum 344 Nachwort. 349 Internationale Gemeinschaft der Mennoniten Brüdermitglieder 352 INHALTSVERZEICHNIS 11 Abkürzungen. 355 Studienfragen... 357 Literaturhinweise.361 Allgemein 361 Anfänge 361 Afrika 362 Asien 362 Europa 362 Nordamerika 363 Lateinamerika 363 Autoren.365 13 Vorwort David Wiebe M eine Eltern waren „Heimatmissionare“ der Mennoniten-Brü- dergemeinde. Wir lebten in Manitoba, wo wir in verschiede¬ nen Missionsprojekten (in der Gemeindegründungsarbeit) dien¬ ten. Diese Gemeindegründungen fanden unter eingewanderten Siedlern in unserer Provinz statt. Ich hörte deshalb Ukrainisch, Isländisch, Tsche¬ chisch, Schwäbisch und andere Sprachen zu Hause und in der Gemeinde. Daheim wurde hauptsächlich Englisch gesprochen. Wenn meine Eltern jedoch etwas vor uns Kindern geheim halten wollten, sprachen sie Deutsch! Schon als kleiner Junge war ich mir des multinationalen Charakters unserer Mennoniten-Brüderfamilie bewusst. Und als ich 2001 damit begann, an den jährlich stattfindenden ICOMB Treffen teilzunehmen, schien es mir ganz natür¬ lich, sie einfach als eine Art Familienzusammenkunft der weltweiten Menno- niten-Brüdergemeinde zu betrachten. Wie in einer Familie ist jeder verschie¬ den, hat Gaben und Stärken, welche die anderen nicht besitzen. Jedoch hat jeder eine Geschichte zu erzählen; jeder ist gleichermaßen berechtigt, da zu sein. Dieses Geschichtsprojekt stellt für unsere Familienmitglieder die Möglichkeit dar, ihre jeweils eigene Geschichte zu erzählen. Als wir uns als ICOMB-Mit- glieder zusammensetzten und uns dieses Projekt ausdachten, war es uns wich¬ tig, dass diese Geschichten soweit wie möglich aus dem jeweiligen Ursprungs¬ land kommen sollten. Wenn die Kinder erwachsen sind, lieben sie ihre Eltern immer noch, jedoch schätzen sie es nicht mehr so sehr, wenn diese weiter¬ hin für sie sprechen. So sehr wir unseren Missionsvorstand und die Missio¬ nare lieben, wollten wir doch sicherstellen, dass diese Geschichte aus der Per¬ spektive Indiens, des Kongos, Kolumbiens, Japans und so weiter erzählt wird, Darüber hinaus hatten wir den Eindruck, dass man etwas aus der Geschichte der einzelnen Konferenzen in den verschiedenen Ländern lernen kann. Wenn diese Geschichten erzählt werden, so finden sich darin Hinweise auf das Stre¬ ben nach einer eigenen Identität, nach Reife und der Möglichkeit innerhalb des jeweiligen Kontexts Gemeindearbeit zu machen bzw. Theologie zu betrei¬ ben. Importierte Sichtweisen aus dem globalisierten Norden und Westen waren eine Zeitlang notwendig, aber das wahre Zeichen von Reife war, die¬ ses importierte Wissen zu nehmen und es für die Mission daheim passend zu machen. Dieser Wandel war nicht immer einfach, aber wir können daraus 1er- 14 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE nen, wenn wir mit dem Evangelium weitere kulturelle Grenzen überschreiten. Und wir hofften, dass auch die Leser eine gemeinsame Identität der Mennoniten- Brüder wahrnehmen und erkennen, wohin sich unsere Bewegung entwickelt. Ich möchte alle Leser dazu ermutigen, mit aufrichtiger Neugier zu lesen, was Gott in und durch die Menschen, die sich Mennoniten*ßrüder nennen, tut. Lies voller Dank: Gott hat wunderbare Dinge durch die opferbereite Hin¬ gabe von Mitarbeitern und Leitern getan, um eine Bewegung aufzubauen, die 1860 in Russland begann und sich nun über die ganze Welt erstreckt. Lies betend: Bitte Gott darum, uns weiterhin dafür zu gebrauchen. Sein König¬ reich zu Seinem Ruhm auszudehnen - uns als eine 150 Jahre alte, reifer werden¬ den Familie, die Liebe füreinander hat und den Auftrag, Gottes Liebe überall da, wo es uns möglich ist, weiterzugeben. 15 Einleitung Abe Dueck D ies ist die Geschichte der Mennoniten-Brüdergemeinde und ihrer Ent¬ wicklung in den vergangenen 150 Jahren in fast zwanzig Ländern welt¬ weit. Sie begann mit einer kleinen Gruppe Menschen, die 1860 in einem Haus im südlichen Russland zusammenkam. Die Feierlichkeiten zum ISOjäh- rigen Bestehen im Jahr 2010 bieten die Gelegenheit, über die Geschichte die¬ ser Gemeindebewegung nachzudenken, die Schwächen und das Versagen wie auch die positiven Entwicklungen zu erkennen und all das Gute, das geschehen ist, zu feiern. Die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft existieren in einer untrennbaren und dynamischen Beziehung zueinander. Diese Beziehung zu erkennen ist eine wesentlich Voraussetzung für das Leben einer gesunden und Gott gegenüber treuen Gemeinde. Es gab in der Vergangenheit schon einige Versuche eine umfassende Geschichte der Mennoniten- Brüdergemeinde zu schreiben. Die europäisch-rus¬ sische Geschichte und die nordamerikanischen Erzählungen sind die zentralen Themen dieser Geschichtsschreibung. Im Jahr 1886 wurde Peter M. Friesen von der Mennoniten-Brüdergemeinde in Russland damit beauftragt die Geschichte der ersten fünfundzwanzig Jahre dieser Bewegung niederzuschreiben. Das Projekt erwies sich jedoch als viel größer als erwartet und wurde schließlich im Jahr 1911 unter dem Titel „Die Alt-Evangelische Mennonitische Brüderschaft in Russland (1789-1910)“ veröffentlicht. Das fünfzigjährige Jubiläum der MB-Gemeinde in Amerika war Anlass für die Veröffentlichung des deutschsprachigen Werks von John F. Harms mit dem Titel „Die Geschichte der Mennoniten Brüdergemeinde, 1860-1924“. Danach, im Jahre 1950, gab das Board of Foreign Missions das Buch „The Mennonite Brethren Church“ von John H. Lohrenz heraus. Es enthielt einzelne Kapitel über Indien, China, den belgischen Kongo und Südamerika. Die Hundertjahrfeier der Mennoniten-Brüdergemeinde fand 1960 in Reedley, Kalifornien, statt. Diese Veranstaltung selbst war jedoch nicht Anlass einer weite¬ ren Geschichtsschreibung, obwohl man einige Jahre zuvor A. H. Unruh in Erwar¬ tung dieser Hundertjahrfeier damit beauftragt hatte „Die Geschichte der Men¬ noniten-Brüdergemeinde“ (1955) zu verfassen. Fünfzehn Jahre nach dieser Feier wurde darm die erste ausführlichere Geschichte auf Englisch veröffentlicht. Sie wurde von John A. Toews verfasst und trug den Titel „A History ofthe Mennonite 16 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Brethren Church: Pilgrims and Pioneers“ (1975). Das letzte Kapitel handelte von „Mennoniten-Brüder weltweit“. Viele andere Bücher wurden in den vergangenen fünfzig Jahren herausge¬ geben, einige handelten von einzelnen Regionen, einige waren Biografien und andere behandelten eine Vielfalt von verschiedenen Themen mit unterschiedli¬ chen Schwerpunkten. Fünfunddreißig Jahre sind seit der Veröffentlichung von Toews Buch vergangen. Nun müssen diese Aufzeichnungen auf den neuesten Stand gebracht werden; die Geschichte muss überdacht und neu bewertet wer¬ den; wir müssen sehen, wie neue Entwicklungen die Gemeinde in der Gegenwart geprägt haben, und müssen Ziele für die Zukunft setzen. Vor zwei Jahrzehnten begann die Mennonitische Weltkonferenz (MWC) ein weltweites mennonitisches Geschichtsprojekt, welches die Geschichte sowie die unterschiedlichen Arten von Täufer- bzw. Mennonitengemeinschaften welt¬ weit und ilire Beziehungen zueinander genauer untersucht. Obwohl es eventuell einige Gemeinsamkeiten mit dem MWC-Projekt gibt, so unterscheidet sich die¬ ses Buch doch durch seine besondere denominationale Ausrichtung und ergänzt hoffentlich die Geschichte der weiteren Täufer- bzw. Mennonitengemeinschaft. Die Mennoniten-Brüdergemeinde ist heute eine weltweite Gemeinschaft von ungefähr 4000 Mennoniten-Brüdergemeinden in mindestens dreiundzwanzig Ländern. Darüber hinaus leben viele Mitglieder der Mennoniten-Brüdergemein¬ den in anderen Ländern; einige von ihnen arbeiten für verschiedene wohltätige Organisationen und Missionsagenturen, wie z. B. Mennonite Brethren Missions and Service International, Mennonite Central Committee und Mennonite Econo¬ mic Development Associates. Im Jahr 1990 wurde eine Struktur entwickelt, um die MB-Gemeinden in den verschiedenen Ländern miteinander zu verbinden und so Gemeinschaft miteinander sowie Dialog und Zusammenarbeit in einzelnen Projekten zu ermöglichen. Die so entstandene Struktur nannte man Internatio¬ nal Committee of Mennonite Brethren (ICOMB), welche heute als International Community of Mennonite Brethren bekannt ist. 2005 beauftragte die ICOMB die Historische Kommission, eine der verbliebenen übernationalen Agenturen beste¬ hend aus den kanadischen und US-amerikanischen Mennoniten-Brüder Kon¬ ferenzen, eine Geschichte der Mennoniten-Brüder weltweit zu veröffentlichen. Wie sind die Mennoniten-Brüder zu dem geworden, was sie heute sind, und wer sind die vielen Christen, die dieser einen Gemeinschaft angehören, jedoch auf unterschiedliche Art anbeten und sich in den Ländern rund um den Globus mit unterschiedlichen Lebensumständen und Herausforderungen auseinander¬ setzen müssen? Mit welchen Problemen müssen sie sich auseinandersetzen und EINLEITUNG 17 was können sie voneinander lernen? Wie sieht die Zukunft der Mennoniten-Brü- dergemeinde in der ganzen Welt aus? Spielen Denominationen heutzutage eine Rolle und gibt es noch einen Bedarf für das unverwechselbare Zeugnis der Men- noniten-Brüder Denomination? Wie hat Gott die Mennoniten-Brüder zu dem gemacht, was sie heute sind, und wohin führt Gott sie in der Zukunft? Wir hof¬ fen, dass dieses Buch einige neue Einblicke in die Vergangenheit gibt, ein besseres Verständnis für die Gegenwart sowie Rat und Hoffnung für die Zukunft schenkt. All das in dem Bewusstsein, dass wir letztendlich von Gott abhängig sind. Das Buch soll auch als Studienführer für Kleingruppen und Sonntagsschulen die¬ nen. Eine Reihe von Fragen ist zu diesem Zweck am Ende des Buches zu finden. Dieses Buch soll keine formale, akademische Geschichtsschreibung sein. Die Verfasser haben unterschiedliche Hintergründe; einige sind ausgebildete Histo¬ riker und Theologen, andere sind Pastoren und Missionare. Alle sind bzw. waren in der Gemeindearbeit aktiv. So weit wie möglich wurden die Autoren aus den lokalen Gemeinden - in Zusammenarbeit mit den nationalen Leitern - ausge¬ wählt. Obwohl eine gewisse Einheitlichkeit in Stil und Inhalt angestrebt wurde, so ergab sich letztlich doch eine beträchtliche Vielfalt, welche zur Authentizität des Gesamtbildes der Gemeinden in den verschiedenen Herkunftsländern bei¬ trägt. Im Namen des redaktionellen Komitees möchte ich allen Autoren für ihre Bereitschaft zur Mitarbeit, für ihre Geduld und ihre Aufgeschlossenheit danken, die sie während der Bearbeitung der Manuskripte für dieses Buch zeigten. Viele Menschen haben, außer den Verfassern der einzelnen Kapitel, zu die¬ sem Buch beigetragen, aber es können hier nicht alle erwähnt werden. Ich möchte meinen Dank und meine Anerkennung gegenüber ICOMB ausdrücken und besonders gegenüber denen, die die Idee einer Geschichte der Mennoniten-Brü¬ der weltweit entwickelten. David Wiebe und Victor Wall standen uns mit Ermuti¬ gung, Unterstützung und Rat zur Seite. Die Historische Kommission der Menno- niten-Brüdergemeinde (USA und Kanada) beauftragte ursprünglich Paul Hiebert und mich damit, dieses Projekt zu leiten und zu editieren. Als Paul unheilbar krank wurde, bevor das Vorhaben überhaupt richtig im Gange war, bat mich die Historische Kommission, die redaktionelle Verantwortung zu übernehmen. Ein redaktionelles Beratungskomitee, bestehend aus Peter Klassen, Bruce Guen- ther und Ken Reddig, stand mit wertvollem Rat und Unterstützung zur Seite. Andere halfen bei der Übersetzung, der Kontaktaufnahme mit und Ermutigung von Autoren, indem sie Manuskripte lasen und wertvolle Informationen bei¬ steuerten. Zu ihnen gehören Harold Ens, Paul Wiebe, E. D. Solomon, Bob Enns, Martha Florentin, Hisashi Hattori, John Goertz, Richard Funk, Pakisa Tshimika, 18 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Maurice Matsitsa, Herta Voth, Robert Thiessen, Werner Kroeker, Art Dueck, Victor Wiens, Randy Friesen, Ray Harms-Wiebe, John Toews, John Thiessen, Ed Lenzmann, Andrew Siebert und Kevin Enns-Rempel. Besonderer Dank gilt meiner Frau Katherine, die das ganze Manuskript las und wertvolle Vorschläge machte. Einige der einzelnen Kapiteln beigefügten Erzählungen wurden mit der Erlaubnis von MBMS International benutzt und sind folgenden Büchern ent¬ nommen: Byron Burkholder (Hrsg.), They Saw His Glory: Stories of Conversion and Service (Winnipeg, MB: Kindred Press, 1984), Brad Thiessen (Hrsg.), True Life: First-hand Stories of Mission. A Celebration of Mennonite Brethren Missi¬ ons (Fresno, CA: MBMSI, 2000). Dank gilt auch denen, die bei der Finanzierung dieses Projekts behilflich waren. Dazu gehören ICOMB, die College Community Church, Clovis, CA, der Council of Senior Professionals, Fresno, CA, die Historische Kommission und verschiedene Einzelpersonen und gemeinnützige Stiftungen. 19 Die Anfänge der Mennoniten-Brüder John B. Toews undAbe Dueck H eute lebt die größte Zahl der Mitglieder von Mennoniten-Brüderge¬ meinden in der südlichen Hemisphäre, insbesondere in Indien und dem Kongo. Die Gemeinden in Indien haben eine lange Geschichte, die fast bis zu den Anfängen der Mennoniten-Brüdergemeinde zurückreicht. Aber die ersten Mennoniten-Brüdergemeinden entstanden im südlichen Russland, und zwar in der heute unabhängigen Republik Ukraine, die ungefähr siebzig Jahre lang Teil der Sowjetunion war. Heute gibt es fast keine Mennoniten-Brüder mehr an ihrer Geburtsstätte, obwohl deutliche Zeichen einer Wiedergeburt zu sehen sind, jetzt aber unter der einheimischen Bevölkerung. Diese erinnert sich jedoch kaum an die Ereignisse von vor 150 Jahren. Von der Ukraine aus verbreiteten sich die Mennoniten-Brüder in viele weitere Teile Russlands und viele wanderten auch nach Nord- und Südamerika aus, besonders wegen der schwierigen Erfahrungen zu Zeiten der Sowjetunion. In der jüngeren Vergangenheit wanderte eine große Zahl nach Deutschland aus. Wieder andere bleiben verstreut in Sibirien und in anderen Teilen der ehemaligen Sowjetunion wohnen. Die Geschichte all dieser Gruppen wird in den folgenden Kapiteln erzählt. Die Mennoniten-Brüder entstanden in den 1860er Jahren als Erneuerungs¬ bewegung innerhalb der Mennoniten, die sich im vorangegangenen Jahrhundert im südlichen Russland niedergelassen hatten. Um die Gründe für die Entstehung und das Wesen der Mennoniten-Brüder zu verstehen, muss man jedoch weiter zurück in die Geschichte der Täufer/Mennoniten und deren Ursprünge während der Reformationszeit im sechzehnten Jahrhundert blicken. Die Ursprünge der Täufer Die protestantische Reformation des sechzehnten Jahrhunderts ist untrenn¬ bar mit dem Leben von Martin Luther verbunden, einem jungen katholischen Mönch, der mutig einige zentrale Lehren der katholischen Kirche anfocht. Ins¬ besondere betonte er die Vorrangstellung der Bibel und stellte das alleinige Recht der katholischen Kirche auf die Auslegung der Heiligen Schrift infrage. Er betonte auch, dass die Rettung aus Gnade durch den Glauben und nicht durch Werke geschieht. Somit gewähren die Sakramente nicht automatisch dem Gnade, der sie empfängt. Nichtsdestotrotz behielt Luther die Säuglingstaufe bei sowie die 20 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE enge Verbindung von Kirche und Staat, die das mittelalterliche Christentum in Europa geprägt hatte. Die Erneuerungsbewegung, die durch Luther angefacht worden war und durch andere Reformer, wie zum Beispiel Ulrich Zwingli und Johannes Calvin, vorangetrieben wurde, wurde selbst bald von noch radikaleren Reformatoren infrage gestellt. Diese wurden Wiedertäufer (Anabaptisten) und später Menno- niten genannt (nach dem Niederländer Menno Simons). Diese radikalen Refor¬ matoren (Conrad Grebel, Felix Manz, Michael Sattler und andere) lasen selbst die Heilige Schrift und waren schließlich davon überzeugt, dass nur Erwach¬ sene in der Lage sind, eine Entscheidung für Christus zu treffen und somit auch nur Gläubige (Erwachsene) getauft werden sollten. Des Weiteren würde ein sol¬ ches Bekenntnis, wenn es denn echt ist, zu einem Leben der Liebe und Jünger¬ schaft führen. Dies wiederum bedeutete auch, dass man das Schwert niederlegte (Widerstandslosigkeit und Friede) und Lebens- und Glaubensgemeinschaften bildete, die nicht durch den Staat legitimiert waren. Diese zweite Erneuerungsbewegung wurde als eine noch größere Bedrohung für die europäische christliche Gesellschaft angesehen als die frühere Reformati¬ onsbewegung. Katholiken und Protestanten sowie die Herrscher der Jeweiligen Länder waren gleichermaßen entschlossen die Täuferbewegung auszumerzen. Die Täufer wurden schon bald aus ihren Häusern vertrieben, verfolgt und viele wurden zu Märtyrern für ihren Glauben. Nichtsdestotrotz verbreitete sich das Täufertum auch in anderen Ländern, sowohl infolge der Flucht vor Verfolgung als auch auf Grund sehr bewusster evangelistischer und missionarischer Bemühungen. Menno Simons, ein junger katholischer Priester in den Niederlanden, bekehrte sich 1536 und wurde bald darauf der selbst gejagte Leiter der aufs heftigste verfolgten Täufer in diesem Land. Schließlich flohen die meisten Täufer im nördlichen Europa weiter nach Osten in ein Gebiet, das als Preußen bekannt war und damals der polnischen Krone unterstand. Dort wurde ihnen Zuflucht vor der schweren Verfolgung gewährt und dort lebten sie zunehmend zurückgezogen. Sie erhielten nur begrenzte Rechte und der Militärdienst wurde ihnen erlassen, jedoch erhielten sie nicht die volle Staatsbürgerschaft. Viele der Täufer aus der Schweiz und aus Süddeutschland wanderten dagegen ihren Weg nach Nordamerika aus, nur ein kleiner Überrest blieb zurück. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte veränderte sich die Lebensweise aller Mennonilen allmählich. Ihr religiöse Leben veränderte DIE ANFÄNGE DER MENNONITEN-ßRÜDER 21 sich zum Teil auch, so dass es sich manchmal stark von den Idealen des sechzehn¬ ten Jahrhunderts unterschied. Die russische Periode Auswanderung wurde normaler Bestandteil des Lebens vieler Mennoniten in Europa und darüber hinaus. Als die religiösen und wirtschaftlichen Einschrän¬ kungen in Preußen Zunahmen und Katharina die Große deutsche Siedler, unter ihnen auch Mennoniten, einlud, sich in ihren neu erworbenen Territorien nie¬ derzulassen, begannen die Mennoniten gegen Ende des achtzehnten Jahrhun¬ derts in das südliche Russland umzusiedeln. Bald darauf entstanden zwei große Siedlungen, die Kolonien genannt wurden (Chortitza und Molotschna). Weitere Siedlungen entwickelten sich während des neunzehnten Jahrhunderts. Das Leben der Mennoniten in Russland war durch mehrere Hauptfaktoren gekennzeichnet. Einer war, dass die russische Regierung den Mennoniten große zusammenhängende Landstriche übergab, wo sie emigermaßen isoliert von den umliegenden Gemeinden lebten; dies schloss ihre Absonderung von der einhei¬ mischen Bevölkerung ein. Des Weiteren erhielten die Mennoniten ein hohes Maß an Autonomie bzw. das Recht auf Selbstverwaltung. Deshalb kontrollierten sie viele ihrer staatsbürgerlichen und religiösen Angelegenheiten selbst. Obwohl es also den Anschein einer Trennung von Kirche und Staat gab, so bestanden infolge dessen doch vielfach Verknüpfungen zwischen den beiden. Zumindest existier¬ ten die staatlichen und religiösen Gemeinschaften nebeneinander und gerieten oft in Konflikt miteinander innerhalb geografisch begrenzten Gemeinschaften. Auch das religiöse Leben veränderte sich. Es gab große Unterschiede von Gemeinde zu Gemeinde, was ihre geistliche Ausrichtung betraf, und diese war vor allem abhängig von deren Leitern und anderen Einflüssen, die ihren Weg in die Gemeinschaften fanden. Besonders sind Einflüsse aus Deutschland zu nen¬ nen. Es gab sehr unterschiedliche Wahrnehmungen, jedoch spürten in der Mitte des Jahrhunderts viele Mennoniten, dass nicht alles in Ordnung war, und einige empfanden immer mehr, dass das geistliche Leben tot war. Ein mennonitischer Geistlicher schrieb um 1830: „Wie sehr ist das Licht des Evangeliums in vielen Menschen verdunkelt [... ] Die Gottlosigkeit nimmt zu, weil die Liebe erkaltet ist [...] Wann wird die Nacht der Sünde weichen? [...] Wann wird die Morgendäm¬ merung der wahren Erleuchtung unter uns anbrechen?“ Einige meinten, dass man den Schriften und Lehren von Menno Simons und anderen frühen täuferischen Autoren mehr Aufmerksamkeit schenken sollte. 22 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Andere wie der Lehrer Tobias Voth betonten das persönliche innere Leben mit Christus. Wieder andere waren darauf bedacht die Heilige Schrift zu lesen und zu verbreiten. Als Teil des Lehrplans wurden in den Schulen schon immer die biblischen Geschichten gelehrt. Diese biblischen Geschichten wie auch die Leh¬ rer, die sie erzählten, übten einen großen Einfluss auf die heranwachsende Gene¬ ration aus. Auch begannen gedruckte Predigten, die die Wichtigkeit der Bekeh¬ rung betonten, unter den Mennoniten in Russland zu kursieren, besonders die von Charles Spurgeon und von deutschen pietistischen Predigern. Nach 1835 wurden - nach der Auswanderung fast einer ganzen Gemeinde aus Preußen in die Dörfer Gnadenfeld und Alexanderwohl - jährliche Missionsfeste in einer der mennonitischen Siedlungen abgehalten. Geburtswehen Im Jahre 1853 bekehrte sich ein junger Mann aus der Kolonie Chortitza, als er die Predigten des deutschen Pietisten Ludwig Hofacker las. Sein Zeugnis führte zu einer Erweckung unter den Bewohnern seines Dorfes. Es dauerte nicht lange, bis man die Neubekehrten als „die Frommen“ bezeichnete: die einen in Anerken¬ nung ihres rechtschaffenen und gottgefälligen Lebenswandels, andere bezeichne- ten sie so in geringschätzender Weise als Menschen, die sich für heiliger hielten als andere. Bald bemerkte man noch anderes: Die Neubekehrten pflegten ihre neu gefundene Freude in Christus mit neuen Liedern und Melodien zu feiern. Einige riefen ihre Freude in Gottesdiensten einfach laut hinaus. Es gab auch solche, die die Alte Kirche und ihre Leiter kritisierten. Sie meinten, dass das herkömmliche Mennonitentum mit seinen Ausdrucksformen und Traditionen im Verfall begrif¬ fen war, und somit konnten diejenigen, die das neue Leben erfahren hatten, nicht in der Alten Kirche bleiben. Eine Zeit lang saßen diese Kritiker und die Traditio¬ nalisten zusammen auf den gleichen Kirchenbänken. Dann begannen neue Lei¬ ter, die von ihrer Fähigkeit überzeugt waren, Wahrheit und Irrtum unterscheiden zu können, ein Ende dieses Kompromisses zu fordern. Die Neubekehrten sollten alle Praktiken, die durch Bräuche und Traditionen geheiligt waren, ablegen, wozu auch die Gemeindelieder und Predigten sowie alte Formen der Leiterschaft und der Anbetung gehörten. Die Erweckung in der Chortitza-Kolonie hinterließ eine stark entzweite Gemeinschaft. Die Mehrheit begann nun Erweckung mit der Ablehnung ihrer religiösen Traditionen in Verbindung zu bringen. Die Bewegung trennte Fami¬ lien und Freunde und löste bei sensibleren Menschen Schmerz und Wut bei into- DIE ANFÄNGE DER MENNONITEN-BRÜDER 23 leranten aus. Es schien, als ob die mennonitische religiöse Welt in der Ukraine für immer zerbrochen war. Bedauerlicherweise führte die Art und Weise, wie die Erweckung in Chortitza erlebt wurde, dazu, dass einer Erweckung andernorts mit Misstrauen und sogar Feindseligkeit begegnet wurde. In der Zwischenzeit entstand eine ähnliche Bewegung in der Kolonie Molot- schna im Südosten. Zunächst wurde sie mit lutherischen Einwanderern aus Deutschland in Verbindung gebracht, die einen neuen Pastor beriefen, der ihnen in einem nahegelegenen Dorf dienen sollte. Sowohl sie wie auch ihr neuer Geist¬ licher Edward Wüst waren stark vom württembergischen Pietismus des späten achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts beeinflusst. Diese Bewegung betonte, dass eine persönliche Bekehrung und ein Leben der Jüngerschaft uner¬ lässlich für wahres, lebendiges Christentum seien. Es war nicht überraschend, dass Wüst in seiner ersten Predigt in Russland über Sünde und Gericht und über Gottes Gnade, die durch Christus die Erlösung bringt, predigte. Er sprach von der Wiedergeburt als einem entscheidenden, überwältigenden Erlebnis, welches sich in einer dauerhaften, tiefen Freude ausdrückt. Der Dienst von Wüst leitete ein Jahrzehnt der Erweckung ein, das von evangelistischen Predigten, ökumeni¬ schen Missionsfesten und gemeinschaftlichen Mahlzeiten, bei denen das öffentli¬ che Gebet und das persönliche Zeugnis normale Gepflogenheiten waren, gekenn¬ zeichnet war. Um 1852 begann Wüst, statt der Erlösung eher das heilige Leben zu betonen. Wüsts frühe Predigten hatten die Bekehrung einiger Mennoniten zur Folge, die dann in das Dorf Gnadenfeld kamen und dort ihre mennonitischen Mitbrü¬ der mit zwei Gepflogenheiten vertraut machten, die sie bei Wüst gelernt hatten. Die eine betraf die Einführung von Hauskreisen, die andere sogenannte „Bru¬ derschaftskonferenzen“, die oft an Samstagnachmittagen zur Zeit des Vollmonds abgehalten wurden. Das ermöglichte es Menschen aus entfernteren Dörfern, am Abend zurück nach Hause zu fahren. Wüst hatte bald schon Dutzende Anhän¬ ger in der ganzen Kolonie Molotschna. Anfangs erlaubten ihm etliche Älteste der Mennoniten von ihren Kanzeln zu predigen und anscheinend wurden auch einige ökumenische Gottesdienste abgehalten. Diejenigen, die von der Erweckung berührt worden waren, traten nun mit einer besonderen Bitte an die Gemeindeleiter heran. Sie hatten den Wunsch das Abendmahl häufiger zu feiern und einige schlugen vor, es in Privathäusern abzu¬ halten. Des Weiteren sollte es nicht gemeinsam mit solchen Menschen abgehal¬ ten werden, deren religiöses Bekenntnis nur als nominell erachtet wurde. Der regionale Älteste, der traditionell bevollmächtig war das Abendmahl auszutei- 24 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE len, dachte, dass solch eine Bitte Uneinigkeit stiften würde, und lehnte ab. Damit wurde die Voraussetzung für eine private Abendmahlsfeier in einem Haus im Dorf Elisabethal im Herbst 1859 geschaffen. Die Teilnehmer wollten vor allem Gemeinschaft mit denen pflegen, die sie für wirklich wiedergeboren hielten. Es sollte kein Akt der Rebellion gegen die Autorität der örtlichen Gemeinde oder ihrer Ältesten sein. Diesen Gläubigen aus Elisabethal ging es in erster Linie um ihre eigene innere Beziehung zu Christus. Während sie sich einerseits über ihre Erlösung freuen wollten, so wollten sie auch ein Leben der Jüngerschaft, der Nachfolge, führen. Erlösung war nicht nur ein Gefühl, sondern auch Nachfolge. Aus ihrer Sicht setzte ein Leben in Heiligkeit ein Volk Gottes voraus, das einan¬ der verpflichtet war. Es erforderte auch eine reine Gemeinde, abgesondert von der Welt und sogar von nominellen Christen. Das Abendmahl war nur in der Gesellschaft von solchen Menschen bedeutungsvoll, die sich ernsthaft entschie¬ den hatten Jesu nachzufolgen. Trotz ihrer aufrichtigen Absichten lebten diese radikalen Mennoniten in einer Welt, in der Kirche und Staat gänzlich miteinander verknüpft waren. Ihre reli¬ giöse Welt bestand nicht nur aus ihrer örtlichen Gemeinde, sondern auch aus dem Dorf und allen seinen Einwohnern. Das private Feiern des Abendmahls wurde zu einer gefährlichen Handlung, weil sich dadurch diese „Andersdenken¬ den" außerhalb der etablierten Strukturen befanden. Obwohl es wahrscheinlich praktiziert wurde, ohne dass man sich seiner ganzen Bedeutung bewusst war, so wurde damit doch öffentlich bekundet, dass die Alte Kirche beurteilt und als unzulänglich befunden worden war. Viele Mitglieder der Gemeinde in Gnaden¬ feld waren tief beleidigt. Als wütende Stimmen in einer Gemeindeversammlung ihren Ausschluss verlangten, verließen einige die Versammlung. Der Dialog zwi¬ schen der Alten Kirche und den Reformern endete, bevor er richtig begonnen hatte. Es war offensichtlich nicht möglich, die neuen Anfänge im alten Kontext zu entwickeln. Am 6. Januar 1860 erklärten achtzehn Dorfbewohner aus Molotschna ihre Absicht, die Alte Kirche zu verlassen, indem sie ein formales Dokument der Trennung aufsetzten. Darin beklagten sie die Verdorbenheit der bestehenden Gemeinden und stellten fest, dass die Gemeinde Christi angesichts eines solchen Niedergangs nicht überleben könne. Es sollten nur Menschen mit einem lebendi¬ gen Glauben getauft werden. Die Gemeinschaft am Abendmahl muss auf getaufte Mitglieder, die ein rechtschaffenes und tadelloses Leben führen, beschränkt wer¬ den. Menschen, die vorsätzlich sündigen, so argumentierten sie, dürften nicht in der Gemeinschaft der Gläubigen bleiben. Die Unterscheidung von überzeugten 25 DIE ANFÄNGE DER MENNONtTEN-BRÜDER Gläubigen einerseits und einer Gemeinde, die jeden akzeptierte, war ein andau¬ erndes Anliegen der „Separatisten“. Genauso wie die frühen Täufer die Staats¬ kirche im sechzehnten Jahrhundert abgelehnt hatten, so verlangten nun einige Nachkommen dieser Tradition in Russland eine ähnliche Trennung. Jedoch lehn¬ ten sie dabei die Zugehörigkeit zu ihrer bisherigen Gemeinschaft ab und waren nun gezwungen eine neue zu schaffen. Unbewusst hatten diese Andersdenkenden einige Jahre davor damit begon¬ nen, ein neues Gefühl der Zugehörigkeit zu entwickeln. Als Jünger von Pas¬ tor Wüst betonten sie eine Theologie der Bekehrung, verbunden mit einer tie¬ fen Überzeugung von der Bedeutung radikaler Jüngerschaft. Als Teilnehmer an besonderen Veranstaltungen und Missionskonferenzen fühlten sie sich immer mehr durch ähnliche Erfahrungen und Überzeugungen verbunden. Viele dieser begeisterten Christen waren eifrige Leser. Einige von ihnen importierten regel¬ mäßig christliche Literatur aus Deutschland, während andere daran mitarbeite¬ ten, eine grundlegende Schulbildung zu fördern. Diese frühen Andersdenkenden waren erstaunlich gebildet. Als sie sich später an ihre Pilgerschaft zurückdachten, schrieben diese Männer und Frauen gewöhnlich dieses Vermächtnis tief religiösen Dorflehrern zu. Ein Teil der neuen Identität der Separatisten ist in der Unfähigkeit der alten Gemein¬ schaft begründet, ihre neuen Ideale zu verstehen oder wenigstens zu tolerieren. Sie suchten nach Worten für dieses allmählich entstehende Gefühl einer neuen Identität. Schließlich erwies sich das deutsche Wort „Brüder“ als ideal. Es kenn¬ zeichnete das vorherrschende Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Gemein¬ samkeit und der Verbindung miteinander. Wo war solch ein Wort angebrachter als in der Gemeinde der wahrhaft Gläubigen? Auch wenn das Wort die Intimität der neuen Gemeinschaft widerspiegelte, so zeigte es auch die männlich domi¬ nierte Kultur jener Tage. Obwohl viele der Brüder in der Alten Kirche bleiben wollten, so führten die Ereignisse unvermeidlich in eine andere Richtung. In Chortitza hatte es einen langen Prozess der Trennung gegeben, in Molotschna einen dramatischen Exo¬ dus. Eine solche Isolation brachte Instabilität mit sich, vor allem als die Radikalen aus beiden Regionen fühlten, dass die Begeisterung über ihre geistliche Wieder¬ geburt Ausdruck in öffentlichen Gottesdiensten finden musste. Die Mennoniten aus den Dörfern waren bald von den Berichten und Gerüchten über die Art der Gottesdienstfeiern der Brüder schockiert. Ein Augenzeuge sprach von „ziemlich laut ausgedrückter Freude“ bei diesen Feierlichkeiten. Ein Teilnehmer einer ande¬ ren Veranstaltung beobachtete, dass „einige herumsprangen und tanzten, andere 26 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE spielten Instrumente und sangen und dann riefen fast alle laut vor Freude“. Sogar die Musikinstrumente spiegelten den ungehemmten Anbetungsstil wieder. Es gab Schlagzeug, Gitarren, Flöten, Geigen und Triangeln. Außenstehende bezeichne- ten sie nicht mehr als „die Frommen“ Nun gebrauchten sie weniger schmeichel¬ hafte Namen wie „Hüpfer“, „Springer“ und „Überschwängliche“. Viele der frühen Brüder nahmen an diesen Feierlichkeiten teil. In einigen Fällen dauerten diese Praktiken bis ins Jahr 1865 an. Exzesse, die mit anderen Erweckungsbewegungen oft einhergingen, waren auch hier weit verbreitet. Die frühen Brüder waren sich ihres Kampfes gegen die Sünde, aber auch der Freude über die Sündenvergebung sehr bewusst. Sie zögerten anzuerkennen, dass Glaube mehr als Gefühle bedeutete. Die Kosten der Nachfolge Jesu waren hoch und zunächst schien es ihnen angebracht, ihre Glaubenserfahrung zum lauten und mitreißenden Rhythmus des Schlagzeugs zu feiern. Allmählich nahmen jedoch arrogante und unerfahrene Männern den Platz der bisherigen stabilen Leitung ein. Diese behaupteten dreist, dass die Alte Kirche total versagt habe und der neue Glaube absolut richtig sei. Den Brüdern stand eine gewaltige Aufgabe bevor. Sie mussten die Balance finden zwischen einer christlichen Erfahrung, die tiefe emotionale Konsequenzen hatte, und einer Jüngerschaft, die sich auf ethisches Leben konzentrierte. Sie mussten die rück¬ sichtslose und individualistische Feier der Erlösungserfahrung in eine verantwor¬ tungsvolle verbindliche Gemeinschaft umgestalten, die in der Lage war nachfol¬ gende Generationen zu tragen. Ein Prozess der Wiederherstellung begann mit Zeiten des Gebets und der Buße, der in den sogenannten „Junireformen“ des Jahrs 1865 gipfelte. Unter ande¬ rem erklärten die Brüder, dass „wilde Freudenausbrüche wie Tanzen“ Gott nicht wohlgefällig seien. Weiterer Fortschritt wurde 1872 erzielt, als die junge Bewe¬ gung ihre erste Generalkonferenz einberief. Jetzt war die Stabilität der neuen Kir¬ che durch den Willen vieler gesichert. Die Wünsche der stillen Mehrheit konnten jetzt gehört werden. Nach und nach entwickelte die junge Kirche eine effektive Strategie, die innere Stabilität und Wachstum erzielen sollte. Gerade als die Mennoniten-Brüdergemeinde etwas Stabilität erlangte, began¬ nen umfassendere Bestrebungen des Russischen Reiches schwerwiegende Aus¬ wirkungen auf alle Mennoniten zu haben. Die russische Regierung war näm¬ lich immer mehr darauf bedacht, die Kolonisten in die russische Gesellschaft zu integrieren. Dies betraf Themen wie den Gebrauch der russischen Sprache, die Lehrpläne der Schulen und besonders die Frage der Freistellung von jeglichem Militärdienst. Viele Mennoniten sorgten sich sehr um ihre Zukunftsaussichten in DIE ANFÄNGE DER MENNONITEN-BRÜDER 27 Russland. Obwohl die Mennoniten, nach intensiven Verhandlungen, letztendlich das Recht zugesprochen bekamen, Forstdienst an Stelle von Militärdienst zu leis¬ ten, so brachte die Situation in Russland und die Aussicht auf ein besseres Leben in Amerika 18.000 Mennoniten dazu zwischen 1874 und 1880 in die Vereinigten Staaten und nach Kanada auszuwandern. Darin eingeschlossen war ca. ein Drit¬ tel der Mennoniten-Brüdergemeinde in Russland, die nach Amerika gingen, um sich im mittleren Westen der Vereinigten Staaten anzusiedeln. Die Krimmer Mennoniten-Brüder Eine weitere religiöse Strömung war in Russland entstanden, die ein Jahrhundert später Teil der Mennoniten-Brüder Bewegung wurde - die Krimmer Mennoni¬ ten-Brüder (KMB). Die KMB war offiziell im Jahr 1869 unter einer Gruppe von Mennoniten-Familien entstanden, die knapp ein Jahrzehnt vorher auf die Krim gezogen waren. Diese Gruppe erlebte kurz nach ihrer Ankunft dort eine spontane Erweckung. Nachdem sie in der Heiligen Schrift geforscht und Menno Simons studiert hatten, entschlossen sie sich im Jahr 1869, sich auf das Bekenntnis ihres Glaubens hin wieder taufen zu lassen. Bald entschieden sie sich für die Taufe durch Untertauchen, wobei vorwärts untergetaucht wurde, während der Täuf¬ ling kniete. Weitere Unterscheidungsmerkmale waren der von ihnen gepflogene Nonkonformismus, strenge Gemeindezucht, Gewaltlosigkeit, die Fußwaschung und ihre Weigerung einen Eid abzulegen. Sie hatten viel mit den Mennoniten- Brüdern gemeinsam, obwohl sie unabhängig von der der Mennoniten-Brüder- bewegung entstanden waren. Die KMB-Gemeinde war nur kurze Zeit in Russland. Die Situation dort, die viele Mennoniten dazu veranlasste in den 1870er Jahren nach Nordamerika aus¬ zuwandern, brachte auch die gesamte KMB-Gemeinde dazu, Russland zu ver¬ lassen und im Jahr 1874 nach Kansas / USA umzusiedeln. Dort gründeten sie mehrere Dörfer. Später ließen sie sich auch in anderen Gegenden nieder, unter anderem in Saskatchewan / Kanada. Nach jahrelangen Verhandlungen schlossen sich die Mennoniten-Brüder und die Krimmer Mennoniten-Brüdergemeinde im Jahr 1960 bei der Hundertjahrfeier der Mennoniten-Brüdergemeinde in Reedley / CA feierlich zusammen. Dieser Zusammenschluss führte nicht nur die Gemein¬ den der beiden nordamerikanischen Konferenzen zusammen, sondern brachte auch die beachtliche Missionsarbeit der KMB-Gemeinde unter die Schirmherr¬ schaft der Missionsgesellschaft der Mennoniten-Brüder. 28 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜOERGEAAEINDE Festigung Einige Themen spielten im Reifeprozess der Mennoniten-Brüdergemeinde eine besondere Rolle. Von Anfang an betonten die Brüder eine Theologie der Bekeh¬ rung. In diesem Bereich übernahmen sie recht viel von Pastor Wüst. Er unter¬ strich die Wichtigkeit eines tiefen Verständnisses der persönlichen Sündhaftig¬ keit und die Notw'endigkeit eines dramatischen und oft langen Glaubenskampfes, der in einer sicheren Glaubensgewissheit und in der Zusicherung der Sünden¬ vergebung seinen Höhepunkt findet. Echte Wiedergeburt war ein entscheiden¬ des und überwältigendes Erlebnis. Es war vorrangig eine Erfahrung Erwachse¬ ner, bei der überwiegend erwachsene Männer und Frauen mittleren oder auch fortgeschrittenen Alters sich zu ihrem Glauben bekannten und getauft wurden. Ein Bekehrungserlebnis in Zusammenhang mit einer Krisenerfahrung wurde zu einem normalen Bestandteil der Jüngerschaft der Brüder. 1904 hinterließ ein Ältester der Brüder eine interessante Beschreibung der im Januar stattfindenden Gebetswoche seiner Ortsgemeinde: „Wir gestalteten die Gebetswoche folgendermaßen: Wir Brüder und Schwestern und viele andere trafen uns jeden Abend. Nach ein oder zwei Liedern begannen wir mit Schrifilesung und Gebet. Dann beteten einige, die dies wollten, abwech¬ selnd. Verschiedene Brüder und Schwestern erzählten von ihrer Bekehrung. Es folgten weitere Gebete und Zeugnisse. Lieder oder (einzelne) Strophen von Liedern wurden dazwischen gesungen. Der Herr offenbarte sich und segnete die Gebete und Zeugnisse, so dass Tränen flössen und viele (innerlich) bewegt wurden. Seelen schienen sich Buße und Bekehrung zu wünschen und wir hatten eine gesegnete Zeit." Solche Versammlungen wurden regelmäßig im späten neunzehnten Jahrhundert in allen Brüdergemeinden abgehalten und bieten eine Erklärung für das stetige Wachstum dieser Bewegung. Wegen ihres informellen Charakters förderten sol¬ che Treffen in Privathäusern oder Schulen eine warme und intime Gemeinschaft. Einfache Menschen teilten ihr Verständnis der Heiligen Schrift mit und sorgten füreinander. Es herrschte völlige Offenheit und so waren Bekehrungen in einem Umfeld, das durch solche gegenseitige Anteilnahme gekennzeichnet war, nicht selten. Junge Gläubige empfingen Rat und Ermutigung bei solchen Treffen. Es bestand keine Notwendigkeit nach der Bekehrung nach einer neuen Gemein¬ schaft zu suchen. Seelsorger und Ratsuchende waren in dieser gelebten Gemein¬ schaft eng miteinander verbunden. Ein solches Verständnis davon, was Fami- DIE ANFÄNGE DER MENNONITEN-BRÜDER 29 lie Gottes bedeutet, schloss auch junge Erwachsene und Kinder ohne größere Schwierigkeiten mit ein. Diese Art von Gemeinde hatte auch andere Vorteile. In den Kleingruppen war es einfach, den Glauben mit den alltäglichen Problemen in Verbindung zu brin¬ gen, und somit wurde die Nachfolge Jesu zu einer Antwort auf die Höhen und Tiefen der Lebenserfahrungen. Da das Leben der Jüngerschaft sich innerhalb der Gemeinschaft abspielte, wurde das Verständnis von Heiligkeit von der Gruppe definiert und nicht von der Einzelperson. Es war schwierig für eine einzelne Per¬ son ihr Schriftverständnis oder ihre Vorstellung davon, was christlicher Lebens¬ stil war, der gesamten Gemeinde aufzuzwingen. Wenn die Gemeinde zum Bibel¬ studium zusammensaß, erreichten die Brüder und Schwestern ein ausgewogenes Verständnis der Schrift. Geistliche Arroganz und Heuchelei oder Engstirnigkeit und Gesetzlichkeit wurden in der Gemeinschaft korrigiert; gleichzeitig profitierte die ganze Gruppe von Personen mit gesunder und starker Geistlichkeit. Die Mennoniten-Brüder waren die erste der russischen Mennonitengruppen, die sich als Gemeindekonferenz traf. Die Vertreter der verschiedenen Gemein¬ den trafen sich 1872 zum ersten Mal und danach, mit wenigen Ausnahmen, jähr¬ lich, und zwar bis 1918, nach der Revolution. Die Hauptthemen dieser Konfe¬ renzen war der Reisepredigtdienst, Evangelisation und die Mission. Zur Zeit des fünfundzwanzigsten Jubiläums im Jahr 1885 gab es schon sechs unabhängige Mennoniten Brüdergemeinden und siebzehn ihnen angegliederte Gemeinden in verschiedenen Regionen. Im Jahre 1906 war die Anzahl der Mitglieder auf 5.642 und die der Freunde auf fast 14.000 an zweiundvierzig Versammlungs¬ orten angestiegen. Zu dieser Zeit (1903) hatte die Konferenz eine halboffizielle Zeitschrift namens „Friedensstimme“ und eine Zeitschrift, die sich der Mission widmet, namens „Erntefeld“. Der Reisepredigtdienst half die Identität der frühen Brüdergemeinden zu stärken und zu festigen. Die Konferenz im Jahr 1872 wählte fünf Reiseprediger, die die weit verstreuten Anhänger fördern sollten. Schon bald hielten sie Bibel¬ unterricht in Privathäusern oder Schulen, machten Hausbesuchen oder predig¬ ten bei Missions- und Erntedankversammlungen. Dank ihres Engagements wur¬ den fast alle Mitglieder der Brüdergemeinden jedes Jahr besucht. Als im späteren neunzehnten Jahrhundert neue mennonitische Siedlungen überall im europäi¬ schen Russland und darüber hinaus entstanden, besuchten diese hingegebenen Männer systematisch alle Gemeinden. Ihr Dienst hatte das Gefühl eines gemein¬ samen Glaubens zur Folge und gewährleistete einheitliche Praktiken, was Anbe¬ tung und Liturgie betraf. Man war sich der eigenen Verbundenheit mit der gro- 30 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE ßen Familie Gottes sehr bewusst, sogar in den kleineren entlegenen Gemeinden. Diese Reiseprediger erhielten ihr Ausbildung und Inspiration oft in speziellen Bibelkursen und an Missionsschulen. Diese standen sowohl Predigern als auch Laien offen und dauerten jeweils einige Tage, Wochen oder sogar Monate. Die Kurse boten Gemeinde- und Reisepredigern Predigtmaterial und vermittelten Mitgliedern lokaler Gemeinden ein tieferes Bibelverständnis. Diese Kurse stell¬ ten oft die einzige offizielle Ausbildung für Pastoren und Diakone der Brüder¬ gemeinden dar. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts führten viele Gemeinden regelmä¬ ßig Sonntagsschulunlerricht durch, organisierten besondere Gruppen für junge Männer und Frauen oder förderten Missionskreise für Frauen. In den 1890er Jahren gab es zunehmend auch jährlich stattfindende Chorfeste mit einer gro¬ ßen Zahl von Teilnehmern. Letziendlich trugen Gesangs-, Missions- und Ernte¬ dankfeste, Hausbesuche, Bibelunterricht. Bibelkonferenzen und die Stärkung des Dienstes am Ort durch begabte Reiseprediger dazu bei, dass ein starkes Gefühl der Verbundenheit und eines gemeinsamen Ziels entstand. Neue Freunde Die innere geistliche Reise der frühen Brüder geschah im Kontext einer immer komplexer werdenden Welt. Als das neunzehnte Jahrhundert zu Ende ging, genossen die Mennoniten in Russland noch nie da gewesenen materiellen Wohl¬ stand. Bestehende landwirtschaftliche Güter und sogar neue Siedlungen profilier¬ ten von den stabilen Preisen. Mennonitische Geschäftsleute bauten Mühlen und gründeten Fabriken, die landwirtschaftliche Maschinen herstellten. Prediger und Lehrer lasen religiöse und Fachliteratur aus Deutschland. Einige junge Männer gingen fort, um an russischen und deutschen Universitäten und Seminaren zu studieren. Ein neues soziales und intellektuelles Bewusstsein verbreitete sich, und es entstand ein gewaltiges, von privaten Spendern unterstütztes Bildungssystem von der Grundschule bis zur Sekundarstufe. Es gab sogar ein Lehrerseminar und eine Hochschule für Wirtschaft, auch medizmische und soziale Einrichtungen, Schulen für Arme, ein Waisenhaus, eine Schule für Stumme, Krankenhäuser und ein Heim für Diakoninnen. Alle Mennoniten beteiligten sich an diesen Unter¬ nehmungen. Für die Mennoniten-Brüder kam es nicht in Frage nicht daran teil¬ zunehmen. Was Gebräuche, ihre Sprache und wirtschaftliche Prinzipien anbe¬ traf, so gehörten sie immer noch zur großen Volksgruppe der Mennoniten. Weil sie jedoch die religiösen Gepflogenheiten der Alten Kirche ablehnten, konnten 31 DIE ANFÄNGE DER MENNONITEN-BRÜDER sie sich, auf der Suche nach einem neuen und lebendigen Christentum, nicht an ihre eigenen Traditionen wenden. Sie mussten anderweitig nach geistlicher Nahrung suchen. Eine solche Suche hatte vor 1860 begonnen. Baptistische Literatur war schon in den 1840ern und 1850ern im Umlauf. Die Verständnis der Brüder, dass die richtige Art der Taufe das Untertauchen ist, stammt höchstwahrscheinlich aus diesen Quellen. Es gab auch einen Briefwechsel zwischen den frühen Brüdern und einigen deutschen Baptisten. Während Johann Claassen, ein Geschäfts¬ mann aus Molotschna, in St. Petersburg den rechtlichen Status der Gruppe klä¬ ren wollte, wohnte er bei einem Mitglied der Baptistengemeinschaft und kam so mit baptistischer Literatur in Berührung. Etliche Brüder aus Chortitza kontak¬ tierten den Hamburger Leiter der Baptisten Johann Oncken und baten um einen Bibellehrer. Oncken schickte daraufhin August Liebig, der fast zwei Jahre lang blieb. Der baptistische Diakon Carl Benzien verbrachte auch einige Zeit unter den Brüdern in Russland und half die erste Konferenz 1872 zu organisieren. Noch bedeutungsvoller war die Ordination von Abraham Unger als erstem Ältesten der Mennoniten-Brüdern durch Johann Oncken im Jahre 1869. Am Ende des Jahr¬ hunderts zog das Theologische Baptistenseminar in Hamburg junge Mitglieder der Mennoniten Brüdergemeinden an. Das erste Glaubensbekenntnis, das 1876 auf Anfrage der Regierung hin veröffentlicht wurde, war eine abgewandelte bap¬ tistische Version. Ebenso wurde auch das bestehende Bewusstsein für die für die Notwendigkeit missionarischer Tätigkeit durch baptistische Literatur verstärkt. Der erste Missionar der Mennoniten-Brüder, Abraham Friesen, reiste 1885 nach Indien aus, um dort im Auftrag eines baptistischen Missionswerks zu dienen. Kein Wunder, dass sich andere Mennoniten und sogar Regierungsbehörden eine Zeitlang fragten, ob diese neue Bewegung nicht in Wirklichkeit baptistisch sei. Die offizielle Anerkennung ihrer mennonitischen Zugehörigkeit wurde erst nach einer speziellen Petition im Jahre 1880 ausgesprochen. Obwohl der Kontakt der Mennoniten-Brüder zu den Baptisten zum Teil durch die radikale Art ihrer Trennung von der Alten Kirche entstand, so gab es doch auch andere Gründe hierfür. Die verwaiste Gemeinschaft benötigte natür¬ lich einen „großen Bruder", nachdem sie die Unterstützung durch das Christen¬ tum ihrer vergangenen Tradition fast durchweg abgelehnt hatte. Die Baptisten stellten mühelos das Modell einer Bewegung zur Verfügung, das in einem theo¬ logischen und organisatorischen Vakuum nutzbar war. Die Mennoniten-Brüder konnten viele ihrer neuen Lebenserfahrungen in diese schon existierende Theo¬ logie und Gemeindepraxis der Baptisten integrieren. 32 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Obwohl der Kontakt zwischen Mennoniten-Brüdern und Baptisten in den 1880ern und 1890ern durch Gastredner und theologisches Material aufrechter- halten wurde, so wurde er doch von einigen langanhaltenden Problemen beglei¬ tet. Die Mennoniten in Russland hatten ein starkes Gefühl der Zusammengehö¬ rigkeit als Volksgruppe. Religiöse Unterschiede hatten nicht sofort das Gefühl einer neuen Identität zur Folge. Schon in ihrer Trennungsschrift beriefen sich die Mennoniten auf die Autorität von Menno Simons. Folglich verloren sie nie seine Lehre der Gewaltlosigkeit, seine Ablehnung jeglichen Eides, seine Aufforderung zu einer strengen moralischen Haltung und sein Befürworten einer Gemeinde, die zur Nachfolge einlädt, aus den Augen. Diese Überzeugungen blieben über Jahrzehnte hinweg Reibungspunkte zwischen den Mennoniten-Brüdern und den Baptisten, und etliche würden sogar sagen, fast im ganzen zwanzigsten Jahrhun¬ dert. Sie waren der eigentliche Grund für den Widerstand der Mennoniten-Brü- der, wenn es um ihre Integration in die viel größere Welt der Baptisten ging. Ironischerweise hatte die Drohung der Integration durch die Baptisten in Deutschland eine sehr positive Auswirkung auf die Entwicklung der russischen Baptistengemeinde. Obwohl es verboten war unter der orthodoxen Bevölkerung zu evangelisieren, so hatten die frühen Mennoniten-Brüder doch Gelegenheiten das Evangelium durch verschiedene Formen der Laienevangelisation zu verbrei¬ ten. Rechtliche, kulturelle und sprachliche Schwierigkeiten zwangen die russi¬ schen Neubekehrten ihre eigenen Gemeinden zu gründen. Indem die Brüder die organisatorischen Strukturen nutzten, die sie von den deutschen Baptisten übernommen hatten, halfen sie nun damit den verstreut lebenden russischen Gemeinden. 1882 beriefen sie eine besondere Konferenz im Dorf Rückenau ein. Es waren mehr Mennoniten-Brüder als Baptisten vertreten. Zwei Jahre danach kamen die russischen Baptisten zu ihrer ersten Konferenz in Novo-Vasilevka zusammen. Obwohl diese Konferenz einen Prediger der Mennoniten- Brüder, Johann Wieler, zu ihrem Präsidenten wählten, erklärten die russischen Baptisten dort erstmals ihre Unabhängigkeit von den Mennoniten-Brüdern. Es war eine einzigartige Situation. Die deutschen Baptisten hatten der jungen Mennoniten Brüdergemeinde geordnete Strukturen gegeben, und nun gaben die Mennoniten- Brüder der sich entwickelnden russischen Baptistengemeinden geordnete Struk¬ turen. Trotz der Verbote durch das Gesetz des Zaren, wurden die Bemühungen die russischen Nachbarn zu evangelisieren fortgesetzt. Diese wurden intensiviert, als das Oktober-Manifest (1905) von Zar Nikolaus II größere religiöse Toleranz gewährte. Bald schon waren einige mennonitischen Evangelisten unter den Rus- 33 DIE ANFÄNGE DER MENNONITEN-BRÜDER sen sowohl in den Dörfern als auch in den Städten tätig. Dennoch blieb man bei der bisherigen Vorgehensweise: die Neubekehrten wurden Baptisten. Während sich das neunzehnte Jahrhundert allmählich seinem Ende zuneigte, waren die Mennoniten-Brüder unterdessen zusammen mit einigen Personen aus der Alten Kirche um eine andere Art von Kontakt bemüht, nämlich um Kontakt mit der Blankenburger Allianz Konferenz, dem europäischen Äquivalent der eng¬ lischen Darbyisten oder Plymouth-Brüder. Diese Gruppe, die 1885 gegründet worden war, veranstaltete jährlich Konferenzen in Deutschland, die viele unter¬ schiedliche Teilnehmer anzogen. Diese Blankenburger Konferenz beeinflusste die Mennoniten-Brüder in etwa so, wie die Baptisten es zuvor getan hatten. Bekannte Persönlichkeiten der Allianz hielten besondere Vorträge oder größere Bibelkon¬ ferenzen in verschiedenen mennonitischen Niederlassungen in Russland ab. Ebenso fanden ihre Schriften allgemein Zustimmung. Die Blankenburger Theologie befasste sich mit dem inneren Leben, der hei¬ ligen Lebensführung und einer Gemeinschaft, die viele verschiedene Denomi¬ nationen umfasste. Außere Formen und besondere Glaubensbekenntnisse hat¬ ten weniger Bedeutung. Zwei Dinge verbanden alle wahren Nachfolger Jesu: die Taufe und das Abendmahl. Indem sie das innere Leben betonten und sich auf das Wesentliche konzentrierten, ermutigte diese Bewegung die Mennoniten-Brüder über die Grenzen ihres eigenen Lagers hinauszugehen. Zusammen mit Mitglie¬ dern der Alten Kirche konzentrierten sie sich auf die Innen- und die Außenmis¬ sion sowie auf die Förderung von Schulen. Man kümmerte sich zunehmend um Waisen, geistig Behinderte, Arme, Alte und Kranke. Viele setzten ihre Gaben und ihr Geld für den Aufbau spezieller Institutionen ein. Die Mennoniten fingen auch an in Gegenden Russlands zu gehen, die von Naturkatastrophen betroffen waren. Der Kontakt zu Blankenburg erweiterte das Verständnis der Mennoniten-Brüder von der Botschaft des Evangeliums, so dass es auch soziale Anliegen einschloss, und erweiterte ihr Bibelwissen. Kontroversen Ausbreitung und Erneuerung charakterisierten die Mennoniten Brüdergemeinde am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Dank vieler Bekehrungen und Tau¬ fen wuchs die Zahl der Gemeindemitglieder ständig. Immer wieder auftretende Erweckungserfahrungen, eine zunehmende persönliche Spiritualität, eine stän¬ dige Förderung durch Bibelkonferenzen - alles schien so positiv und sie zu bestä¬ tigen. Doch begann trotz alledem ein einzelnes strittiges Thema die Gemeinden 34 DIE GESCHICHTE DER MEN NON ITEN-BRÜDERGEMEINDE ZU stören. Es handelte sich um die Frage des offenen oder geschlossenen Abend¬ mahls. Diese Frage war schon immer Teil der Geschichte der Mennoniten-Brü- der gewesen. Ein Grund für das Verlassen der Alten Kirche war die Tatsache gewesen, dass oft auch Menschen zum Abendmahl eingeladen wurden, die nur Namenschristen zu sein schienen. Innerhalb der neuen Bewegung war es klar, dass nur wirklich bekehrte und getaufte Mitglieder an dieser Feierlichkeit teilneh¬ men sollten. Baptisten, die die Wiedergeburt und Untertauchtaufe klar lehrten, wurden von Anfang an uneingeschränkt zu den Abendmahlsfeiern der Men- noniten-Brüder zugelassen. Im frühen zwanzigsten lahrhundert kamen jedoch einige strittige Fragen auf, die diese Gewohnheit in Frage stellten. In viele Teile der Alten Kirche hatte es Erweckungserfahrungen gegeben. Warum sollten diese nicht am Abendmahl der Mennoniten-Brüder teilnehmen? Noch bedeutsamer war der Einfluss der Allianz-Theologie, die ein offenes Abendmahl für alle, die sich zu einem persönlichen Glauben bekannten, befürwortete. Einige Prediger der Mennoniten-Brüder waren offen für diesen neuen ökumenismus. Andere verließen die Gemeinschaft, um der neu entstandenen Evangelikalen Mennoni* ten Bruderschaft beizutreten, deren einzige Voraussetzung für die Mitgliedschaft Wiedergeburt und Taufe war. Die Spannungen, die sich aus der Frage des geschlossenen Abendmahls erga¬ ben, erreichten im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts ihren absoluten Höhepunkt. Warum neigten Menschen, die sich in Mission und Evangelisation engagiert hatten, innerhalb eines halben Jahrhunderts so sehr zu Engstirnigkeit und Exklusivität? Wie konnte trotz besonderer Bibelkurse und Konferenzen, trotz regelmäßiger Besuche durch Reiseprediger, trotz der Entstehung der Sonn¬ tagsschulbewegung und des Beginns von regelmäßigen Chorseminaren und - festen eine so negative Ent\\icklung einsetzen? Wie konnte ein Volk Gottes, das dem Gesang, dem Predigen und Lehren hingegeben war, auf einmal gelähmt und nach innen gerichtet sein? Vielleicht hatten sie zu lange ihre Erlösung gefeiert. Die frühen Lieder, die von Flöten, Triangeln, Tamburinen und Schlagzeug begleitet wurden, lehnte man bald ab. Jedoch hatten viele der späteren Lieder etwas mit diesen früher gesunge¬ nen Melodien gemeinsam. Sie drehten sich um das innere Leben und betonten Sünde, Buße und Erlösung. Wenn diese Lieder in den Versammlungen der Men¬ noniten-Brüder gesungen wurden, zusammen mit Gebeten, kurzen Predigten, persönlichen Zeugnissen und Schriftlesungen, dann stärkten sie den Eindruck des Emotionalen und Erlebnishaften. War es möglich, dass solche Lieder tatsäch¬ lich gefährlich waren? Nachdem sie Jahrzehnte lang benutzt worden waren, ent- DIE ANFÄNGE DER MENNONITEN-BRÜDER 35 wickelten sie möglicherweise eine emotional orientierte 'Theologie, die fromme Gefühle feierte, die man mit der Erfahrung der Erlösung in Verbindung brachte. Konnte man das Wachstum in der Jüngerschaft durch eine solche andauernde, würdevolle Pflege von tief empfundenen Gefühlen einschränken? Könnte es sein, dass eine nach innen gerichtete Spiritualität weniger daran interessiert ist, sich nach außen zu wenden und die ganze Welt zu erreichen? Diese Konzentration auf die persönliche Frömmigkeit brachte keinen spür¬ baren Rückgang des religiösen Lebens mit sich. Nichtsdestotrotz ergaben sich bedeutende Verluste für die Bewegung. Anstatt sich an Gottes umfassender Gnade zu erfreuen, wünschten sich einige eine abgesonderte Gemeinde und eine begrenzte Gruppe von Personen zu sein. Diese Gruppe bestand darauf, genau zu bestimmen, was richtig oder falsch, was akzeptabel oder inakzeptabel ist. Ihr Anliegen war es enge Grenzen festzulegen und eine hohe Ethik zu verlangen. Die Bekehrung, die Art der Taufe und die Feier des Abendmahls waren mit stren¬ gen Verboten versehen. Die einst radikale Gemeinde suchte nun Sicherheit in etablierten Traditionen und Praktiken. Dabei vergaßen sie möglicherweise Jesu Befehl, in alle Welt zu gehen. Dennoch rief die Bewegung ihre Mitglieder zu einem tieferen christlichen Leben auf; bestätigte, dass neues Leben grundlegende Voraussetzung für die Gemeindemitgliedschaft ist; schloss sich anderen Menno- niten an, wenn es darum ging Gutes zu tun und evangelisierte unter den Russen. Nichtsdestotrotz gab es wegen ihrer geographische Lage Einschränkungen, da die meisten Mennoniten Brüdergemeinden in ganz Russland verstreut in land¬ wirtschaftlich geprägten Dörfern angesiedelt waren. Ein weiterer Blick war durch solche Umstände nur begrenzt möglich. All das sollte sich Jedoch bald ändern. Der erste Weltkrieg und seine Folgen veränderte das blühende und friedli¬ che Leben der Mennoniten radikal. Die Welt, wie sie sie gekannt hatten, zerbrach schnell. Pazifistische junge Männer wurden an Orte in ganz Russland geschickt, um Forstdienst und medizinische Arbeit zu leisten. Es entwickelte sich eine starke antideutsche Stimmung. Als der Krieg endete, herrschten in Russland einige Jahre lang Revolution und Bürgerkrieg. Die neue Regierung hob Privatbesitz und reli¬ giöse Toleranz auf. In den 1920ern gelang es ungefähr einem Fünftel der Men¬ noniten aus Russland nach Kanada zu reisen, etwa fünfzig Jahre nachdem eine große Gruppe ihre neue Heimat in Nordamerika gefunden hatte. Andere gelang¬ ten schließlich nach Südamerika. Aber die überwiegende Mehrheit blieb zurück. Ihre Geschichte wird in den folgenden Kapiteln beschrieben. NORD- UND MITTELAMERIKA 39 Die Mennoniten Brüdergemeinde in den Vereinigten Staaten von Amerika Valerie G. Rempel D ie Mennoniten-Brüder (MB) kamen im Zuge einer größeren Auswande¬ rungsbewegung von Mennoniten aus Russland in den 1870ern nach Ame¬ rika. Von 1874bis 1880 kamen dabei schätzungsweise 10 000 Mennoniten in die Vereinigten Staaten, wobei nur eine kleinere Zahl von ihnen Mennoniten- Brüder waren. Sie kamen wie viele andere Einwanderer des neunzehnten und des frühen zwanzigsten Jahrhunderts in die Vereinigten Staaten - arm, aber in der Holfnung, dass sie in einem neuen Land Frieden und Wohlstand finden wür¬ den. Sie brachten Loyalität zur deutschen Sprache, einen Vorrat an Winterwei¬ zen (Turkey Red) und einen lebendigen, auf Erfahrung beruhenden Glauben mit sich, der von Erweckungserfahrungen in Russland und vom Kontakt zu Pietisten Kontinentaleuropas geprägt war. Ihr Glaube war stark auf die Notwendigkeit der Wiedergeburt ausgerichtet und Evangelisation war ihnen wichtig. Sie waren im reichen theologischen Erbe der Täufer des sechzehnten Jahrhunderts und in den Schriften Menno Simmons verankert. Diese frühen Mennoniten-Brüder hofften, ungestört in den unermesslichen Weiten des amerikanischen Mittleren Westens leben zu können. Sie hatten vor, die besten Eigenschaften des gemeinschaftlichen Lebens neu zu verwirklichen, das sie in den Mennonitendörfern in der Ukraine mit ihren untereinander eng verbundenen Bewohnern erlebt hatten. Obwohl ihre Familien fast ein Jahrhun¬ dert lang in Russland gelebt hatten, betrachteten sie sich selbst nicht als Russen, sondern gebrauchten weiterhin die deutsche Sprache, um so, auf ganz natürliche Art und Weise, eine Anpassung an die sie umgebende Kultur zu verhindern. Das hatten sie auch in ihrer neuen amerikanischen Heimat vor, jedoch empfanden sie es, wie so viele andere Einwanderer, darunter auch viele andere Mennoniten, als fast unmöglich. Vom Zeitpunkt ihrer Ankunft im Jahr 1874 an bis heute erzählt die Geschichte der Mennoniten-Brüder in den USA von ihrem andauernden Bemühen die Besonderheit ihrer theologische Identität angesichts zunehmender kultureller und religiöser Anpassung beizubehalten. Das Leben in einem neuen Land erforderte sofortige Anpassung. Es war ihnen schnell klar, dass das ihnen vertraute Dorfsystem in den Grenzbereichen der von europäischen Siedlern schon erschlossenen Gebiete nicht ^virklich nach¬ gebildet werden konnte. Das Land in den USA war anders strukturiert und die 40 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE meisten Siedler ließen sich letztendlich auf Farmen und nicht in Dörfern oder Städten nieder. Wo auch immer sie sich enger beisammen niederlassen konnten, gründeten sie Gemeinden und bald schon versammelten sich Mennoniten-Brü- der in Kansas, Nebraska, Oklahoma und Minnesota zu Gottesdiensten. Weil viel Land zur Verfügung stand, weil Wohlstand in den westlich gelegenen Gebieten lockte und weil es keine Einschränkungen gab, was Um- und Neuansiedlungen betraf, war Mobilität leicht gemacht. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten lebten bald einige tausend Mennoniten-Brüder in einem Gebiet, das sich von Minne¬ sota bis Texas und im Westen sogar bis nach Oregon und Kalifornien erstreckte. Um Gemeinschaft zu fördern, um in der Missionsarbeit zusammenzuarbei¬ ten und um ihre Identität als Mennoniten-Brüder zu wahren, gründeten sie 1879 eine Gemeindekonferenz. Dies war mehr als ein Jahrhundert lang die „General Conference ofMennonite Brethren Churches in North America“. Als Gemeinschaft von Gläubigen unterstützte diese Konferenz Missionsfelder sowohl im ln- wie auch im Ausland, entwickelte ein Programm für Reiseprediger, die die verstreut lebenden Mennoniten-Brüder aufsuchten, nahm ein Glaubensbekenntnis an und unterstützte später das Tabor College, das in Hillsboro, Kansas, gegründet wurde, um Gemeindemitarbeiter auszubüden. Im Rahmen des „General Con¬ ference Board of Missions“ {des Missionswerks der Konferenz) , dem späteren „Mennonite Brethren Missions and Service“ und heutigen „MBMS International“, arbeiteten Mennoniten-Brüder aus den Vereinigten Staaten und Kanada gemein¬ sam daran, das Evangelium in die ganze Welt zu tragen und so dazu beizutragen, dass Gemeinden der Mennoniten-Brüder in Indien, Afrika, Asien, Südamerika und Europa gegründet wurden. In den Vereinigten Staaten begannen sie eine Missionsarbeit unter den amerikanischen Ureinwohnern wie auch unter den Spa¬ nisch sprechenden Menschen im Süden Texas. Die Arbeit von Missionskreisen, in denen sich Frauen trafen, unterstützte die Missionsarbeit immens mit Hilfe von Spendenaktionen, indem sie zur Ausstattung von Missionaren beitrugen, und durch ihren anhaltenden Dienst im Gebet und der materiellen Unterstüt¬ zung der Missionare und ihrer Familien. Viele Jahre lang stellte der vorrangige Gebrauch der deutschen Sprache im Gottesdienst und in der Arbeit der Konferenz einen gewissen Schutz vor der sie umgebenden Welt dar, Als aber die Kinder immer mehr amerikanische öffent¬ liche Schulen besuchten und Geschäfte auf Englisch getätigt werden mussten, wurde diese Trennlinie allmählich schwächer. Der Ausbruch des Ersten Welt¬ kriegs und die damit verbundene anti-deutsche Stimmung beschleunigten die¬ sen Prozess. Und obwohl die deutsche Sprache noch bis zum Zweiten Welt- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN 41 krieg benutzt wurde, wurde es immer selbstverständlicher zu Hause und in der Gemeinde Englisch zu sprechen. Das galt insbesondere für die jungen Leute. Der Erste Weltkrieg brachte jedoch eine größere Herausforderung mit sich als die der Sprache. Die amerikanische Beteiligung an diesem großen Konflikt stellte sowohl die Selbstverpflichtung der Mennoniten-Brüder zur Gewaltlosigkeit als auch die Annahme, dass sie sich der Wehrpflicht in den Vereinigten Staaten ent¬ ziehen könnten, auf die Probe. Als die USA begannen, Zivilisten zum Wehr¬ dienst einzuziehen, erlaubten sie Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgrün¬ den nur Aufgaben im Dienst ohne Waffen zu übernehmen. Es war ihnen jedoch nicht erlaubt überhaupt keinen Wehrdienst leisten. Einigen Gemeindegliedern erschienen diese Bedingungen akzeptabel, aber diejenigen, die dazu nicht bereit waren, litten oft Verfolgung. Aufgrund dieser Erfahrung begannen nun die Men¬ noniten-Brüder, die ihre Theologie der Gewaltlosigkeit in den frühen Jahren der „General Conference" in gewisser Weise für selbstverständlich gehalten hatten, diese täuferische Besonderheit mehr zu betonen, indem sie sogar ihr schriftlich niedergelegtes Glaubensbekenntnis so veränderten, dass es ihre Verpflichtung zur Gewaltlosigkeit in Kriegszeiten deutlicher zum Ausdruck brachte. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, waren die Mennoniten-Brüder etwas besser vorbe¬ reitet. Während sich einige Gemeindeglieder entschlossen Wehrdienst entweder als Nichtkombattanten oder sogar als normale Soldaten zu leisten, so beteiligten sich viele Mennoniten-Brüder am öffentlichen Zivildienstprogramm (Civilian Public Service), welches als Alternative zum Wehrdienst eingerichtet worden war^ In den 1940ern fühlten sich die Mennoniten-Brüder zunehmend heimisch in den USA. Der Einfluss des amerikanischen Evangelikalismus, der zu großem Patriotismus neigte, und das Eintreten fiir Pazifismus durch einige eher liberale Gemeindegruppen brachten die Mennoniten-Brüder dazu, die Gewaltlosigkeit als unnötig oder sogar als Zeichen eines schwächeren biblischen Glaubens zu betrachten anstatt als grundlegend für christliche Jüngerschaft. Einige fühlten sich zu anderen evangelikalen Gemeinden hingezogen und verließen die Men- noniten Brüdergemeinde. Anderen fiel es zunehmend leicht in Klein- und Gro߬ städte zu ziehen, in denen es keine Mennoniten Brüdergemeinden gab. Für einige eröffnete dies die Möglichkeit, neue Gemeinden zu gründen und somit wuchs die 1 Civilian Public Service (CPS) war ein Programm, das von der amerikanischen Regierung genehmigt war und von etlichen historischen Friedenskirchen finanziert wurde. Die Teilnehmer arbeiteten in Anstalten für geistig Behinderte, in verschiedenen landwirtschaftlichen Einrichtungen und auch in Forstprojekten. Die Arbeit in den Einrichtungen für geistig Behinderte erwies sich als besonders wichtig und so wurden nach dem Krieg eine Vielzahl von Diensten für psychisch Kranke durch Mennoniten gegründet. 42 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Konferenz durch diese Art der Gemeindewachstum. Für andere war es jedoch einfacher oder erstrebenswerter sich bestehenden Gemeinden anderer Denomi¬ nationen anzuschließen und so war das Wachstum der Mennoniten-Brüder in den Vereinigten Staaten insgesamt relativ gering. In dieser Zeit wurde Mission und diakonische Arbeit in erster Linie durch die „General Conference'' geleistet. Sie war auch die Organisation, die die Herausgabe von Sonntagsschulmaterial, von Zeitschriften der Gemeindebewegung wie zum Beispiel dem „Zionsboten“, einer deutschsprachigen Zeitschrift und später der englischsprachigen Zeitschrift „The Christian Leader“ unterstützte. Diese Zeit¬ schriften trugen dazu bei, dass Mennoniten-Brüdern auf dem Laufenden blieben über das, was andere Gemeinden taten, und sie ermöglichten es auch den Konfe¬ renzleitern die Mitglieder zu unterrichten und zu ermahnen. In ihren ersten Jahren war die General Conference in regionale Bezirke auf- geteilt, um engere Beziehungen und gemeinsamen Dienst auf lokaler Ebene zu fördern, Schließlich wurden vier Bezirke festgelegt. Während die nördlichen Bezirke die Gemeinden in Kanada umfassten, waren die Gemeinden in den USA in den Zentralen, den Südlichen und den Pazifischen Bezirk* eingeteilt. Die loka¬ len Bezirke beaufsichtigten die Gemeinden und förderten die Arbeit der Inland¬ mission, so zum Beispiel die Stadtmission und die Arbeit der Sonntagsschulen. Unglücklicherweise reflektierte die Vertretung in den verschiedenen Gremien und Komitees der General Conference die Mitglieder der einzelnen Bezirke nicht angemessen. In den späten 1940ern waren die kanadischen Mennoniten-Brüder immer mehr darüber beunruhigt, dass sie ihrem Empfinden nach nur unzurei¬ chend vertreten waren und ihre Anliegen nicht ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt wurden. Dies war insbesondere der Fall, als die zweite Einwanderungs¬ welle in den 1920ern die Zahl der Mennoniten-Brüder in diesem Land deut¬ lich vergrößerte. Kanadische Leiter begannen nun auf die Gründung nationaler Konferenzen zusätzlich zur nordamerikanischen General Conference zu hinzu¬ arbeiten. Nach dem Kongress der General Conference im Jahr 1954 wurden dann auch zwei nationale Konferenzen gegründet. Diese übernahmen anschließend 2 Die genaue Festlegung dieser Bezirke dauerte eine Weile, doch schließlich bestand der nördliche Bezirk (Nort¬ hern District) aus den kanadischen Gemeinden; der zentrale (Central District) bestand aus den Gemeinden in Montana. North und South Carolina, Nebraska und Minnesota; der südliche Bezirk (Southern DUirict) umfasste die Gemeinden in Kansas. Oklahoma, .\rkansas, Texas und Colorado; und der pazifische Bezirk (Pa¬ cific District) bestand aus den Gemeinden in Kalifornien, Oregon und Washington. Die Mennoniten-Brüder haben keine Gemeinden mehr in Alaska und die Gemeinden in Texas sind jetzt Teil der Latin American Mennonite Brethren Conferenz (LA.MB). Arizona und Utah gehören inzwischen auch zum Pacific District. Nur eine kurze Zeit lang gab es Gemeinden in Idaho und Michigan. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN 43 verschiedene Dienste, die bis dahin von der General Conference verantwortet worden waren. Eine neue Ära 1957, in einer Sondersitzung der späteren US Conference of Mennonite Brethren Churches, waren die Delegierten mit einer enormen Herausforderung konfron¬ tiert. Die amerikanischen Gemeinden trugen nun die alleinige Verantwortung für eine Reihe von Diensten in den Vereinigten Staaten, die aber bislang von amerikanischen und kanadischen Mennoniten-Brüdern gemeinsam unterstützt worden waren. Die amerikanischen Bezirke waren es gewohnt sich direkt an die General Conference zu wenden und nun waren die Delegierten unsicher, ob sie der Konferenz eine weitere organisatorische Ebene hinzufügen sollten, was mit Sicherheit finanzielle Folgen für die Gemeinden haben würde. Bei ihrer Sitzung wurde die Sorge der „Überorganisation“ laut, jedoch hatten die amerikanischen Mennoniten-Brüder schon ein Jahr später eine Konferenzstruktur mit mehreren Leitungsebenen und Komitees entwickelt, die das langjährige Model der General Conference ablöste. Die Herausforderung einer effektiven Organisation, beson¬ ders im Lichte dessen, was oft als „überorganisiert“ wahrgenommen wurde, plagt seither die amerikanische Konferenz. Die neue nationale Konferenz „erbte“ auch schon bestehende Spannungen zwischen den amerikanischen Bezirken. Zunehmende charakterisierten kultu¬ relle und theologische Unterschiede die verschiedenen Bezirke. Die neue ame¬ rikanische Konferenz musste die verschiedenen Interessen der Bezirke ausba¬ lancieren, während man sich gleichzeitig mit gemeinsamen Anliegen befasste, jedoch ohne die Rechte der jeweiligen Bezirke zu verletzen. Anfangs investierte die amerikanische Konferenz einen Großteil ihrer Energie in die Organisation ihrer Schulen unter der Leitung einer gemeinsamen Schul¬ kommission. Das Tabor College, das 1908 gegründet worden war, war das älteste College der Mennoniten-Brüder in Nordamerika. Das Pacific Bible Institute (FBI) wurde 1944 in Fresno, Kalifornien, gegründet. Es diente den Gemeinden an der Westküste und stellte eine Alternative zum Tabor College dar. Eine dritte Schule, das Mennonite Brethren Biblical Seminary (MBBS) wurde 1955 in Fresno gegrün¬ det, und zwar als Reaktion auf ein zunehmendes Unbehagen wegen der gro¬ ßen theologischen Vielfalt in Amerika. Als die Mennoniten-Brüder immer mehr hauptamtliche Pastoren hatten, sich also vom alten Model der geteilten Leitung durch Älteste und Laien abwandten, begannen viele Gemeinden Pastoren einzu- 44 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Stellen, die an Seminaren anderer Denominationen studiert hatten. Man hoffte, dass ein Seminar der Mennoniten-Brüder dazu beitragen würde, dass die unver¬ wechselbare Identität der Mennoniten-Brüder gewahrt würde. Die Unterstüt¬ zung dreier Schulen beanspruchte die Ressourcen der amerikanischen Menno¬ niten-Brüder sehr, jedoch hatten sie sich dazu verpflichtet, Schulen führen, die das geistliche Leben der Denomination förderten und zukünftige Gemeindelei¬ ter ausbildeten. Es gab noch andere Anliegen in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Nachkriegsjahre waren für viele Amerikaner eine Zeit des Wohlstands gewe¬ sen, aber es gab beunruhigende Entwicklungen unter dieser scheinbar ruhigen Oberfläche, da eine Reihe von sozialen und politischen Kräften die kulturelle Landschaft veränderte. Die Mennoniten-Brüder waren sich dieser Herausfor¬ derungen durchaus bewusst, aber sie waren sich off nicht sicher, wie sie darauf reagieren sollten. Es war einfach die sich ausbreitende Drogenkultur und mora¬ lische Freizügigkeit abzulehnen, schwieriger war es jedoch sich vor dem über¬ all spürbaren Einfluss des Fernsehens und der zeitgenössischen Musik zu schüt¬ zen. Dies betraf insbesondere die Jugendlichen der Mennoniten-Brüder, In ihrer Geschichte hatten die Mennoniten-Brüder sich meist darum bemüht ihre Art des Glaubens und ihr Gemeindeleben zu bewahren, indem sie sich von der sie umge¬ benden Gesellschaft bis zu einem gewissen Grad absonderten. Genau das wurde jedoch zunehmend schwieriger und für viele von ihnen war es auch nicht mehr wünschenswert. Sie waren froh Teil der größeren Gesellschaft zu sein und waren gerne bereit mit anderen evangelikalen Gemeinden und Diensten zusammenzu¬ arbeiten. Inzwischen war die amerikanische Konferenz der Mennoniten-Brüder Mitglied der National Association of Evangelicals (NAE) und der National Sun- day School Association (NSSA), und viele Pastoren und Gemeinden nahmen auf lokaler Ebene an Zusammenkünften verschiedener Gemeinden und an gemein¬ samen Evangelisationen teil. Die amerikanischen Evangelikalen traten immer sicherer öffentlich auf und viele amerikanische Mennoniten-Brüder wollten Teil dieser größeren Bewegung sein. Dennoch entsprachen die Namen der Gemeindemitglieder weiterhin in ers¬ ter Linie den Nachnamen der frühen mennonitischen Einwanderer in die USA. Desweiteren fühlten sich die amerikanischen Mennoniten-Brüder unsicher bei der Begegnung mit Menschen verschiedener anderer Kulturen in ihrem eigenen Land, während sie gleichzeitig sehr großzügig mit ihrem Geld und Personal für die Mission in Übersee gewesen waren. Aus den evangelistischen Bemühungen unter Gruppen von Lateinamerikanern, amerikanischen Ureinwohnern, Japa- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN 45 nern und sogar Juden waren selten finanziell unabhängige Gemeinden mit voller Mitgliedschaft in der Konferenz entstanden; genauso wenig waren viele Personen von außerhalb der Tradition der Mennoniten-Brüder ganz in die örtlichen Men- noniten-Brüdergemeinden integriert worden. Viele Mennoniten-Brüder waren sich nicht sicher darüber, wie sie auf die große amerikanische Bürgerrechtsbe¬ wegung reagieren sollten. Weil weiterhin viele Gemeindemitglieder in der Land¬ wirtschaft arbeiteten, stellte in den 1960er Jahren die Bewegung der Farmarbei¬ ter mit Ausgangspunkt in Zentralkalifornien, wo auch viele Mennoniten-Brüder lebten, eine unmittelbare Herausforderung dar. Die Besitzer von Farmen und die Arbeiter stritten dabei um Löhne und die Arbeitsbedingungen und die Menno¬ niten-Brüder rangen darum zu erkennen, was wohl ein „angemessene Ausdruck von sozialer Fürsorge“ war. Sie erwarteten deshalb Rat von der Leitung der Kon¬ ferenz. Einige Gemeinde- und Konferenzleiter hielten dies für eine Zeit großer Mög¬ lichkeiten. Es gab eine sehr aktive Gruppe von Leitern überall in der Konferenz und in den Ortsgemeinden. Viele von ihnen hatten Erfahrungen im staatlichen Zivildienstprogramm gemacht, was ihre Leitungsfähigkeiten gefördert und sie mit neuen Ideen und Menschen in Berührung gebracht hatte. Ein sogenann¬ ter US Board of Reference and Council (US Kommission für Konsultationen und Beratung) ging also ans Werk, um die Gemeinden theologisch zu beraten. In Zusammenarbeit mit der General Conference half diese Kommission der Kon¬ ferenz darin ihr Verständnis von Taufe und Gemeindemitgliedschaft weiterzu¬ entwickeln, damit Menschen, die die Gläubigentaufe empfangen hatten, in die Gemeinden aufgenommen werden konnten, auch wenn es keine Taufe durch Untertauchen gewesen war. Die Frage nach der Art der Taufe war besonders wichtig, da dadurch eme Milderung ihrer Einstellung anderen Mennonitengrup¬ pen gegenüber zum Ausdruck kam, die die Taufe mit einigen Tropfen Wasser oder durch Begießen praktizierten und es Menschen mit anderen evangelikalen Hintergründen einfacher machten, einer Mennoniten-Brüdergemeinde beizutre¬ ten. Angesichts dieser Veränderungen und ihres zunehmenden Selbstbewusst¬ seins schien die Zeit reif dafür, dass die Junge Konferenz aktiver in Evangelisa¬ tion und Gemeindewachstum wurde und sich engagierter mit sozialen Anliegen in den Vereinigten Staaten befasste. Die Protokolle der amerikanischen Konferenzsitzungen in den 1960ern spie¬ geln diese damals vorherrschende neue Stimmung wider. Aufgrund der Tatsa¬ che, dass die Mennoniten-Brüder oft Missionare in Länder gesandt hatten, in denen es noch keine existierende Gruppe von Mennoniten-Brüdern gab, wies 46 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE die Kommission für Evangelisation (Board of Evangelism) daraufhin, dass die Mennoniten-Brüder in den USA nicht „effektiv oder treu genug darin gewesen waren im Vertrauen auf die Tatsache, dass das Evangelium die Kraft Gottes zur Rettung aller Menschen ist, zu handeln“. Durch ihre Mitgliedschaft in Organisa¬ tionen wie der NAE hatten Leiter der Mennoniten-Brüder Kontakt zu anderen Denominationen mit starker ethnischer Identität. Viele von diesen fanden Mög¬ lichkeiten über ihre kulturellen Grenzen hinweg auf Menschen zuzugehen und erlebten dabei erhebliches Wachstum. Warum sollte das nicht auch die Menno¬ niten-Brüder tun? Aus Sicht der Kommission war es an der Zeit Gemeinden im eigenen Land zu gründen. Es wurde viel darüber nachgedacht und diskutiert, wie man Vorgehen sollte, sogar darüber das Wort „Mennoniten“ aus dem denomina- tionalen Namen zu nehmen\ Das Programm jedoch, das am meisten Aufmerk¬ samkeit erregte, war ein Unterfangen, das „Jahrzehnt der Vergrößerung“ hieß. Das „Jahrzehnt der Vergrößerung“ (1965-75) war ein ehrgeiziges Programm, das darauf abzielte, den Ortsgemeinden dabei zu helfen eine Vision und Fer¬ tigkeiten für Evangelisation zu entwickeln. Ihr Ziel war, dass sich jede Sonn¬ tagschule der Mennoniten-Brüder innerhalb eines Jahrzehnts verdoppelte. Das Programm zielte auch auf die Ausbildung insbesondere der örtlichen Gemein¬ deleitung. Ein Laientraining für Evangelisation wurde eingeführt, Schulungsein¬ heiten wurden für Sonntagsschullehrer abgehalten und Jugendliche woirde dazu ermutigt bei nationalen Organisationen wie den Navigatoren oder Campus für Christus mitzuarbeiten. Ortsgemeinden begannen verschiedene evangelistische Programme, um die Menschen in ihrer Nachbarschaft zu erreichen. Auf natio¬ naler Ebene wurde Words ofthe Gospel, ein Radioprogramm, das in Zentralkali¬ fornien produziert wurde, Mittelpunkt einer evangelistischen Medienkampagne, die schließlich sogar Fernsehsendungen und andere Medien umfasste. Obwohl anfangs großes Engagement für „Jahrzehnt der Vergrößerung“ zu beobachten war, führte es nicht zu dem erwarteten Wachstum und das Motto „Verdoppelung in einem Jahrzehnt“ verhallte bald. Zwischen 1963 und 1973 nahm die Zahl der Mitglieder um insgesamt zwischen einem und zwei Prozent zu. Die Leiter der Konferenz erklärten das fehlende deutliche Wachstum mit „ungenügender Organisation“ und einem „Mangel an Engagement an der Basis“ und begannen nach anderen Methoden der Evangelisation und des Gemeinde¬ wachstums Ausschau zu halten. 3 Viele der neuen Gemeinden, aber auch schon bestehende, haben sich dalur entschieden das Wort „Menno¬ niten“ aus ihrem Namen zu nehmen. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN 47 Das Programm war jedoch nicht ohne Auswirkungen geblieben. Was die Pro¬ gramme vor Ort und ihre Schwerpunkte betraf, ähnelten die amerikanischen Mennoniten-Brüdergemeinden mehr und mehr evangelikalen Gemeinden. Ein bedeutsamer Unterschied blieb jedoch weiter bestehen: Die Leiter der Konferenz arbeiteten daran Material bereitzustellen, um Gemeindemitglieder in Friedens¬ stiftung zu unterrichten, und berieten in Fällen von automatischer Registration als potenzielle Soldaten. Zusammen mit den starken verwandtschaftlichen Bin¬ dungen, welche die Mennoniten-Brüdergemeinden weiterhin kennzeichneten, und den formalen Bündnissen mit intermennonitischen Organisationen reich¬ ten diese Unterschiede aus, um die Mennoniten- Brüdergemeinden etwas von den anderen evangelikalen Gemeinden abzuheben. Ein weiteres Anliegen war für die Leiter der nationalen Konferenz deren Struktur. Die Neuorganisation auf der Ebene der General Conference hatte dazu geführt, dass den nationalen Konferenzen alle landesspezifischen Dienstbereiche übergeben worden waren. Zusätzlich zu der Missionsarbeit in North Carolina und in Südtexas war nun die amerikanische Konferenz für die formalen Bezie¬ hungen zu intermennonitischen Organisationen, wie zum Beispiel Mennonite Disaster Service (MDS), Mennonite Mutual Aid (MMA), Mennonite Health Ser¬ vices (MHS) und Mennonite Central Committee (MCC) , verantwortlich. Zusätz¬ liche ehrenamtliche Mitarbeiter für die verschiedenen Komitees waren deshalb nötig. Die amerikanischen Mennoniten-Brüder reagierten auf den sich verän¬ dernden Status der Missionsgemeinden mit der Gründung des Lateinamerika¬ nischen Mennoniten-Brüder Bezirks(LAMB) unter den Gemeinden in Südtexas und des Bezirks North Carolina, um den Gemeinden, die Teil der früheren KMB- Arbeit gewesen waren, zu dienen. Die Gründung dieser beiden Bezirkskonferen¬ zen im Jahr 1968 war ein wichtiges Zeichen für die Bestrebungen der Konferenz, den Gemeinden partnerschaftlich zu begegnen, die einst „Missionsstatus“ hat¬ ten. Sie brachten aber auch neue Herausforderungen mit sich. Die Gemeinden der Mennoniten-Brüder waren jetzt über das ganze Land verteilt und repräsen¬ tierten drei unterschiedliche kulturelle Gruppend Dies erschwerte die Frage der Vertretung in den Konferenzgremien und beanspruchte die finanziellen Mittel stark, denn die Zahl der Gemeindemitglieder blieb relativ gering. 4 Die Arbeit in Südtexas konzentrierte sich hauptsächlich auf die lateinamerikanische Bevölkerung. Die Men¬ noniten-Brüder begannen sie 1936 im Südbezirk, zunächst unterder Leitung von Harry und Sarah Neufeld. Die Gemeinden in North Carolina waren das Ergebnis der Arbeit, die 1899 durch KMB-Missionare unter Afroamerikanern begonnen worden war. 48 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Es war in gewisser Weise eine Erleichterung, dass in den Verhandlungen mit der Kanadischen Konferenz die Verantwortung und die Verwaltung des Seminar¬ programms 1975 von der General Conference übernommen wurde^ Das milderte jedoch nicht die zunehmende finanzielle Krise ab. Die amerikanischen Menno- niten-Brüder erkannten immer klarer, dass Bildung, Evangelisation, die Publika¬ tionen und die Jugendarbeit, die alle auf nationaler Ebene verantwortet wurden, die Mittel der Konferenz zu sehr beanspruchten, sowohl in finanzieller als auch in personeller Hinsicht. Die Delegierten eines außerordentlichen Kongresses ent¬ schieden deshalb 1979, dass es an der Zeit war die Colleges an die Bezirkskonfe¬ renzen zu übergeben. Beinaiie genauso, wie die General Conference der amerika¬ nischen und der kanadische Konferenz verschiedene Dienstbereiche übertragen hatte, so übergab nun die amerikanische Konferenz die Verantwortung für die Colleges den jeweiligen Bezirken. Wieder einmal war die amerikanische Konferenz an einem Scheideweg ange¬ langt. Nachdem sie die Verantwortung für die Schulen entweder der General Conference oder den Bezirkskonferenzen übergeben hatten, suchten die Leiter nun nach einer Möglichkeit die Ortsgemeinden durch eine gemeinsame natio¬ nale Vision bezüglich ihres Dienstes zu vereinen. Die Gemeinden schienen am meisten durch ihre gemeinsame Arbeit in ihrem jeweiligen Bezirk Verbunden¬ heit zu empfinden, wie zum Beispiel durch Gemeindegründungsprojekte, aber auch durch Programme der General Conference, bei denen es um Auslandsmis¬ sion ging. Dies hatte finanzielle Auswirkungen für die Dienstbereiche der ameri¬ kanischen Konferenz, da Geld entweder für die lokalen Gemeinde- oder Bezirk¬ sprogramme gegeben wurde oder an die Generalkonferenz ging. Das Problem spitzte sich 1982 während einiger schwieriger Zusammenkünfte in Deer Creek, Colorado, zu. Diese Sitzungen führten zu einer drastischen Neustrukturierung der Dienste und der Struktur der amerikanischen Konferenz. Angesichts großer Schulden entschied man sich dafür Grundbesitz zu verkaufen, die Zahl der Mit¬ arbeiter und das Budget zu reduzieren und alle kommerziellen Aktivitäten der Konferenz zu beenden. Zwei Dienstbereiche traf das außerordentlich hart: Das Mennonite Brethren Publishing House, das seit 1904 bestand, \sie auch alle Ver¬ mögenswerte in Verbindung mit dem Radioprogramm Words ofthe Gospel wur¬ den verkauft. Die Leiter erhofften sich dadurch eine erhebliche Minderung der 5 Die amerikanische Konferenz hoffte lange, dass ein gemeinsames Programm entstehen könnte und von An¬ fang an gab es immer kanadische Studenten unter den Studierenden. Was die Finanzen betraf, so beanspruch¬ te das Seminar einen unverhältnismäßig hohen Anteil des amerikanischen Bildungsbudgels. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN 49 Konferenzschulden. Außerdem sollte sich die Vision der Konferenz wieder mehr auf Evangelisation und Gemeindewachstum ausrichten. Obwohl die Entscheidungen, die in Deer Creek und während des darauf fol¬ genden Kongresses getroffen wurden, schwier^ waren, so läuteten sie doch eine neue Ära für die amerikanischen Mennoniten-Brüder ein. Man war sich zuneh¬ mend dahingehend einig, dass die nationale Konferenz die RoUe einer Dachor¬ ganisation haben sollte, die die Ortsgemeinden und die Bezirke miteinander ver¬ bindet. Im Mittelpunkt ihrer gemeinsamen Bemühungen stand die Entwicklung eines ehrgeizigen Gemeindegründungsprogramms in großen amerikanischen Städten und unter verschiedenen Minderheiten. Mission in den USA Die Entscheidung, sich auf Gemeindegründung und Evangelisation zu konzen¬ trieren, wurde zu einer Zeit getroffen, als sich viele Denominationen, sowohl solche in der läuferischen Tradition als auch Denominationen aus der größe¬ ren evangelikalen Welt, darüber nachdachten, wie am besten neue Gemeinden gegründet und Menschen für Jesus gewonnen werden können. Andere Zei¬ ten schienen andere Methoden notwendig zu machen und die amerikanischen Gemeinden änderten sich tatsächlich. Es gab immer mehr unterschiedliche Arten von Angestellten im pastoralen Dienst, die sich auf Jugend- und Kinderarbeit, Musik und Seelsorge spezialisierten. Zeitgenössische Musik wurde immer mehr akzeptiert und stellte die traditionelle Musik und Gottesdienstformen infrage. Ländliche Gemeinden bemerkten einen Rückgang ihrer Mitgliederzahl, weil die Menschen in die Städte umsiedelten. Immer mehr Frauen waren berufstätig und das hatte sowohl für die Gemeinden als auch für die Strukturen der Deno¬ minationen Folgen. Man war zunehmend bereit, einigen Frauen Ämter in der Gemeinde bzw. auf denominationaler Ebene zu übergeben, obwohl man sich gleichzeitig hinsichtlich der Angemessenheit einer solchen Handlung uneins war®, Viele lokale Gemeinden erkannten, dass die traditionellen Frauengruppen jüngere Frauen nicht anzogen. Einige begannen deshalb eine spezielle Frauenar¬ beit, die das geistliche Leben ihrer Mitglieder fördern und die Bevölkerung vor Ort erreichen sollte. 6 1971 wurden erstmals Frauen als Delegierte zur nationalen Konfereoz akzeptiert Derzeit ist die Position der US Konferenz zu dieser Frage, die Mitarbeit von Frauen in der Gemeinde, mit Ausnahme der Position des!. Pastors, zu befiirworten. Die amerikanische Konferenz ordiniert keine FrauetL Die Bezirke genehmigen die Mitarbeit von Frauen in verschiedenen Dienstbereichea 50 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Eine kurze Zeit lang hatten die amerikanischen Mennoniten-Brüder in den 1970er Jahren einen Konferenzevangelisten, Henry J. Schmidt^ angestellt. Auf das Verlangen einiger einflussreicher Personen innerhalb der Konferenz hin erhielten nun Evangelisation und Gemeindegründung einen neuen Stellenwert. Diese Vision für Gemeindegründung wurde in Form einer Reihe von Teil¬ zielen beschrieben. Als sie 1988 verabschiedet wurde, stellte sie wieder ein ehr¬ geiziges Programm zur Steigerung der Mitgliederzahl der Gemeinden und zur Gründung neuer Gemeinden® dar. Außerdem sollte die Berufung von Gemein¬ degliedern in den pastoralen Dienst ganz bewusst ein weiterer Schwerpunkt sein. Dieses neue Engagement für Mission und Evangelisation in den USA machte neue Dienstbereiche und Arbeitsplätze innerhalb der Konferenz erforderlich. Loyal Funk wurde angestellt, um sowohl bei Gemeindegründungsprojekten auf Bezirks- als auch auf nationaler Ebene mitzuarbeiten’. Allmählich führte die Arbeit unter äthiopischen, lateinamerikanischen, koreanischen und slawischen Bevölkerungsgruppen zu immer neuen Gemeinden. Diese Arbeit, Integrated Ministries genannt, wurde durch finanzielle Mittel der Mennonite Brethren Foun¬ dation sehr unterstützt, einer gemeinnützigen Organisation, die für zahlreiche Gemeinden Baudarlehen aufnehmen konnte'“. 1993 führte eine besondere Sitzung Verantwortliche auf nationaler und auf Bezirksebene sowie für Bildungseinrichtungen Verantwortliche zusammen, um für die Zukunft zu planen. Das Ergebnis hieß „Vision 2000". Um diese Ziele zu erreichen, gründete die Konferenz Mission USA . Trotz der positiven Entwicklung von Integrated Ministries hatten sich die Mitgliedszahlen der Gemeinden wenig verändert. Mission USA ließ auf eine neue Vitalität innerhalb der Konferenz hof¬ fen. Es hatte den Auftrag den bestehenden Gemeinden bei ihrer Erneuerung zu helfen und der Entwicklung und dem Wachstum neuer Gemeinden, besonders 7 Schmidt wurde später Dozent und danach Präsident des MBBS. 8 Das Ziel der Bezirke war. jedes Jahr fünf neue Gemeinden zu gründen. Viele von ihnen sollten unter den un¬ terschiedlichen ethnischen Gruppen in den verschiedenen Regionen entstehen. 9 1988 wurde Funk als Director of Church Planung and Christian Service (Leiter für Gemeindegründung und christlichen Dienste) angestellt. Er war auch vorübergehend Konferenzprediger. Christian Service war ein Freiwilligenprogramm, das jungen Erwachsenen Dienstgelegenheiten boL Viele der Freiwilligenarbeitcten als Mitarbeiter in Ciemeinden, die sich ansonsten diese Art von Unterstützung nicht hätten leisten können. Ein Programm, das „U-Serve" genannt wurde, war auch einige Zeit erfolgreich. Dabei wurden die Fertigkeiten älterer Erwachsener in verschiedenen Bau- und Instandhaltungsprojekten genutzt. 10 Die Mennonite Brethren /uHndofion wurde formell 1990aufgeiioraraen. sie geht aber auf das 1972 gegründete denominationaie Verwaltungsbüro zurück. Sie unterstützt Gemeindemitglieder weiterhin in ihrer Renten- und Nachlassplanung. in Zusammenhang mit wohltätigen Schenkungen an verschiedene Organisationen der Mennoniten-Brüder und bei einer Reihe von anderen Investitionsmöglichkeiten, Die Darlehen der Founda¬ tion haben Gemeinden bei ihren Bauvorhaben entsdteidend geholfen. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN 51 in städtischen Zentren, nachhaltig Energie zu verleihen. Ed Boschman, ein erfah¬ rener Pastor und Leiter auf denominationaler Ebene, wurde angestellt, um dieses Programm zu leiten. Mission t/SA war ein neuartiges Projekt der amerikanischen Konferenz. Indem sie Ressourcen über die Bezirksgrenzen hinweg zusammenlegten, hoff¬ ten die Leiter, die Beziehungen innerhalb der Konferenz zu stärken und Hil¬ festellung bei der Gründung von gesunden, vitalen Gemeinden zu leisten. Der Beschluss, die Ressourcen auf ein kleinere Zahl von Gemeindegründungen zu konzentrieren, drückte sich im Slogan von Mission USA, „To Win Some" (Einige gewinnen) aus. Er anerkannte die Tatsache, dass eine kleine Konferenz wie die der Mennoniten-Brüder nicht alles tun kann, aber sie kann etwas tun. Indem sie gut zusammenarbeitete, könnte sie Ressourcen gezielt so einsetzten, wie es für das Wachstum des Reiches Gottes am besten wäre; sie könnte tatsächlich einige für Christus gewinnen. Die Arbeit war herausfordernd. Die Mitglieder der US Konferenz war sehr unterschiedlich: ländlich und städtisch, Abkömmlinge der frühen Mennoni¬ ten-Brüder aus Russland und Mitglieder der neuen täuferisch-mennonitischen Gemeindefamilie, geografisch von Kalifornien bis North Carolma und von Min¬ nesota bis Südtexas verstreut, mit unterschiedlichen Gottesdienstformen und unterschiedlich, was ihre Haltung gegenüber einem traditionellen Verständnis und Praktizieren des christlichen Glaubens anbetrifft. Mission USA bemühte sich sehr, Strategien und Prinzipien für die Partnerschaft zwischen den Bezirken zu entwickeln, lokalen Gemeinden in ihrer Bemühung um Erneuerung beizuste- hen und die Konferenz und das Seminar bei der Ausbildung von Pastoren zu unterstützen. Bis 2001 waren einige der Ziele erfüllt worden. Die Mitgliederzahl der Gemeinden belief sich nun auf mehr als 26000 und die Konferenz umfasste 180 Gemeinden. Besonders erfreulich war, dass sich 45 multikulturelle Gemeinden der amerikanischen Konferenz angeschlossen hatten, viele davon entstammten lateinamerikanischen und slawischen Bevölkerungsgruppen. Leider hatte die anfängliche Begeisterung über Mission USA keinen Bestand und im Laufe der Diskussion darüber, wie man die verschiedenen Konferenzprogramme finan¬ zieren sollte, wurde die Finanzierung von Mission USA erheblich gekürzt. Viele Menschen waren enttäuscht und es dauerte einige Zeit, bis sich Mission USA wie¬ der neu formierte. Sie spielt weiterhin eine Rolle bei der Förderung der Gesund¬ heit von Gemeinden, koordiniert die Arbeit in Zusammenhang mit Integrated Ministries und unterstützt die Gründung neuer Gemeinden. Ein weiteres Ziel 52 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE der Vision 2000, nämlich die Berufung neuer Leiter für Gemeindegründung und pastorale Dienste, hatte auch sehr unterschiedliche Ergebnisse. Die Mennoniten- Brüder tun sich schwer damit, eine ausreichende Zahl von Männern und Frauen für die verschiedenen Dienste der lokalen Gemeinden zu berufen. Zunehmend wenden sie sich an andere theologische Traditionen, um Kandidaten für Pasto¬ renstellen und Gemeindegründungen zu finden. Die Herausforderungen des 21 . Jahrhunderts Die Auflösung der Kanada und die USA umfassenden General Conference im Jahr 2002 stellte die amerikanische Konferenz vor neue Herausforderungen und Mög¬ lichkeiten. Obwohl die amerikanische und die kanadische Konferenz weiterhin als Partner bei der gemeinsamen Arbeit von MBMS International, des Mennonite Brethren Biblical Seminary und des Geschichtsvereins Zusammenarbeiten, treffen sie sich nicht mehr zu regelmäßigen Zusammenkünften. Die Gemeinden haben weiterhin ein gemeinsames Glaubensbekenntnis (letzte Revision im Jahr 1999), jedoch arbeiten die Konferenzen unabhängig voneinander an Fragen des Glau¬ bens und der Lebensführung. Und die amerikanische Konferenz hat sich wiede¬ rum darum bemüht, sich neu zu organisieren. Innerhalb der gegenwärtigen Organisation hat ein nationales Leitungsgre¬ mium die Aufgabe, Mitarbeiter einzustellen und die verschiedenen Dienstbe¬ reiche der amerikanischen Konferenz zu koordinieren, zu denen Mission USA, The Christian Leader, die Mennonite Brethren Foundation und die gemeinsame Arbeit mit der kanadischen Konferenz gehören. Das Leitungsgremium ernennt Vertreter für die verschiedenen intermennonitischen Organisationen ein und unterstützt ein jährlich stattfindendes Treffen der Leiter verschiedener mit der Konferenz verbundenen Schulen und Organisationen finanziell. Die Konferenz trifft sich alle zwei Jahre zu einem Kongress und beteiligt sich an der Arbeit von ICOMB, der International Community of Mennonite Brethren. Die Satzung der Konferenz sieht vor, dass ein nationaler Ausschuss für Glau¬ bens- und Lebensfragen (Board of Faith and Life) der Konferenz theologische Orientierung bietet. Dieser neue Ausschuss für Glaubens- und Lebensfragen sieht sich einer beträchtlichen Herausforderung gegenüber. Während der 1970er und 1980er Jahre rangen die Mennoniten-Brüder um eine klare Haltung der Gemeinden zu Fragen von Taufe, Wehrdienst und der Art und Weise, wie die Konferenz und ihre Organisationen soziale und politische Probleme ansprechen sollte. In den 1990ern begannen die Mennoniten-Brüder Beschlüsse zu formulie- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEN VEREINIGTEN STAATEN 53 ren, die die Ehe und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens schützen soll¬ ten. Im neuen Jahrtausend müssen die Mennoniten-Brüder neue Möglichkeiten finden, über soziale, geographische, politische und sogar theologische Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten. In all den Jahren stellten die Jugendkongresse einen der Lichtblicke in der Arbeit der amerikanischen Konferenz dar. Seit dem ersten Kongress in Glorietta, New Mexico, im Jahr 1975 versammeln sich Jugendliche aus den ganzen USA alle vier Jahre. Diese Jungendkongresse stellen die größten Zusammenkünfte von Mennoniten-Brüder in den USA dar. Auch Sommercamps werden weiterhin auf Bezirksebene organisiert und sind wichtig, um den Glauben von Jugendlichen zu stärken und eine Verbindung zu den Schulen und verschiedenen anderen Einrichtungen der Mennoniten-Brüder zu fördern. Youth Mission International (YMI), ein Programm, das unter der Schirmherrschaft von MBMS International begonnen wurde, und Ministry Quest, ein Programm, das vom Mennonite Breth- ren Seminary initiiert wurde, stellen wichtige Möglichkeiten dar, um Jugendliche zu Leitern heranzubilden. Diese Programme lassen hoffen, dass sich die Arbeit der Konferenz der Mennoniten-Brüder in den USA noch weit in der Zukunft fortsetzen wird. Auch die zunehmende ethnische Vielfalt der amerikanischen Mennoniten- Brüdern macht hoffnungsvoll. Obwohl die Herausforderungen durch unter¬ schiedliche Sprache, Kultur und Gemeindepraxis nicht unerheblich sind, so ruft der Missionsauftrag doch dazu auf diese Vielfalt anzunehmen und so Gottes Ver¬ langen zu teilen, dass alle Menschen gerettet werden. Jugend - bereit zu dienen Seit der Gründung der amerikanischen Konferenz verlaufen ihre Kongresse meist nach dem gleichen Schema ab. Delegierte und Gäste versammeln sich, um Berichte zu hören, über Budgets abzustimmen, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern und gute Gemeinschaft zu genießen. Jugendkongresse sind da etwas anders. Im Jahr 2007 versammelten sich über tausend Menschen in Anaheim, Kalifornien, zum nationalen Jugendkongress der Mennoniten-Brüder. Neben der traditionellen Gemeinschaft und einem lebendi¬ gen Gottesdienst gab es jedoch noch viel mehr. Das Thema des Kongresses lautete „Überall“ und bewegte die Teilneh¬ mer dazu, einige sehr wenig traditionelle Kongresserfahrungen zu machen. Die Jugendlichen arbeiteten in der Lebensmittelausgabe für Bedürftige und in 54 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Jugendzentren mit, waren ehrenamtlich in Obdachlosenunterkünften tätig, sam¬ melten Müll auf und verbrachten Zeit in einer Vielfalt von Dienstmöglichkeiten in ganz Los Angeles. Eine junge Kongressteilnehmerin landete in Skid Row, einem berüchtigten Stadtteil von Los Angeles, wo ca. 10 000 Menschen wohnen. Stephanie Hicks von Glendale, Arizona, beschrieb ihre Erfahrung so: „Genauso wie sich meine Sicht der Stadt änderte, von den reichen, florierenden Gegenden hin zu den schmut¬ zigen, abbruchreifen und tragischen Orten, so änderte sich auch die Perspek¬ tive meines Herzens und Verstandes... Meine Einstellung zu den Obdachlosen in meiner Stadt wird nie mehr dieselbe sein, da ich sie jetzt als Menschen sehe, die Christi Liebe durch mich erfahren müssen.“ (Christian Leader, Mai, 2007). 55 Die AAennoniten-Brüdergemeinden in Kanada Abe Dueck und Bruce L Guenther D ie Mennoniten-Brüder kamen zunächst als Teil einiger aufeinanderfolgen¬ der EinwanderungsweUen aus Russland nach Nordamerika. In den 1870er Jahren verließen mehr als 18 000 Mennoniten die fruchtbaren Steppen der Ukraine. Nur etwa 400 Menschen in dieser Gruppe von Auswanderern waren Mennoniten-Brüder. Obwohl sie sich in Ansiedlungen niederließen, die in der Mitte der Vereinigten Staaten verstreut waren, so waren sie sich doch weiterhin bewusst, eine zusammengehörende Gemeinschaft zu sein, und sie pflegten viele andere Werte, die sie auch in Russland entwickelt hatten. Die Anfänge der Mennoniten-Brüdergemeinde in Kanada sind eng mit der Geschichte dieser frühen Mennoniten-Brüder in den Vereinigten Staaten ver¬ bunden. Die Mennoniten-Brüdergemeinde in Kanada entstand aufgrund einer sehr bewussten Missionsarbeit von Evangelisten der Mennoniten-Brüder in den Vereinigten Staaten. Von der Gründung der ersten Mennoniten-Brüdergemeinde in Burwalde (in der Nähe von Winkler), Manitoba, im Jahr 1888 bis 2002, als die General Conference der Mennoniten-Brüdergemeinden in Nordamerika aufge¬ löst wurde, waren die kanadischen Mennoniten-Brüder organisatorisch mit den Gemeinden in den Vereinigten Staaten verbunden und wurden von Mennoniten- Brüdern in anderen Ländern als ein zusammengehörendes „Elternpaar“ angese¬ hen. Als ihre Mitgliederzahl jedoch stieg, entwickelten die Mennoniten-Brüder in Kanada zunehmend ihre eigenen Institutionen, Prioritäten und Identität, obwohl es weiterhin viele Verbindungen zwischen ihnen und gemeinsame Aufgaben gab. Die Geschichte davon, wie sich die jeweilige Identität der Mennoniten-Brüder in den Vereinigten Staaten und in Kanada entwickelte, hilft dabei, die Wahrneh¬ mung und das tatsächliche Auftreten der nordamerikanischen Mennoniten-Brü¬ der als ein zusammengehörender Machtblock in der weltweiten Gemeinschaft der Mennoniten-Brüder allmählich zu ändern. Diese Geschichte hebt auch die Bedeutung der vor kurzem gegründeten International Community ofMennonite Brethren (ICOMB) hervor, einer Organisation, durch die die Konferenzen der Mennoniten-Brüder in der ganzen Welt einen höheren Grad von Gleichberech¬ tigung erhielten. Wahrend eines Großteils des zwanzigsten Jahrhunderts waren es vor allem die nordamerikanischen Mennoniten-Brüder, die Menschen in die Missionsar¬ beit rund um den Globus aussandten. Die Wurzeln dieser missionarischen Arbeit 56 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE finden sich in Russland und der Sowjetunion, wo die Mennoniten-Brüder anfin¬ gen die Evangelisation unter anderen Mennoniten und unter der einheimischen russischen Bevölkerung sowie die gemeinsamen Missionsvorhaben mit den Baptisten sehr zu betonen. Ihre spätere Ansiedlung und weitere Entwicklung in Kanada und den Vereinigten Staaten waren oft Folge des biologischen Wachs¬ tums ihrer eigenen Familien und der Einwanderung einer großen Zahl von Men¬ schen aus der UdSSR in den 1920er Jahren und nach dem zweiten Weltkrieg. Als sich die neu eingewanderten Mennoniten-Brüder allmählich an das neue Land und die neue Kultur angepasst hatten, beeinflusste die Bedeutung, die die Missi¬ onsarbeit im Ausland für die Mennoniten-Brüder früher gehabt hatte, allmählich wieder die Prioritäten, die die verschiedenen Dienste innerhalb Kanadas hatten. Die Geschichte der Expansion der Mennoniten-Brüdergemeinde in Kanada ist also komplex und macht eine tiefe Hingabe an Evangelisation und Heimatmis¬ sion deutlich. Durch Missionsarbeit entstanden Die ersten Missionare der Mennoniten-Brüder, die nach Kanada ausgesandt wur¬ den, waren Heinrich Voth und David Dyck. Sie wurden von der US Konferenz 1883 beauftragt nach Manitoba, Kanada, zu gehen, mit dem Ziel eine Missions¬ arbeit unter den deutschsprachigen Mennoniten zu beginnen. Diese waren in den 1870er Jahren aus Russland eingewandert und hatten sich in zwei Reserva¬ ten im Süden Manitobas niedergelassen. Bis Mai 1886 waren schon einige Ehe¬ paare in Burwalde getauft worden. Im Jahr 1886 kam die erste Gemeinde von sechzehn Mitgliedern zusammen. Die Anwesenheit der Evangelisten der Men¬ noniten-Brüder wurde allerdings nicht immer von den Leitern anderer Menno- nitengemeinden begrüßt und ließ manchmal alte Feindseligkeiten aus Russland wieder aufflammen. Schon zu dieser Zeit hatten die Mennoniten-Brüder in Kanada die Vision, dass sie sich über die bestehenden ländlichen mennonitischen Gemeinschaften hinaus ausbreiten sollten. So waren sie die ersten Mennoniten, die sich in der Großstadt Winnipeg niederließen und einen Schwerpunkt auf die Evangelisa¬ tion unter verschiedenen ethnischen Gruppen legten. 1906 begann eine Gruppe, sich wöchentlich zu Sonntagsschulveranstaltungen zu treffen, die von bis zu 40 Kindern aus der Gegend von Elwood, einem Stadtteil von Winnipeg, besucht wurden. 1909 entstand daraus die erste innerstädtische Mennoniten-Brüderge¬ meinde in Kanada. DiE MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDEN IN KANADA 57 William Bestvater wurde 1913 zum Stadtevangeüsten für Winnipeg ernannt. Einige Jahre später schloss sich Anna Thiessen dieser Missionsarbeit an und unterrichtete Sonntagsschulen, erteilte Nähunterricht und machte Hausbesu¬ che. Aus ihrer Arbeit heraus entstand das Mary-Martha Home, das sie leitete. Durch diesen Dienst sollte jungen Frauen geholfen werden, die zum Arbeiten in die Stadt kamen. Die meisten von ihnen waren Haushälterinnen in den Häusern Wohlhabender. Dieser Dienst war gleichzeitig VorbUd für ähnliches Engagement in Städten wie Saskatoon und Vancouver. Außerdem leisteten die Mennoniten- Brüder eine wichtige Arbeit unter russischen und ukrainischen Einwanderern, die sich in den Prärien und in Großstädten wie Toronto niedergelassen hatten. Herman Fast war ein Reiseevangelist, der um 1906 eine Arbeit unter russisch- sprechenden Menschen in Saskatchewan begann; er war auch Herausgeber von Golos (Stimme), einer Zeitschrift, die in Kansas verlegt wurde. Folge dieser frühen, in Großstädten angesiedelten Dienste war der Umzug vieler Mennoniten-Brüder in die Innenstädte in den 1940er Jahren. Diese Ver¬ änderung ist mit einigen wichtigen kulturellen Entwicklungen vergleichbar, die die Konferenz der Mennoniten-Brüder Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts durchlebte. Wie schon erwähnt, waren einige der russischen mennonitischen Einwanderer im Zuge der bolschewikischen Revolution und ihrer Folgen wirt¬ schaftlich völlig zugrunde gerichtet worden. Die schwierige Pioniersituation im westlichen Kanada wurde durch die wirtschaftliche Depression in den 1930er Jahren noch verschlimmert. Viele suchten neue wirtschaftliche Chancen in den Städten und so wurden die Mennoniten-Brüder die am schnellsten urbanisierte Mennonitengruppe Kanadas. Diese Entwicklung begann damit, dass sich der Anteil der Mennoniten-Brüder, die in Städten lebten, zwischen 1940 und 1960 mehr als verdoppelte. Zu Beginn der 1970er Jahre lebte schon mehr als die Hälfte der Mennoniten-Brüder in Großstädten. Folge dieser Urbanisierung war auch eine größere Vielfalt der ausgeübten Berufe; gleichzeitig schwächte sie aber das Gemeinschaftsgefühl, das die Mennoniten in der Vergangenheit hatten, als sie noch einen eher von der Landwirtschaft geprägten bzw. ländlichen Lebensstil pflegten. Am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts war die Mehrheit der Menno¬ niten-Brüder guter Mittelstand geworden; einige waren sogar sehr wohlhabend. Dieser neue Wohlstand ermöglichte es ihnen, zahlreiche Dienste in Kanada und in der ganzen Welt zu unterstützen, jedoch brachte der Überfluss auch die Ver¬ suchung durch den Materialismus und den Hedonismus mit sich. 58 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMElNDE Wachstum durch Verfolgung und Leiden Trotz der großen Bedeutung, die Mission und Evangelisation für die Menno- niten-Brüder von Anfang an hatten, wuchs die Mennoniten-Brüdergemeinde in Kanada am stärksten zwischen 1920 und 1950 infolge von Einwanderung. Vor der bolschewikischen Revolution war die Mennoniten-Brüdergemeinde in Russland stark durch Evangelisation angewachsen. Nicht nur andere Mennoniten schlossen sich ihnen an, sondern es entstanden und wuchsen auch Baptistenge¬ meinden durch die Arbeit unter der russischen Bevölkerung. Die bolschewikische Revolution und der darauf folgenden Bürgerkrieg, Hun¬ gersnot und Verfolgung veranlassten die Mennoniten anderen Orts Zuflucht zu suchen, Die außerordentlichen Bemühungen von Menschen wie Benjamin B. Janz in Russland und David Toews in Kanada hatten eine Masseneinwanderung von Flüchtlingen nach Kanada zwischen 1923 und 1930 zur Folge. Insgesamt kamen ungefähr 20 000 Mennoniten nach Kanada. Obwohl man ihre genaue Zahl nie kennen wird, wird vermutet, dass ca. 20-25 % dieser Einwanderer Menno- niten-Brüder waren. Sie wurden im Allgemeinen als „Russländer" bezeichnet, während man die früheren Einwanderer der 1870er Jahre „Kanadier“ nannte. Die kulturellen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen verursachten manchmal Missverständnisse und Konflikte. Die meisten der neuen Einwanderer, der „Russländer“, ließen sich anfangs in den landwirtschaftlich geprägten Ortschaften der Prärieregion nieder. Oft waren dies Orte, an denen sich die früheren Einwanderer schon etabliert hatten. Einige von ihnen wurden aber auch in neueren Ortschaften oder größeren Städten wie Kitchener, Ontario, und Winnipeg, Manitoba, wohnhaft. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der 1930er Jahre veranlassten dann einige sich im Fraser Valley in British Columbia niederzulassen, von wo aus sie dann nach Vancouver und in andere Gebiete vorstießen. Das Leid, das diese Neuankömmlinge erlitten hatten, hatte bei ihnen deutli¬ che Spuren hinterlassen. Viele der „Russländer“-Einwanderer waren stark trau- matisiert; die meisten von ihnen hatten nicht nur ihren Lebensunterhalt und ihren Besitz verloren, viele von ihnen waren auch brutal behandelt und gedemü- tigt worden. Nahezu jeder von ihnen hatte Familienmitglieder verloren; einige hatten mit ansehen müssen, wie Familienmitglieder oder Nachbarn getötet oder gefoltert wurden. Ihre Erfahrungen ließen sie zu der nachhaltigen Erkenntnis dessen kommen, wie zerbrechlich das Leben sein kann und wie wichtig es ist, den Glauben zu bewahren. Im Allgemeinen waren sie Menschen, die über eine gute Bildung und ebenso gute Ausbildung und viel Geschick verfügten und in der DIE MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDEN IN KANADA 59 Lage waren, sich durch harte Arbeit und einen genügsamen Lebensstil wirtschaft¬ lich wieder zu etablieren; und das obw^ohl die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre diese Pionierphase zu einer Zeit großer Not und Entbehrung für sie werden ließ. Trotz dieser Nöte und wirtschaftlichen Entbehrungen legten diese Einwan¬ derer größten Wert auf ein lebendiges und gesundes Gemeindeleben und dar¬ auf, den Glauben ihrer jungen Leute zu fordern. Sie erkannten, dass, obwohl ihre neue Heimat einerseits die Religionsfreiheit hochhielt und dort auch viele andere Christen lebten, ihre Jugendlichen dennoch mit vielen Versuchungen konfron¬ tiert sein würden, vor denen sie in der relativen Isolation ihrer alten Heimat bewahrt worden waren. Einige Leiter der Mennoniten-Brüder glaubten, dass die weitere Verwendung der deutschen Sprache ein wichtiges Mittel sei, durch das ihre jungen Leute vor einigen der heimtückischeren Einflüsse des sie umgeben¬ den „weltlichen Klimas“ geschützt wären. Die Einwanderer der 1920er Jahre, die aus der Sowjetunion geflohen waren, konnten sich glücklich schätzen. Sie ließen viele Mitglieder ihrer Glaubensge¬ meinschaften zurück, die sogar noch mehr während der Verfolgung und der Not¬ zeit der 1930er Jahre und danach litten. Der Zweite Weltkrieg verursachte ein ungeheures Trauma und führte zu Vertreibungen unter denen, die zurückgeblie¬ ben waren. Als die „Gnadenfrist“ durch den Schutz, der ihnen die einmarschie¬ renden deutschen Armee bot, endete, wurden sehr viele in die Arbeitslager im Osten und Norden deportiert, wo sie zerstreut wurden und viele an Hunger und Krankheit starben oder hingerichtet wurden. Wer dazu in der Lage war, schloss sich der nach Westen zurückziehenden deutschen Armee an, um zu versuchen, vor den heranrückenden sowjetischen Truppen zu fliehen, in der Hoffnung im Westen Zuflucht zu finden. Am Ende des Krieges wurden jedoch die meisten von ihnen in die Sowjetunion zurückgeschickt, wo sie noch mehr Not erlitten. Dieje¬ nigen, die schließlich doch fliehen konnten, bildeten dann eine dritte Einwande¬ rungswelle aus der ehemaligen Heimat. Fast 8000 Menschen ließen sich zwischen 1947 und 1951 in Kanada nieder. Sie wurden von den Mennoniten, die schon dort lebten, willkommen geheißen und unterstützt, auch von den Mennoniten-Brü- dern. Die Einwanderer vergrößerten die Mitgliederzahlen der Gemeinden, die Zahl der Studierenden an den Bibelschulen und dem Bibelseminar in Winnipeg. Auch andere Einwanderer bereicherten und vergrößerten die Mitgliederzahl kanadischer Gemeinden. Einige kamen aus Ländern in Südamerika, wie z.B. Paraguay und Brasilien. Im späten zw^anzigsten Jahrhundert kamen einige aus Ländern in Asien, wie z.B. Vietnam, Laos und Indien. Oft hatten auch sie Not und Leid erlebt wie die Menschen, die aus der kommunistischen Sowjetunion gekom- 60 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE men waren, und genau das ermöglichte es ihnen, Verbindungen zueinander und Verständnis füreinander zu entwickeln. Bildung und Mission Die höchste Priorität in der Strategie zur Bewahrung und Ausbreitung des Glau¬ bens hatten die vielen Bibelschulen, die die Mennoniten-Brüder in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg gegründet hatten. Die Idee, eine Bibelschule in Kanada zu gründen, wurde schon 1910 unter den Mennoniten-Brüdern laut, als Siedler in Saskatchewan, viele davon aus den Vereinigten Staaten, damit begannen, jähr¬ liche Konferenzen abzuhalten. Diskussionen während dieser Zusammenkünfte führten zur Gründung der ersten Bibelschule der Mennoniten-Brüder im Jahr 1913 in Herbert, Saskatchewan, durch John F. Harms, einem bekannten Bibel¬ lehrer aus Kansas. Einige Jahre später wurde William Bestvater, der ausschlagge¬ bend für einige Entwicklungen unter den frühen kanadischen Mennoniten-Brü¬ dern war, Leiter dieser Schule. Obwohl die Schule deutschsprachige Lehrbücher benutzte, trug seine Offenheit, was den Gebrauch von theologischen Lehrmitteln des viel größeren englischsprachigen evangelikalen Protestantismus betraf, nicht nur dazu dabei, dass der Einfluss des dispensationalistischen Premillennialismus noch größer wurde, sondern der Gebrauch der englischen Sprache in Evangelisa¬ tion und Gemeindediensten allgemein wurden dadurch auch legitimiert. Das Interesse an Bibelschulen nahm mit dem Zustrom der Einwanderer der 1920er Jahre immer mehr zu. Zuerst wurde die Winkler Bibelschule (Peniel) gegründet, und zwar von Abraham Unruh und zwei seiner Kollegen, die Leh¬ rer an der ersten Bibelschule der Mennoniten-Brüder auf der Krim in Russland, in Tschongrau, gewesen waren. Im Jahre 1925, kurz nachdem er nach Kanada gekommen war, wurde Unruh gebeten die Schule zu gründen, die schon bald sehr erfolgreich war und mehrere Jahrzehnte lang zu den besten Schulen in Kanada gehörte. Die Schule legte ihren Schwerpunkt auf die Ausbildung von Gemein¬ demitarbeiter für Jugendarbeit in Kanada und von Missionaren in der Außen¬ mission. Schüler dieser Schule gründeten die Africa Mission Society (Missionsge¬ sellschaft für Missionsarbeit in Afrika), unter deren Schirmherrschaft die ersten Afrikamissionare, nämlich die Familie Henry Bartsch, 1932 in den belgischen Kongo entsandt wurde. Diese Missionsgesellschaft wurde zum Teil aus Unzu¬ friedenheit mit dem Missionsausschuss der General Conference und der Art und Weise, wie dieser kanadische Missionskandidaten behandelte, gegründet. Man DiE MENNONITEN-ßRÜDERGEMEINDEN IN KANADA 61 hatte den Eindruck, dass diese diskriminiert wurden, wenn sie sich darum bewar¬ ben in die Mission ausgesandt zu werden. Weitere Bibelschulen wurden in schneller Folge gegründet. Zwischen 1925 und 1940 wurden wenigstens fünfzehn Bibelschulen gegründet und noch einige weitere im darauf folgenden Jahrzehnt. Sie alle entstanden im Sinne eines zusätz¬ lichen Engagements einer Gemeinde oder einer Gruppe von Gemeinden im Bil¬ dungsbereich oder gingen auf Bemühungen einer Gruppe von Gleichgesinn¬ ten zurück, die einen Verein gründeten, durch den sie eine Bibelschule in ihrer Region organisieren und unterstützen konnten. Anfengs wurden diese Schulen vorrangig von Menschen in ländlichen Regionen genutzt. Dadurch entstand eine Art unsichtbare Verbindung zwischen Gemeinden, die so durch dieses gemein¬ same Anliegen verbunden waren. Fortschritte in Kommunikation und Verkehrswesen während der 1940er Jahre, und die zunehmende finanzielle Belastung durch oft nicht ausgelastete Einrichtungen, die nur einige Meilen voneinander entfernt lagen, trugen dazu bei, dass zunehmend Schulen zusammengelegt und zusammengeschlossen wur¬ den. Viele der kleineren, eher gemeindeeigenen Schulen wurden geschlossen und die übrig gebliebenen, besonders die, die sich in unmittelbarer Nähe von größe¬ ren Mennoniten-Brüdergemeinden in Regionen mit einer großen Zahl von Mit¬ gliedern befanden, dienten Menschen in einem geographisch immer größeren Gebiet. Im Jahr 1960 gab es nur noch vier Bibelschulen der Mennoniten-Brüder (eine in jeder Provinz) im westlichen Kanada. Es waren das Winkler Bible Ins¬ titute; das Bethany Bible Institute (jetzt Bethany College), das 1927 in Hepburn, Saskatchewan, gegründet worden war; das Alberta Mennonite Brethren Bible Ins¬ titute, 1929 in Coaldale, Alberta, gegründet; und das Mennonite Brethren Bible Institute, das 1936 in Abbotsford, British Columbia, gegründet worden war. Während diese Bibelschulen in erster Linie Jugendliche aus den Mennoniten- Brüdergemeinden im Glauben stärken und sicherstellen sollten, dass sie ihren Gemeinden treu blieben, so spielten sie auch eine sehr wichtige Rolle in der Vor¬ bereitung von Jugendlichen für evangelistische Einsätze im In- und Ausland. Ein wichtiger Bereich der evangelistischen Arbeit außerhalb der eigenen Gruppe, stellten die Ferienbibelschulen, Sonntagsschulen und andere Arten von Arbeit mit Kindern dar, die von den Bibelschulen unterstützt wurden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Western Childrens Mission, welche von Mitarbeitern des Bethany College organisiert wird. Geleitet von Jake H. Epp rekrutierte und sandte diese Organisation Dutzende Jugendliche in ländliche Gemeinden in ganz Nordsaskat¬ chewan, um dort Ferienbibelschulen für Kinder durchzuführen. 62 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Die Mennoniten-Brüder, die aus Russland kamen, legten Wert auf höhere Bildung; also erkannten die Mennoniten-Brüder, die in Kanada geboren waren, bald, dass eine solche Bildung ein wichtiges Mittel war, um bessere wirtschaftli¬ che Möglichkeiten in Kanada zu bekommen. Die zahlreichen Bibelschulen, die von den Mennoniten-Brüdern während der 1930er und 1940er Jahre gegründet wurden, um jungen Leuten religiöse Bildung zu geben, sahen sich immer mehr in starken Konkurrenz mit sechs neu gegründeten „High Schools“ der Mennoniten- Brüder. Viele glaubten, dass diese Zugang zu Universitäten und zu einer Berufs¬ ausbildung ermöglichen. Diese Schulen konzentrierten sich weniger darauf Men¬ schen für die Evangelisation auszubilden, sondern eher darauf, junge Leute zu unterrichten, die zunehmend nach höherer Bildung strebten, um sich für ein Studium an öffentlichen Universitäten zu qualifizieren. Die „High Schools“ der Mennoniten-Brüder stärkten die kulturelle und religiöse Beziehung der Jugend¬ lichen zu ihrer Glaubensgemeinschaft. In den frühen 1950er Jahren war die Zahl der Schüler, die eine „High School“ der Mennoniten-Brüder besuchten, mehr als doppelt so hoch wie die Gesamtzahl der Studierenden an den Bibelschulen. Während einerseits die jungen Leute den Besuch der „High School“ bevor¬ zugten, wandten sich die Leiter der Denomination gleichzeitig einer höheren theologischen Ausbildung zu. 1944 gründete die Kanadische Konferenz derMen- noniten-Briidergemeinden ein College, das einen akademischen Grad verleihen durfte, sozusagen eine „höhere Bibelschule“, das Mennonite Brethren Bible Col¬ lege (MBBC) genannt wurde. Vorher besuchten die meisten Kanadier, die an einer eher akademischen Bildung an einer kirchlichen Institution interessiert waren, das Tabor College, einer Institution der General Conference in Hillsboro, Kansas. Der Unmut wegen der Anzahl der kanadischen Studenten, die in den Vereinigten Staaten blieben, und das Gefühl, dass ihre amerikanischen Kolle¬ gen die partnerschaftlichen Programme und Institutionen zu sehr kontrollier¬ ten, brachten die Leiter der kanadischen Mennoniten-Brüder dazu, eine eigene Schule zu gründen, Die neue Schule war in Winnipeg strategisch gelegen, einer Großstadt mit erheblicher Bedeutung für die kanadischen Mennoniten und das westliche Kanada insgesamt. Abraham H. Unruh, der bis dahin Rektor des Winkler Bible Institute gewesen war, wurde berufen, die neue Institution in Winnipeg zu lei¬ ten. Der ausdrückliche Zweck dieser neuen Schule war, Bibelschullehrer, Missio¬ nare und Gemeindemitarbeiter auszubilden, damit diese Leitungsfunktionen an Bibelschulen, in Gemeinden und Missionsgesellschalten übernehmen konnten. Innerhalb von drei Jahren wurde diese Schule die größte theologische Ausbil- DIE MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDEN IN KANADA 63 dungsstätte der Mennoniten-Brüder in Kanada. 1960 hatte das Mennonite Breth- ren Bible College fast 50 % der Gesamtzahl aller Studierenden an den vier Bibel¬ schulen der Mennoniten-Brüder, die es zu der Zeit gab. Bis in die 1970er Jahre war das MBBC die wichtigste Ausbildungsstätte für Pastoren und Gemeindemit¬ arbeiter der Mennoniten-Brüder wie auch für Missionare und Evangelisten im In- und Ausland. Der Standort dieser Schule ließ Winnipeg zu einem wichtigen Einfiusszentren der Mennoniten-Brüder in Kanada werden. Kurz nach ihrer Gründung begann die Schule eine begrenzte Anzahl von geis¬ teswissenschaftlichen Studiengängen anzubieten. Einige Leiter meinten, dass der Pastor der Zukunft (besonders von innerstädtischen Gemeinden) eine umfassen¬ dere Bildung benötigt als die, die die Bibelschulen boten, um mit ihren Gemein¬ degliedern mithalten zu können. Darüber hinaus drückten sie auch ihren Unmut darüber aus, dass sie die besten Kandidaten für den Gemeindedienst an ameri¬ kanische Schulen gehen sehen mussten, zumal wenn diese danach nicht nach Kanada zurückkehrten. Das MBBC sollte nicht nur eine kanadische Ausbildungs¬ stätte für Menschen, die in den vollzeitlichen Dienst gehen wollten, sein, sondern auch eine christliche Alternative für Jugendliche aus Mennoniten-Brüdergemein- den, die an einer universitären Ausbildung interessiert waren. Als Alternative zu einem Universitätsstudium war das College jedoch nicht wirklich erfolgreich. 1965 war die Anzahl der Jugendlichen aus Mennoniten-Brüdergemeinden, die eine Universität besuchten, fast doppelt so hoch wie die Anzahl derer, die eine Bibelschule der Mennoniten-Brüder besuchten, und mehr als dreimal so hoch wie die Anzahl derer, die am Mennonite Brethren Bible College studierten. 1972 hatten mehr als 35 % der Mennoniten-Brüder mehr als nur einen High School Abschluss; ein Jahrzehnt später waren es 48 %. Das das Engagement der Men¬ noniten-Brüder auf diesem Gebiet zunehmend regional ausgerichtet war, verlor das MBBC seinen Status als Bildungseinrichtung für ganz Kanada. Im Jahr 1992 wurde es als Concord College neu eröffnet und bildete im Jahr 2000 zusammen mit dem Menno Simons College und dem Mennonite Bible College die Canadian Mennonite University. Im Laufe der Zeit trugen diese von Mennonilen-Brüdern geleiteten Schulen dazu bei, dass sehr gute Bibelkenntnisse, ein gemeinsamer religiöser Erfahrungs¬ hintergrund und Begeisterung und Offenheit für die Teilnahme am Leben der Gemeinde vermittelt wurden. All das gab den Gemeinden Vitalität und Energie. Diese Schulen beeinflussten immer mehr das Ethos der gesamten Denomination, Sie trugen aber auch zu Veränderungen bei - Veränderungen wie der Gebrauch der englischen Sprache, der zuerst unter den jungen Leuten an den Schulen der 64 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Mennoniten-Brüder üblich war. Was jedoch an den Bibelschulen und High- Schools erlaubt war, wurde letztendlich in den Gemeinden üblich. Die Entwicklung hin zu einem professionelleren geistlichen Dienstes machte einen weiteren Schritt vorwärts, als sich 1975 die kanadische Konferenz sich mit ihrem amerikanischen Partner zusammenschloss, um gemeinsam das Mennonite Brethren Biblical Seminary (MBBS) in Fresno, Kalifornien, zu unterstützen. Die geographische Entfernung und der ungünstige Wechselkurs in den 1990er Jahren machten ein Studium in Fresno für Kanadier aber schwierig. Deshalb schloss sich das Seminary 1999 einer Vereinigung von Seminaren namens Associated Cana¬ dian Tlieological Schools (ACTS) auf dem Campus der Trinity Wesfern University in Langley, BC, an. Als ACTS arbeiten fünf evangelikalen Denominationen part¬ nerschaftlich zusammen, um ihren jeweiligen Gliedern ein theologisches Hoch¬ schulstudium zu ermöglichen. Darüber hinaus half MBBS in Zusammenarbeit mit vier weiteren mennonitischen Konferenzen, das Winnipeg Centre for Ministry Studies zu gründen. Diese beiden Institutionen stärkten das Profil des MBBS in Kanada und trugen dazu bei, dass sich die Zahl der kanadischen Mennoniten- Brüder, die an einem MBBS-Seminarprogramm teilnehmen, erheblich steigerte. Dienst als Mission Die Mennoniten-Brüder in Kanada engagierten sich in vielen sozialdiakoni- schen Projekten, während sie sich gleichzeitig darum bemühten, ihre eigene Glaubensgemeinschaft fördern. Die daraus entstehenden Institutionen und Pro¬ gramme waren normalerweise Gemeinschaftsprojekte mit anderen mennoniti¬ schen Gruppen. Darunter waren wichtige Einrichtungen wie Krankenhäuser, die, obwohl sie in erster Linie für die Versorgung ihrer eigenen Leute gedacht waren, dennoch auch der Allgemeinheit bewusst und hingegeben dienten. Allmählich wurden sie kommunale Krankenhäuser, die vom Staat finanziert wurden, obwohl ihre Leiter und Mitarbeiter oft Mennoniten waren und diesen Krankenhäusern eine bestimmte Ausrichtung und Ansehen verliehen. Viele Mennoniten-Brüder begannen in sozialen Berufen zu arbeiten, insbesondere als Ärzte, Kranken¬ schwestern und -pfleger und als Lehrer. Die größte Hilfsorganisation der Mennoniten in Nordamerika, das die Men¬ noniten-Brüder aktiv unterstützen, ist das Mennonite Central Committee (MCC). Das MCC entstand 1920 auf Grund von Bemühungen der Mennoniten in Nord¬ amerika, ihren leidenden Brüdern und Schwestern in der Sowjetunion zu hel¬ fen. Diejenigen, die schließlich fliehen konnten und nach Kanada kamen, waren DIE MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDEN IN KANADA 65 sehr dankbar und wollten unbedingt in anderen Notsituationen helfen, wie zum Beispiel in der Flüchtlingskrise nach dem Zweiten Weltkrieg. Bald weitete MCC seine Dienstbereiche sowohl im In- als auch im Ausland erheblich aus, indem es sich in humanitären Hilfsaktionen in Ländern engagierte, in denen die Menschen ursprünglich keine Verbindung zu Mennoniten hatten. Hilfe wurde insbesondere bei Naturkatastrophen und in Kriegen in vielen Regionen geleistet. „Dienst im Namen Christi“ war das Motto für die Arbeit unter den Hungernden und Armen weltweit. Die Mennoniten-Brüder steuerten nicht nur umfangreiche materielle Hilfe bei, sondern sandten auch viele Mitarbeiter in bedürftige Regionen aus. Gleichzeitig erweiterte MCC seine Programme im Inland drastisch und so gründeten die Kanadier 1963 ihre eigene Organisation namens MCC (Canada). Die Mennoniten- Brüder waren wichtige Mitarbeiter und Unterstützer von MCC- Initiativen auf lokaler, provinzieller, nationaler und internationaler Ebene. Dazu gehörten die Gefängnisarbeit, die Arbeit unter Ureinwohnern, die Arbeit als Mediatoren und andere soziale Dienstleistungen. Via MCC konnten die Men¬ noniten in Kanada mit ihrer Regierung über verschiedene Themen sprechen. Anfangs war der Mennonite Disaster Service (MDS) eng mit dem MCC ver¬ bunden, doch bald wurde er weitgehend unabhängig. Der MDS konzentrierte sich hauptsächlich auf Hilfe für Orte in Nordamerika, die durch Naturkatast¬ rophen wie Tornados, Orkane und Überflutungen in Not geraten waren. Viele Mitglieder von Mennoniten-Brüdergemeinden leisteten für eine bestimmte Zeit Freiwilligendienste in den USA und in Kanada. Krieg, Frieden und der Staat Die Mennoniten-Brüder in Kanada haben wie auch schon die Mennoniten und Täufern der vergangenen Jahrhunderte und in der ganzen Welt leidenschaftlich über die Themen Frieden, Krieg und Regierung debattiert. Die verschiedenen Glaubensbekenntnisse enthalten alle Aussagen über ihr jeweiliges spezifisches theologisches Verständnis dieser Themen. Anfangs spielten die Erfahrungen der Mennoniten-Brüder in Russland und der Sowjetunion eine wesentliche Rolle. Die russische Regierung hatte den Mennoniten in Russland in den 1870er Jahren einen Ersatzdienst auferlegt. In Friedenszeiten bestand dieser Dienst normalerweise aus einer verpflichtenden Forstarbeit, welche die Mennoniten großenteils selbst finanzierten. Während des Ersten Weltkriegs wurde dieser Dienst ausgeweitet und einige Mennoniten dienten dann als Sanitäter in der Armee. Sie wollten als loyale Bürger des Landes 66 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE angesehen werden, die halfen Leben zu retten statt Leben zu zerstören. Als die Ära des Kommunismus in der Sowjetunion begann, wurden ihnen diese beson¬ deren Privilegien entzogen. Mennoniten, die in den 1870er Jahren nach Kanada kamen, wurde vom Mili¬ tärdienst gänzlich freigestellt. Denen jedoch, die in den 1920ern kamen, wurde mitgeteilt, dass für sie die allgemeine Gesetzgebung gelte, die die Mitglieder von historischen Friedenskirchen (dazu zählen die Quäker und Brethren in Christ) vom Militärdienst freistellt, dass aber eventuell ein Ersatzdienst von ihnen ver¬ langt werde. Wegen des bevorstehenden Kriegs im Jahr 1939 war man sehr unsicher, ob und inwiefern Mennoniten von den verschiedenen Militärdiensten befreit wer¬ den würden. Benjamin B. Janz, der Leiter der Mennoniten-Brüder, der auch als Leiter der Einwanderer in den 1920er Jahren anerkannt war, befürwortete einen Ersatzdienst, der auch die Arbeit als Sanitäter einschließen konnte. Er bemühte sich intensiv um eine solche Übereinkunft mit der Regierung. Andere menno- nitische Gruppen waren geteilter Meinung: einige waren gegen jegliche Art von Dienst, während andere einen Ersatzdienst befürworteten, der keinerlei Ver¬ bindung zum Militär hätte. Letztendlich leisteten viele junge Mennoniten-Brü¬ der Ersatzdienst in der Forstarbeit oder in Krankenhäusern, während eine klei¬ nere Zahl als Sanitäter diente. Trotz der Einwände ihrer Gemeinde waren einige sogar Soldaten in der Armee und schufen damit Situationen, die in Familien und Gemeinden zu Trennungen führten. Oft wurden diese Personen nach ihrer Heimkehr aus der Gemeinde ausgeschlossen. Nach dem Krieg trat die Frage des Ersatzdienstes allmählich in den Hinter¬ grund und andere Themen rückten ins Blickfeld. Da sich das Programm des MCC mehr auf Hilfs- und Friedensprojekte konzentrierte, befassten sich viele Mennoniten-Brüder mehr mit sozialen Problemen. Der Begriff „Widerstands¬ losigkeit“, der oft als Synonym für „Pazifismus“ verstanden wurde, wurde durch Begriffe wie „Frieden“, „Gerechtigkeit“ „gewaltloser Widerstand“ und „soziale Fürsorge“ ersetzt. Einige Mennoniten sahen die Friedensposition zunehmend als optionales „Unterscheidungsmerkmal“ an. Es entstand eine gewisse Polarisie¬ rung zwischen denen, die Evangelisation als oberste Priorität des Christentums ansahen, und anderen, die das Engagement in Friedens- und sozialen Fragen als wesentlich für die Nachfolge als Christ betrachteten. DIE MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDEN IN KANADA 67 Gemeindeleben Bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts war das Leben in den Mennoni- ten-Brüdergemeinden in Kanada ziemlich einheitlich und lief in gewisser Weise immer nach demselben Muster ab. Deutschsprachige Gottesdienste fanden immer am Sonntagmorgen und -abend statt, oft wurde sie durch eine Gebets¬ versammlung in der Mitte der Woche ergänzt. Sonntagsschulunterricht gab es normalerweise nur für Kinder und Jugendliche, während die Erwachsenen Gebetsversammlungen oder Bibelstunden abhielten. Oft gab es zwei Predigten im Hauptgottesdienst. Wegen der großen Anzahl von „Russländern“ gebrauchten die Gemeinden der Mennoniten-Brüder bis in die späten 1950er und 1960er Jahre Deutsch als Sprache der Frömmigkeit und religiösen Praxis und wechselten dann erst zu Eng¬ lisch. In den 1940er Jahren hatten viele junge Mennoniten-Brüder ihre Grund¬ schulausbildung in einer englischsprachigen öffentlichen Schule erhalten und auch die Bibelschule zum Teil auf Englisch absolviert. Der Wechsel der Sprache in den Gemeinden folgte bald darauf, trotz des Widerstands einiger, die eine Ver¬ bindung zwischen dem Gebrauch der deutschen Sprache und dem christlichen Glauben herzustellen versuchten und glaubten, dass der Erhalt der deutschen Sprache ein nützlicher Schutz gegen das Eindringen „weltlicher" Einflüsse sein könnte. Solche Veränderungen führten oft zu Spaltungen, aber Ende der 1960er Jahre hatte sich Englisch als vorherrschende Sprache in den meisten Mennoni- ten-Brüdergemeinden etabliert. Diese Veränderung symbolisierte den Grad der Anpassung der Mennoniten-Brüder an die nationale Kultur. Die Frage der Sprache änderte die Art und Weise, wie die Gemeinden der Mennoniten-Brüder ihre Gottesdienste gestalteten. Als in den 1960er Jahren von einer zur anderen Sprache übergegangen wurde, gab es manchmal eine Pre¬ digt auf Deutsch und eine auf Englisch. Schließlich wurde normalerweise nur noch eine einzige Predigt auf Englisch abgehalten, gleichzeitig begannen einige Gemeinden damit zwei Gottesdienste zu feiern. Die meisten Gemeinden hat¬ ten vielfältige Dienstbereiche und einen ehrenamtlich tätigen Leiter. Mit zuneh¬ mender allgemeiner Bildung übernahmen bezahlte Pastoren allmählich diese Leitungspositionen. Auch wurden Reiseprediger ernannt, die die verschiedenen Gemeinden besuchten. Dadurch wurde die Verbindung zwischen Gemeinden in verschiedenen Regionen gestärkt. Die Frauen entwickelten ihre eigenen Dienstmöglichkeiten, normalerweise in Form von Nähgruppen oder Frauenmissionsgruppen. Sie finanzierten Pro¬ jekte zur Unterstützung von Missionaren im Ausland und von lokalen Gemein- 68 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE den, sie stellten Lebensmittel für Bibelschulküchen bereit und halfen in anderen Notlagen vor Ort. Für die jungen Menschen gab es speziell für sie entwickelte Programme. Gemeindechöre spielten eine wichtige Rolle, damit auch sie zu den Gottesdiens¬ ten der Gemeinden beigetragen konnten. In den meisten Provinzen wurden Sommerlager für Kinder und Jugendliche eingerichtet, um den Jugendlichen der Mennoniten-Brüdergemeinden zu dienen, aber zunehmend auch als Möglich¬ keit, um Menschen außerhalb der Gemeinden zu erreichen. In vielen Regionen wurden Radiosendungen finanziell unterstützt, manchmal von einzelnen Gemeinden, um dadurch Menschen außerhalb der eigenen eth¬ nischen Gruppe zu erreichen. Es gab besondere Angebote sowohl für deutsch¬ sprachige Gruppen als auch für die, die zu gebrechlich waren, um die normalen Gottesdienste zu besuchen. Aber viele Initiativen zielten auch auf die englisch¬ sprachige Bevölkerung ab. Da bis ca. 1960 die meisten Gottesdienste in Menno- nitengemeinden leider auf Deutsch abgehalten wurden, fühlten sich viele, die sich bei evangelistischen Aktionen der Mennoniten-Brüder neu bekehrt hatten, in Mennoniten-Brüdergemeinden aber nicht wohl und schlossen sich anderen Denominationen wie der Christian and Missionary Alliance, den Evangelical Free oder einer der vielen baptistischen Gruppen an. Etliche Zeitschriften trugen insbesondere dazu bei, dass die Mennoniten- Brüdergemeinden in ganz Kanada ein Zusammengehörigkeitsgefühl und eine gemeinsame Identität entwickelten. Die deutschsprachige Mennonitische Rund¬ schau und der Zionsbote entstanden beide ursprünglich in den Vereinigten Staa¬ ten, bis erstere 1923 nach Winnipeg umzog und schließlich eine Zeitschrift der Mennoniten-Brüder wurde. 1960 gaben die kanadischen Mennoniten-Brüder erstmals ihre eigene englischsprachige Zeitschrift heraus, The Mennonite Bre- thren Herald, die weiterhin erscheint. Diese Zeitschrift ist ein wichtiges Kom¬ munikationsmittel und Forum, in dem schwierige Fragen diskutieren werden. Außerdem erschienen auch Zeitschriften in anderen Sprachen, wie zum Beispiel französische und chinesische. Gemeinde, Gesellschaft und Kultur Die 1960er Jahre waren eine Zeit drastischer Veränderungen in ganz Nord¬ amerika und besonders im Westen Kanadas. Der technologischer Fortschritt im Verkehrswesen und der Kommunikationsmittel sowie der wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg ließen die Weiten der Prärie ihren DIE MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDEN IN KANADA 69 Bewohnern weniger attraktiv erscheinen und ließen neue Großstädte entstehen. Als neu ankommende Einwanderer, die versuchten sich ein neues Leben aufzu¬ bauen, erlebten die Mennoniten-Brüder diese Veränderungen in ihrer jeweili¬ gen Region mit, durch die die Infrastruktur einer modernen Gesellschaft nach und nach aufgebaut wurde. Die Entwicklung der Mennoniten-Brüder von einer vorwiegend ländlich geprägten, deutschsprachigen ethnischen Subkultur unter den vielen eingewanderten ethnischen Bevölkerungsgruppen im Westen Kana¬ das zu einer englischsprachigen, zunehmend städtischen und multikulturellen Gruppe spiegelte viele der allgemein zu beobachtenden Veränderungprozesse in der Region wieder. Neben der Verstädterung, dem Wechsel der Sprache, der höheren Bildung und einer zunehmenden Professionalisierung des geistlichen Dienstes war ein weiteres aufschlussreiches Beispiel für die kulturelle Anpassung der Mennoniten- Brüder seit der Mitte des Jahrhunderts ihr wachsendes Interesse daran, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Wie andere mennonitische Gruppen hatten auch die Mennoniten-Brüder im Laufe ihrer Geschichte die Teilnahme am politischen Geschehen abgelehnt. Im Laufe der Zeit änderte sich jedoch diese im Allgemei¬ nen negative Einstellung gegenüber der Beteiligung an der Regierung. Anfangs konzentrierte sich das politische Engagement der Mennoniten-Brüder in erster Linie darauf das Privileg ihrer Befreiung vom Militärdienst weiterhin gewährt zu bekommen. In den 1960er Jahren begannen die Mennoniten-Brüder jedoch über die „prophetische Rolle der Gemeinde in ihrer Beziehung zum Staat“ nach¬ zudenken und sie schrieben sogar immer wieder Briefe an die Regierung zu The¬ men wie zum Beispiel den Konflikten im Mittleren Osten und über verschiedene Hilfsprojekte. Die vielleicht bemerkenswerteste Veränderung war wohl das zunehmende parteipolitische Engagement. Eine kleine Zahl von Mennoniten-Brüdern kan¬ didierte in den 1920er Jahren für ein öffentliches Amt. Ihre Zahl stieg aber in der Mitte des Jahrhunderts dramatisch an, da sich immer mehr Kandidaten aus Mennoniten-Brüdergemeinden als Vertreter verschiedener politischer Parteien für öffentliche Ämter auf kommunaler, auf Provinz- und Bundesebene zur Wahl stellten. Viele wurden auch gewählt; mindestens zwei, nämlich Hon. Jake Epp (Conservative Party) und Hon. Raymond Chan (Liberal Party), waren Minister im Bundeskabinett und einer (Brad Wall) wurde 2007 zum Premierminister von Saskatchewan gewählt. 70 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMElNDE Evangelikaler Protestantismus Der frühe und fortdauernde Einfluss des Pietismus auf die Mennoniten-Brüder in Russland, der eine persönliche Bekehrungserfahrung wie auch einen stren¬ gen Bibelglauben und Mission stark betont, passte sehr gut zu den Prioritäten evangelikaler Protestanten in Nordamerika. Obwohl sie infolge sprachlicher und kultureller Unterschiede in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts von anderen evangelikalen protestantischen Denominationen in Kanada abgesondert waren, dauerte es nicht lange, bis diese Ähnlichkeit in den 1940er und 1950er Jahren zu Kontakten und einer mit Dankbarkeit und Anerkennung verbundenen Übernahme von Ressourcen führte. Zusätzlich zu dem Einfluss von Radiosen¬ dungen und christlicher Literatur, die von evangelikalen Organisationen vertrie¬ ben v/urde, wurden insbesondere durch die zahlreichen Bibelschulen der Menno- niten-Brüder evangelikal geprägtes protestantisches theologisches Gedankengut und eine entsprechende Glaubenspraxis in der gesamten Denomination verbrei¬ tet. Diese Kompatibilität, in Verbindung mit recht engem Kontakt, der Über¬ nahme von Ressourcen und einem entsprechenden Engagement, führte in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts allmählich zu einer engen Verbindung mit den evangelikalen Protestanten in Kanada. Das 1960er Jahre stellten einen wichtigen Wendepunkt nicht nur für die Men- noniten-Brüder (wie oben schon erwähnt), sondern auch für die evangelikalen Protestanten in Kanada im Allgemeinen dar. Ais diese evangelikalen Protestanten wohlhabender wurden und eine höhere Bildung erwarben, hatten sie allmählich weniger das Gefühl Fremde und Außenseiter im Kontext der kanadischen Kul¬ tur zu sein, sie fühlten sich nun eher als kulturell zugehörig und mitverantwort¬ lich für den Charakter der kanadischen Gesellschaft. Als nun die verschiedenen denominationalen Gruppen, die das evangelikale Mosaik ausmachten, aus ihrer Zurückgezogenheit heraustraten, lernten sie einander allmählich besser kennen und entwickelten ein Netzwerk von ineinandergreifenden Institutionen, das eine einander unterstützende Gemeinschaft von Organisationen und Einzelpersonen darstellte. Die allmähliche Identifikation der Mennoniten-Brüder mit diesem evangelikalen protestantischen Netzwerk ging mit einem zunehmend reiferen Selbstvertrauen einher. Ihr Wunsch, ein wesentlicher Teil eines größeren, multi- denominationalen evangelikalen Netzwerks in Kanada zu sein, fand in ihrer Mit¬ arbeit bei der Gründung der Evangelical Fellowship of Canada Ausdruck. Diese Organisation woirde 1964 gegründet, um das gemeinsame Interesse evangelikaler Protestanten an sozialem Engagement zu fördern. DIE MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDEN IN KANADA 71 Die Reaktionen auf die anhaltende Offenheit der Mennoniten-Brüder gegen¬ über nicht-mennonitischen theologischen Einflüssen und der Zusammenarbeit mit Gruppen außerhalb der Tradition der Friedenskirchen waren gemischt. Sie trug maßgeblich zu dem bei, was J.B. Toews „einen Erweckungseffekt“ unter den jungen Leuten nannte, und zu einer besonderen Betonung von missionarischer Vision und Engagement in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Aber sie vermachte der Denomination auch das Erbe eines dauerhaft zwiespältigen Verhältnisses zu ihrer Identität als Glaubensgemeinschaft und ihrem Platz inner¬ halb der mennonitischen „Welt“. Konflikte entstanden manchmal, wenn Leiter der Denomination nach einer angemessenen Antwort auf die Frage, wie man mit überdenominationalen evangelikalen Organisationen und Institutionen umge¬ hen sollte, suchten. Nach einem Leitungswechsel im Jahre 1964 beantwortete das Mennonite Brethren Biblical Seminary diese Frage, indem es eine täuferisch- cvangelikale theologische Identität formulierte. Die Beibehaltung einer täuferi- schen Identität hilft, die Vision der Gemeinde als einer Gemeinschaft zu fordern, genauso wie die Notwendigkeit, Bedürftigen im Namen Christi zu helfen und eine ernsthaftes ethisches Bewusstsein. Im Vergleich zu den Mennoniten-Brüdern in den Vereinigten Staaten spie¬ len die Mennoniten-Brüder in Kanada eine viel wichtigere Rolle in der Entwick¬ lung und im Leben von überdenominationalen evangelikalen Institutionen und Organisationen. Mennoniten-Brüder, die dabei wichtige Leiterpositionen ein¬ genommen haben, sind z. B. Henry Hildebrand, der erste Schulleiter der Brier- crest Schools-y Victor Adrian, Präsident des Tyndale College and Seminary (ehe¬ mals Ontario Bible College and Theological Seminary); Harold Jantz, Gründer und Herausgeber der ChristianWeek, einer vierzehntägig erscheinenden Zeitschrift; und John Redekop, langjähriges Mitglied der Evangelical Fellowship of Canada, einschließlich in den 1990er Jahren einige Zeit deren Präsident. Darüber hinaus unterstützen die Mennoniten-Brüder unzählige evangelistische Organisationen in Kanada, wie z. B. Youth for Christ, World Vision, Power to Change, Athletes in Action, Crises Pregnancy Centers, Canadian Food Grains Bank, Samaritan's Purse, Canadian Institute of Linguistics, InterVarsity Christian Fellowship, Focus on the Family Canada, Trinity Western University und viele, viele andere. Die stärkere Präsenz der Mennoniten-Brüder im Kontext des kanadischen Evangelikalismus liegt wohl zum Teil daran, dass die Mennoniten in Kanada einen größeren Anteil der Protestanten ausmachen, als es in den Vereinigten Staaten der Fall ist (Die Anzahl der Besucher von Mennoniten-Brüdergemeinden in Kanada machen ca. 7,5 % der Gesamtzahl aller Besucher aller protestantischen Denominationen 72 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEM ElNDE aus.). Es könnte auch daran liegen, dass die Mennoniten in Kanada den kana¬ dischen Evangelikalismus als weniger nationalistisch und militaristisch erleben, dafür aber als theologisch vielfältiger und deswegen besser zu ihnen passend. Horizonterweiterung: Bewusste und zielgerichtete Evangelisation Infolge von bewussten und zielgerichteten evangelistischen Initiativen und wegen der aufgeschlossenen Umwelt, die Kanadas multikulturelle Politik bewirkt, ist die demographische Zusammensetzung der Mennoniten-Brüdergemeinden heute eine ganz andere als noch vor hundert Jahren. Nach Jahrzehntelanger Evangelisa¬ tion mittels Radioprogrammen, Camps, Ferienbibelschulen etc., d.h. mit Strate¬ gien, die die Menschen eher auf Distanz hielten, hat der Umzug von Mitgliedern der Mennoniten-Brüdergemeinden in die Städte zu neuen Gemeindegründun¬ gen dort geführt. Anfangs konzentrierten sich diese neu gegründeten Gemein¬ den eher „auf sich selbst“, da die Denomination sie als eines der Mittel nutzte, den Kontakt zu ihren Mitgliedern, die in die Städte gezogen waren, aufrecht zu erhalten. Schließlich erweiterte sich jedoch ihr Horizont und die Gemeinden begannen über neue Wege der Evangelisation nachzudenken. Beim überdeno- minationalen Kanadischen Kongress für Evangelisation 1970 in Ottawa waren die Mennoniten-Brüder unter den am stärksten vertretenen Gruppen. Ein ausgezeichnetes Beispiel einer derartigen Horizonterweiterung ergab sich infolge unerwarteter Entwicklungen im Ausland und nicht durch eine sorgsam geplante Evangelisationsstrategie in Kanada. 1960 waren die meisten Missionare in Belgisch-Kongo gezwungen wegen der Revolution in ihrem Land nach Nord¬ amerika zurückzukehren. Sie sprachen fließend Französisch und somit betrach¬ teten sie logischerweise Quebec als potentielles Missionsfeld. Ernest und Lydia Dyck gehörten zu denen, die aus Belgisch-Kongo evakuiert worden waren und dann Pioniermissionare in Quebec wurden. Zu der Zeit durchlebte diese Pro¬ vinz seine „Stille Revolution“, durch die der Einfluss der römisch-katholischen Kirche auf die Kultur und die Politik Quebecs erheblich geschwächt wurde. Das geistliche Vakuum, das durch die weit verbreitete Ablehnung der römisch-katho¬ lischen Kirche entstand, schuf neue Möglichkeiten für andere Denominationen. Die erste Gemeinde wurde 1964 gegründet und in den nächsten zwanzig Jahren entstand ein sehr fruchtbarer Dienst. Ende der 1980er Jahre gab es schon zwölf Mennoniten-Brüdergemeinden. Die Konferenz der Mennoniten-Brüder Quebec wurde 1983 gegründet und schloss sich 1984 der kanadischen Konferenz an. 1976 DIE MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDEN IN KANADA 73 wurde eine Bibelschule {Institut Bihlique Laval, jetzt £cole de theologie evangilique de Montreal) ins Leben gerufen. Später wurde die Zeitschrift Le Lien herausge¬ geben und die Konferenz von Quebec gründete auch ihr eigenes Camp namens Camp Peniel. Der kulturelle Wandel, den die kanadischen Mennoniten-Brüder in den 1950er und 1960er Jahren erlebten, war Zeichen des allmählichen Übergangs von einer russisch-deutschen ethnischen Gruppe hin zu einer eher kanadischen. 1971 wurde der Multikulturalismus offizielle Politik Kanadas und die Bundesre¬ gierung begann den Erhalt des sprachlichen Erbes und der kulturellen Traditi¬ onen der verschiedenen ethnischen Gruppen zu fördern. Die Mennoniten hat¬ ten nun wieder Grund sich an ihre russisch-deutschen Traditionen zu erinnern und diese zu feiern. Das löste neue Diskussionen über die Identität der Menno¬ niten aus: Ist „Mennonit“ eine ethnische oder eine religiöse Bezeichnung oder ist sie beides? Einige hielten den Begriff für ein Hindernis für Gemeindewachs¬ tum. Andere meinten, er sei ein wichtiger Aspekt der theologischen Identität der Denomination. Ein Auslöser dieser Diskussionen war das Buch A People Apart: Ethnicity and the Mennonite Brethren von John Redekop (1987), Darin sprach er sich dafür aus, den Namen der Denomination zu ändern. Dieser Vorschlag wurde jedoch nie umgesetzt. Während einige in den 1980er Jahren über das Wesen der „mennonitischen“ Ethnizität debattierten, suchten die Verantwortlichen für Evangelisation in den Gemeinden nach neuen Strategien. Im Laufe der nächsten zwei Jahrzehnte wurden die kanadischen Mennoniten-Brüder zunehmend multikulturell. Die zunehmende ethnische und kulturelle Vielfalt entwickelte sich dadurch, dass die Verantwortlichen für Evangelisation damit begannen strategisch bestimmte Ziel¬ gruppen in Kanada ins Auge zu fassen, darunter die wachsende Zahl der Mitglie¬ der von Minderheiten und junge Menschen allgemein. 1984 begann das Evan¬ gelisationskomitee {Board of Evangelism) mit der Publikation von Evangelism Canada. Diese Zeitschrift war stark von den „wissenschaftlichen“ Methoden der Gemeindewachstumsbewegung, die von Menschen wie Donald McGavran und C. Peter Wagner geleitet wurde, beeinflusst. Besonders die Mennoniten-Brüder in British Columbia stellten beträchtliche Mittel für eine zielgerichtete Gemeinde¬ gründungskampagne zur Verfügung. Wahrend des letzten Jahrzehnts des zwan¬ zigsten Jahrhunderts verdoppelte die Konferenz von British Columbia die Anzahl ihrer Gemeinden. Ein erheblicher Teil dieses Wachstums kam durch die Grün¬ dung oder die Übernahme von Gemeinden zustande, die aus vor Kurzem ein¬ gewanderten Menschen aus verschiedensten ethnischen Gruppen bestanden, 74 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE zum Beispiel Chinesen, Vietnamesen, Sikhs, Lao, Araber, Perser, Indonesier und Koreaner. Wahrend dieser Zeit wurde die Gemeindegründungsarbeit der Men- noniten-Brüder durch das umstrittene „homogene Einheitsprinzip“ bestimmt, welches besagte, dass Menschen am ehesten Christen würden, wenn sie keine ethnischen oder sprachlichen Barrieren überwinden müssten. Die mit Abstand größte, „nicht-weiße“ Gruppe unter den Mennoniten-Brü- dern sind die Chinesen, die zum größten Teil in der Gegend um Vancouver leben. Seit der offiziellen Gründung der ersten chinesischen Gemeinde im Jahr 1977 entstanden wenigstens ein Dutzend mehr. Diese sollten die in verschiedenen Ein¬ wanderungswellen ankommenden Chinesen erreichen, die im späten zwanzigs¬ ten Jahrhundert in Kanada eintrafen. Die Leitungsaufgabe in diesen Gemeinden war kompliziert, da sie versuchten, die erst kürzlich angekommenen, meist noch Mandarin sprechenden Einwanderer, die älteren, meist Kantonesisch sprechen¬ den Einwanderer der ersten Generation und die in Kanada geborenen. Englisch sprechenden Einwanderer der zweiten und dritten Generation einzugliedern. Die Schwierigkeiten dieser ethnischen Gruppe im Hinblick auf den Übergang zur englischen Sprache sind denen der Deutsch sprechenden Mennoniten-Brü- der aus Russland erstaunlich ähnlich. Die chinesischen Gemeinden zeigten, wie wichtig ihnen Mission ist, dadurch, dass sie etliche Pastoren aussandte, um in der chinesischen Diaspora in Venezuela Gemeinden zu gründen. Die Erkenntnis, dass das Bevölkerungswachstum in Kanada vor allem in den städtischen Zentren stattfindet, veranlasste das Evangelisationskomitee der kana¬ dischen Konferenz, 1998 eine ehrgeizige neue Evangelisationsstrategie in Gang zu setzen, die man Key Cities Initiative nannte. Der Plan sah vor, in einem Zeit¬ raum von zehn Jahren alle zwei Jahre eine Gemeindegründung in einer neuen Stadt zu beginnen. Jede Stadt würde dann mindestens fünf Jahre lang Teil dieses Programms sein. Jede dieser neuen Initiativen begann auf Einladung einer Kon¬ ferenz. Mission Calgary wurde 1998 gestartet, Love Toronto im Jahr 2000, Rendez- vouz Montreal 2002, Ignite Vancouver 2004 und Dream Manitoba und Harvest Saskatchewan im Jahr 2006. Im ersten Jahrzehnt konnten durch dieses Programm mehr als zwanzig neue Gemeinden gegründet werden. Die Hingabe, mit der das Evangelium von Jesus Christus als gute Nachricht für alle Menschen weitergegeben wurde, hat zu einer großen ethnischen Viel¬ falt der Denomination geführt - die Mennoniten-Brüder in Kanada feiern in mehr als zwanzig Sprachen Gottesdienst. Nichtsdestotrotz gibt es neue Debatten wegen des multikulturellen Charakters der Denomination. Emige Leiter bevorzu¬ gen Gemeinden, in denen ethnische Homogenität bewahrt wird. Andere betrach- DIE MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDEN IN KANADA 75 ten die Gemeinde als Ort, der geeignet ist, das Zusammenkommen und Über¬ schreiten von kulturellen Grenzen zu fördern. Das veranlasste einige städtische Mennoniten-Brüdergemeinden in Zentren wie Vancouver, ganz bewusst „inter- kulturell“ zu sein. Trotz der bestehenden ethnischen Vielfalt in Mennoniten- Brüdergemeinden ist diese Vielfalt in den Leitungsstrukturen der Denomina¬ tion noch nicht zu erkennen. Die Mennoniten-Brüder in Kanada feiern ihr annähernd 122-jähriges Beste¬ hen zum Zeitpunkt des 150-jährigen Jubiläums der Mennoniten-Brüderge- meinde. Die Mitgliederzahlen sind auf etwa 35000 in mehr als 240 Gemein¬ den angestiegen. Die kanadische Konferenz der Mennoniten-Brüder ist die drittgrößte MB-Konferenz in der Welt. Obwohl einige Gemeinden zögern, sich als Mennoniten-Brüdern zu erkennen zu geben, weil sie fürchten, mit einer bestimmten deutsch-russischen Ethnizität in Verbindung gebracht zu werden, und weil die Loyalität gegenüber der Denomination allgemein zurückgeht, gibt es auch Anzeichen dafür, dass man das reiche Erbe der Vergangenheit wieder zu schätzen weiß. Genauso hat man das Gefühl, dass die Mennoniten-Brüder der kanadisches Gesellschaft etwas Einzigartiges geben können, ebenso der täu- ferisch - mennonitischen Gemeinschaft insgesamt wie auch den evangelikalen Protestanten in Kanada. Bestenfalls ist das Verständnis der kanadischen Menno- niten-Brüder für Mission voller Leidenschaft für ganzheitliche Spiritualität und für persönliche Frömmigkeit, in Verbindung mit einer tiefen Sorge für das phy¬ sische und soziale Wohlergehen der Nation und der ganzen Welt. Enoch und Grace Wong - Gemeindegründer Am 24. September 2000 feierten dreihundert Menschen aus den Pacific Grace Gemeinden in Erinnerung an zwanzig Jahre Gemeindeleitung durch Enoch und Grace Wong und an sechs Pacific Grace Gemeinden, die sie in British Columbia gegründet haben. Ganz richtig - sechs Gemeinden, die alle den gleichen Namen tragen, aber verschiedene Standorten haben: Burnaby, Port Moody (2), Van¬ couver, North Vancouver und South Vancouver. Die Feier fiel auf den fünfund¬ dreißigsten Hochzeitstag von Enoch und Grace und auf den fünfundsiebzigsten Geburtstag von Rev. Wong. Nachdem Enoch Wong das Hong Kong Alliance Bible Seminary 1962 abge¬ schlossen hatte, begann er seinen Dienst in der Cheung Chau Peak Alliance Gemeinde und der Scripture Union of Hong Kong. 1980 wurde Enoch Pastor der Pacific Grace Mennoniten-Brüdergemeinde in Vancouver, die damals noch 76 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-ßRÜDERGEMEINOE eine kleine Gemeinde mit dreißig Mitgliedern war. Pastor Wong organisierte die Aufgabenbereiche der Gemeinde neu, begann neue Gruppen, eine Sonntags- schule und „Evangeliumscamps“. Außerdem forderte er die Gemeinde mit einer Vision für Gemeindegründung und Mission heraus. Nach sieben Jahren war die Gemeine auf eme Mitgliederzahl von 155 herangewachsen. Das war jedoch nur der Anfang. Wong ging 1987 offiziell in den Ruhestand, seinen Platz nahm Rev. David Chan ein. Tatsächlich waren Enoch und Grace nur offiziell pensioniert. Sie halfen weiterhm bei der Gründung von Tochtergemein¬ den mit. Die Aussicht, dass Hongkong aus der britischen Verwaltung in die der Volksrepublik China übergehen würde, und das Tiananmen Massaker von 1989 führte zu einem großen Zustrom von chinesischen Einwanderern in die Region Vancouver. Es gab viele Möglichkeiten und die Wongs waren nur allzu bereit bei der Gründung der anderen fünf Gemeinden zu helfen. Eine der Hauptstärken von Enoch und Grace war, dass sie Bedeutung des Bibelstudiums betonten. In ihrem mehr als zwanzigjährigen Dienst in den Paci¬ fic Grace Gemeinden haben sie in unzähligen Gruppen das Bibelstudiums gelei¬ tet. Die Wongs engagierten sich auch sehr als Mentoren von Seminarstudenten und neuen Pastoren. Viele Mitglieder der sechs Pacific Grace Gemeinden wurden von den Wongs unterrichtet und betreut. Unter ihnen waren auch mindestens fünf Pastorenehepaare, die jetzt in verschiedenen Gemeinden und christlichen Organisationen arbeiten. Die Feier des zwanzigjährigen Dienstes von Enoch und Grace Wong endete mit ihren Zeugnissen. Grace war Krankenschwester in Hong Kong, bevor sie nach Kanada kam. Sie unterrichtete auch einige Jahre an einer Schule für Kran¬ kenschwestern. Sie sagte: „Ich bin stolz auf das, was ich in meiner Zeit als Kran¬ kenschwester geleistet habe. Aber die zwanzig Jahre im pastoralen Dienst sind viel unvergesslicher als achtunddreißig Jahre Arbeit als Krankenschwester. Die Fürsorge für die Seele ist mit Sicherheit wesentlich wichtiger als die Sorge allein für den physischen Körper.“ Joseph Kwan In: Everything a Season, 172 77 Die Mennoniten Brüdergemeinden in Mexiko^^ Hugo Zorrilla und Harold Ens O bwohl Mexiko und die Vereinigten Staaten Nachbarn sind, begann die Missionsarbeit in Mexiko nicht vor 1950. Isaac Goertz war der erste, der Interesse an solchen Vorhaben hatte. Er hatte Verwandte in den deut¬ schen Mennonitenkolonien, die von Kanada aus zwischen 1922 und 1927 einge¬ wandert waren. Sie gehörten zu der Alten Kolonie und den Sommerfelder Grup¬ pen, die ihre Existenz in den Staaten Chihuahua und Durango aufgebaut hatten. Von den Mennonitenkolonien zu der mexikanischen Bevölkerung: 1950-1960 Die Arbeit in den Mennonitenkolonien war nicht leicht. Vom MB-Treuhandaus- schuss wurde eine Farm in Nuevo Ideal, Durango gekauft, damit David H. Toews einwandern und Beziehungen zu den deutschen Mennoniten aufbauen konnte. Auch wurde eine Privatkiinik erworben, wo die Missionsarbeit von Edna Thies- sen 1950 begann. Dieser Dienst verlief nicht wie gehofft und es gab erheblichen Widerstand gegenüber der Arbeit von Missionaren, die als Gefahr für die Werte der Mennoniten der Alten Kolonie angesehen wurden. Obwohl die Missionare feststellten, dass die Mexikaner zugänglicher für das Evangelium als die Mitglieder aus der Alten Kolonie waren, so blieb die Arbeit unter den Mexikanern doch schwierig. Nicht nur waren die meisten Mexika¬ ner katholisch, sondern seit der Revolution 1914 hatte der mexikanische Staat auch die Einreise von Ausländern, dazu gehörten auch Missionare, stark einge¬ schränkt. Die Arbeit mit den Mexikanern verursachte gesetzliche Schwierigkei¬ ten, und 1953 wurden die Missionare aufgefordert mexikanisches Territorium zu verlassen. Um den Anweisungen der Regierung zu gehorchen und doch ohne recht¬ liche Konsequenzen unter den Mexikanern arbeiten zu können, gründeten die Missionare 1955 die Sociedad de la Amistad. Francisco Briones wurde zum Lei¬ ter der Organisation gewählt und in vielen Dörfern des Bundesstaates Durango 11 Der größte Teil des Materials in diesem Kapitel wurde zusammengestellt aus unveröffentlichten Manuskripten von Hugo Zorrilla, „Panama and Mexico“, und Harold Ens, „Forty Years of Change in .MB Mission, “ 2006. Mit Erlaubnis genutzt. Weiteres Material wurde von MBMSI bereitgestellt. 78 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE gab es kleine Gruppen von Gläubigen. Ein Bibelinstitut wurde gegründet, das bis zu 30 Studenten besuchten. Dieses Unterfangen versprach eine gute Zukunft für diese wichtige Arbeit. 1954 und 1955 gab es einen bemerkenswerten Anstieg in der Zahl der Pastoren, die durch den Missions- und Dienstausschuss (BOMAS) unterstützt wurden, darunter waren Anatoiio Amaya aus Nuevo Ideal, I. M. Ala- niz aus Piedras Negras, Coahuila, German Contreras aus San Miguel de Camargo, Santiago Galindo aus Pinos Altos, Manuel Soria aus Benito Juarez und Victor Gonzalez aus Esfuerzos Unidos. In diesem ersten Jahrzehnt wurde in den kleinen Städten evangelisiert. Das Bild das von diesem missionarischen Programm abge¬ geben wurde, war ein Bild der Fürsorge: Im amerikanischen Stil wurden Immo¬ bilien gekauft und Pastoren bezahlt. Das Institut musste letztendlich schließen, da Ausländer nicht unterrichten durften. Unglücklicherweise waren die Leiter in den Gemeinden aber noch nicht in der Lage die Verantwortung für die Gemeinde zu übernehmen. Anders lief es im Dienst von 1. M. Alaniz in Piedras Negras, Coahuila. Er kam aus einem methodistischen Hintergrund, nahm aber die Mennoniten Brü¬ deridentität an. Er arbeitet energisch an der Evangelisierung der Stadt und grün¬ dete eine aktive Gemeinde, während er direkt von BOMAS unterstützt wurde. Die Situation änderte sich, als die Missionsgesellschaft 1962 entschied Piedras Negras zu verlassen und es Pastor Alaniz offen ließ sich einer anderen Mission anzuschließen. 1959 und 1960 gab es keine Missionare, jedoch entwickelte sich die Arbeit in verschiedenen Städten weiter. Einige Missionare lebten in der Nähe der Grenze in den USA und übten ihren Dienst von dort mit vielen anderen evangelikalen Missionen aus. Vom Enthusiasmus zur Ablehnung: 1961-1970 Die Gesetze Mexikos zwangen Ausländer ihre Arbeitsweise zu verändern. Die Ausländer wussten nicht immer, wie sie sich in mexikanischem Territorium ver¬ halten sollten und konnten auch nicht ganz nachvollziehen, warum Ausländer eine offizielle Erlaubnis für die Arbeit in Mexiko brauchten. Auch die BOMAS wusste nicht genau, wie sie sich unter den Umständen, dass der Staat offiziell säkular war, aber sich eigentlich mit der katholischen und der Mestiza-Kultur identifizierte, verhalten sollte. Es musste eine weitere Organisation gegründet werden {sociedad civil), damit die Klinik weiter ihren Dienst tun konnte. Bald Di£ MENNONiTEN BRÜDERGEMEINDEN IN MEXIKO 79 schon verursachten unterschiedliche Interessen und andere Probleme Zwiespalt zwischen den Mitgliedern dieser Gesellschaften. 1963 wurde die Konferenz der Evangelikalen Gemeinden der Mennoniten Brüder in Mexiko gegründet und 1964 übergab die BOMAS die missionarischen Angelegenheiten an die mexikanische Konferenz. Die Arbeit breitete sich in vie¬ len weiteren Dörfern und verschiedenen Bundesstaaten aus. Jedoch blieben die Koordination und die gesunde Entwicklung der Arbeit schwierig. Eine weitere strategische Änderung in der Missionsphilosophie hatte zum Ziel die Mission in die Städte zu tragen. 1961 begannen Dan und Eleanor Pet- ker eine Arbeit in der Stadt Durango und vier Jahre später in Monterrey. 1968 begannen zwei Missionspaare, Willi und Betty Heinrichs und Richard und Delo- res Wiens, eine Arbeit in Guadalajara. Die angestammten Mennonitenkolonien zeigten nicht besonders viel Inter¬ esse an den Missionsvorhaben. Die mexikanischen Gemeinden waren über ein groiks Gebiet zerstreut, das die Bundesstaaten Tamaulipas, Neavo Leon, Coa- huila, Durango und sogar Jalisco umfasste. Weder war die Arbeit gefestigt, noch war ein mexikanisches Programm für Bibeltraining entwickelt. Ohne eine starke, gut ausgebildete Leiterschaft war die Arbeit erfolglos. Die Mennoniten konnten ihre Pläne nicht umsetzen. Es stellt sich die Frage, warum Guadalajara für die städtische Arbeit ausge¬ wählt wurde? Vielleicht wollte die BOMAS eine Arbeit in Mexiko beginnen, die weniger fremdunterstützt war. Vielleicht war es auch eine Antwort auf die frust¬ rierenden Erfahrungen der ersten Jahre im Norden. Es schien, dass BOMAS nach und nach ihre klare Richtung verlor. Die Missi¬ onare waren über eine große Region verteilt, was die Zusammenarbeit und den Wachstum der Gemeinden unmöglich machte. 1969 wurde die Klinik in Nuevo Ideal geschlossen und BOMAS, das vor vielen Konflikten und Spannungen stand, entschied die Missionare abzuziehen und Mexiko zu verlassen. Ein neuer Anfang: 1970-1983 Die Arbeit in Guadalajara gab der Mission neues Leben. Leslie und Erlene Mark arbeiteten viele Jahre lang mit einem sensibleren Ansatz in Mexiko, indem sie die Einzigartigkeit der mexikanischen Kultur berücksichtigten. Sie wurden Missio¬ nare bei BOMAS und ihre Erfahrung ermutigte und stärkte die Familie Wiens, die in Mexiko geblieben war. 80 DIE GESCHICHTE DER MEN NON ITEN-BRÜDERGEMEINDE Einige Zeit lang war die La Unida Gemeinde kennzeichnend für dieses andere Modell des Mennonitenzeugnisses in Guadalajara. Später wurden weitere Mis¬ sionare nach Guadalajara gesandt, aber diese blieben nicht lange. Juan Arjona, Dale Braum, Heidy Reimer und Walter und Amelia Preza brachten ihre Talente ein und das Ergebnis waren zwei Gemeinden in Guadalajara: La Unida und El Camino. Andauernde Unsicherheit: 1984-2002 1990 gab es zwei Gemeinden in Guadalajara und eine in Queretaro, aber es exis¬ tierte keine nationale Mennoniten Brüderkonferenz oder Organisation. Mindes¬ tens drei Ansätze missionarischer Arbeit wurden aber in Mexiko weiterverfolgt: BOMAS in Guadalajara, California Ministries, die sich auf Baja California aus¬ richteten und drittens (in Zusammenarbeit mit BOMAS) Anstrengungen über die Grenze hinaus aus Texas Obwohl es ca. 200 MB-Mitglieder 1990 in Mexiko gab, waren sie auf zehn Gemeinden und in vier verschiedene Bundesstaaten verteilt; Baja California, Jalisco, Queretaro und Tamaulipas. Während der 1990er Jahre wurden einige weitere Versuche unternommen MB-Gemeinden in anderen Städten zu gründen. Ein mexikanisches Ehepaar aus Guadalajara zog in die Stadt Leon und konnte dort eine Gemeinde gründen. Eine Zeit lang halfen em MB-Missionspartner und eine Vielzahl an Kurzzeitteams diesem Vorhaben, aber die Gemeinde wurde, unstabil als der Pastor ging. Ein weiteres mexikanisches MB-Ehepaar aus Gua¬ dalajara zog aus beruflichen Gründen in die Stadt Queretaro und startete einen Bibelkreis, der das Potential hatte sich zu einer Gemeinde zu entwickeln. Ein MBMSI-Ehepaar mit Erfahrung aus Kolumbien wurde ausgewählt um die Arbeit zu übernehmen. Sie waren für eine Zeit erfolgreich, aber letztendlich schrumpfte die Arbeit wieder. Drei kleine Gemeinden entsprangen den Evangelisationsbe¬ mühungen von Gemeinden aus Texas an der Grenze. Es entstanden auch drei Gemeinden in Baja California, aber Schwierigkeiten führten zur Auflösung dieser Gemeinden bis zum Jahr 2000. Das weite Territorium, die kulturelle Begrenztheit der Missionare, die geringe Anzahl an Leitern im Dienst und das Fehlen eines Trainingsprogramms für Leiter, machten die Koordination der Arbeit in Mexiko kompliziert und oft kurzlebig. 1992 wurden Robert und Anne Thiessen von der St. Anns Community Gemeinde in Ontario in den Süden Mexikos ausgesandt, um dort unter der uner¬ reichten einheimischen Bevölkerung zu arbeiten. Die Thiessens verbrachten ihre DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN MEXIKO 81 ersten drei Jahre damit, die Sprache zu lernen und die Kultur zu verstehen. Die darauffolgenden Jahre verbrachten sie in drei Regionen an der Grenze zum Stam¬ mesgebiet der Mixtec-Indianer. Das Lernen war weiterhin die oberste Priori¬ tät, daraus folgte der Segen, dass sie das Evangelium in der Sprache der Einhei¬ mischen weitergeben und einige Leiter bis hin zur selbstständigen Jüngerschaft schulen konnten. Ein paar Gemeinschaften entstanden in der Region Guerrero, in dem Staat, in dem die Thiessens lebten, meistens durch die Migration der Men¬ schen auf der Suche nach Arbeit und die dadurch entstehenden Kontakte zur spa¬ nischen Gemeinde, Die Mixtec warteten immer noch auf das Neue Testament in ihrer Sprache, weil sie zu diesem Zeitpunkt nur das Lukasevangelium hatten. Die kleine Anzahl an Gemeinden unter den hunderttausend Mixtecs von Guerrero war einer dominanten spanischen Kultur ausgesetzt und hatte Schwierigkeiten zu verstehen, dass Gottes Offenbarung durch ein fremdes Medium präsentiert wird. Das verdrehte ihre Reaktion und deswegen vervielfältigten sich nur wenige die¬ ser Gemeinden. Dieses Volk ist immer noch sehr traditionell animistisch mit ein paar römisch-katholischen Einflüssen. Sie nahmen die evangelikale Gemeinde nicht gut auf. Die Thiessens aber blieben dort und entdeckten Wege das Evange¬ lium zu leben und weiterzugeben. Das Nettoergebnis ist, dass im Laufe von mehr als fünfzig Jahren mehr als ein Dutzend örtlicher Gruppen von MB-Gläubigen durch die Vorhaben der MB- Mission entstanden sind. Trotzdem wurden nur wenige wirklich bodenständig mit örtlich unterstützen mexikanischen Leitern. Sogar die, die eine Zeit lang eta¬ bliert waren, zerfielen allmählich, bis es nur noch zwei oder drei Gemeinden gab, die man als organisierte MB-Gemeinden bezeichnen könnte. Eine neue Vision: 2001-2010 2001 - 2002 wurde gemeinsam von ICOMB- und MBMSI-Vertretern die MB- Arbeit in Mexiko überprüft. Die Vision für eine stärkere MB-Konferenz in Mexiko resultierte 2003 in der Sendung von einem Missionarsteam nach Gua¬ dalajara mit dem Auftrag, dort eine Gemeinde für die Mittelschicht zu grün¬ den, und wurde von großen Bemühungen, Leiter auszubilden, begleitet. 2005 schlossen sich Trevor und Joan Godard dem Team an, die altgediente Missionare aus Kanada mit Erfahrungen aus Kolumbien waren. Später kamen noch Jennifer Schmidt und Sandra Plett dazu. Ihr Vorsatz war es, ein Missionstrainingszentrum für mexikanische Jugendliche und junge Erwachsene aus anderen lateinameri¬ kanischen Ländern zu gründen. Heute leben die Bemühungen für Gemeinde- 82 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE gründung, Jüngerschaft und das Training von Leitern wieder auf. Die Arbeit hat weiterhin ihr Zentrum in Guadalajara, von wo aus Evangelisten und Gemeinde¬ gründer in der Umgebung arbeiten. Heute ist die Mennoniten Brüdergemeinde in zwei Regionen Mexikos aktiv: in der nordöstlichen Ecke des Bundesstaates Tamaulipas und Coahuila (an Texas grenzend); und im westlichen Bundesstaat Jalisco in der Stadt Guadalajara. Guadalajara wird als eine der wichtigsten Städte der Nation angesehen. MBMSI hat drei Gemeinden gegründet, die sich weiterentwickeln. Die RETO International Church, vorher als United Church of Guadalajara bekannt, war die erste Gemeinde, die MBMSI gegründet hatte, und wird momentan von Alfredo Beltran aus Kolumbien geleitet. Die Gemeinde wird durchschnittlich von über fünfzig Menschen am Sonntag besucht. Die Good Shepherd Church wurde vom MBMSI Missionar Walter Preza gegründet, der durch Emilio Iniguez ersetzt ^^'urde. Sie fuhren zwei Gottesdienste mit etwa vierzig bis fünfzig Besuchern durch Die dritte Gemeinde, die gegründet wurde, ist House of God und entstand unter der Leitung des verstorbenen Ben Wedel. Bens Vision, eine Gemeinde in dieser Nachbarschaft zu gründen, lebt weiter und entfacht eine neue Erweckung in der Gemeinde. Das House of God wird derzeit von Pastor Ismael Ramirez geleitet und hat über siebzig Mitglieder. Es gibt zwei Gemeinden in Tamaulipas: eine in der Stadt Reynosa und die andere in einem Dorf, das Maguelles heißt. Diese Gemeinden haben Pastoren und sind dabei als etablierte Gemeinden anerkannt zu werden. Die Gründung dieser Gemeinden in den frühen 1970ern war das direkte Ergebnis der von Gott inspirierten Arbeit der Mennoniten Brüder im südlichen Texas, insbesondere der texanischen Mission in La Grulla. Die Gemeinde in Maguelles ist in einem länd¬ lichen Gebiet und besteht aus fünfzehn bis zwanzig Mitgliedern. Die missionarischen Bemühungen der MBMSI zeigten sich auch in einer Gemeinde ün Bundesstaat Coahuila, in der Stadt Piedras Negras, nahe der Grenze zu Eagle Pass, Texas. Durch den Tod von Pastor Alaniz musste die Gemeinde durch eine schwierige Zeit gehen und wird im Moment von seiner Tochter Esme¬ ralda und ihrer Familie geleitet. Sie beten dafür, dass sich diese Gemeinde auch festigen kann. Die MB-Gemeinde in Mexiko schemt in eine neue Ära einzutreten. Es gibt eine erneuerte Hingabe zur Arbeit und den starken Glauben, dass Gott Gelingen dabei schenken wird und dass die Gemeinde in Anzahl und Reife wachsen wird. 83 Die Mennoniten Brüdergemeinden in Panama^^ Hugo Zorrilla und Harold Ens D ie erste Mennoniten Brüdergemeinde in Panama entstand als eine Aus¬ weitung der frühen Missionsarbeit unter den Choco-Indianern in Kolum¬ bien. Zwischen 1955 und 1957 begannen Jacob Löwen und David Wirsche in Kolumbien linguistische Arbeiten mit den Wounaan Indianern des Choco. Das Ziel war die 20000 Chocoes zu evangelisieren, die dann begannen nach Panama einzuwandern, wo sich schon 4000 ihrer Landsleute angesiedelt hatten. Weil die katholische Kirche“ laut der Konkordate mit der kolumbianischen Regierung die Choco-Region als „Missionsterritorium, für sich beansprucht hatte, wurden die protestantischen Missionare an der Arbeit gehindert. Neue Möglichkeiten für die Arbeit entstanden, als die Indianer in die Darien in Panama einwanderten. Löwen und Wirsche begannen Evangelisationsbemühungen entlang des Jaque- Flusses. Die Geschichte ihrer frühen Arbeit wird beschrieben als ein Missions¬ ansatz der „nicht-sesshaften Missionare“. Nach einigen Überlegungen des Ausschusses für Mission und Dienst (BOMAS) erfolgte die Arbeit in Panama ohne Sorge um eventuelle Grenzüber¬ schreitung zwischen den zwei Ländern. 1957 begannen Gespräche mit zwei Mis¬ sionsgesellschaften, nämlich der Four Square und der New Tribes Mission, die schon in den Darien arbeiteten. 1959 schließlich führten die Löwens und Wir¬ sches einen Alphabetisierungskurs mit einer Gruppe Freiwilliger der Wounaan- und Embera-Stämme in den jeweiligen Sprachen Wounmeu und Embera durch. Das verlieh diesen ein Gefühl von Würde, denn sie konnten jetzt sowohl in ihren eigenen Sprachen als auch in Spanisch lesen und lernten in diesem Prozess auch die Bibel kennen. Die Notwendigkeit für ein christliches Zeugnis unter den schwarzen Panamaern zeigte sich auch in Dörfern wie die am Fluss Jaque und den Darien, wo 1961 eine Gemeinde entstand. Von dort aus breitete sich das Evange¬ lium in die Wounaan-Gemeinschaften bei den Chitola- und Tuira-Flüssen aus. Jacob Löwen begann sofort an der Übersetzung vom Markusevangelium zu arbeiten, während David Wirsche ein Pilotprogramm für die Alphabetisie¬ rung unter den erwachsenen Indianern startete. Bemerkenswerterweise hatte die 12 Dergrößte Teil des Materials in diesem Kapitel wurde zusammengestellt aus dem Material in unveröifentlich- ten Manuskripten von Hugo Zorrilla, „Panama and Mexico“ (n.d), und Harold Ens, „FortyYearsof Change in MB Mission“, 2006. Mit Erlaubnis genutzt. 84 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Arbeit in Panama von Anfang an einige sehr besondere Charakterzüge. Auf der einen Seite trat die BOMAS nicht als Schirmherrin an diese Arbeit heran, viel¬ leicht weil die Missionsstrategie auf eine Zielgruppe der Bevölkerung ausgerichtet war, deren Kultur fast unbekannt war. Auf der anderen Seite stand die Regierung Panamas misstrauisch allen Amerikanern gegenüber, da die Kanalzone als Sym¬ bol für den amerikanischen Kolonialismus angesehen wurde und die einheimi¬ schen Leiter ein wachsames Auge auf alles hatten, was die Autonomie der Dar- ien-Kultur hätte beeinflussen können. Vorangegangene Versuche hatten die Basis für eine einheimische und weniger schirmherrschaftliche Missionsarbeit gelegt, in der Indianer aktiv in der eigenen Kultur wirkten. Darüber hinaus hatte das spanische Alphabetisierungsprogramm der Regierung keinen wirklichen Erfolg, vielmehr entfremdete es die Indianer von ihrer eigenen Kultur. Die Missionare hatten einige Lektionen aus ihren früheren Erfahrungen in Kolumbien gelernt. Man beantragte und erhielt die Genehmigung von der Regie¬ rung Panamas für ein Alphabetisierungsprogramm, das die einheimischen Kul¬ turen nicht zerstören würde. Das Alphabetisierungs- und Lehrprogramm führte die Missionare dazu eine Gruppe von Leitern auszubilden, die dann Lehrer in ihren eigenen Dörfern wurden. Tatsächlich blieben die Missionare weder lange in der Region, noch errichteten sie eine schirmherrschaftliche Beziehung zu den Menschen der Darien. Somit verfolgte die Missionsarbeit einen kulturell und anthropologisch sensibleren Ansatz, welcher auf der Annahme gründete, dass die Einheimischen bestmöglich für die Arbeit in ihrem eigenen Volk ausgestat¬ tet werden sollten. Dieses sehr einfache und elementare Prinzip war in anderen Ländern ignoriert worden. Aufgrund dieses spezifischen Charakters der Missi¬ onsarbeit blieb der Dienst der Missionare spezialisiert und begrenzt. Die Anwe¬ senheit der Missionare in den Dörfern war mehr beratender Natur und ein Ver¬ such die Sprache zu lernen. Das Programm, in dem den Indianern das Lesen der eigenen Sprache beige¬ bracht wurde, startete mit biblischen Geschichten. Unter den Studenten befan¬ den sich David Rano, Arnovio Salio, Maurico Panezo, Cornelio Cabrera, Aure- liano Sabugara, Serapio Tacomo, Carpio Dorisaben, Elicio Caisano, Lorenzo Paripari, Daniel Osorio und Jesus Reyes. Diese Menschen repräsentierten die Gemeinschaften Jaque, Yaviza, El Mamey, Lucas und Einwanderer in Noanama aus Choco, Kolumbien. 1960 kam Aureliano Sabugara, ein Leiter aus Jaque, nach Hillsboro, Kan¬ sas, um Jacob Löwen dabei zu helfen die Übersetzung des Markusevangeliums und von Apostelgeschichte 1-15 Korrektur zu lesen und zu überarbeiten. Als er DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN PANAMA 85 zurückkam, gründete er als Leiter eine Gemeinde mit dreiunddreißig Gläubi¬ gen. Die Gemeinde sandte Missionare nach Kolumbien um andere Indianer zu erreichen. Viele Familien waren von Choco in die Darien eingewandert und konnten jetzt mit dem Evangelium erreicht werden, z. B. die neunzehn Wounaan-Fami¬ lien, die sich an den Ufern des Chitola Flusses niedergelassen hatten. Eine weitere Gemeinde entstand dort durch das Zeugnis der Gläubigen aus El Mamey und des Missionars Glenn Prunty. 1962 erwachte, dank des Dienstes der Pruntys, ein Verlangen nach Evangeli¬ sation der lateinamerikanischen und schwarzen Panamaer in spanischer Sprache. Unter der Leitung von Einheimischen breitete sich die christliche Gemeinschaft in Orten wie Chitola, Lucas und El Mamey aus, die Schulen und vier Lehrer hat¬ ten. 1964 zeigten Aureliano Sabugara und Jesus Reyes Interesse an Leiterschafts¬ training, in der Hoffnung selbst Übersetzer zu werden. Zu diesem Zeitpunkt traf der Missionar Jim Harrison ein, um im Lehreraus¬ bildungsprogramm in der Region von Jaque mitzuhelfen. Die Jugendlichen ver¬ ließen ihre Dörfer, um in Panama City eine bessere Ausbildung zu erlangen. Hier beaufsichtigte und half Jim Harrison Jugendliche wie Chindio Pena, die sich den Schwierigkeiten einer anderen Kultur gegenübergestellt sahen. Neue Studenten wie Jorge Pedroza, Galigo Ismare, Comelio Cabrera und Gaitan Chamarra wur¬ den in das Lehrerausbildungsprogramm aufgenommen. Geistlicher Kampf „Eines Tages hatten sich zwei Indianergruppen in einem Haus versammelt. Der Medizinmann lud traditionelle Geister zu einer Feier mit Schnaps und Essen ein. Dadurch besänftigt würden sie vielleicht zwei Jugendlichen aus dem Dorf auf ihrer Reise zu einer weit entfernten Gemeinschaft Gunst erweisen. Eine andere Gruppe, die aus christlichen Gläubigen bestand, versammelte sich um eine alte Frau aus der Siedlung. Abuelita litt unfassbar stark an akutem Darmverschluss. Alle menschlichen Mittel waren fehlgeschlagen. Die benötigte Operation war nicht verfügbar. Vorangegangene Gebete blieben unbeantwortet, also versam¬ melten wir uns in konzentrierter Fürbitte um sie, das Ende ihrer Reise erwartend. Der Gesang des Medizinmanns machte Abuelita unruhig. Als seine Bitten inten¬ siver und lauter wurden, wurden auch ihre Krämpfe zahlreicher und qualvoller. Und wir beteten noch inbrünstiger. Plötzlich endete die Zeremonie. „Die Geister wollen nicht kommen! Ein anderes Mal?“ Genauso unerwartet lag Abuelita 86 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE entspannt und still da. War sie dahingeschwunden? Nein sie schlief nur! Noch jahrelang ehrte sie Gott mit ihrem Zeugnis und immer folgte dankbarer Lobpreis. “ Herta Voth 1969 war es unklar, wie die Arbeit in Panama fortgesetzt werden sollte. Es gab weniger Missionare und sie hatten wenig Entscheidungskraft und führten nur noch gelegentliche Besuche durch. Die einheimischen Leiter dagegen erschlossen neue Arbeitsfelder, bauten Häuser und bewegten sich ganz frei in ihrer Umge¬ bung. BOMAS sah Panama daher nicht als ein normales Missionsfeld an. Viel¬ mehr wurde es als eine Erweiterung zur Arbeit in Kolumbien gesehen. Vielleicht war das der Grund dafür, dass zu diesem Zeitpunkt Missionare aus Kolumbien die Darien besuchten und beschlossen, dass die Arbeit in Panama mit kolumbia¬ nischen Pastoren durchgefuhrt werden sollte. Glücklicherweise trat dies nicht ein und die Arbeit in den Darien wurde weiterhin von den Wounaan- und Embera- Leitern fortgesetzt. Die Beziehung zwischen der BOMAS und dem Missionar Prunty, der in vielerlei Arten einen Pionier in der Evangelisationsarbeit in den Darien darstellte und jetzt mit der BOMAS als unabhängiger Missionar arbeitete, blieb ebenfalls Undefiniert. Die Agenda für Panama im Jahrzehnt ab ca. 1970 bestand in einem ganzheitli¬ chem Evangelisationsansatz, sowohl in der Fortführung des Bildungsdienstes für Erwachsene, der Lehrerausbildung, der Übersetzung und des Bibelunterrichts, als auch in der Entwicklung der sozio-ökonomischen Basis. Außenseiter (Auslän¬ der?) sollten nicht entscheiden, was zu tun war, sondern sahen ihre Mission darin zu dienen und den nationalen Leitern zu assistieren. In diesem Sinne agierte auch das Missionsfeldkomitee. Die Arbeit von Jacob Löwen und David Wirsche wurde durch die Ankunft von John und Janice Goertz unterstützt. 1971 begann Chindio Pena damit, verschiedene Bücher des Neuen Testa¬ ments zu übersetzen. Er revidierte auch das Wounaan-Wörterbuch. Einheimi¬ sche Leiterschaft entwickelte sich nachhaltig in beiden Kulturen der Darien. Inte¬ ressierte Personen und Organisationen halfen finanziell bei der Entwicklung von Projekten unter den Indianern. 1970 wurde die United Evangelical Church (lEU) in Panama ansässig. Neue Gemeinden wurden von Leitern wie zu Beispiel Hugo Chamarra, Agustin Mem- bora und Albenico Puchicama in Vuelta Grande, Galigo Ismare und Tono Pena in Arusa, Chindio Pena, Edgart Chamarra, Leustriano Mepaquito und Eun- tio Cheucarama in Chitola, Leru Pena und Fabio Teucama in Maje, Aureliano Sabugara und Alirio Osorio in El Mamey, Maximilo Zarco und Agustin Zarco DiE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN PANAMA 87 in Lucas, Abel Genguimia in Bidoquera aufgebaut. 1971 hielten die Gemein¬ den ihren ersten Kongress in Chitola mit Chindio Peha als ihrem Präsidenten ab. Bei diesem Kongress verabschiedete die Gemeinde einen Zehnjahresplan, in dem einheimische Grundschullehrer für die Gemeinschaften in Wounaan und Embera ausgebildet werden sollten. John und Janice Goertz entwickelten das Material, hielten Seminare und förderten den Prozess. Die United Evangelical Church lud Hertha Voth, die viel Erfahrung aus Choco, Kolumbien hatte, ein, um ihnen mit einem Gesundheitsprogramm zu helfen. Die Familie Goertz, zusammen mit Agustin Membora und Chafil Cheu- carama, bereiteten weiterhin alttestamentliche Geschichten in der Wounmeu- Sprache vor. Es gab noch viel zu tun in dieser Kultur, vor allem weil 75 % der Wounaan aus den Dschungeln Chocos in Kolumbien in die Darien in Panama eingewandert waren. Zwei Dinge fallen im Bezug auf den Fortschritt der Wounaan- und Embera- Kulturen auf. Erstens, war die Beziehung der Missionare zu den nationalen Lei¬ tern von Vorsicht und Dienstbereitschaft gekennzeichnet. Sie vermieden einen kolonialen oder schirmherrschaftlichen Ansatz, im Gegensatz zu dem, wie es in vielen anderen Kulturen gelaufen war. Der Dienst, den John und Janice Goertz und Harold und Helen Ens, die 1978 dazu kamen, ausübten, war respektvoll und geprägt von brüderlichem Dialog mit den Indianern. Sie stellten sich selbst zur Verfügung, indem sie die menschliche Entwicklung und christliche Integri¬ tät unter den Menschen der Darien förderten. Zweitens stellte sich heraus, dass, während das Lehrerausbildungsprogramm durchgeführt und verbessert wurde, auch die Übersetzungen in den zwei Sprachen neben der spanischen genutzt wur¬ den. Daraus folgte schließlich, dass die Menschen ihre verlorene Identität wieder entdeckten und im Evangelium einen Plan für ihr Leben sahen, und das ließ sie stolz auf ihre Kultur sein. Das ermutigte sie dazu, zwei Institute zu gründen um ihr eigenes Volk in den Sprachen Wounmeu und Embera zu unterrichten Die Veröffentlichung des Neuen Testaments in Wounmeu war zweifellos ein grundlegender Wendepunkt im Leben der Gemeinde. Sie wurden von den Panamaern und den Gläubigen in Zentralamerika bewundert und sie erhielten Anerkennung dafür, dass sie ein Volk waren, das seine Hindernisse überwinden konnte. Aber die mühsame Arbeit der Übersetzung von Materialien und Bibelge¬ schichten ging weiter. Neben der Übersetzung des Neuen Testaments in Woun¬ meu, musste es auch in der Embera-Sprache zugänglich gemacht werden. Diese Materialien halfen ungemein, das Evangelium unter der einheimischen Bevöl¬ kerung zu verbreiten. 88 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEME!NDE Die verschiedenen Dienstbereiche wurden auch auf andere Gemeinschaften ausgeweitet und manche Gemeinden sandten Missionare aus, um die Indianer, die noch in Choco in Kolumbien lebten, zu evangelisieren. Glaubensgemein¬ schaften entstanden an neuen Orten wie zum Beispiel Canaan, Sinai, Copeti, Aruza, Pefla, Pena Vijagual, El Salto, La Caleta, Comunidad de los Monos, Puerto Lara, Maje und Plantanares. Wahrend der Zeit, in der Harold und Helen Ens in Panama arbeiteten, koor¬ dinierten sie die Entwicklung von Projekten, die durch die MBM/S genehmigt waren und von der kanadischen Regierung finanziert wurden. Damit wurde die Erbauung eines Studentenzentrums, das Stipendien für die Berufs- und Schul¬ ausbildung der Jugendlichen der Wounaan und Embera vergab, und Programme zur Förderung des Gesundheits- und Landwirtschaftswesens der Dörfer unter¬ stützt. Sie taten ihre Arbeit in Zusammenarbeit mit der Leitung der anerkannten United Evangelical Church. Jährliche Versammlungen mit den Menschen aus unterschiedlichen Dörfern wurden zum Forum für die Beteiligung an den ver¬ schiedenen Entwicklungsphasen der Projekte. Bildung war von Anfang an ein großer Bestandteil der Mennoniten Brü¬ dermission in Panama. Die zehn Dorfgemeinden wurden gebeten einen jungen Mann auszuwählen, den sie nach Panama City für eine Handwerksausbildung in einer staatlichen Berufsschule schicken würden. Ende 1978 lebten zehn Män¬ ner in einem alten Haus auf dem Grundstück von Juan Diaz und besuchten den Unterricht. Ein panamaischer Bauunternehmer, der auch Lehrer an der Berufs¬ schule war, überwachte den Bau des neuen Studentenzentrums. Die zehn Studen¬ ten leisteten den größten Teil der Arbeit beim Bau. Mittels der Fertigkeiten, die sie in der Schule gelernt hatten, errichteten sie in der ersten Phase drei Apparte¬ ments im Betonblockbau. Ein Jahr später bauten sie sieben weitere Appartements auf dem Grundstück von Juan Diaz und erfüllten damit den ursprünglichen Plan für den Bau des Studentenzentrums. Viele Studenten aus den Darien-Dörfern lebten in den nächsten zwanzig Jahren in diesen Appartements, während sie ihren Schul-, Bibelschul- oder sogar Universitätsabschluss machten. Da es eine Mittelschulausbildung in der Darien-Handelsstadt Yaviza gab, beantragte die Gemeinde Hilfe bei der Errichtung eines weiteren Studentenzent¬ rums dort. Die Finanzierung wurde gesichert und das Grundstück gekauft. Jorge Pedroza diente als Vorarbeiter in der ersten Phase des Baus. Er war darüber hin¬ aus in der gleichen Rolle bei vielen anderen Phasen der Bauunternehmungen in Yaviza tätig, nicht nur beim Bau des Studentenzentrums, sondern auch beim Bau einer berufsbildenden Werkstatt und einer Tuberkulose-Klinik. In einer späteren DIE MENNONiTEN BRÜDERGEMEINDEN IN PANAMA 89 Phase wurde ein weiteres Gebäude beim Zentrum in Juan Diaz gebaut, das Raum für Büros, Gästezimmer und einen großen Versammlungsraum bot. Wahrscheinlich waren die ansprechendsten Bildungsstipendien aus dem Paket der Entwicklungsprojekte diejenigen, mit denen Wounaan* und Embera- GrundschuUehrer für die Arbeit in ihren Dörfern ausgebildet wurden. Die Alpha¬ betisierungsarbeit der Pioniermissionare in Panama führte mit Hilfe der pana¬ maischen Regierung zum Bau von Schulen für Kinder in den Dörfern. Bis 1978 gab es fast in jedem Dorf eine Schule, wobei die Ergebnisse allerdings mager aus¬ fielen. Panamaische „Latino“-Lehrer wurden an diese entlegenen Orte geschickt, obwohl sie wenig oder gar nichts über die Kultur und Sprache der Indianer wuss¬ ten. Sie waren oft von Einsamkeit und Krankheit geplagt und verbrachten wenig Zeit während des Schuljahrs im Klassenraum. Die Kinder hatten sogar Schwie¬ rigkeiten zu lesen und waren schlecht für die Mittelschule m Yaviza vorbereitet. Der lEU-Kongress suchte jedes Jahr junge Männer und Frauen aus den Dör¬ fern der Wounaan und Embera aus um sie schulisch für das Unterrichten auszu¬ bilden, indem sie die Stipendien der Projektfinanzierung benutzten. Die meisten gingen als Lehrer zurück in die Dörfer der Darien, obwohl einige es auch in die Wirtschaft, Politik und andere Leitungspositionen führte. Durch diese Bemühun¬ gen wurde die GrundschulausbÜdung in den Dörfern stark verbessert. In den ersten Jahren der Entwicklungsprojekte besuchte John Goertz Panama mehrmals im Jahr, um Seminare für Gemeindeleiter durchzuführen. Das half den Dienst gut auszubalancieren. Dennoch schien es so, als ob in dem Moment, wo seine Besuche aufhörten, der soziale Dienstaspekt der starken Entwicklungspro¬ jekte die geistliche Leidenschaft und evangelistische Vision der Dorfgemeinden ersticken könnte. Harold Ens begann daraufhin einen Teil seiner Zeit damit zu verbringen, Pastoren zu unterstützen und regelmäßig Seminare für Gemeinde¬ mitarbeiter in den Dörfern durchzuführen. Agustin Membora, der ein hingegebener Wounaan-Pastor war, war der erste, der eine formale theologische Ausbildung am Baptistenseminar in der Nähe von Panama City begann. Narciso Pacheco, vom Embera-Zweig der Gemeinde, schloss sich ihm am Seminar an und beide absolvierten dort. Später wurden beide aktiv in den „United Campaigns“ in den Dörfern der Darien. Diese beinhalteten eine evangelistische Komponente, die Agustin und Narciso leiteten, eine Kompo¬ nente für Gesundheit und TuberkuiosekontroUe, die von einem der ausgebilde¬ ten Gesundheitsarbeiter des Dorfes geleitet wurde, und eine landwirtschaftliche Komponente. Auf diese Kampagnen folgte die Gründung von mehreren neuen Dorfgemeinden. 90 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Das Training der neuen und bestehenden Gemeindemitarbeiter für die lEU wurde auf verschiedene Art und Weise fortgesetzt. Mindestens einmal im Jahr bot Ens ein einwöchiges Seminar über Bibelauslegung, Predigen oder anderen Themen an, das entweder im Juan Diaz- oder Yaviza-Zentrum durchgeführt wurde. Mehrere junge Leiter besuchten das Baptistenseminar. Dann, ab 1983, wurde das Trainingsprogramm einer läuferischen Außenstelle in Guatemala, das als SEMILLA (Latin American Anabaptist Seminary) bekannt war, zu einem wichtigen Teil in der Vorbereitung neuer Gemeindeleiter. Damit traten diese Brü¬ der in Verbindung mit der allgemeinen Welt der Mennonitenfamilie. Mit der Möglichkeit Kurse in den Darien-Instituten durchzuführen eröffneten sich neue Horizonte. Im Zentrum in Juan Diaz in Panama City kamen viele Studenten zusammen, die sich Wissen im Bereich der sozialen Entwicklung aneigneten, welche in den Gemeinschaften der Darien angewandt werden könnten. Diese Trainingseinheiten wurden alle in Spanisch durchgeführt. 1985 ent¬ stand die Vision für Dorfbibelschulen auf einem Grundlagenlevei in den zwei einheimischen Sprachen. Diese Schulen sorgten für eine Grundlagenausbildung, die mehr den frühen Methoden der Pionier-Mennoniten Brüdermissionare in Panama glich. Der öffentliche Gesundheitsaspekt der Entwicklungsprojekte wurde ebenso weitergeführt. Die kanadische Krankenschwester, Herta Voth, spielte bei diesem Vorhaben eine sehr wichtige Rolle. Herta erkannte Gott als den Heiler an und sah Medizin nur als eines der Werkzeuge dafür. Sie betete immer, bevor sie eine Injek¬ tion machte. Mehrere junge Männer wurden gewählt, um für die Koordination des Gesundheitsprogramms in staatlichen Programmen ausgebildet zu werden. Zusätzlich zu den allgemeinen Gesundheitssorgen, war es das vorrangige Ziel des Programms das Auftreten und die Verbreitung von Tuberkulose, die in den Embera- und Wounaan-Dörfern häufig vorkam, zu kontrollieren. In der ersten Zeit reisten Herta und die Gesundheitsarbeiter zu den Dörfern, um Tuberkulose zu identifizieren und zu behandeln. Da die Behandlung langfristige Medikation benötigte und dieser Ansatz kaum Folgebehandlungen gewährleisten konnte, waren sie nicht wirklich erfolgreich. Das führte zum Bau der Tuberkulose-Kli¬ nik beim Yaviza-Gemeindezentrum. Daneben wurden auch ein paar Häuser im Indianerstil errichtet. TB-Patienten wurden dann nach Yaviza gebracht und blie¬ ben in den ersten ein oder zwei Monaten der Behandlung zur Beobachtung im Zentrum. Dies führte zu einer größeren Heilungsrate und bot mehr Möglichkei¬ ten für den geistlichen Dienst an den Patienten während ihres Aufenthalts im DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN PANAMA 91 Zentrum. Andere MBM/S-Missionskrankenschwestern führten diesen Aspekt nach ihrer Abreise fort. Die landwirtschaftliche Komponente brachte einigen Erfolg, jedoch änderte sie nicht grundlegend die landwirtschaftliche Praxis der Dorfbewohner. Am Anfang lag der Fokus auf einer besseren Vermarktung der Plantain, einer Art Kochbanane. Ein Mangel an Kommunikation mit den Dorfbewohnern war ein großer Grund für den Verlust eines Großteils ihrer Produktion, bevor es auf den Markt in der Stadt kommen konnte. Deshalb führte man eine Kommunikations¬ technologie ein, die das Problem löste. Mit diesem neuen Kommunikationsmittel wurde sowohl die Vermarktung der Produktion, als auch die Kommunikation in anderen wichtigen Situationen verbessert. MBM/S-Arbeiter Angus und Lavern Platt schlossen sich der Leitung an und versuchten neue Methoden des Ackerbaus in den Dörfern einzuführen. Man baute einige Farmen, die neues Saatgut, Bepflanzungstechniken und Viehhaltung einsetzten. Obwohl diese Farmen durch die Steigerung des Ertrags und sogar der Vergrößerung des Einkommens Erfolg zeigten, wurden jedoch nur wenige der neuen Methoden zur normalen Praxis der Dorfbewohner. Ein verwandtes Pro¬ jekt, das Angus einführte, war die Bohrung von Dorfbrunnen mit handbetriebe¬ nen Pumpen. Das brachte sauberes Wasser als Alternative zu dem zunehmend verschmutzen Flusswassers in der Nähe der Dörfer. Es gab zwei weitere Aspekte der Arbeit, die besonders lohnenswert waren. Fielen Ens hatte in Kolumbien damit angefangen Gitarre zu spielen und brachte ihre Gitarre mit nach Panama. Bald schon baten einige der Berufsschüler sie darum, es ihnen beizubringen. Man kaufte einige günstige Gitarren und sie begann im Juan Diaz-Zentrum Unterricht zu geben. Am Ende des ersten Unter¬ richts hatten sie zwei einfache Akkorde gelernt, mit denen sie den Chorus eines bekannten spanischen Liedes „Alabare“ spielen konnten. Weil die Embera und Wounaan am besten lernten, indem sie übten, taten sie dies intensiv und inner¬ halb eines Jahres konnten viele schon recht gut spielen. Letztendlich verbreitete sich der Gebrauch von Gitarren in den Gottesdiensten der Gemeinden der Dar- ien. Ein junger Mann der Wounaan absolvierte ein universitäres Musikprogramm und konnte nicht nur gut Gitarre spielen, sondern komponierte auch einheimi¬ sche Musik. Ein weiterer Diens.t der begonnen \vurde, war eine Jugendgruppe im Juan Diaz-Zentrum. In der traditionellen Dorfkultur gab es das Stadium der allein¬ stehenden Jugendlichen eigentlich gar nicht. Junge Menschen wurden kurz nach der Pubertät zum Erwachsenen, wenn sie heirateten und damit begannen, ihre 92 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Familie zu bauen und zu versorgen. Die erste Gruppe der Berufsschüler, auch wenn sie erst 16 oder 17 waren, hatten fast alle Familien. Jedoch sechs Jahre spä¬ ter gab es Studenten in Juan Diaz, die im selben Alter oder älter waren, die noch alleinstehend waren. Die Jugendgruppe wurde zu einem Ort, an dem man ihnen biblische und praktische Ansätze für das Leben als alleinstehender Teenager ver¬ mitteln konnte. Als ein Team vom Tabor College für einen Kurzeinsatz zur Zeit des jährlichen Kongresses in die Darien-Dörfer kam, fing ein junger Mann, Embera, Rigoberto Degaiza, an, sich für ein Studium in Nordamerika zu interessieren,. Durch die Verbindung zum MCC-Besucher-Austauschprogramm, konnte Rigo ein Jahr in den USA verbringen. Später wurde es Rigo ermöglicht am Fresno Pacific College in Fresno zu studieren und einem Abschluss in Betriebswirtschaft zu machen. Als er dann nach Panama zurück kam wurde er einige Jahre lang zum Leiter der Entwicklungsprojekte der lEU. Um 1985 begannen Gespräche mit der lEU über Gemeindegründungsver¬ suche in Panama City, die auch Menschen aus der Mehrheit der panamaischen Kultur einschließen würden. Aber diese Versuche wurden erst nach 1990 unter der Leitung von einem Ehepaar aus Honduras, Jose und Suyapa Perez, die zu der Zeit in Panama City lebten, gestartet. Ihre Versuche führten zur Bildung einer kleinen Gruppe von Gläubigen, die als Glaubensgemeinschaft bekannt waren und sich in ihrem Haus versammelten. Verschiedene Faktoren, unter anderen auch die Invasion des amerikanischen Militärs in Panama, beeinflussten das Wachs¬ tum der neuen Gemeindegründung. Im Jahr 1994 wurde es offensichtlich, dass diese Bemühungen nicht bestehen konnten und man entschied sich, die Arbeit zu beenden. Einige Jahre danach entstanden ein paar kleine lEU-Gemeinden in den östlichen Vororten von Panama City, aber sie dienten genau genommen nur den Wounaan und Embera. Viele waren näher zur Stadt gezogen in der Hoffnung, vor der wachsenden Gewalt, die der US-Invasion folgte, zu fliehen. Acht Jahre nach der Abreise von Perez hatte die Gemeinde in Panama kei¬ nen ortsansässigen MBMSI-Missionar mehr, nicht mal in Panama City. Doch die lEU bat das MBMSI-Büro weiterhin um eine ortsansässige Missionarspräsenz. Es wurde jemand gebraucht, der Gemeindeleiter aus der jungen Generation der Wounaan und Embera ausbildete, aber mehrere Versuche einen solchen Arbei¬ ter in Nordamerika anzuwerben schlugen fehl. 2004 wurden Einer und Girleza Zuluaga aus Kolumbien dafür in Zusammenarbeit mit der kolumbianischen Kon¬ ferenz ausgewählt. Sie arbeiten in Juan Diaz an Jüngerschaft und Ausbildung von Leitern mit den Völkern der Embera und Wounaan und der lEU. ASIEN 95 Die Mennoniten Brüdergemeinden in Indien I. P. Asheervadam D ie Mennoniten Brüdermission in Indien begann mit Mennoniten Brü¬ dermissionaren aus Russland. Es war überhaupt das erste Missionsfeld, das die Aufmerksamkeit der Mennoniten Brüdermissionare erregte. In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wurde fast die ganze Missionsar¬ beit im Bezirksgebiet Mahabubnagar von ausländischen Missionaren begleitet. Heute ist die indische Konferenz der Mennoniten Brüdergemeinde (IMB) eine der größten Konferenzen in der Weltgemeinschaft der Mennoniten. Historischer Hintergrund Der erste Mennoniten Brüdermissionar in Indien, Abraham Friesen, kam 1889 von Russland in Hyderabad an. Das war weniger als dreißig Jahre nach der Grün¬ dung der Denomination der Mennoniten Brüder in Russland. Zehn Jahre später folgten amerikanische Mennoniten Brüdermissionare der Einladung von Friesen und den Baptisten, mit denen er zusaramenarbeitete, und kamen nach Andhra Pradesh um den Telugu sprechenden Menschen zu dienen. Die amerikanischen Mennoniten Brüdermissionare entschieden sich dafür, unabhängig in und um den heutigen Bezirk Mahabubnagar in Andhra Pradesh zu arbeiten. Sie erzielten schon bald bemerkenswerte Erfolge unter den Dalits, einer Gemeinschaft, die durch das Kastensystem an den Rand gedrängt und menschenunwürdig behan¬ delt wurden. Neunundneunzig Prozent derer, die sich der Mennoniten Brüder¬ gemeinde anschlossen, wurden aus den Dalits gewonnen*’. Genauso wie viele andere frühe Indienmissionare verstanden die Mennoni¬ ten Brüdermissionare die komplexen sozio-religiösen und kulturellen Probleme Indiens nicht, besonders wenn es um die Kasten und „Unantastbarkeit“ ging. Bräuche und Überzeugungen,die seit Jahrhunderten tief verwurzelt waren, waren Teil des religiösen Systems der Hindus, dazu gehörten auch Kinderheirat, Polyga¬ mie, Kindesmord, das Verbrennen von Witwen mit ihren Ehemännern, die Opfe¬ rung von Menschen, die Verweigerung von Bildung für Mädchen, Aberglaube, das Kastensystem und die Praktik der Unantastbarkeit. 13 Peter Hamm, Jndia Mennonite Brethren Church Statistical Report, 1970 (Shamshabad; Mennonite Brethren Mission. 1970) 96 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Das indische Kastensystem und die Unantastbarkeit sind wahrscheinlich die wichtigsten Merkmale, die man verstehen muss, um die Bekehrung der Dalits in Indien zu erklären. Dalits machen siebzig bis fiinfundsiebzig Prozent der christ¬ lichen Bevölkerung Indiens, ca. neunzig Prozent der christlichen Bevölkerung im Bundesstaat Andhra Pradesh und, wie schon erwähnt, neunundneunzig Prozent der Mitglieder in Mennoniten Brüdergemeinden aus. Das Wort „Kaste“ kommt vom portugiesischen Wort casta, was so viel wie Brut, Rasse oder Art heißt. Varna (Farbe) und jati sind indische Begriffe die manchmal als „Kaste“ und „Unterkaste“ übersetzt werden. Das indische Kasten¬ system, das eins der am längsten bestehenden Systeme sozialer Hierarchie der Welt ist, hat durch Jahrhunderte trotz großen Widerstandes überlebt. Das liegt unter anderem daran, dass die hinduistischen heiligen Schriften und die Brak- mins behaupten, die Kasten seien Gottes Schöpfung und daher eine göttliche Ordnung. Die Kasten bilden eine komplexe Aufteilung von sozialen Gruppen auf der Grundlage ihrer rituellen Reinheit. Obwohl man das System der sozia¬ len Ungleichheit überall in der Welt finden kann, so ist wohl nirgends sonst die Ungleichheit so aufwändig aufgebaut wie in Indien. In der Hindu-Gesellschaft ist die Kaste immer noch der stärkste Faktor bei der Bestimmung der Würde und Identität einer Person. Das Kastensystem wird durch die Hindu-Interpretation von Reinkarnation und Karma religiös verständlich gemacht, wonach gute Taten belohnt werden, schlechte Taten bestraft werden und diese Taten in Verbindung mit dem sozialen Status der Person stehen. Eine Person gehört zu der Kaste, in die er oder sie geboren wurde, und bleibt bis zum Tod in dieser Kaste. Die Kaste kann nicht durch das Talent oder den Reichtum einer Person verändert werden. Die vier varnas, oder allgemeinen Kategorien, der Kasten, von oben nach unten, sind; die Brahmins (Priester und Lehrer), die Ksyatriyas (Herrscher und Soldaten), die Vaisyas (Kaufleute und Unternehmer) und die Shudras (Arbeiter und Handwerker). Innerhalb der vier hauptsächlichen varnas gibt es noch tausende Unterkasten oder jatis. Gruppen von jatis sind weiter in berufliche, konfessionelle und regionale Gruppen unter¬ teilt. Die Mitglieder der vier hauptsächlichen varnas werden oft als „Kastenhin¬ dus“ bezeichnet. Sie sind die, die in das Kastensystem, wie es von den alten hei¬ ligen Schriften der Hindus aufgestellt wurde, fallen. Die fünfte Kategorie, die unter die Ordnung varna fällt, ist die Kategorie, die einst im Allgemeinen als „Unantastbare“ bekannt war, jetzt aber Dalits genannt wird. Man erwartete von Dalits alle rüederen Aufgaben im Dorf zu erledigen, die kein anderer tun wollte, wie zum Beispiel die Straßen zu kehren, den Kastenmen- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN INDIEN 97 sehen zu dienen (oft als Leibeigene), Tierkadaver zu entfernen, Lederwaren her¬ zustellen und Gräber auszuheben. Wegen der Art ihrer Arbeit wurden Unantast¬ bare oft auch als „Unansprechbare“, „Unansehbare“, „Unzugängliche“ oder sogar als „Undenkbare“ angesehen. In einigen Gegenden mussten Dalits einen Abstand von 20 Metern zu Brah- mins und 10 Metern zu allen anderen Kastenmenschen einhalten. Ihnen wurde der Zugang zu öffentlichen Orten und Brunnen verweigert. Sie durften die Dorf¬ gemeinschaften von Kastenmenschen nicht betreten. Wenn sie an öffentlichen Orten umhergingen, mussten sie manchmal einen Palmzweig um ihre Hüfte bin¬ den um ihre Fußabdrücke zu verwischen, und einen Tonlaug um den Hals hän¬ gen um hineinspucken zu können, damit sie das Dorf nicht „verschmutzen“ wür¬ den. Dalit-Frauen war es verboten Kleidung über der Hüfte oder tiefer als die Knie zu tragen. Der berühmte Dalit-Theologe A. P. Nirmal schrieb einmal, dass Dalits in den Augen der Kastenmenschen nicht nur „kein Volk“ waren, sondern sie waren „keine Menschen“ ’■*. Wirtschaftlich waren die Dalits arm, weil sie im Grunde Leibeigene eines Meister waren, dem sie in einer Generation nach der anderen dienten. Dalits erhielten während der Ernte ihren Lohn in Form von Sachleistungen, ln Zei¬ ten der Dürre und Hungersnot waren sie die Ersten, die darunter litten. John E. Clough, ein Pioniermissionar der Baptisten in Ongole, schrieb einmal: „Das Hungern an vielen Tagen im Jahr erzeugte die Bereitschaft zu essen, was niemand sonst anfassen würde. Die Konsequenz war, dass die Männer und Frauen vergif¬ tetes Blut in ihren Adern hatten. Die Kinder waren übersät mit Wunden.“ ** Reli¬ giös wurde den Dalits der Zugang zu den Hindi Tempeln verweigert. Brahmins dienten ihnen nicht als Priester. Es hat sich vieles über die Jahre verändert. Kleidungsstile sind auf allen Ebe¬ nen ganz anders als früher. Indien exportiert heutzutage Lebensmittel. Die Tem¬ peleintrittsbewegung im frühen zwanzigsten Jahrhundert rebellierte gegen religi¬ öse Diskriminierung der Dalits. Das Ausüben der „Unantastbarkeit“ ist gesetzlich verboten. Die Regierung hat Programme und Befürwortungsmaßnahmen für die, die früher unterdrückt wurden, eingeleitet. Jedoch dauert die Diskriminierung an. Obwohl die Dalits in den letzten fünf¬ zig bis sechzig Jahren die Tempel betreten dürfen, so sind sie immer noch unbe¬ deutend in der Tempelverwaltung und dürfen an vielen religiösen Ritualen nicht 14 A. P. Nirmal, „Towards a Christian Dalit Theolog)-. “ Arbeii vorgelegt an der UTC, Bangalore, 6. 15 lohn E. Clough, Social Chrislianity in the Orient: The Story 0 /a Man, a Mission and a Movement (New York: The Macmillan Company, 1914), 64, 98 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE aktiv teilnehmen. Dalits und Stammesvölker sind im Allgemeinen immer noch arm und bleiben am untersten Ende der Klassen- und Sozialhierarchie. Dalits und christliche Missionare Dalits können das Brandmal ihrer sozialen Situation nicht durch ökonomische oder andere Mittel ändern. Gruppen von Dalits sind über Jahre hinweg zu Reli¬ gionen wie Sikhismus, Jainismus, Buddhismus, Islam und Christentum konver¬ tiert, um dadurch der Demütigung, sozialer Schande und Schmach, die sie am untersten Ende der Kastenhierarchie erleben, zu entgehen und neue religiöse Identität zu gewinnen. Durch das Kommen der protestantischen Missionare und ihrer Lehre über die Gleichheit aller Menschen und Bildungsmöglichkeiten für alle wurden neue Türen für die Dalits geöffnet. Die Gute Nachricht von einem liebenden Gott, verkörpert in Jesus Christus, bot den Dalits etwas, was ihnen die Regierung und andere religiöse Glaubensrichtungen nicht bieten konnten. Die Bekehrung zum Christentum gab den Dalits die Möglichkeit, ein wichtiger Teil der Gottesdienste zu sein und Gemeinschaft in dem Glaubens, den sie bezeugten, zu erleben. Es gab ihnen auch Menschlichkeit und Würde, eine klare religiöse Identität und natürlich das Versprechen der Erlösung. Als John Everrt Clough von der amerikanischen Baptistenmission im März 1866 nach Ongole in Andhra Pradesh kam, war er schnell davon überzeugt, dass er unter den Dalits (Madigas) arbeiten sollte, obwohl er vorhatte unter Menschen in höheren Kasten zu arbeiten. Nachdem er das Elend der Dalits gesehen hatte, schrieb er: „Ich sah, dass es zu folgendem gekommen war: Wenn ich weiterhin Dalits aufnahm, dann müsste ich mich selbst mit ihnen identifizieren. Ihre Sorgen würden mir auferlegt werden. Die Schwierigkeiten ihrer Stellung würde ich tragen müssen. Verachtet um ihretwillen, abgelehnt von anderen Kasten, würde ich am untersten Ende der Leiter in Indien anfangen und müsste Zusehen hochzuklettern und dabei die Madigas mitziehen. Nachdem er von Cloughs Überzeugung gehört hatte, schrieb A. V. Thimpany, ein anderer Missionar in Nellore: 16 Clough, 128 DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN INDIEN 99 „Taufe weiter Brüder, diese „Erwählten Gottes.“ Ein bekehrter Madiga ist genauso gut, und wenn noch frommer, besser, in den Augen Gottes als ein bekehrter Brahmin. Gott weiß am besten, wie man es machen muss. Er arbeitet von unten nach oben. Letztendlich wurde aus der Mission in Ongole eine „Madiga Mission“ und Clough zum „Madiga Dora.“ Die Missionsstation im Bezirk Mahabubnagar in Andhra Pradesh, die zum Zentrum der Mennoniten Brüdermissionsarbeit in Indien wurde, war eine Außenstelle der Missionsarbeit der Baptisten. Albert Chute, ein baptistischer Pioniermissionar, teilte Cloughs Ideologie und seine Praktiken. Die amerikanischen Mennoniten Brüder nahmen im Allgemeinen die Strategien der amerikanischen Baptisten an, die ihnen in der Arbeit unter den Telugus vorange¬ gangen waren. J. B. Toews kommentiert das im frühen zwanzigsten Jahrhundert: „Unsere Theologie und Missionsstrategie [in Indien] und unsere Methoden und Gemeindegründung haben wir zum größten Teil von den Baptisten übernom¬ men.“’® Daniel f. Bergthold, einer der vier Pioniermissionare der Mennoniten Brüder, verstärkte seine Arbeit unter den Dalits, als er nach Nagarkurnool kam, der ersten Missionsstation der amerikanischen Mennoniten Brüder im Bezirk Mahabubnager. Zu Chute's Methode, die Dalits zu erreichen, gehörte Evangelisation, Bil¬ dungsinstitutionen und medizinische Verpflegung. Die Mennoniten Brüder übernahmen diese Methoden um das Evangelium durch Evangelisation, Schu¬ len und medizinische Verpflegung zu verkünden. Weil die Dalits arm waren, wurde manchmal behauptet, dass sie nur zum Christentum konvertierten um materielle Vorteile zu haben. Das ist aber nicht wahr. Als Clough sich weigerte einige zu taufen, die während einer jahrelangen Hungersnot zu ihm kamen, weil er dachte sie würden das Christentum nur aus ökonomischen Gründen akzeptieren, protestierten die Madigas laut und sagten: „Wir wollen keine Hilfe. Die Blasen an unseren Händen beweisen, dass wir gear¬ beitet haben und weiter arbeiten werden. Wenn die nächste Ernte ausfällt dann werden wir sterben. Wir wollen als Christen sterben. Taufe uns deswegen!“ ’’ 17 Clough, 132 18 Wie von Peter Penner zitiert, Russian, Xorth Americans and Telugus; The Mennonite Brethren Mission in India 1885 -1975 (Hillsboro: Kindred Publications, 1997): 141. 19 Clough, 279 100 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Mennoniten Brüder und Dalits Abraham und Maria Friesen, Pioniermissionare der Mennoniten Brüder, kamen 1889 aus Russland in Hyderabad an. Cloughs Erfolge unter den Madigas (Dalits) in Ongole in Andhra Pradesh hatten die Friesens dazu geführt, sich für Indien und die Region Telugu zu entscheiden. Trotzdem war die junge Mennoniten Brü¬ dergemeinde in Russland noch nicht bereit ihre eigene Arbeit, wegen des Man¬ gels an Ressourcen, zu starten. Deswegen begannen die Friesens ihre Arbeit in Zusammenarbeit mit den amerikanischen Baptisten. Die Mennoniten Brüderge¬ meinde in Russland entsandte etwa ein halbes Dutzend weiter Missionarspaare, um den wachsenden Bedarf der Arbeit, die sie in Indien begonnen hatten, zu decken. Sie gründeten Stationen in Suryapet, Bohnigir und Janagam. Diese Stati¬ onen führten ihre Arbeit durch die Zeit des Ersten Weltkriegs und der Russischen Revolution fort, aber danach wurde es sehr schwierig Unterstützung aus Russland zu bekommen und somit übernahmen die amerikanische Baptistenmission ihre Unterstützung. Zu der Zeit, als die Baptisten die volle Unterstützung für die russischen Men¬ noniten Brüdermissionare übernommen hatten, gab es sieben- bis achttausend Gemeindemitglieder in der Gegend, in der sie arbeiteten. Mil dem Verlangen eigene Missionsstationen zu gründen^®, begann die amerikanischen Mennoniten Brüdermission (AMB) eine Arbeit im Bezirksgebiet Mahabubnagar, anstatt dort, wo ihre russischen Vorgänger gearbeitet hatten, und übernahmen nicht die Mis¬ sionsstationen, die die russischen Mennoniten Brüder gegründet hatten. Einen wichtigen Beitrag, den Abraham Friesen geleistet hatte war, dass er die AMB dazu motiviert hatte nach Indien zu kommen. Die ersten AMB-Missio- nare, Nicolai N. und Susie Hiebert, kamen 1899 nach Indien. Die Hieberts wähl¬ ten Hughestown in der Stadt Hyderabad für den Beginn ihrer Arbeit aus. Doch Hiebert, der eine wichtige Rolle dabei spielte, die AMB-Mission in eine sinnvolle Zusammenarbeit mit der russischen Mennoniten Brüdergemeinde und der ame¬ rikanischen Baptistenunion zu bringen, musste innerhalb von achtzehn Monaten nach seiner Ankunft in Indien wegen einer Krankheit wieder nach Nordamerika zurückkehren. Obwohl der amerikanische Ausschuss über die Rückkehr von den Hieberts enttäuscht war, so minderte sie nicht den Willen zur Weiterführung der Arbeit, die sie in Indien begonnen hatten. Später führten Hieberts Sohn J. N. C. 20 Peter Penner, „Baptists in All but Name: Molotschna Mennonite Brelhren in India", Mennonite Life 46 (March 1991): 17-24. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN INDIEN 101 Hiebert und danach ihr Enkel Paul Hiebert das Erbe der Hieberts in der Indien¬ mission weiter. 1902 kam J. H. Pankratz und 1904 D. F. Bergthold nach Indien. Am Anfang blieb Bergthold bei Pankratz in Malakpet. Dann, im Jahr 1906, ging er nach Nagarkurnool im Bezirk Mahabubnager, um dort die amerikanische Mennoniten Brüdermission zu starten. Die amerikanischen Baptisten, die 1884 ihre Arbeit in diesem Bezirk begonnen hatten, verkauften ihre Missionsstation in den 1930ern an die AMB. Der AMB-Dienst breitete sich später vom Bezirk Mahabubnager in die umliegenden Bezirke von Ranga Reddy Nalgonda und Kurnool in Andhra Pradesh aus. 1953 schloss sich die Telugu-Dorfmission von Makthal und Nara- yanpet der AMB-Mission an. Im Laufe der Zeit wurde die amerikanische Men¬ noniten Brüdergemeinde eine der größten Gemeinden in der Region Telangana von Andhra Pradesh. Der wahre Gott „Mein Name ist Malash. Mein ganzes Leben lang habe ich nach einer Religion gesucht, die mich erfüllen würde. Ich besuchte alle berühmten religiösen Orte, die jedem Hindu ganz nah am Herzen liegen und sammelte viele Götzen und Steine. „Was für ein großartiger Mann Malash doch ist!" sagten die Leute. Ich war als religiöser Leiter angesehen. Meine Nachfolger brachten Geschenke, als sie zur Anbetung in mein Haus kamen. Vier von ihnen wurden zu meinen Jüngern. Ich müsste eigentlich glücklich sein, doch irgendwie erinnerte ich mich immer wieder an das Gesangsbuch, das Missionar Voth mir vor langer Zeit gegeben hatte. Die Lieder waren aus einer anderen Religion. Weil ich die Lieder nicht verstehen konnte, legte ich das Buch zur Seite. Dann an einem Nachmittag, 1955, kamen andere Missionare durch das Dorf Sie kamen an meine Tür und fragten: „Könnten wir einen Gottesdienst hier abhalten, ihr Haus ist so schön..." Dankbar für ihr Interesse brachte ich Stühle auf die breite Veranda, und bald schon hatte sich ein große Gruppe versammelt. Sie sangen Lieder und sprachen über eine neue Religion - die Religion von Jesus Christus, der vorgab der Sohn Gottes zu sein. Es gab kein Abbild von diesem Jesus. Er war ein lebendiger Gott, sagten sie! Um fünf Uhr fuhr ein klapp¬ riger Ochsenkarren vor um die evangelistische Gruppe abzuholen. Es tat mir leid, sie gehen zu sehen. Was sie mir gesagt hatten, interessierte mich sehr. 102 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE „Ich wünschte ich hätte mehr Fragen darüber gestellt'', dachte ich traurig. „Ist das wirklich der richtige Weg? Oder ist das auch nur ein weiterer Gott, der nicht erfüllen kann?“ Aber sie waren weg, und an dem Abend ging ich traurig zu Bett und dachte über das Gehörte nach. Überraschenderweise führ der klapprige Karren am nächsten Morgen wieder in das Dorf. „Im nächsten Dorf sind Pocken ausge¬ brochen, also mussten wir zurück kommen“, sagten sie, als wir fragten, warum sie zurückgekehrt waren. Meine Frau trottete zu ihrem Lager herüber und hörte den Bibelgeschichten zu. „Warum kommt ihr nicht zu unserem Flaus“, lud sie ein, „und erzählt mir mehr über diesen Jesus-Gott?“ Als sie zu meiner Frau sprachen hörte ich aus einem Nebenraum zu. Was ich hörte, ließ mir kalt der Rücken runter laufen. Ich kam aus meinem Versteck und schloss mich ihnen an. Eine Geschichte, die sie erzählten, handelte von Götzen die Ohren hatten, aber nicht hören konnten, Augen hatten, aber nicht sehen konnten und Hände hatten, aber nichts tun konnten. Ich blickte auf die Reihe von Göttern entlang der Wand - steinerne und hölzerne Objekte, die sich nicht einmal bewegen konnten. Es war wahr - sie konnten nicht hören, sehen oder fühlen! Ich war nie mit ihnen zufrieden, aber kannte auch keinen anderen Weg. Dieser Jesus war ein lebendiger Gott - einer, der nicht nur retten konnte, sondern auch erhalten! Hoffnung flammte in meinem Herzen auf. Schnell riss ich die Kleidung von meinen Schultern und warf sie über die Götzen. „Nie mehr will ich euch anbeten“, flüsterte ich gespannt. Dann kniete ich nieder und nahm Jesus als meinen Retter an. Freude erfüllte mein Herz, als ich eine neue Kreatur wurde. Jetzt kannte ich den wahren Gott persönlich! Ich kaufte eine Bibel. Dann fand ich das alte Liederbuch und lernte die Lieder von meinem Bibellehrer. Ich öffnete den Missionaren mein Haus, damit ich noch mehr lernen konnte. Einer meiner Jünger nahm diese Wahrheit auch an. Aber mein Volk sagte: „Du hast unsere Religion und unsere Götter verlassen. Du solltest besser verschwinden. “ Also baute ich ein Haus zwischen einigen Bäumen in der Nähe eines Brunnens auf meinem eigenen Grundstück; ein Ort, an den Gläubigen zum Beten und Nachdenken kommen. Ich hoffe, dass eines Tages noch mehr Menschen aus meinem Volk den richtigen Weg erkennen und den wahren Gott kennenlernen werden!“ True Life, 71 DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN INDIEN 103 Beitrag der einheimischen Mennoniten Brüder Der Erfolg der Missionsarbeit der Mennoniten Brüder in Indien wurde im All¬ gemeinen den ausländischen Missionaren zugeschrieben. Der Beitrag und die Rolle der Inder wurden dabei bisher nicht hinreichend betont. Wahrend die Mis¬ sionare in Bungalows lebten und von dort aus arbeiteten, indem sie die meisten administrativen und institutionellen Aufgaben angingen, führten die einheimi¬ schen Mitarbeiter die überwältigende Mehrheit der Evangelisationsarbeit aus. Indische Historiker, die die Bekehrungen der Dalits studierten, würden sagen, dass die meisten Bekehrungen zum Christentum unter den Dalits im Grunde ein Ergebnis von Bemühungen von Dalits waren. In seinen Schriften über die Massenbewegung zum Christentum in Indien behauptet C. B. Webster; „Die Massenbewegungen waren Dalitbewegungen, in Gang gesetzt und geführt von Dalits; Missionare leiteten die Dalits nicht, sondern reagierten auf ihr Handeln.“^' Der methodistisch-episkopale Bischof, T. M. Thoburn, der ein Pionier in der christlichen Mission in den Gebieten um Bidar und Raichur war, schrieb, dass es kein Ergebnis der Bemühungen der Missionare gewesen sei, dass die Dalits der Gemeinde beigetreten seien, sondern eine Initiative der Dalits selbst; die Missio¬ nare reagierten nur auf die Situation.^^ Solche Schlussfolgerungen treffen auch auf die Region Mahabubnagar, in der die Mennoniten Brüder arbeiteten, zu. Die Rolle und der Beitrag der Einheimischen, von Anfang an und über die Jahre, in denen die AMB-Mission vor Ort tätig war, waren enorm. Ihre Hin¬ gabe für das Anliegen des Gemeindewachstums bemerkenswert. Bergthold war von Anfang an auf ortsansässige Prediger angewiesen. Er schreibt: „Wir dräng¬ ten sie (Prediger mit Madiga-Hintergrund) in die Evangelisation ihres Volkes und bezahlten sie auch dafür.“ Die Evangelisten, Bibelfrauen und Dorfpasto¬ ren waren besonders effektive Zeugnisse für Christus in den Dörfern und in der Umgebung. 1921 gab es allein in der Station Nagarkurnool zweiunddreißig starke ortsan¬ sässige Prediger und fünf Bibelfrauen.^^ Bis 1929 hatte die AMB-Mission schon über zweihundert einheimische Mitarbeiter.^® Bis 1945 betrugen die Mitarbei¬ terzahlen der ortsansässigen Arbeiter: Elf ordinierte Pastoren, 132 ausgebildete 21 John C. B. Webster, The Dalit Christians: A History (Delhi: JSPCK, 1992). 71. 22 T. M. Thoburn, India and Malaya (Caranstron and Corts, 1893), 404-405. 23 Penner. Russian, .Worth Amerkans and Tdugiis, 147. 24 Suvarthamani, 1 (August 1921):210. 25 Penner, Russian, North Amerkans and Telugus, 94. 104 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Prediger, 115 Dorfprediger, einhundert Bibelfrauen und dreißig Bibelschüler. Im Vergleich zu den fünfzehn Missionaren betrug die Anzahl der einheimischen Mitarbeiter 1945 über dreihundert.^^ Einige der nordamerikanischen Missionare hatten Schwierigkeiten damit in Telugu zu predigen. Auch wenn sie in Telugu predigten, machte ihr Akzent es ihren Zuhörern schwierig zu verstehen, was genau sie meinten. Zum Beispiel beschreibt Paul Wiebe eine Begebenheit, wo ein Missionar eine ganze Weih¬ nachtsbotschaft über die drei Weisen predigte und fälschlicherweise die ganze Zeit über das Telugu Wort für „Urin“, anstatt dem richtigen Wort für „Kamel“ benutzte.^^ Die Missionare, die Telugu nicht fließend beherrschten, zögerten manchmal in Gemeinden zu predigen und das noch viel mehr, wenn sie auf cvangelistische Touren gingen. Deshalb ist es nicht schwer nachzuvollziehen, dass viele Missionare sich lieber der Verwaltung der Institutionen und anderen Aufga¬ ben dieser Art widmeten und die Evangelisationsarbeit den Einheimischen über¬ ließen. Weiterhin ist es auch nicht verwunderlich, dass die Einheimischen eine leitende Rolle im Leben und im Wachstum der Mennoniten Brüdergemeinde in Indien übernahmen. M. B. John, der erste indische Präsident des Leitenden Konzils der IMB- Gemeinden und Pastor, der mit einigen der Pioniermissionare zusammen gear¬ beitet hatte, behauptet, dass viele Bekehrungen ein Ergebnis der Arbeit der Dorfprediger waren. Die Dorfprediger gingen von Dorf zu Dorf, predigten und erzählten ihr Zeugnis.^* In heißen Jahreszeiten zogen sich die Missionare für sechs bis acht Wochen in die Berge zurück. Während dieser Zeit stellten ortsansässige Pastoren, Prediger, Lehrer, Sanitäter und andere Leiter Gruppen zusammen, um auf evangelistische Touren zu gehen. Oft berichteten sie von massiven evange- listischen Kampagnen und vielen Taufen. ” Viele frühe Missionare merkten an, dass es die Einheimischen waren, die einen großen Teil der Evairgelisationsarbeit taten. Aber die Arbeit dieser „Einheimischen“ wurde nie hinreichend dokumen¬ tiert. Oft wurden sie nur als „Einheimische“ erwähnt oder in einer anderen Art nur nebenbei, ohne ihren Namen oder ihre Identität in den damaligen Dokumen¬ ten zu nennen. P. B. Arnold, der Präsident der Mennoniten Brüdergemeinde in Indien, zollte in seiner Eröffnungsrede zur Feier des hundertjährigen Bestehens 26 Suvarihamani, 25 (August 1946); 14-15. 27 Paul Wiebe, Christians in Andhra Pradesh: The Mennonites of Mahabubnaga (Madras. Ore.: Christian Litera- ture Society. 1988): 143. 28 Interview mit M. B. John, 12 April 1997. 29 Siehe „Mission and ChurcJi News, “Suvarihamani 15 (Mai 1935), 104; 18 (Juni 1939), 25. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN INDIEN 105 der Mennoniten Brüdergemeinden in Indien 1989 den einheimischen Mitarbei¬ tern Anerkennung, indem er sagte, dass „der aufopferungsvolle und selbstlose Dienst der Einheimischen in keinster Weise weniger Bedeutung habe. Die Mis¬ sionare unterstützten, leiteten und führten, und die Einheimischen arbeiteten im Missionsfeld angesichts vieler Mühen. Zusammen vollbrachten sie Dinge, die weit über ihr Vermögen gingen.“^ Ortsansässige Prediger konnten viel bewirken, weil sie einen einfachen Zugang zu ihren eigenen Gemeinschaften hatten. Wie viele ihrer Zuhörer, waren auch sie Dalits, die keine Bildung oder sozialen Status hatten und denen es sogar verboten war, Tempel zu betreten. Solche „sozialen Aussätzigen“ die jetzt verwan¬ delt waren, kamen zu ihrem eigenen Volk mit emer Nachricht der Gleichstellung, die Nachricht, dass der Gott, den sie gefunden hatten, sie alle gleich lieben würde. Das hatte eine bemerkenswerte Auswirkung auf ihre Volksgenossen, da es nicht nur eine verbale Nachricht war, mit der sie kamen, sondern auch eine Nachricht aus persönlicher Erfahrung und echter Veränderung - in der Kleidung (die ihnen vorher verboten war), im Bibellesen (Bildung), in der Beziehung zu den Missio¬ naren (Status) und im Bezug auf Gleichheit und Liebe. Übergang von Mission zu Gemeinde und schnellem Wachstum Der Übergang von Mission zu eigenständiger Kirche fand 1958 statt, als die AMB-Mission die administrativen Aufgaben der „Konferenz der Mennoniten Brüdergemeinde in Indien" übertrug. Der „Neue Indien-Plan“ wurde vom nord¬ amerikanischen Ausschuss für Auslandsmission vorbereitet und dann den Mis¬ sionaren in Indien zugesandt. Dann wurde er zur Genehmigung dem leitenden Konzil der IMB-Gemeinde vorgelegt. Das leitende Konzil genehmigte den ersten Entwurf der Verfassung. Obwohl die neue Verfassung auf dem Papier die Voll¬ macht den einheimischen Indern übertrug, hatten in Wirklichkeit die Missionare noch eine ganze Weile die Kontrolle. Tatsächlich waren die ersten drei Vorsitzen¬ den der Generalkonferenz beim „Neuen Indien-Plan“ die Missionare John A. Wiebe (1956-1958), A. A. Unruh (1958-1959) und P. V. Balzer (1959-1960). 1960 wurde M. B. John der erste indische Leiter und diente noch ein paar Mal als Leiter in den 1970ern. Dennoch wurde kein leitendes Konzil abgehalten, ohne das ein Missionar anwesend war. Das änderte sich erst, nachdem mit Dan Nikkei 30 P- B. Arnold, Inaugural address, Afesfivul of 100 years, Souvenir, 1990,4. 106 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE 1973 der letzte Missionar Indien verlassen hatte. Ein administratives Missions¬ komitee hatte auch nach 1960, zu der Zeit, als M. B. John Vorsitzender wurde, noch Autorität. Da ihre Gehälter noch vom nordamerikanischen Ausschuss für Auslandsmission gezahlt wurden und sie immer noch von den Missionsbunga¬ lows aus arbeiteten, hatten die Missionare bis in die 1970er immer noch Einfluss in den Angelegenheiten der neuen indischen Mennoniten Brüderkonferenz. Das hieß, dass bei der Implementierung des „Neuen-Indien-Plans eine gewisse Mehr¬ deutigkeit andauerte, obwohl der Plan zur Förderung der einheimischen Leitung eingeführt worden war. Die indische Mennoniten Brüdergemeinde hatte bis zu den 1970er Jahren zehn Männer und Frauen mit formaler theologischer Ausbildung (entweder vom Union Biblical Seminary oder von Ramapatnam) und sie war bereit zwei weitere, R. S. Lemuel und M. B. Devadas, in die Auslandsmission auszusenden (jeweils einen nach Bangladesch und einen in den Vietnam). Die offizielle Mitgliederzahl der IMB-Gemeinde betrug 1949 12443.^' D. J. Arthur berichtete 1966 der Generalkonferenz der IMB-Gemeinde, dass es etwa zwanzigtausend Mitglieder in neun Regionen und einundachtzig Gemeinden gibt. In den Jahren nach 1966, zeigen die Statistiken von R. S. Lemuel fortlau¬ fend starkes Wachstum. Die IMB-Gemeinde ist in den fünf Bezirken von Andhra Pradesh gewachsen - nämlich in Hyderabad, Ranga Reddy, Mahabubnager, Nal- gonda und Kurnool - dort ist auch ihr Zentrum, sowie im Bezirk Gangavathy im Bundesstaat Karnataka und in der Stadt Mumbai in Maharashtra. In den 1980ern errichtete die IMB-Konferenz zwei eigenständige Missionsfelder, eins in Mumbai und das andere im Bezirk Gangavathy. Die IMB ist zu einer der größten Kirchen in der Mennoniten -Weltkonferenz geworden. Die IMB erweitert ihre Dienste zur Zeit auch in das Gebiet Sholapur und nach Nordindien, insbesondere nach Dehli und Punjab. Dr. P. B. Arnold wurde 1977 Vorsitzender der IMB und war seither, außer im Jahr 1979-1980, wo er als Assistent des Vorsitzenden diente, als Vorsitzender (jetzt Präsident) des leitenden Konzils tätig. Während seines langjährigen Diens¬ tes hat Dr. Arnold die IMB-Gemeinde auf zahlreichen nationalen und internati¬ onalen Konferenzen vertreten und hat einen bedeutenden Beitrag geleistet. Zur Zeit (2008) dient er auch als Präsident des christlichen Konzils von Andhra Pra¬ desh. 31 A. E. fanzen, The Andra AWnnonite Breihren Church inlndia, 1904- 1954. (HilJsboro, Kan.; Board of Foreign Missions. 1955): 12. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN INDIEN 107 Missionar Ted Fast berichtet, dass es die Vision von Dr. Arnold war, eine neue Arbeit unter der Immigranten zu beginnen. Daraus ergab sich, dass das Leitungs- konzil um Erlaubnis gebeten wurde, eine Arbeit in Mumbai zu starten. K. Natha- niel und Mrs. K. N. Susheela reagierten auf Dr. Arnolds Vision und gingen 1986 nach Mud Island, Mumbai und gründeten eine Gemeinde. Dr. Arnolds Hingabe an die Konferenz, dass Mennonite Brethren Medical Center, Jadcherla und an die Menschen im Bezirk Mahabhunager ist erstaunlich. Er ist auch Schatzmeis¬ ter und Generalbevollmächtigter der Mennonite Brethren Property Association, welche den ganzen Grundbesitz der IMB-Gemeinde verwaltet. Die AMB über¬ schrieb 1964 den gesamten Grundbesitz der Mennonite Brethren Property Asso¬ ciation of India, Private Limited (MBPA). Heute liegen Einschätzungen der IMB-Mitgliedschaftszahlen mitunter bei 200 000 Mitgliedern in 870 Gemeinden und in fünhinddreißig Mennoniten Brü¬ derverbänden, obwohl die offiziellen Statistiken der ICOMB wesentlich niedriger sind.^^ Während einige der Dienstbereiche der Kirche zurückgestellt oder aufge¬ löst wurden, laufen andere Dienste effektiv weiter: Das Bible College in Shams- habad; das medizinische Hospital und medizinische College in Jedcharla; Men¬ noniten Brüder High-Schools in sieben der früheren Missionsfelder; ein Junior College in Mahabubnagar; eine Historische Kommission; ein Bildungszentrum des Friedens; die Mennonite Brethren Development Organization (MBDO); die Mennoniten Brüderfrauenkonferenz und der Ausschuss für Evangelisation und Gemeindedienst. Der Ausschuss für Evangelisation und Gemeindedienst koordiniert zahlreiche Dienste, dazu gehören Evangelisationsdienste (Arbeit der Gemeindeerweiterung), innerstädtische und interreligiöse Dienste (Zielgruppe Muslime und andere Religionsgemeinschaften), Literatur (Suvarthamani, das Konferenzmagazin in Telugu), die Partnerschaft zu Disciple Making Internatio¬ nal Ministry und die Partnerschaft zu Global Youth Ministry. Zahlreiche andere Dienstbereiche und Abteilungen haben an Wichtigkeit verloren oder wurden eingestellt, wie zum Beispiel Radioprogramme, Veröffentlichungen, Kraistava Mahila Vikas (eine Frauenorganisation), ein Filmdienst und Jugendherbergen. Die IMB-Gemeinde steht weiterhin in enger Verbindung zum nationalen christlichen Konzil Indiens, der evangelikalen Gemeinschaft Indiens, der Asien- Mennonitenkonferenz, dem Mennonite Central Committee und der Mennoni¬ ten-Weltkonferenz. Sie beteiligte sich an der Organisation und Verwaltung der Mennoniten-Weltkonferenz, die 1997 in Kalkutta abgehalten wurde und veran- 32 R. S. Lemuel, „A Brief Report of the Conference of the M. B. Ckurckes, “Thailand Consultation, Oktober 2004. 108 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Stakete im November 1994 die sechste Asien-Mennoniten-Konferenz in Shams- habad. Die IMB-Gemeinde reagiert nach Möglichkeit auch auf soziale und öko¬ nomische Schwierigkeiten, die im Bezirk Mahabubnager aufkommen. Soziokulturelle und Ökonomische Probleme Dalit-Christen als „Unantastbare" und „Unnahbare" Das grösste Kummer der Dalit-Christen ist, dass sie in den Augen vieler Inder, insbesondere in den Dörfern, immer noch als Unantastbare oder Unnahbare gelten. Die meisten Opfer der jüngsten Gräueltaten in Karmchudu, Neerkanda, Chunduru und einigen anderen Orten in Andhra Pradesh waren Dalit-Christen. Godwin Shiri behauptet in einer Studie über die Lebensbedingungen der Dalit- Christen in den Dörfern und in Karnataka und in Andhra Pradesh, dass es acht¬ zig bis neunzig Prozent der Dalit-Christen nicht besser haben als andere Dalits.^’ Er schreibt, dass es Dalit-Christen immer noch verboten ist die Teehotels des Dorfes zu betreten und Wasser aus den Brunnen in Kastengegebieten zu holen.^^ Er fand auch heraus, dass achtzig bis neunzig Prozent der Dalit-Christen wei¬ terhin den traditionellen Berufen als Sammler, Lederarbeiter, Dorfnachtwäch¬ ter, Lastenträger und Handlungsreisende nachgehen.^* Die Situation im Bezirk Mahabubnager ist ähnlich. Die Mennoniten Brüder in den zwei Bezirken Mahabubnagar und Kurnool stammen hauptsächlich aus Dalit-Hintergründen. Die meisten Mitglieder blei¬ ben in den Dörfern wohnen. Deswegen erleben die meisten Mennoniten Brüder weiterhin die gleiche Art von soziokulturellen Problemen, die schon lange im Zusammenhang mit ihrem Kastenhintergrund bestehen. Kastenangehörige in den Dörfern schauen immer noch auf sie, als Unantastbare, herab. Manchmal, wenn Gemeindemitarbeiter und Pastoren in neue Dörfer ziehen und Angehörige höherer Kasten erkennen, dass sie Christen sind, weigern sie sich Häuser an sie zu vermieten. Manchmal weigern sich die Dorfoberhäupter Christen überhaupt in ihrem Dorf wohnen zu lassen. 33 Godwin Shiri, The Plight of Christian Dalits: A South Indian Case Study (Bangalore: Asian Trading Corpo¬ ration, 1997), 62-63. .34 Shiri, 62-63. 35 Shiri, 78-81. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN INDIEN 109 Verweigerung der vorgesehenen Kastenzertifikate Die Regierung verweigert den Daüt-Christen bestimmte ökonomische Vorteile. Sie erhalten nicht die üblichen vorgesehenen Kastenzertifikate, die Regierungs¬ jobs, Darlehen oder Stipendien für ihre Kinder ermöglichen würden. Diese gesetzlichen Vorteile bekommen nur Hindu-Dalits und Dalits, die zu anderen Religionen außer dem Islam und dem Christentum konvertiert sind, dazu gehö¬ ren Sikhismus, Buddhismus und Jainismus. Sogar nach fast sechzig Jahren der Unabhängigkeit werden den Dalit-Christen Vorteile und Privilegien verweigert, die ihnen eigentlich durch die Verfassung garantiert sind. Diese andauernde Ver¬ weigerung den Dalit-Christen gegenüber führt dazu, dass sich an den miserab¬ len sozialen und Ökonomischen Bedingungen, in denen viele von ihnen leben, nichts ändert. Wenn nun Dalit-Christen wegen ihrer ärmlichen ökonomischen Situation versuchen das vorgesehene Kastenzertifikat zu erhalten, werden sie manchmal von ihren Gemeinden als Nichtchristen behandelt. Solch eine Situa¬ tion bringt sie in eine Zwangslage, die Kothapalli Wilson, ein berühmter Denker der Dalit-Christen in Andhra Pradesh, als „dreifach entfremdet“ bezeichnet.^ Das nationale Konzil der Christen in Indien diskutierte 2002 in einem Semi¬ nar mit dem Thema „Einschlagen eines neuen Kurses für die Gemeinden der Dalit und Adivasi“, über die Probleme, denen Dalit-Christen heutzutage in Indien begegnen. An diesem Seminar nahmen Bischöfe, Präsidenten, Generalsekretäre und andere bedeutende Leiter von verschiedenen Kirchen und kirchenverbun¬ denen Organisationen teil. Die Schlussfolgerung der Teilnehmer war, „dass die Bekehrung zum Christentum den Dalits nicht dabei geholfen hat der Diskrimi¬ nierung zu entfliehen. Es hat ihr Elend nur vergrößert. Darüber hinaus beraubt die Bekehrung einen Dalit einer ganzen Reihe von Sicherheiten und Privilegien, die durch die Verfassung eigentlich garantiert sind.“ Diejenigen, welche in den Mennoniten Brüdergemeinden eine gute Schul¬ ausbildung erhielten, wurden Lehrer, Beamte, Krankenschwestern, Ärzte und andere Fachleute. Viele dieser Menschen haben versucht einen höheren Status in der Gesellschaft zu erreichen, insbesondere in den Großstädten. Diese Men¬ noniten Brüderchristen möchten nur selten mit den Dalit-Christen in Verbin¬ dung gebracht werden. Für sie reicht die christliche Identität. Sie übersteigt alle anderen Identitäten. Aber die Armen, Obdachlosen und Ungebildeten unter den Dalits suchten oft nach einer Dalit- und einer chrisüichen Identität - einer Dalit- 36 Kothapalli Wilson. The Twice Alienated: Conditions of Dalit Christians (Hyderabad: The India Institution of Cultural Studies, 1982), i. 110 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Identität für die staatlichen Unterlagen und einer christliche Identität für die Gemeindeakten. Dadurch wollten sie von den gesetzlichen Vorteilen profitieren. Für die Dalit-Christen ist die christliche Identität wichtiger als eine mennoniti* sehe oder nichtmennonitische Identität. Geographische Besonderheiten und der Effekt der Globalisierung Der berühmte indische Poet Rabindranath Tagore sagte einmal: „Heute ist meine letzte Hoffnung einzig, dass der Befreier in diesem von Armut gezeichneten Land geboren wird und dass seine Botschaft aus dem Osten in die ganze Welt geht und die Herzen der Menschen mit einer unbändigen Hoffnung füllt.“ Diese Aussage, die vor fast einem fahrhundert gemacht t\mrde, hat immer noch eine besondere Bedeutung in indischen Dörfern, insbesondere in Telangana, Der Bundesstaat Andhra Pradesch ist in drei Regionen unterteilt: Telangana, Andhra Küste und Rayalaseema. Telangana ist bekannt für seine Wasserarmut und Unterentwick¬ lung. Mahabubnager, einer der Bezirke Telanganas, ist einer der rückständigsten und dürreanfälligsten Bezirke in Andhra Pradesh. Der Bezirk Mahabubnager erlebt immer wieder schwere Hungersnöte. Die Globalisierung und die Konsu¬ mideologie haben sich zum Nachteil vieler Inder ausgewirkt. In vielen Sektoren führt das zu weiteren Problemen von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung. Dalits leiden besonders darunter, viele von ihnen hungern. Jüngste Einschät¬ zungen ergeben, dass ungefähr fünfzig Prozent aller Dalits in Indien unter der Armutsgrenze leben. Viele der IMB-Christen, insbesondere die in ländlichen Gebieten, leben unter schwierigen Verhältnissen und haben es schwer über die Runden zu kommen. Probleme mit Kasten und Unterkasten in der Gemeinde Das Problem mit den Kasten ist kein neues Problem für die christliche Gemeinde. Kastenunterscheidungen in der Kirche können bis zu den St. Thomas-Chris¬ ten des ersten Jahrhunderts zurückverfoigt werden. Die sogenannten St. Tho¬ mas-Christen von Malabar in Südindien, die angaben, sich aus höheren Kasten bekehrt zu haben, behielten die Kastenunterscheidungen bei. Später akzeptierte auch die römisch-katholische Kirche Kastenunterscheidungen in der Gemeinde. Die erste protestantische Mission in Tranqubar akzeptierte Kastenunterscheidun¬ gen unter ihren Mitgliedern, sie gingen sogar soweit, dass sie eine Mauer mitten durch die New Jerusalem-Kirche in Tranqubar bauten, um die bekehrten Dalits von den Bekehrten aus höheren Kasten zu trennen. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN INDIEN 111 Auch Gemeinden, deren Mitglieder nur aus Daüts bestanden, wie es in fast ganz Andhra Pradesh der Fall war, erlebten Kastenprobleme, zum Beispiel zwi¬ schen den Dalit-Christen Madigas und den Dalit-Christen Malas. Ehen wer¬ den normalerweise nicht zwischen Madigas und Malas geschlossen. Es gab auch andere soziale Hindernisse, die die Madigas von den Malas trennten. Gemeinden, in denen beide Gruppen zusammenkamen, erlebten oft Spannungen, Streitereien und Uneinigkeit. Die Konflikte wurden in besonderer Weise bei den Ältesten¬ wahlen der Gemeinde sichtbar. Kandidaten kämpften an den Kastengrenzen. Manchmal kommen Christen mit Madiga- und Mala-Hintergrund nicht zu den gleichen sozialen Veranstaltungen zusammen. Mit der Bildung des Prata Sami- thi Madiga Reservates in den letzten Jahren und der Gruppierung der Malama- hanadu, die die jeweiligen Interessen von den Madigas und den Malas vertreten, haben sich die Kämpfe zwischen den beiden Unterkasten oft intensiviert. Da aber die meisten Mennoniten Brüdergemeinden zum größten Teil aus Mitglie¬ dern einer Unterkaste bestehen, sind diese Kastenspannungen nicht sehr häufig. Frauen in der indischen Mennoniten Brüdergemeinde Die Rolle der Frauen in den meisten Dörfern Indiens beschränkt sich auf den Haushalt, das Kindergebären und die Familienfürsorge. Ganz unabhängig von ihrer Religion, sprachlichen Herkunft oder geografischen Lage wurden Frauen schon immer in patriarchischen Gesellschaften wie in denen in Indien unter¬ drückt. Kancha Ilaiah erklärt, dass die purushasukta-lheorie der Rolle von Frauen in der Gesellschaft, wie sie im brahminischen Patriarchat beschrieben und im Kastensystem umgesetzt wird, trotz ihrer andersartigen Intentionen in Wirklichkeit die Autonomie und Autorität der Frauen untergräbt und sie auf den Status einer Halbsklavin setzt.^' Ilaiah erklärt, dass während Frauen auf der einen Seite als Beispiele der Güte verehrt werden können (zum Beispiel bei Saraswati als eine Quelle der Bildung, oder bei Lakshmi als eine Quelle des Wohlstandes), wurden Frauen aber auf der anderen Seite in Wirklichkeit keine Rechte, weder an Bildung noch an Grundstücken gewährt.“ M. N. Srinivas beschreibt den Pathos des indischen Patriarchats kurz und bündig so: „Der Ehemann war nicht nur Meister über seine Frau, sondern auch Gottheit. Ihre Errettung kam durch ihren Dienst an ihn. Auch wenn er vielleicht ein Frauenschläger, Säufer, Spieler und 37 Kancha Ilaiah, „Dalitism vs. Brahmanism: The Epistemological Conflict in History,“ in Dalit Identity and Po- litics, ed- Ghanshyam Shah (New Delhi, India; Saga Publications, 2001); 115 38 Ilaiah,; 119-120. 112 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Weiberheld ist, so ist es ihre Pflicht ihm zu dienen und ihm zu gehorchen.“” Kurzum, unter brahminischem Patriarchats und im Kastenwesen sind Frauen im Allgemeinen in der indischen Gesellschaft untergeordnet und Dalit-Frauen sind sozusagen die „Dalits“ der „Dalits.“ In der Neuzeit haben christliche Missionare und indische Frauenreformato- rinnen wie Pandita Ramabai und Saviteibai Phule die Konsequenzen der brah- minischen patriarchalen Strukturen aufgedeckt und für die Rechte der Frauen gekämpft. Somit genießen christliche Frauen in Indien heute Ehre und verspü¬ ren ein Gefühl von Gleichheit. Sie nehmen aktiv am Dienst der Gemeinde teil. Sie bilden den größten Teil der Besucher in den meisten Gemeinden. Die Kir¬ che Südindiens (CSI) spielt eine Pionierrolle in der ganzen Angelegenheit des Dienstes der Frauen in der Gemeinde. Die CSI-Synode 1970 traf eine historische Entscheidung, indem sie erlaubte, dass Frauen als Diakonissen ordiniert werden dürften. Es dauerte aber bis 1976, bis die ersten drei Frauen ordiniert wurden. Die CSI ordinierte 1984 zu ersten Mal eine Frau zur Priesterin. Bis 1990 hatte die CSI zwanzig Frauen als Priesterinnen ordiniert. Andere Gemeinden - zu denen die Kirche Nordindiens, die Methodistenkirche Indiens und die Lutherische Kir¬ che Indiens gehören - haben in ähnlicher Weise die Leiterschaft der Frauen in Gemeinden und Organisationen in den letzten Jahren entwickelt. Die Situation der Mennoniten Brüdergemeinden war ein wenig einzigar¬ tig. Frauen haben mehr als fünfzig Jalire lang eine wichtige Rolle in den 1MB- Gemeinden gespielt. Von Anfang an haben Frauen aktiv und mit Hingabe und Leidenschaft am Dienst teilgenommen. Einige Ehefrauen von Pastoren haben separate Frauentreffen veranstaltet und dienten als Bibelfrauen. Frauen waren für das Putzen der Kirche und das Einrichten der Gottesdiensträume zuständig. Sie halfen ihren Ehemännern bei der Evangelisationsarbeit, zum Beispiel indem sie Zeit im Gebet verbrachten, während ihre Männer ihrer evangelistischen Arbeit nachgingen. Obwohl es bisher noch keine offiziellen Diskussionen über die Ordination von Frauen zum Dienst als Pastorinnen gibt, wurde eine Reihe von Frauen zum Dienst als Arbeiter der Gemeindeerweiterung (Evangelisten, die in Dörfern Gemeinden gründen) ernannt. Mehr und mehr Frauen erhalten theologisches Training. Bis 2007 hatten mehr als zwölf Frauen ihre Studien mit B.Th. oder B.D. Abschlüssen am Bibelcollege der Konferenz (MBCBC) in Shamshabad beendet. Früher durften Frauen nicht in den Andachtsgottesdiensten des MBCBC pre- 39 M. K. Srinivas, The Changing Position of Indian Womcn (Delhi; Oxford University Press. 1972); 91. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN INDIEN 113 digen, das hat sich aber geändert. Auf Anfrage der indischen Mennoniten Brü- derfrauenkonferenz hat die IMB einen jährlichen „Frauensonntag“ im August eingeführt, an dem Frauen den Gottesdienst gestalten und manchmal auch pre¬ digen. Frauengruppen aus einigen Gemeinden haben für ihre Gemeinde oder Missionsfeld Spenden gesammelt. Die neulich (2007) revidierte Verfassung der IMB lädt nun Frauen offiziell dazu ein, an Gemeinde- und Missionsfeldsitzun¬ gen teilzunehmen. Täuferische Mennoniten Brüderidentität Die christliche Identität ist sicherlich wichtiger als die denominationeile Identität in Indien, weil die christliche Bevölkerung weniger als drei Prozent der Gesamt¬ bevölkerung ausmacht. Ein anderer Grund dafür ist, dass, als die christlichen Missionare im neunzehnten Jahrhundert im Land ankamen, sie das Land für die Missionsarbeit nach dem Prinzip der „Höflichkeit“ aufteilten oder nach ein¬ vernehmlicher Vereinbarung der Missionsorganisationen, die in dem jeweiligen Gebiet oder Land arbeiteten. Christen in der Region Mahabubnagar sind Menno¬ niten Brüder, weil Mennoniten Brüder dort arbeiteten. Wenn nun verschiedene christliche Denominationen sich in Organisationen wie der NCCI oder APCC treffen, dann kommt auch die denominationeile Identität ins Spiel. Die Menno¬ niten Brüdergemeinde in Indien hat ihren Ursprung in einer Denomination, die im Täufertum des sechzehnten Jahrhunderts wurzelt, jedoch wird die täuferische Theologie nicht stark betont,*“ da die Leiter nicht in einer solchen Umgebung ausgebildet wurden.'*’ Die jetzige IMB-Gemeinde borgte und erhielt in den ersten fünfzig Jahren viel von anderen Denominationen. Nagarkurnool und Devarakonda waren die ersten Stationen, die in einem Gebiet eröffnet wurden, das vorher unter baptis- tischem Einfluss stand. Wanaparthy, eine andere Station, die früher unter der Aufsicht von Albert Chute aus Mahabubnagar. Shadnager (Janumpat) stand, wo die amerikanischen Baptisten achtzehn Hektar Land hatten und mit Erlaubnis von der Regierung ihre Missionsarbeit durchführten, wurde in den 1930ern den 40 John Lapp. TheMennonite Church in India (1897-1962). (Scondale, Pa.: Herald Press, 1972): 91. 41 V. K. Ruftis, „Response, ‘Theological Bducation on Five Continents: Anabaptist Perspectives, Nancy R. Heisey and Daniel Schipani, eds. (Strassbui^, Frankreich: MWC. 1997), 121. 114 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEAAEINDE Mennoniten Brüdern übergeben. Die Aufsicht hatte John A. Wiebe, der zu der Zeit Missionar in KaJvakurthy war.^ 1937 wurden die beiden großen Missionsstationen Mahabubnagar und Gad- wal, die von Chute jeweils 1885 und 1904 gegründet wurden, der amerikanischen Mennoniten Brüdermission hinzugefügt. Dieser Kauf der Missionsstationen und Felder in Mahabubnagar und Gadwal beinhaltete auch fünfundsechzig Hektar Land bei Jadcherla. Die älteste Gemeinde bei Jadcherla wurde von der Gesell¬ schaft für Evangeliumsproklamation (SPG) gegründet. Nach der Gründung über¬ gab die SPG sie Chute von der Baptistenmission.^' Die Baptistenmission benutzte das Land in Jadcherla für industrielle Ausbildung. Da die Vorgaben der Menno¬ niten Brüder beinhalteten, keine industrielle Ausbildung durchzuführen, ent¬ schieden sie sich stattdessen 1952 dafür, dort eine medizinische Arbeit zu starten, woraus dann letztendlich ein berühmtes Krankenhaus wurde. Die andere Station, die der amerikanischen Mennoniten Brüdermission gege¬ ben wurde, war 1953 die Telugu-Dorfmission in Makthal und Narayanpet. D. P. Musabaye aus Sri Lanka hatte 1913 hier in Zusammenarbeit mit Chute eine unabhängige Missionsarbeit begonnen. Nachdem er sieben Jahre lang gedient hatte, entschied sich Musabaye in seine Heimat zurückzukehren. Als er heraus¬ fand, dass Charles Billington von der CMS daran interessiert war einen Dienst in Indien zu beginnen, lud Musabaye ihn ein zu kommen und die Arbeit, die er gestartet hatte Weiterzufuhren. 1921 kam Billington und nannte seine Mission die Telugu Village Mission.^ Die Telugu Village Mission begann auch eine Arbeit in der Gegend um Budur und Adoni, die auch ein Teil der AMB-Mission wurde.^^ Die amerikanischen Mennoniten Brüder begannen ihre Arbeit in der Gegend, in der die IMB-Gemeinde Ende des neunzehnten Jahrhunderts entstanden war. Wichtig war nun (neben und in Verbindung mit der Arbeit der Mennoniten Brü¬ dermissionare und ihrer nationalen Kollegen) die Arbeit anderer Missionsorga¬ nisationen, wozu die Arbeit der Baptisten, der SPG, der CMS und der Telugu Village Mission gehörte. Die AMB-Mission sandte bis 1920 einige Studenten für theologisches Trai¬ ning zum Baptistenseminar in Ramayapatnam im Bezirk Nellore in Andhra Pra- 42 Our Mission Among Teiugus, 28. 43 See Profile of Late Re\'. Jonnalagadda John. IMB HUlorical Commission. Shamshabad, und B. A. George. The Histor)’ of M.B. Church, 109. 44 A. R. Jaipal, ..Telugu Village Mission“, £I-Shaddai: Spiritual Monthly. I (Sept-Okt. 1989); 4-10. 45 B. A. George, The Historyof Mennonite Brethren Church (India: Governing Council ofthe Coalerence ofthe M.B. Church, 1990); 123. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN INDIEN 115 desh. Sie gründeten 1920 ihre eigene Bibelschule in Nagerkurnol.“"^ Studenten wurden seit den 1920ern an der Konferenzbibelschule, jetzt College, und manch¬ mal auch in Ramayapatnam, am Union Biblical Seminary, am United Theologi¬ cal College oder an anderen Institutionen unterrichtet, V. K. Rufus hat in sei¬ ner Beobachtung recht, dass nur relativ wenige IMB-Leiter in einer täuferischen Umgebung ausgebildet wurden.^^ Im Allgemeinen hat die Mennoniten Brüder¬ leitung schon immer biblisches Wissen, evangelikale Geistlichkeit und die Frie¬ densposition betont. Von Anfang an war es für die indischen Mennoniten Brüder unangenehm, wenn sie nicht an Mission und Evangelisation beteiligt waren. Sie betonten schon immer die missionarische Aktivität. Die Mennoniten Brüdergemeinde in Indien begann 1924 eine „Heimatmis¬ sion“ im Dorf Avurpally des Feldes Kalwakurthy mit R. Ralhnam als erstem Mis¬ sionar. Rathnam und seine Frau arbeiteten viele Jahre mit gutem Ergebnis. K. C. Krupiah aus Akuthotapally, einer Gründung der Kalwakurthy-Heimatmission, diente anschließend in der gleichen Gegend treu bis zu seinem Tod. Über die Jahre hat die Kalwakurthy-Heimatmission ihr Missionsprogramm in vierund¬ dreißig Dörfern durchgeführt und weiter Missionare ins Feld geschickt sowie Studenten für die Ausbildung am Bibelinstitut der Konferenz ausgewählt. Bis 1959 unterstützte die Telugu-Vereinigung die Kalwakurthy-Heimatmission, dann wurde sie mit dem Kalwakurthy-Feld zusammengelegt. 1929 übernahm die Gemeinde in Devarakonda die Verantwortung Spen¬ den zu sammeln, um zehn nationale Evangelisten zu unterstützen. 1934 ent¬ schloss sich die Gemeinde in Shamshabad zwanzig Mitarbeiter in Shamshabad- Hugustoen zu unterstützen. Heute noch sammeln Shamshabad, Mahabubnagar und Jedcharla viel Geld um Evangelisten und Pastoren zu unterstützen. Viele Gemeinden in der Konferenz haben eine lebendige Missionsarbeit und führen sie unabhängig aus. Evangelistische Impulse sind in der IMB-Gemeinde stark aus¬ geprägt und haben zu erheblichem Gemeindewachstum in der Gegend geführt. Abschluss In seiner Eröffnungsrede bei den Feierlichkeiten zum hundertjährigen Bestehen der Mennoniten Brüdergemeinde in Indien sagte Dr. P. B. Arnold: 46 N. P. James. „The Bible Teaching Programme in our Conference“, Indian M. B. Church at Cross Roads: A Sou¬ venir. (Mennonite Brethren Church ofN'orth America, 1972): 41. 47 V, K. Rufus, „Response, “121. 116 DIE GESCHICHTE OER MENNONITEN-8RÜDERCEAAEINDE „Was wir heute sind, ist das Ergebnis vom Schweiß, Blut und Mühen der Missi¬ onare und der Einheimischen zusammen. Heute haben wir einen lebendigen Gott. /.../ Viele von uns sind gute Gelehrte der Schrift, des lebendigen Wortes Gottes. [...] Viele von uns haben eine gute Ausbildung und haben die moderne Kultur angenommen. Viele von uns haben gut bezahlte Arbeitsplätze und Grundstücke und Häuser. Wir und unsere Familien tragen teure Kleidung und Schmuck. Einige unserer Kinder gehen in die besten Schulen und Universitäten. [...) Unser sozialer Status hat sich verbessert und viele von uns werden als wichtige Personen in der Gesellschaß angesehen. [...} Das ist allein das Ergebnis des Evangeliums und der Liebe Gottes, die uns von den Missionaren (und durch die Arbeit der Einheimi¬ schen) gebracht wurden. „Wir sind aus der Dunkelheit ins Sein wunderbares Licht gerufen worden. Einst waren wir kein Volk, aber jetzt sind wir das Volk Gottes. Weiter sagt er: „Sie [die Mennoniten Brüder] waren Unantastbare und arbeiteten über Generationen in den niedrigsten Positionen. Viele waren Leibeigene, deren Gehälter gerade so viel Essen einbrachten um sie und ihre Familien am Leben zu erhalten. Sie lebten praktisch in Hütten aus Staub und Stroh. Außerdem, dass sie überaus arm waren, waren sie Opfer von Hunger und jeglicher Art von Krankheiten. Sie waren in Lumpen gekleidet, halb nackt. Sie hatten keinen Zugang zu Göttern und Göttinnen der Hindu-Tempel, weil sie Ausgestoßene waren. Sie waren Götzenanbeter. Diese Menschen waren es, denen die Missionare den lebendigen Gott, Nahrung zum Essen und Kleidung zum Anziehen brachten. Reinigungsgewohnheiten wurden ihnen beigebracht. Bildung und Kultur, die ihnen von den Missionaren vermittelt wurde, veränderte das Leben vieler komplett, sowohl das der Gläubigen, als auch das der Ungläubigen. Das ist die Auswirkung des Evangeliums auf die Menschen der Telangana in den Bezirken von Mahabubnagar, Kurnool, Nalgonda und Hyderabad. Die Menno¬ niten Brüdermission und -gemeinde in dieser Region haben Veränderung und Ermächtigung gebracht. Das Evangelium hat Veränderungen im religiösen und sozio-ökonomischen Leben der Bekehrten bewirkt und gab den Gläubigen in der Gegend ein Gefühl von Sinn, Sicherheit, Status, Würde und Ziel. 48 P. B. Arnold, „Inaugurai Address“ 31. 49 P. B. Arnold, „Inaugurai Address“ 4-5. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN CHINA 117 Die Mennoniten Brüdergemeinde in China^° Abe Dueck V iele Mennoniten Brüder heutzutage sind vielleicht überrascht, dass ein Buch über die globale Mennoniten Brüdergemeinde ein Kapitel über China enthält. China ist in den letzten Jahren in das Zentrum der Auf¬ merksamkeit gerückt. Gründe dafür sind die wachsende Bevölkerungszahl von über einer Milliarde, der enorme wirtschaftliche Wachstum und die wirtschaft¬ liche Macht, die Veranstaltung der olympischen Sommerspiele 2008 und die erneute Offenheit dem Rest der Welt gegenüber, welche in viel Tourismus, Aus¬ tausch und Dialog resultierte. Unglücklicherweise ist die Kirche in China rela¬ tiv unbekannt. Diskussionen und Berichte der globalen Mennoniten Brüderge¬ meinschaft schließen Informationen über China nicht mit ein, und es fehlt das Bewusstsein für die Gemeinden in China, die vielleicht historische Verbindungen zu der weltweiten Mennoniten Brüdergemeinde haben. Es ist wichtig für uns sich mit der reichen Vergangenheit der Gemeinden in China und der Möglichkeit erneuter Verbindungen in der Zukunft vertraut zu machen. Das zwanzigste Jahrhundert war ein turbulentes Jahrhundert für China. Der letzte Kaiser dankte 1912 ab. 1921 wurde die kommunistische Partei gegründet, und es begann ein langwieriger Kampf zwischen der chinesischen Nationalpar¬ tei und der kommunistischen Partei. 1931 besetzte Japan die Mandschurei, und 1937 brach der Krieg zwischen Japan und China in vollem Maße aus. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 und dem Sieg über Japan dauerte der Bürger¬ krieg an, bis die Kommunisten 1949 als Sieger hervorgingen und die Volksrepu¬ blik China unter Mao Zedong gründeten. Seitdem lebte die Gemeinde oft unter starker Verfolgung, obwohl es auch Zeiten gab, in denen sie bemerkenswerte Freiheit genossen. Verschiedene nordamerikanische Mennonitendenominationen begannen kurz vor dem Jahr 1900 mit missionarischen Bemühungen in China. Der erste Missionar war William Shantz aus Breslau, Ontario, der von den Mennoniten Brüdern in Christus in Ontario 1895 ausgesandt wurde. Weitere folgten, sodass 50 Diese Zusammenfassung der Mennoniten Brüdergemeinde in China basiert primär auf Teilen aus dem kürz¬ lich verlegten Material des Buches von Robert und Alice Pannabecker Ramseyer, Mennonites in China (Win¬ nipeg, MB: China Educational Exchange, 1988), undwurdemit Erlaubnis verwendet. Weitere Informationen kommen aus Ronald und Anna Wiens“, China Then and Now, (von dem Autor. 1993). Es gibt nur wenige In¬ formationen über die früheren Mennoniten Brüdergemeinden der letzten Jahrzehnte. 118 bald darauf alle großen Mennonitendenominationen Nordamerikas in China aktiv waren. Einige Mennonitenmissionare gingen auch mit unabhängigen Mis¬ sionsgesellschaften oder unter dem Schirm anderer denominationelier Agentu¬ ren nach China. In den letzten Jahrzehnten dienten viele Mennoniten in China im China-Bildungsaustauschprogramm des Mennonite Central Committee. Mennoniten Brüder und Krimmer Mennoniten Brüder (die 1960 mit den Mennoniten Brüdern fusionierten) gründeten letztendlich \ier Missionsstati¬ onen in weit voneinander entfernten geographischen Regionen. Die Krimmer Mennoniten Brüder waren die Ersten, sie begannen 1901, und die Mennoniten Brüder folgten zehn Jahre später 1911. Erwähnt werden muss auch, dass es für eine kurze Zeit eine Mennonitengemeinschaft, wozu auch Mennoniten Brüder gehörten, in der Stadt Harbin an der Sowjetischen Grenze gab. Sie entstand nach der verzweifelten Flucht einiger Mennonitengruppen über den Fluss Amur vor der kommunistischen Sowjetunion. Die ersten Flüchtlinge fanden 1930 einen Weg in die Vereinigen Staaten und andere gingen 1932 nach Paraguay und Bra¬ silien. Provinz Shandong (Shandong-Henan-Grenze) 1901 fuhren Henry und Nellie Bartel, die Mitglieder der Gnadenau-Krimmer Mennoniten Brüdergemeinde in Hülsboro, Kansas waren, mit einer Agentur, die „China Band“ hieß, nach China. Bis 1905 hatten sich die Bartels und Marga¬ ret Warkentin, die auch zu den Mennoniten Brüdern gehörte, dafür entschie¬ den, eine interdenominationelle Mennonitenarbeit in Cauxian in der Provinz Shandong, etwas südlich vom Gelben Fluss, zu beginnen. 1913 kehrten Bartels zurück in die USA und gründeten die China-Mennoniten-Missionsgesellschaft. Im Vorstand waren vier Mennonitendenominationen vertreten, dazu gehörten auch Mennoniten Brüder. Theologisch hatten diese Gruppen viel gemeinsam. Jedoch war die Art der Taufe auf rückwärtiges Untertauchen festgelegt worden, was den Krimmer Mennoniten etwas Unbehagen bereitete, da sie vorwärtiges Untertauchen praktizierten. Verschiedene Institutionen entstanden bald darauf, dazu gehörten eine Bibel¬ schule, ein Waisenhaus, ein Internat und ein Verlag. Unruhen erschwerten die Arbeit oftmals. 1927 ^vu^den alle Schulen eine Zeitlang geschlossen. Nichtsdes¬ totrotz kamen 1940 Delegierte aus sechsundfünfzig Gemeinden, die 1649 Mit¬ glieder vertraten zu einem Kongress zusammen. Als der Krieg zwischen den USA und Japan 1941 ausbrach, wurden die Missionare von den Japanern verhaftet DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN CHINA 119 und mussten letztendlich die Region verlassen. Henry Bartel ging in den Westen Chinas, um ein neues Missionsfeld zu eröffnen, aber die Gemeinde in Caoxian bestand weiterhin unter chinesischer Leitung. Sechs chinesische Leiter wurden auf einer Konferenz 1944 ordiniert.''* 1948 wurde die China-Mennoniten-Mis- sionsgesellschaft aufgelöst, und die evangelikale Mennoniten Brüdergemeinde übernahm die Verantwortung für das Missionsfeld. Henry Bartel hatte die Möglichkeit die Gemeinden 1947 und 1959 zu besu- chen-^^ und fand heraus, dass sie außerordentlich gesund waren und eine starke Vision für Mission hatten. Die Mitgliederzahl der Gemeinde wurde auf 5000 geschätzt. Loyal Bartel, der Sohn von Henry, blieb in China, da er durch den Kauf von Land die chinesische Staatsbürgerschaft erlangt hatte. Seine Familie kehrte in die USA zurück. Loyal starb 1971 in Caoxian. Die Gemeinde in Caoxian und ihrer Umgebung hat trotz einiger Schwierig¬ keiten über die Jahrzehnte überlebt. Jonathan Bartel, ein Bruder von Henry, der als Missionar in Japan diente, besuchte die Gemeinden 1987 und ihm wurde gesagt, dass die Gemeinden trotz der Schwierigkeiten wuchsen.” Ihm wurde auch gesagt, dass die Besucherzahl in einigen Gemeinden mindestens 1000 betrug und in einer sogar über 2000. Die gesamte Mitgliederzahl betrug über 20000 in über vierzig Gemeinden. Harold Ens, Exekutivsekretär der MBMSl, und Rod Suderman (der den China-Bildungsaustausch, jetzt Mennonitenpartner China, vertritt) besuch¬ ten 1999 die Gegend, und auch die alte Bartelmission.^ Die Gemeinde erhielt die Erlaubnis ein neues Gemeindehaus mit Platz für 1000 Menschen zu bauen. Harold konnte Grüße in einem gefüllten Raum übermitteln. Der Gottesdienst beinhaltete eine Predigt über Römer 1, 19, gehalten von einer älteren Frau. Die Leiter der Gemeinde berichteten, dass über 1000 Neubekehrte im vergangenen Jahr getauft wurden. Einige Jahre später, im März 2001 besuchte Ron Suderman Coaxian wieder. Ihm wurde gesagt, dass die einzige protestantische Gemeinde in der Stadt etwa 1000 Mitglieder hatte, die sich an ca. 43 Plätzen in der Umgebung versammelten. Etwa 200 Menschen werden jedes Jahr getauft. Die Gemeinde lebt, auch wenn sie nicht Mennoniten Brüdergemeinde heißt. 51 Meiinoniles in China, 75. 52 ebd.,23;75. 53 ebd., 75ff 54 Harold Ens, „FortyYearsof Change in Mennonite Brethren Mission. “ Unveröffentlichtes Manuskript, 2006. 120 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Provinz Fujian In der Provinz Fujian wurde, kurz nachdem die Arbeit in Shandong begonnen hatte, eine Mennoniten Brüderarbeit unter dem Volk der Hakka gestartet. 1909 bewarben sich Frank J. Wiens und seine Frau Agnes beim Ausschuss für Aus¬ landmission um eine Arbeit in China zu beginnen, aber der Ausschuss lehnte ab. Frank und Agnes entschieden sich unabhängig zu gehen und reisten 1910 ab. Zuerst reisten sie nach Russland, um dort Unterstützung zu sammeln. 1911 gingen sie an Bord der Transsibirischen Eisenbahn und kamen schließlich im Süden Chinas an. Nach einer Einschätzung der Situation entschieden sie sich, mit der Arbeit in Shanghang in der Provinz Fujian zu beginnen. Während Wiens versuchte schnell die Sprache zu erlernen, beschäftigte er auch Mr. Liu, einen Übersetzer, der schon bald selbst das Evangelium predigte und ein führender Leiter wurde. Mit der Zeit wuchs ein breites Programm, wozu eine Jungen- und eine Mäd¬ chenschule, eine Bibelschule und ein Versammlungsraum mit Platz für sechs¬ hundert Menschen, ausgestattet mit einer Orgel, gehörten. Die erste Taufe wurde 1913 durchgeführt und dann wurde auch die Gemeinde gegründet. 1915 bean¬ tragte Wiens bei der Mennoniten Brüderkonferenz, dass die Arbeit anerkannt wird, und, obwohl finanzielle Unterstützung versprochen wurde, kam die offizi¬ elle Anerkennung erst 1919. 1920 wurde die Hakka-Mennoniten Brüderkonfe¬ renz gegründet. Am Anfang war sie nur ein Beratungsgremium für die Missio¬ nare, jedoch wurde ihr 1926 die volle Verantwortung für die Gemeinden und die Arbeit gegeben. Bis 1920 hatte die Gemeinde schon 450 Mitglieder, und es gab fünfzehn Schulen mit dreißig Lehrern. Es wurden in den folgenden Jahren neun weitere Missionare von der Mennoniten Brüderkonferenz ausgesandt, aber der Bürgerkrieg verursachte ernsthafte Schwierigkeiten für die Missionare und die Gemeinde. Wiens war davon überzeugt, dass die Gesundheit der Gemeinde von der Ausbildung chinesischer Leiter abhing, und das war unter diesen Bedingungen besonders wichtig. Er war der Täufer/Mennoniten-Friedensposition stark ver¬ pflichtet, was sich in schwierigen Situationen als effektiv erwies. 1929 verließen alle Missionare das Land und daraufhin wurden die meisten Gebäude auf dem Missionsgelände zerstört. 1934 kehrte Wiens zurück und arbei¬ tete mit der chinesischen Leitung zusammen. Viele Schulen wurden wieder auf¬ gebaut und 1939 entschied sich die Mennoniten Brüderkonferenz, wieder volle Verantwortung für die Arbeit zu übernehmen. Unglücklicherweise schloss sich die Tür mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und den Kämpfen zwischen DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN CHINA 121 den Japanern und den Amerikanern wieder. Wiens reiste 1940 ab. Zu diesem Zeitpunkt gab es geschätzte 400 getaufte Christen in Shanghang und neun Mis¬ sionsstationen. 1948, nach dem Krieg, kehrten Roland und Anna Wiens (Roland war der Sohn von Frank und Agnes) zurück nach Shanghang und führten die Arbeit bis 1951 fort. Sie konnten Bibelkonferenzen mit Leitern veranstalten und Bibelkurse für dreizehn Studenten anbieten. Jedoch wurde die Gegend 1950 von den Kom¬ munisten übernommen, was neue Schwierigkeiten für die Gemeinde mit sich brachte. Der Korea-Krieg 1951 verkomplizierte die Situation noch mehr, dabei wurden Ausländer, besonders Amerikaner verachtet und als Imperialisten ver¬ schrien. Roland und Anna waren gezwungen zu gehen und begannen 1951 in Japan zu arbeiten. Während der folgenden dreißig Jahre gab es praktisch keinen Kontakt zur Mennoniten Brüdergemeinde in Shanghang. Roland und Anna hatten das große Verlangen China zu besuchen und die Kontakte zu erneuern. 1980 konnten sie endlich eine kurze Reise nach Shanghai unternehmen und einer ihrer Freunde, Ling San Sheu, hatte die Möglichkeit sie dort zu treffen. Es war eine wundervolle Wiedervereinigung, und sie erhielten einige Informationen über die Christen aus der früheren Missionsstation in Shanghang. Diesem Besuch schlossen sich kurze Reisen nach Canton, 1981, und Fuzhou, 1982, an, wo sie wieder Kontakt zu Mit¬ gliedern der Gemeinde aufnehmen konnten. 1988 konnten sie sich endlich ihren großen Wunsch, die frühere Missionsstation zu besuchen, erfüllen. Es waren sie¬ benunddreißig Jahre vergangen, seit sie gezwungen worden waren das Land zu verlassen, und ihre Aufregung darüber, wieder zurückzukehren kann man sich kaum vorstellen. Als sie ankamen, wurde sehr bald deutlich, dass sich viel verän¬ dert hatte, aber sie waren glücklich darüber, dass die Gemeinde noch am Leben war. Die chinesischen Christen freuten sich sie zu treffen. Berichten zufolge ist die Anzahl der christlichen Gemeinden in Fujian in den letzten Jahrzehnten erheblich gewachsen. In den frühen 1980ern gab es in einem Bezirk fünf Gemeinden, zwanzig Kapellen und vierzig Versammlungsorte unter dem Volk der Hakka. ln der gesamten Provinz Fujian gab es 1985 schätzungs¬ weise 400 000 Christen.^® Es ist unmöglich herauszufinden, wie viele davon in den Missionsbemühungen der Mennoniten Brüder wurzeln oder wie viele es heute sind. Aber man kann mit Sicherheit sagen, dass die Arbeit des frühen zwanzigs- 55 Mennonites in China, 81 122 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE ten Jahrhunderts weiterhin in den darauffolgenden schwierigen Zeiten Frucht getragen hat. Zeugnis „Der Besuch der Gemeinde am Sonntag war unsere höchste Priorität. Wie begeis¬ ternd ist es zu sehen, wenn Menschen zusammen kommen, jung und alt, und ihr herzliches Singen zu hören. Die Lieder waren auf großen Papierstücken geschrieben, und die Noten waren in Zahlen geschrieben. Weil das Singen in Chinesisch die tonalen Klänge nicht erlaubt, können die Worte nicht verstanden werden. Deswegen zeigen die Leiter auf die Worte, und die Versammlung liest sie gemeinsam, damit sie wissen, was sie singen. Es war faszinierend ihr„sing- song“, gemeinsames Vorlesen, zu hören. Dann ging ihr Leiter, Dsung Ving An zur kleinen Pumporgel und spielte in Oktaven, um den Gesang zu unterstützen. Viele sangen schief und nicht im Takt, aber es war wundervolle Musik in unseren Ohren! Wir konnten bei einigen Liedern, an die wir uns erinnerten, mitsingen. Einige der Lieder waren die, die Rolands Väter komponiert oder übersetzt hatte. Die Botschaft wurde von Ding En Det, einem von Rolands früheren Bibel¬ schülern, gebracht. Er nahm sich viel Zeit, sodass der Leiter ihm eine Notiz zukommen ließ, die ihn bat aufzuhören, damit Roland noch Zeit hätte etwas zu sagen! Man hatte für uns Stühle unter der Kanzelbühne platziert, da es gesetzlich verboten war einen Ausländer von der Kanzel predigen oder sprechen zu lassen. Ein weiterer Gottesdienst war für den Nachmittag geplant, in dem Roland die Gelegenheit hatte die Gemeinde zu ermahnen und zu ermutigen. Später unterhielten wir uns noch gemütlich und schauten uns Bilder an, die wir mitgebracht hatten. Während der kulturellen Revolution wurden alle Bilder zerstört, somit waren sie froh unsere zu sehen und baten um Kopien! Nachdem wir in die Vereinigten Staaten zurückge¬ kehrt waren, machten wir Kopien und schickten sie nach Shanghang. “ Angepasst aus China then and Now, 102 DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN CHINA 123 Innere Mongolei Wie schon erwähnt waren einige Leiter darüber beunruhigt, dass die Arbeit in Shandong unter der China-Mennoniten-Missionsgesellschaft interdenominati- onell und nicht ausschließlich KMB war. Sie beunruhigte besonders die aner¬ kannte Art der Taufe. Sie entschieden sich ein offizielles Missionsfeld in China zu eröffnen, und sandten Frank und Agnes Wiebe 1921 aus. Nachdem sie in China angekommen waren, kontaktierten sie Henry Bartel, der mit Wiebe in die Innere Mongolei reiste (heute eine halb-autonome Region innerhalb Chinas). Dort ent¬ schieden sie sich Zhuozi (Chotzeshan) als Missionsfeld zu empfehlen, was der Vorstand akzeptierte. Weitere Missionare wurden ernannt, und bald schon wur¬ den Kapellen, Schulen und ein Krankenhaus gebaut. Sie konzentrierten sich auf Evangelisation, wobei die meiste Arbeit von chinesischen Bekehrten getan wurde. Die ersten zehn Menschen wurden 1924 getauft. Zwei Jahre danach fanden die Wiebes sich im Bürgerkrieg wieder, und die Missionare wurden gezwungen das Land für eine kurze Zeit zu verlassen. Als die Wiebes dem amerikanischen Vorstand 1931 Bericht erstatteten, gaben sie an, dass etwa 150 Personen ihren Sonntagsgottesdienst besuchten. Mitte der 1930er überfielen und zerstörten die Japaner einen großen Teil des Geländes der Gemeinde. Die Gemeinde arbeitete weiter unter nationaler Leitung. Alle Missionare reisten 1941 ab. Einige kamen 1947-48 kurz zurück und bestätig¬ ten, dass die Leiter verstreut und die Christen entmutigt waren. Viele Jahre später, 1981, besuchten Dr. Harold Wiebe (der Sohn von Frank und Agnes) und seine Ehefrau die Gegend, obwohl sie nicht nach Zhuozi reisen konnten. Den Berichten nach zu urteilen, war die Gemeinde gewachsen und es waren viele junge Menschen involviert. Eine Gemeinde berichtete von einer Mit¬ gliederzahl von 1700, wobei viele davon Jugendliche waren. Westchina 1941 zogen Henry und Nellie Bartel nach Westchina, weil es ihnen nicht mehr möglich war in der Gegend Shandong zu arbeiten.^ Die Gegend war eine relativ spärlich besiedelte Gebirgslandschaft, was das Reisen schwierig machte und den Bartels oft nichts anderes übrig ließ, als lange Strecken zu Fuß über Bergpfade zu gehen. Die Bartels begannen ihre Missionsarbeit in Baishui in Sichuan, wo sie 56 Meononites in China, 87-90. 124 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE alleine arbeiteten, bis Paulina Foote dazukam, nachdem sie ihre Arbeit in der Provinz Fujian verlassen hatte. Sie hatte eine chinesische Adoptivtochter und brachte auch eine chinesische Bibelfrau mit. Später ging sie nach Guangyuan und eröfFnete eine Bibelschule für Frauen. Die nordamerikanischen Missionsagenturen verhandelten erneut über die Verantwortung der verschiedenen Bereiche, wonach der größte Teil Westchinas unter den Verantwortungsbereich der Mennoniten Brüder und des Missionsvor¬ stands kam. Beide Vorstände sandten Missionare in die Gegend, jedoch verließen die Missionare 1948 und 1949 die Gegend wegen politischer Unruhen. Gruppen von chinesischen Christen versammelten sich in verschiedenen verstreuten Regi¬ onen, aber sie entwickelten sich nie soweit, dass sie eine Konferenz gründeten oder starke Beziehungen zu anderen Gruppen aufbauten. Es gibt keine zuverläs¬ sigen Angaben über die Anzahl von Christen oder Gemeinden in dieser Gegend. Abschluss Die Mennoniten Brüder und die Krimmer Mennoniten Brüder waren sicherlich in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in verschiedenen Regionen Chinas erheblich präsent. Es gab wahrscheinlich in der Periode bis 1950 mehr nordamerikanische Mennoniten Brüder und Krimmer Mennoniten Brüdermis¬ sionare in China als in irgendeinem anderen Land.*^ ln letzter Zeit, also in den I980ern und 90ern, konzentrierte sich die Arbeit der MBMS International darauf, Teams für kurze Zeit nach China zu senden, um Englisch im universitären Rahmen zu unterrichten. Viele wichtige Freund¬ schaften entstanden durch ELS (Englisch als Zweitsprachej-Missionen und es wurden Leben verändert. Heute wird die Arbeit der MBMSI in diesem Land, das eins der am schnellsten wachsenden Gemeindegründungsbewegungen hat, fort¬ gesetzt. Sicherheitsprobleme schränken das Ausmaß der Berichterstattung über diese Geschichte, aber auch die Freiheit der Mennoniten Brüdergemeinde eine Verbindung zur globalen Mennoniten Brüderfamilie aufzubauen, ein. Es scheint unwahrscheinlich, dass irgendeine Gemeinde in China die Iden¬ tität als Mennoniten Brüdergemeinde beibehalten hat. Die Erinnerung an die Mennoniten Brüdermission in China ist zweifellos stark verblasst. Jedoch besteht wenig Zweifel, dass viele Christen in China ihre Wurzeln zur Arbeit der Menno- 57 Der Liste von Alice und Robert Pannabecker Ramseyer nach, gab es fast 50 Mennoniten Brüdermissionare, die während der verschiedenen Zeitabschnitte dort dienten. Ebd.: 103-107. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN CHINA 125 niten Brüder und -missionaren und zu den chinesischen Leitern, die von Anfang an eine sehr wichtige Rolle in der Entwicklung der Gemeinde gespielt haben, zurückverfolgen können. Es ist wichtig für die Mennoniten Brüder in Nordame¬ rika und in anderen Ländern, ihre eigene Erinnerung zu pflegen und sich noch mehr über die christlichen Gemeinden in China zu informieren. Indem China zu einer offeneren Gesellschaft wird und indem mehr Interaktionen in Wirt¬ schaft, Bildung, Kultur und Tourismus stattfinden, könnte es sein, dass neue Verbindungen entstehen und die Mennoniten Brüder, zusammen mit anderen Christen, wieder Zusammenarbeiten, um in einer globalen Bemühung die Gute Nachricht zu der Bevölkerung Chinas bringen. Chinesische Christen können zweifellos durch ihre einzigartige Pilgerreise einen großen Beitrag zu den Men¬ noniten Brüdern in der ganzen Welt leisten. Sie dürfen nicht vergessen werden. 127 Die AAennoniten Brüder in Japan funichi Fujino D ie japanische Mennoniten Brüderkonferenz (JMBC) ist Gott für seine wunderbare Gnade und Führung dankbar. Das Evangelium von Jesus Christus, das Rettung und Versöhnung bringt und von dem die meisten Japaner nichts wissen, wurde zuerst um das Jahr 1950 herum von nordamerika¬ nischen Mennoniten Brüdermissionaren verkündet. Diese Missionare begannen ihre Arbeit in der Gegend von Osaka, der zweitgrößten Stadt Japans. Heute hat die JMBC 1500 aktive Mitglieder (1800 insgesamt) mit dreißig Vollzeitpastoren in achtundzwanzig Gemeinden und evangelistischen Stationen. Ihre Mission hat ihr Zentrum in der Gegend von Osaka und weitet sich in die Gegend Nagoya, die Gegend Hiroshima und in die Nähe von Japans Hauptstadt Tokio aus. Zusätzlich zum Gemeindegründungsdienst hat sie ein Seminar und ein christliches Camp gegründet. Die Geburt der Mennoniten Brüdergemeinde 1949, vier Jahre nach der Niederlage Japans am Ende des Zweiten Weltkriegs, wurden Henry und Lydia Thielman vom Mennonite Central Committee ausge¬ sandt, um an den Hilfsaktionen im Konohana Ward in Osaka teilzunehmen, wo die amerikanischen Bomber den größten Schaden angerichtet hatten. Ein Jahr später, 1950, wurde Ruth Wiens vom Ausschuss für Auslandsmission nach Japan entsandt. Der Ausschuss kaufte ein Ärztehaus in Ishibashi Soen in Ikeda City. Dieses große Haus wurde zum Wohnsitz der ersten Mennoniten Brüdermissio¬ nare. Im März 1951 kamen Harry und Mildred Friesen zusammen mit Harold und Marianna Gaede nach Japan. Am 13. Mai veranstalteten sie einen „Tag des Herrn-Gottesdienst“ im Clubhaus in Ishibashi. Im Juni desselben Jahres wurde der erste Taufgottesdienst gefeiert und drei Japaner wurden getauft. Bald darauf kamen weitere Mennoniten Brüdermissionare nach Japan. Einige Highlights 1955 wurde eine Konferenz mit den Mennoniten Brüdermissionaren auf dem Nosegawa-Campgelände abgehalten, auf welcher die Entscheidungen getroffen wurden, das größere Gebiet Osaka als ihr Missionsfeld auszuwählen und Kyoichi 128 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Kitano als Evangelisten einzuladen. Kitano hatte schon auf den Mennoniten Brü- der-Bibelcamps gedient und das Vertrauen der Missionare gewonnen. Kitano stimmte dem Mennoniten Brüdergiaubensbekenntnisses zutiefst zu und unter¬ stützte es von Herzen. 1956 waren die evangelistischen Bemühungen in vollem Gange, mit Ver¬ sammlungen in Amagasaki, Nagase, Minato, Tsurugaoka, Ishibashi und Kasu- gade, welche alle im größeren Gebiet Osaka liegen. Viele Menschen kamen zum Glauben, Gemeinden wurden aktiv und Männer und Frauen verpflichteten sich dazu, der Gemeinde zu dienen. Im September 1956 wurde eine Konferenz mit Repräsentanten aller Gemein¬ den, die im Gebiet Osaka gegründet wurden, einberufen. Die Delegation ent¬ schied, dass eine Gemeindekonferenzorganisation gegründet werden sollte, um der Mennoniten Brüderarbeit zu helfen, selbstständig zu werden. Auf Empfeh¬ lung der Missionsorganisation wurde im folgenden März ein Rat mit sieben japa¬ nischen Gläubigen gegründet, der als ßeratergruppe für die Missionare dienen sollte. Somit wurde die japanische Mennoniten Brüderkonferenz 1958 gegründet. Neue Mennoniten Brüdergemeinden wurden immer wieder zur Konferenz in wichtigen Städten des Gebiets Osaka und der benachbarten Präfektur Hyogo hin¬ zugefügt. Angefangen im Jahr 1954, unterstützen die Mennoniten Brüdermissio¬ nare einen Evangeliums-Radiodienst im Gebiet um Osaka. Das Programm hieß „Das Licht der Welt.“ Es wurde von dem Radioevangelisten Akira Hattori produ¬ ziert und ging als fünfzehnminütige Sendung am Sonntagmorgen auf Sendung. Nach 1961 produzierten die Mennoniten Brüder ihr eigenes Radioprogramm mit Kazuomi Tsuchiya und Akira Hattori als Radiopastoren. Dieses Programm, das jeden Morgen ausgestrahlt wurde, hieß „Das Licht des Morgens", und bot eine fünfminütige Evangeliumsbotschaft. In Osaka City gab es für die Zuhörer auch ein Folgetreffen. Ab 1963 war der Evangelist Akira Hattori Gastredner bei einer monatlichen Versammlung, die „Abend der Anbetung und Botschaft“ hieß, wel¬ che im großen Nakanoshima-Bürgerhaus mitten in Osaka City abgehalten wurde. Diese Versammlungen waren sehr gut besucht. Alle, die zu den abendlichen Ver¬ sammlungen kamen, wurden dazu ermutigt eine Mennoniten Brüdergemeinde in der Nähe ihres Wohnortes zu besuchen. Auch Gemeinden, die nicht zu den Mennoniten Brüdern gehörten, brachten Besucher zu diesen Versammlungen. 1969 wurde das evangelistische Programm „Das Licht des Morgens“ eingestellt und die Mennoniten Brüdermissionare arbeiteten wieder mit dem Radiopro¬ gramm „Das Licht der Welt.“ 1971 änderten sich jedoch die Vorgaben für Evan¬ gelisation bei den Mennoniten Brüdern und somit woirde die Unterstützung des DIE MENNONITEN BRÜDER IN JAPAN 129 Radioprogramms eingestellt. „Das Licht der Welt“ musste kurzzeitig die Über¬ tragung im größeren Gebiet Osaka einstellen. Kurz darauf trafen sich einige Gemeinden im Gebiet Osaka, darunter auch Mennoniten Brüder, und besprachen die Möglichkeit, wieder eine Radioevange¬ lisation zu starten. 1973 wurde die Kinki (Osaka und die benachbarten Präfektu¬ ren) Evangelical Broadcasting Church Cooperating Association gegründet. Diese Organisation steht immer noch im Dienst der geistlichen Not dieses Gebiets. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, evangelistische Fernseh- und Radioprogramme aus¬ zustrahlen. Dadurch kam es zu weiteren interdenominationeilen Bemühungen, wie zum Beispiel zu Programmen und Seminaren für Evangelisation. Eine „Billy Graham Evangelistical Crusade“ wurde 1980 unter der Leitung dieser Organisa¬ tion in Osaka durchgeführt. Heute unterstützen etwa 500 Gemeinden die Arbeit der Kinki Evangelical Broadcasting Church Cooperating Association. 1959 verloren über 5000 Menschen ihr Leben, als der Ise-Bay-Taifun die Küs¬ tenregion in der Nähe von Nagoya traf. Mennoniten Brüdermissionare, Semi¬ narstudenten und Gläubige bildeten ein Rettungsteam und beteiligten sich fünf Wochen lang an den Hilfsaktionen in der verwüsteten Region. Nach der Nothilfe wurde eine evangelistische Aktion in Kuwana City, einem Vorort von Nagoya, gestartet. Die Gründung der Kuwana Mennoniten Brüdergemeinde war das Ergebnis, die erste Mennoniten Brüdergemeinde außerhalb des größeren Gebiets Osaka. Zeugnis Einer der drei jungen Menschen, die bei der ersten Taufe im fuli 1951 getauft wurden, war Masaru Arita, der später als Pastor in der Gemeinde in Ishibashi diente. Arita diente auch in anderen sehr fordernden Leitungs¬ positionen als Vorstandsmitglied der Gemeindekonferenz und des Osaka Bibelseminars, das später zum „The Evangelical Seminary“ wurde. Letztendlich wurde er 1986 durch Überarbeitung krank und ging 1991 in den Himmel. Nach der Aussage seiner Frau Teiko hatte Arita in seiner Schul- und Univer¬ sitätslaufbahn immer Schwierigkeiten, bis er absolvierte und Englischlehrer an der Momoyama Gakuin (St. Andrews) High-School wurde. Während er Stu¬ dent an der Universität war, wurde Arita total vom Leben enttäuscht und suchte die christliche Gemeinde auf. In einem autobiografischen Traktat schrieb Arita später: „Als ich den Worten Christi zuhörte, schien ein Licht von oben auf mich 130 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE herab. Dann wurden meine Augen für die ewige Welt geöffnet und das Bild von Jesus Christus als Sohn Gottes kam in meine Vision.... Dann entschied ich mich später dafür an Christus zu glauben und ihm mein Leben zu geben.“ Ruth Wiens, die Arita durch Unterrichtsstunden in englischer Gesprächsfüh¬ rung kennenlernte, brachte Arita zu seiner ersten Mennoniten Brüderversamm- lung und später auch zur Taufe. Nachdem er getauft war, betete Arita weiterhin über sein Verlangen sein Leben für den Dienst der Gemeinde hinzugeben. Als er sich über seine Berufung sicher war, verließ er 1961 seinen Job und begann am Osaka Bibelseminar zu studieren. Bevor er sein vierjähriges Studium beendete, nahm er die Pastorenstelle in der Gemeinde in Ishibashi an. Er war ein Mann des Gebets, der andauernd nach der Liebe Christi suchte. Hisashi Hattori Theologische Herausforderungen im Bezug auf das Täufertum Die Täufer-ZMennonitenbewegung des sechzehnten Jahrhunderts nahm die Worte der Bibel ernst und erwartete, dass Christen nach den Lehren Jesu leb¬ ten. Die Täufer gingen davon aus, dass die Worte Jesu aus der Bergpredigt von seinen Jüngern ausgelebt werden müssen. Das hieß zum Beispiel, dass Christen Friedensstifter sein sollten und weder ihre Feinde hassen, noch töten sollten. Die JMBC identifiziert sich weiterhin mit dieser Tradition und hatte sich deswegen dazu entschlossen, drei Themen über ihr fünfzehnjähriges Jubiläum im Jahr 2000 zu stellen. Die drei Themen beinhalteten Bibeltreue, Frieden und Evangelisation. Das historische und aktuelle Verständnis dieser Themen wurde untersucht und bestätigt. Die Betonung der Bibeltreue diente als Erinnerung dafür, dass Chris¬ ten, die Lehren der Bibel nicht nur glauben, sondern auch danach leben sollten. Zunächst einmal waren einige spezifische Betonungen in der JMBC im Namen der Bibeltreue aufgekommen, dazu gehörten Dispensationalismus und christliche Bildung. Weil sie der Lehre des Dispensationalismus ausgesetzt waren, glaubten die japanischen Mennoniten Brüder seit langem, dass Gott einen Plan für die Gemeinde und einen anderen für Israel hat. Die JMBC hat diese Lehre zum Prüfstein dafür gemacht, ob jemand die Bibel richtig interpretiert oder nicht. Zeitweise diente das Festhalten am Dispensationalismus als Grundlage für die Entscheidung, mit welchen Christen man Zusammenarbeiten würde. Die JMBC dachte oft, dass es wichtiger wäre, ein gleiches theologisches Verständnis der End- DIE MENNONITEN BRÜDER IN JAPAN 131 zeit zu haben als auf eine Einigung in anderen Angelegenheiten zu bestehen. Die JMBC muss nun ihre Aktionen während dieser Jahre offen hinterfragen. Christliche Bildung ist eine fundamentale Methode, durch die Christen die Wahrheit der Bibel erfahren und diese Wahrheiten auf ihr Leben anwenden kön¬ nen. Die Missionarin Ruth Wiens hatte ein besonderes Interesse an christlicher Bildung und war eine starke Befürworterin für den Gebrauch von Sonntags¬ schulmaterial für verschiedene Altersgruppen. Kurz nachdem die ersten Menno- niten Brüdergemeinden gegründet waren, entwickelte sie mit einigen Pastoren und Seminarstudenten Arbeitshefte für die Sonntagsschule. Als die Arbeitshefte herauskamen, wurden sie von allen Gemeinden in der JMBC verwendet. 1980 gründete sie den Dienst für Gemeindebildung mit der Unterstützung sowohl von Mennoniten Brüderpastoren, als auch von einigen aus anderen Denominationen, die ihren Ansatz gut fanden. Durch diesen interdenominationellen Dienst, wel¬ cher die einzige Organisation in Japan ist, die Arbeitshefte mit altersspezifischen Inhalt auf der Basis von Entwicklungsstufen verlegt, hat sie das breitere Thema der christlichen Bildung in Japan vorangetrieben. 1986 kamen auch Arbeitshefte für Erwachsene heraus. Jedoch verkauften sich diese nicht so gut wie erwartet. Andauernde Anstrengungen sind nötig, um die Notwendigkeit des Vertrauens auf den Heiligen Geist aufzuzeigen, die Bereitwilligkeit die Bibel besser kennen¬ zulernen zu fördern und ihre Lehren anzuwenden. Zweitens haben die europäischen und amerikanischen Mennoniten eine starke Friedenstradition, die nicht nur die Ablehnung des Militärdienstes bein¬ haltet, sondern auch eine viel größere Bandbreite an Themen. Die Situation in Japan ist recht kompliziert gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg verzichtete Japan auf Krieg (Artikel 9 der Verfassung). Heute hat Japan Selbstverteidigungs¬ kräfte, von denen Japan behauptet, sie wären kein Militär. Es gibt keine Wehr¬ pflicht in Japan. Deswegen schien die Verbindung zwischen Friedensstiftung und der Ablehnung des Militärdienstes unnötig. Dazu kam, dass die Mennoniten Brü¬ der Friedensstiftung nicht besonders in ihrer Lehre betonten. Obwohl die JMBC eine pazifistische Verpflichtung verkündet, ist diese im Wesentlichen nur theo¬ retisch. Japanische Mennoniten Brüder tendierten eher dazu biblischen Frieden als allgemeine Ablehnung von Krieg anzusehen. Bis vor kurzem hatten einzelne Gläubige nur wenige Möglichkeiten den biblischen Frieden als mehr als nur der Ablehnung des Krieges kennenzulernen. 2003 hielt Dalton Reimer, der Professor an der Fresno Pacific University ist, eine Vorlesung am Evangelical Biblical Semi- nary in Ishibashi und half japanischen Mennoniten Brüdern dabei ein besseres Verständnis von Friedensstiftung zu erlangen. Die Mennoniten Brüder müssen 132 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-8RÜDERGEMEINDE noch viel darüber lernen, was es heißt Friedensstifter in der Gesellschaft, in der Gemeinde und Zuhause zu sein. Drittens war es von Anfang an Regel der JMBC, Gemeinden in städtischen oder vorstädtischen Gegenden zu gründen, wo diese Gemeinden in kurzer Zeit finanziell unabhängig werden könnten. Nachdem sie meistens Gemeinden ent¬ lang der Eisenbahnstrecke des größeren Gebietes Osaka gegründet hatten, grün¬ deten Mennoniten Brüdermissionare 1968 die Gemeinde in Fujigaoka, die zweite Gemeinde im Gebiet Nagoya. Im Jahr 1975 gründeten Missionare die Gemeinde in Senboku im südlichen Teil Osakas, die Wago-Gemeinde in einem Vorort von Nagoya und eine Gemeinde im Westen Japans. Mennoniten Brüdermissi¬ onare gründeten die Shunan-Gemeinde in Tokuyama und die Hiroshima-kita- Gemeinde in Hiroshima. Zurzeit hat die JMBC vierundzwanzig Gemeinden und vier evangelistische Stationen. Zweiundzwanzig dieser Gemeinden wurden von Mennoniten Brüdermissionaren gegründet und innerhalb einiger Jahre an japa¬ nische Pastoren übergeben. Die JMBC verdankt ihren aktuellen Entwicklungs¬ stand in erster Linie den evangelistischen Bemühungen und Begabungen der Missionare. Zum Beispiel gründete Sam Krause vier Gemeinden und führte in seinem Dienst der persönlichen Evangelisation Hunderte Japaner zu Christus. Er begleitete viele neue Gläubige in der Jüngerschaft und half ihnen, von sich aus persönliche Evangelisation auszuüben. Roland Wiens und Jonathan Bartel grün¬ deten auch jeweils vier Gemeinden. Seit 1974 hat die JMBC drei Zehnjahrespläne für evangelistische Bemühun¬ gen entwickelt. Das erste Zehnjahres-Evangelisationsprojekt brachte eine bemer¬ kenswerte Anzahl an Bekehrungen mit sich. Die Mitgliederzahl der JMBC hat sich von 600 auf 1200 verdoppelt. Das zweite Zehnjahres-Evangelisationspro- jekt ergab einen Anstieg von 360 aktiven Mitgliedern, als Ergebnis von neuen Gemeindegründungsinitiativen. Die bestehenden Gemeinden sind während des zweiten und dritten Zehnjahresprojekts nicht gewachsen. Tatsächlich ist sowohl die Anzahl von aktiven Mitgliedern, als auch die Gemeindemitgliederzahl im dritten Zehnjahresprojekt nicht nur nicht angestiegen, sondern sogar leicht zurückgegangen. Die Zehnjahres-Evangelisationspläne wurden von verschiedenen Evangeli¬ sationskomitees der JMBC vorgeschlagen. Jeder Plan betonte die Gründung von neuen Gemeinden als Mittelpunkt der Gemeindewachstumsphilosophie. Eine Reihe von externen und internen Faktoren bietet eine Erklärung für den Wachs¬ tumsmangel in letzter Zeit. Erstens verstärkte das herzzerreißende Ereignis des Sarin-Anschlags der Aum-Gruppe, der 1995 in einer U-Bahn in Tokio verübt DIE MENNONITEN BRÜDER IN JAPAN 133 wurde, die negativen Gefühle der japanischen Bevölkerung gegenüber allen aus¬ ländischen Religionen. Zweitens verstärkten sowohl der durch die USA geführte Irakkrieg als auch die Terroranschläge durch islamistische Fundamentalisten das ungute Gefühl gegenüber Religion, besonders gegenüber monotheistischen Reli¬ gionen. Drittens scheint das Leben der Japaner den Höhepunkt der Geschäftig¬ keit und des Stresses erreicht zu haben. Die höchste Priorität für die meisten Leute hat ihr Arbeitsplatz und nicht ihr geistliches Leben oder die Gemeindeakti¬ vität. Gemeindemitglieder werden auch immer wohlhabender, was den Anschein vermittelt, das dadurch weniger über geistliche Dinge nachgedacht wird. In den letzten paar Jahrzehnten erleben fast alle evangelikalen protestantischen Gemein¬ den in Japan eine Stagnation der Mitgliederzahlen. Ein paar Gemeinden sind merklich gewachsen, jedoch ist die Situation in den meisten Gemeinden sehr schwierig. Auch einige interne Faktoren innerhalb der JMBC trugen zum Fehlen von zahlenmäßigem Wachstum bei. Erstens hat die japanische Mennoniten Brüderge¬ meinde trotz der Fruchtlosigkeit des zweiten Zehnjahresplans die Gründe dafür nicht ernsthaft untersucht, um eine effektive Alternative zu entwickeln. Die vor¬ herrschende Meinung war, dass neue Gemeinden gegründet wurden und wenn diese die nötige finanzielle Unterstützung erhalten würden, würde die Mitglieder¬ schaft der Konferenz auch wachsen. Zweitens schien es, als wären die Pastoren zu beschäftigt mit dem Lösen von Problemen, sowohl in der eigenen Gemeinde, als auch in der JMBC, sodass sie keine Zeit und Energie mehr hatten, um effektive Ansätze für Evangelisation zu entvrickeln. Anstatt nach neuen Strategien für die Evangelisation zu suchen, schienen die Leiter sich mit der Aussage: „Evangelisa¬ tion ist sehr schwierig in Japan“ zufrieden zu geben. Drittens sind die Gemeinde¬ mitglieder sehr beschäftigt mit ihrer Arbeit. Viele der Laien können nicht mehr tun, als am Sonntagmorgen zum Gottesdienst zu kommen. Die Mitglieder ten¬ dieren dazu, zu denken, dass es ausreicht, wenn sie treu ihren Zehnten spenden und dass die, welche die Gabe der Evangelisation haben, die ganze Arbeit in dem Bereich tun werden. Viertens ist es der JMBC nicht gelungen eine gesunde geist¬ liche Leitung aufzubauen. Viele Leiter tendierten sehr stark zur Gesetzlichkeit. Andere versuchten ihre Gemeindeangelegenheiten mit säkularen Management¬ techniken zu kontrollieren. Die Suche nach einem effektiveren Ansatz für Evan¬ gelisation ist eine gute Erinnerung dafür, dass es letztendlich Gott und der Heilige Geist und nicht Menschen sind, die Rettung bringen. Die JMBC hat Unterstützungssysteme für die erstellt, die sich von Gott in die Mission berufen fühlen. Einige Missionare ^vurden von der JMBC in inter- 134 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE kulturellen Rahmenbedingungen unterstützt. Dazu gehören Takashi und Kazue Manabe, die von 1978 bis 1989 mit Wydiff-Bibelübersetzern in Papua Neuguinea gedient haben, Wahrend dieser Zeit stellten sie das Neue Testament in Kwanga fertig. Nachdem die Manabes Gottes Ruf in die Mission verspürten, wurde das Übersee-Missionskomitee durch die JMBC gegründet. Nachdem die Manabes nach Japan zurückgekehrt waren, übernahmen sie das Pastorat der Mennoniten Brüdergemeinde in Ishibashi. Später diente Manabe als Präsident des Evangelical Biblical Seminary (EBS) in Ishibashi. Es wurden auch noch weitere Missionare von der JMBC unterstützt. 1988 wurde Keiko Hamano von der MBMSI als Mis¬ sionarin nach Pakistan gesandt. Später heiratete sie H. L. Wyatt und dient jetzt unter der Frontier Mission. Hiromi Takeda wurde von der MBMSI in die Mission zum Stamm der Khmu nach Thailand gesandt und war dort von 1997 bis 2003. Nach 2006 hat die JMBC keinen Überseemissionar mehr direkt unterstützt. Jedoch hat das Missionskomitee weiterhin Missionsnewsletter aus Übersee ver¬ öffentlicht und Missionsveranstaltungen abgehalten um die Mennoniten Brüder über die Weltmission zu informieren. Trotz der Entscheidung der JMBC haben Ortsgemeinden Missionare, die den Ruf Gottes verspürt haben, anerkannt und ausgesandt und haben die Verant¬ wortung für die Unterstützung übernommen. Bis jetzt haben mindestens drei verschiedene Mennoniten Brüdergemeinden Missionare entsandt. Takao Naka- mura, ein früherer Pastor der Mennoniten Brüdergemeinde in Neyagawa, und seine Frau Kayoko, dienen zurzeit als Missionare in San Diego, Kalifornien unter den japanischen Einwanderern in dieser Gegend. Shigeyuki und Sachiko Yokoi dienen als Missionare in Raleigh, North Carolina unter den Japanern in der Region, Hajimu und Kayoko Fujii aus der Mennoniten Brüdergemeinde Tsuchiy- ama dienen als Missionare unter der japanischen Bevölkerung, die in Fresno und Sacramento, Kalifornien lebt. Motohiro und Mariya Hamana dienen als Missio¬ nare mit Food for the Hungry in Kambodscha. Miho Inoue aus der Mennoniten Brüdergemeinde Kawachi-Nagano dient als Missionar mit der Antioch Mission unter den Cutchi-Indianern in Tanzania. Was die JMBC zu anderen Mennoniten Brüderkonferenzen beitragen kann Die japanische Gemeinde ist in einer Situation, in der sie die wahre Kraft des Evangeliums beweisen kann. Es sind fast 150 Jahre vergangen, seit die ersten protestantischen Missionare mit dem Evangelium nach Japan kamen, aber die DIE MENNONITEN BRÜDER IN JAPAN 135 Mitgliedschaft in christlichen Kirchen, protestantischen wie katholischen, macht nur etwa ein Prozent der Bevölkerung aus. Auf diesem Niveau ist es schon seit Jahren. Auf der einen Seite macht die Anzahl der Protestanten nur ca. 0,44 Pro¬ zent der Bevölkerung aus. Dabei ist die Anzahl der Protestanten, die regelmä¬ ßig einen Gottesdienst besuchen noch geringer, und liegt bei 0,22 Prozent. Auf der anderen Seite wird das Land mit einer Masse von Religionen überflutet und die Anzahl der Mitglieder, von denen die einzelnen Religionen berichten, ergibt doppelt so viele Menschen, wie das Land Einwohner hat! Japan bleibt ein Land, das unter starken religiösen Einflüssen steht, die weit von biblischer und christ¬ licher Wahrheit entfernt sind. Aber die Länder der frühen Kirche, in denen das Evangelium vor 2000 Jahren gepredigt wurde, waren in einer ähnlichen Situation. Während Christen weiter für Japan beten, richtet sich die JMBC auf die Zukunft aus und wie Gott die Situation ändern wird. Japanische Christen sind durch Ausländsaufenthalte, in denen sie die Gemeinschaft mit anderen Mennoniten Brüdern erfahren, sehr bereichert wor¬ den. Unglücklicherweise können nur wenige ihre Gedanken und Überzeugun¬ gen in anderen Sprachen kommunizieren. Obwohl die Japaner in ihren Bezie¬ hungen zu Menschen in anderen Ländern sprachlichen Barrieren begegnen, so helfen diese Auslandsreisen dabei ein besseres Verständnis über die Gemeinden in anderen Ländern und ihren Schwierigkeiten zu erlangen. Sie können für das, was sie sehen und fühlen, beten. Mithilfe von Dolmetschern können sie die Pro¬ bleme der Gemeinden in ihrem Land raitteiien und um Gebet für Gottes Familie in anderen Mennoniten Brüderkonferenzen bitten. Indem sie ihren Glauben und Gottes Segen kulturübergreifend mitteilen, helfen sie dabei die globale Mennoni¬ ten Brüderfamilie zu unterstützen. Das evangelikale biblische Seminar der JMBC kann ein Instrument der Bereicherung für andere sein. Unter den Mennoniten Brüdern in der ganzen Welt gibt es die, welche theologische Ausbildung brau¬ chen. Einige Konferenzen haben einen großen Mangel an Theologen und Leh¬ rern, und ihnen fehlen die Mittel um das Studium ihrer Leiter zu ermöglichen. Mit der Unterstützung der japanischen Konferenz wäre es denkbar, dass man Lehrer vom EBS für eine kurze Zeit zu anderen Konferenzen entsenden könnte. Studenten, die Japanisch gelernt haben, können auch am ESB studieren. Die japa¬ nischen Gemeinden möchten im Studium täuferischer Theologie und Ethik mit anderen zusammen arbeiten. Die japanische Konferenz hat sich mit der MBMSI zusammengeschlossen, um mit dem kleinen Stamm der Khum im Norden Thailands zu arbeiten. Diese Unterstützung dauert an, besonders im Bereich der Evangelisation und Ausbil- 136 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE düng Jugendlicher. Hiromi Takeda, der früher Missionar unter den Khum war und jetzt im Vorstand des Überseemissionskomitees der JMBC (2006) ist, hat ein Team zusammengestellt, das die Khum jährlich besucht. Die Mitglieder des Teams haben die Khum bereits sehr ermutigt und wurden selbst zur Mitarbeit in der Weltmission durch diese wertvolle Erfahrung aus erster Hand herausge¬ fordert. Geschenke anderer Mennoniten Brüderkonferenzen Die japanische Mennoniten Brüderkonferenz ist dankbar für die zahlreichen Seg¬ nungen, die sie von den Missionsprogrammen der nordamerikanischen Menno¬ niten Brüderkonferenz erhalten hat. Insgesamt haben bis jetzt vierzehn Missio¬ narsehepaare und \ier alleinstehende Langzeitmissionarinnen aus Nordamerika in Japan gearbeitet. Zweiundzwanzig der achtundzwanzig Gemeinden und evaji- gelistischen Stationen, die Teil der JMBC sind, wurden durch Mennoniten Brü¬ dermissionare aus den USA und Kanada gegründet. Die Tatsache, dass Grundstücke in Japan sehr teuer sind, ist gut bekannt. Mehr als siebzig Prozent des Landes besteht aus Gebirge. Die meisten Menschen leben und arbeiten in einer Region, die weniger als dreißig Prozent des Lan¬ des ausmacht. Der Preis für ein kleines Grundstück, wo man ein Gemeindehaus mit begrenzten Parkmöglichkeiten errichten könnte, kann ganz schnell den Preis des Gebäudes übersteigen. In den frühen Tagen erhielten japanische Gemeinden erhebliche finanzielle Unterstützungen für Gemeindehäuser von den nordame¬ rikanischen Gemeinden. Heutzutage muss jede Gemeinde in Japan ihre Dienstbereiche selbst finan¬ zieren, dazu gehören auch Grundstück und Gebäude. Deswegen sind Finanzen ein großes Hindernis für viele kleine Gemeinden. Die Gemeinden würden gerne genügend Parkplätze für die wachsende Anzahl der Autobesitzer bieten, doch das bleibt für die meisten Gemeinden nur ein Traum. Eine Ausnahme zur Forderung, dass jede Ortsgemeinde selbst für ihre Aus¬ gaben verantwortlich ist, ist die 2006 eingeweihte East Toyota Christ Church. Der Bau des Gemeindehauses wurde durch die großzügigen Spenden von, zumeist kanadischen, Mennoniten Brüdergemeinden ermöglicht. 1957 wurde das Men- nonite Brethren Biblical Institute in einem bestehenden Haus in Kasugade des Konohana Ward in Osaka City gegründet. Das Gebäude wurde davor von der MCC genutzt. Das Ziel der Schule war es, Leiter auszubilden. 1959 zog das Bibe¬ linstitut in die Ishibashi Christian Church bei Tenjin in Ikeda City um. Zwei Jahre DIE MENNONITEN BRÜDER IN JAPAN 137 Später, im Jahre 1961, schlossen sich die Mennoniten Brüder mit zwei baptisti- schen Missionsgesellschaften zusammen und gründeten das Osaka Biblical Semi- nary. Anfangs wurde der Unterricht des Seminars in der Mennoniten Brüder¬ gemeinde Ishibashi durchgeführt. 1967 erhielt jede der Missionen eine Spende ihrer nordamerikanischen Gemeinden und so bauten sie ein schönes Gebäude und ein Wohnheim im nahegelegenen Soen in Ideka City. Leider kam Uneinig¬ keit zwischen der JMBC und den baptistischen Gruppen bezüglich biblischer Interpretation und der Bildungsstrategie auf. Um Einheit im Glauben und Praxis innerhalb der Konferenz zu erhalten löste die JMBC 1971 ihre Partnerschaft mit den anderen beiden Missionen und begann, theologisches Training der Menno¬ niten Brüder in einer Schule anzubieten, die dann als Evangelical Biblical Semi- nary bekannt wurde. Nach der Vereinbarung über die Aufteilung der Immobilien erhielten die Mennoniten Brüder das Wohnheim. Das Wohnheim wurde umge¬ baut und die Immobilie wurde 1980 von der MBMS der japanischen Mennoniten Brüderkonferenz überschrieben. Harry Friesen wurde zum ersten Präsidenten des Evangelical Biblical Semi- nary. Er unterrichtet viele Jahre systematische Theologie und legte somit das dis- pensationalistische Fundament der JMBC. Ruth Wiens unterrichtet jahrelang christliche Erziehung und bildete Nachfolger in diesem Bereich aus. Damit wurde das Fundament des Sonntagsschuldienstes gelegt. 1991 wurde Takashi Manabe, der Pastor der Gemeinde Ishibashi war, zum zweiten Präsidenten des Seminars gewählt. Harry Friesen und Ruth Wiens dienten als Vollzeitlehrer am EBS und wurden durch den Missionsausschuss in Nordamerika unterstützt. Zurzeit hat das Seminar keine vollzeitigen Mitarbeiter. Mennoniten Brüderpastoren unterrichten Bibel, Theologie und Praxis. Fähige Gemeindemitglieder unterrichten in Bereichen wie Musik und biblischen Spra¬ chen. Nachdem die Missionare, die viele der Fächer unterrichtet hatten, abgereist waren, mussten die Pastoren die volle Verantw’ortung für alle Fächer überneh¬ men. Das war eine zusätzliche Last für die Pastoren, die alle noch einen Voll¬ zeitdienst in ihrer eigenen Ortsgemeinde haben. Das Seminar nimmt nur jedes zweite Jahr Vollzeitstudenten an. Das hilft dabei die Belastung der Pastoren, die am Seminar unterrichten zu verringern. Durchschnittlich schreiben sich alle zwei Jahre drei neue Vollzeitstudenten ein. Einige Laien und Gäste nehmen an Leiter¬ schaftskursen teil. Das Ziel des Seminars ist es Pastoren auszubilden, die dann für die Arbeit in den Ortsgemeinden ausgerüstet sind, und nicht Theologen für akademische Forschungen auszubilden. Das Seminar hat diese Aufgabe erfüllt. Obwohl die 138 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE JMBC eine kleine Denomination ist, hat sie ihre eigenen Leiter in ihrem eigenen Seminar ausgebildet. Das half der Konferenz dabei, ihre eigene Identität und ein Gefühl von Einheit zu erhalten. 1953 kaufte die BOMAS ein Stück Land mit einem alten Schlachthaus darauf, dieses wurde umgebaut, damit es für als Bibelcamp gebraucht werden konnte. Das Nosegawa-Bibelcamp ist in der Nähe von Osaka in einem schmalen Tal entlang des wunderschönen Nosegawa Flusses. Jedes Jahr kommen Kinder vom Grund¬ schulalter bis zu jungen Erwachsenen zum Camp. Viele der Mitglieder in den Mennoniten Brüdergemeinden haben ihre Entscheidung zur Nachfolge Christi im jungen Alter beim Besuch eines Camps getroffen. 1973 wurde das Camp¬ gelände zum Eigentum der JMBC. ln der Vergangenheit hatte das Camp Voll¬ zeitkräfte für die Instandhaltung, heute jedoch verwaltet das Nosegawa-Camp- Komitee der JMBC den ganzen Betrieb. Das Camp hat einen Teilzeitmanager und viele Ehrenamtliche aus den nahegelegenen Gemeinden. Dadurch bleiben die Teilnehmerbeiträge angemessen. Das Camp ist bequem in einer Stunde Autofahrt aus dem Zentrum Osakas erreichbar. Seminare, Open Air-Konzerte und Konfe¬ renzveranstaltungen werden oft auf dem Campgelände abgehalten. Die Menno¬ niten Brüder sind sehr dankbar dafür und benutzten es oft. 2006 dienten sechs Personen aus nordamerikanischen Mennoniten Brüderge¬ meinden in der JMBC als Kurzzeitlehrer für umgangssprachliches Englisch. Die¬ ses Programm wurde durch die Großzügigkeit der nordamerikanischen Gemein¬ den möglich gemacht. Diese Personen halfen bei englischen Evangelisationsprogrammen in neuen Mennoniten Brüdergemeinden in der Region um Osaka und Nagoya. Sie erhiel¬ ten nur mäßige finanzielle Unterstützung von den japanischen Gemeinden. Die meisten ihrer Ausgaben wurden durch die bescheidenen Studiengebühren der Studenten bezahlt. Zusätzliche Unterstützung erhielten sie von ihren Heimatge¬ meinden in Nordamerika. Einige dieser Englischlehrer sind zum Seminar gegan¬ gen um sich für andere Dienstbereiche ausbilden zu lassen. Die Japaner sind im Allgemeinen offen für die westliche Kultur und viele bereit umgangssprachliches Englisch zu lernen. Deswegen ist der Dienst des umgangssprachlichen Englischunterrichts ein effektiver Weg, gemeindelose Menschen in ein Gemeindehaus zu bringen. Hier lernen sie das Evangelium wäh¬ rend der Andachten und am Ende jeder Unterrichtsstunde kennen, aber Japaner treffen selten in so kurzer Zeit eine Entscheidung. Die ersten Mennoniten Brüdermissionare aus Nordamerika brachten eine Menge Enthusiasmus für Evangelisation mit. Aber sie trainierten auch inten- DIE MENNONITEN BRÜDER IN JAPAN 139 siv einheimische Leiter, was die Übergabe von Leitungsfunktionen wesentlich vereinfachte. Nachdem man eine nationale Leitung und eine autonome JMBC aufgestellt hatte, widmeten sich die Missionare der Unterstützung der natio¬ nalen Leitung. Es war eine große Ermutigung, Christi Beispiel in ihrem Leben zu sehen. Nur eine Langzeit-Missionarsfamilie aus Kanada dient heute noch in Japan (2006). Prioritäten für die Zukunft Von vornherein waren die japanischen Mennoniten Brüdergemeinden für den größten Teil ihres Gemeindeverständnisses auf Missionare aus Nordamerika angewiesen. Die Missionare unterrichteten so gut, wie sie konnten, aber ihre Lehre war unausweichlich von ihrer eigenen Kultur geformt. Japanische Gläu¬ bige haben normalerweise akzeptiert, was die Missionare lehrten und versuchten es umzusetzen, ohne es zu verändern. Als sich die Umstände in Nordamerika änderten, veränderte sich auch das Gemeindeleben. Japanische Mennoniten Brü¬ dergemeinden waren im Allgemeinen nicht so flexibel und lehnten Änderungen eher ab. Theologisch war zum Beispiel der Dispensationalismus tief verwurzelt und wurde als vollkommen biblisch angenommen. Viele japanische Mennoniten Brüder dachten, dass,sie solange sie am Dispensationalismus festhielten, biblisch wären. Auch das Seminar betonte christliche Bildung und publizierte Sonntags¬ schulmaterial für alle Altersstufen vom Kindergartenalter bis zum Erwachse¬ nenalter. Japanische Mennoniten Brüder dachten manchmal, dass sie anderen Gemeinden in Japan wegen ihrer dispensationalistischen Theologie und ihres Bildungsprogramms überlegen wären. Aber sie verstanden es nicht gut ihr eige¬ nes Gemeindeleben anhand von biblischen Standards zu bewerten. Sie versuch¬ ten Gemeinde wachstumsprinzipien zu lernen, indem sie wachsende Gemeinden beobachteten. Oft versuchten sie diese Gemeinden zu imitieren, anstatt sie zu untersuchen und biblische Prinzipien kreativ auf ihre eigene Situation anzuwen¬ den. 1997 lud die JMBC Vern Heidebrecht, einen Pastor aus Kanada, als Gastred¬ ner einer Freizeit ein. Viele Japaner waren schockiert herauszufinden, wie offen die Northview Community Church (Abbotsford, British Columbia) war, wäh¬ rend sie gleichzeitig im Leben und Dienst immer noch biblisch blieb. Die Japa¬ ner waren erstaunt zu hören, wie er biblische Gemeinde verstand und wie dieses Verständnis umgesetzt wurde. Nach dieser Konferenz studierten die Mennoni¬ ten Brüdergemeinde die Bibel, um herauszufinden, was es heißt eine biblische 140 DIE GESCHICHTE OER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Gemeinde zu sein. Viele dachten, dass sie sorgfältiger untersuchen müssten, wel¬ che Traditionen sie behalten und welche sie ändern sollten. 1999 beriet sich das Internationale Komitee der Mennoniten Brüder (ICOMB) in Buhler, Kansas. Einundvierzig japanische Leiter nahmen an diesem Treffen teil. Die japanischen Leiter waren dankbar, dass sie ein Teil der globalen Familie der Mennoniten Brüdergemeinden sein konnten und realisierten, dass ihr geistli¬ ches Wachstum in Japan durch den missionarischen Geist und die Gaben der grö¬ ßeren Mennoniten Brüderfamilie in der ganzen Welt unterstützt werden könnte. Ein Erneuerungskomitee wurde während des JMBC-Kongresses im März 2003 zusammengestellt. Indem sie „Freiheit und Einheit im Herrn" als Motto benutzten, wurde als Ziel des Komitees formuliert „das System des Gemein¬ dedienstes zu erneuern, welches Vitalität und Fortschritt in unsere Gemein¬ den bringen wird.“ Über den Zeitraum von zwei Jahren versuchte das Komitee Gemeindeprakliken und Einstellungen zu identifizieren, die die gesunde Ent¬ wicklung des Gemeindelebens verhinderten. 2005 auf dem JMBC-Kongress legte das Komitee einen Bericht über die Befunde vor. Es schlug etliche grundsätzli¬ che Änderungen in den organisatorischen Strukturen und im Management der JMBC vor. Man war sich der Notwendigkeit von Veränderungen in allen Berei¬ chen der Konferenz schon lange vor der Feier zum fünfzigsten Jubiläum im Jahre 2000 bewusst. All das war Teil einer Bewegung, die nach der wahren biblischen Mennoniten Brüderidentität suchte. Der Bericht des Erneuerungskomitees umfasste vier Bereiche, beginnend mit der Beziehung zwischen der Ortsgemeinde und der Konferenz, ln der Vergan¬ genheit, wenn schwerwiegende Probleme in einer Ortsgemeinde auftraten, ergritf die Konferenz die Initiative um eine Lösung zu finden. Dieses System funktio¬ nierte in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Wirtschaft und die Mit¬ gliederzahlen stetig wuchsen, gut. Die jungen Gemeinden brauchten starke Lei¬ tung von der Konferenz, um Einheit zu sichern und Ausbreitung zu überwachen. Jetzt denken viele japanische Mennoniten Brüder, dass die Ortsgemeinden mehr Verantwortung für die Angelegenheiten der eigenen Gemeinde übernehmen soll¬ ten, indem sie die Initiative ergreifen, um die Probleme zu lösen und Programme zu entwickeln. Die Gemeinden müssen ihre Vielfalt unter den Gemeinden akzep¬ tieren. Pastoren, Leiter und Mitglieder haben ihre eigenen Persönlichkeiten und Verantwortungen. Gleichzeitig sind sie aber Kollegen, die für den gleichen Glau¬ ben arbeiten. Basierend auf dem Glaubensbekenntnis der Mennoniten Brüder soll die Konferenz den Gemeinden dabei helfen, eine vereinte Gruppe von Gläu- DIE MENNONITEN BRÜDER IN JAPAN 141 bigen zu sein, die Gott frei dient, sich gegenseitig lehrt und ermutigt und das Evangelium verbreitet. Zweitens brauchen die japanischen Mennoniten Brüdergemeinden ein neues Glaubensbekenntnis. Wahrend das Bekenntnis auf dem Glaubensbekenntnis der ICOMB basieren sollte, so sollte es auch die einzigartigen Betonungen der japa¬ nischen Konferenz widerspiegeln. Die Konferenz braucht ein ganzheitlicheres Verständnis vom biblischen Friedenskonzept (Schalom), von dem Frieden, der Menschen befähigt Friedensstifter zu sein. Drittens hatte das Referenz- und Ratskomitee der JMBC in den frühen Jahren die Befugnis, Pastoren einzustellen, zu entlassen und zu versetzten. Jetzt hat sich die Praxis geändert. Jede Ortsgemeinde hat nun die Freiheit selbst einen Pastor zu wählen und die Art der Anstellung festzulegen, sei es VoUzeit oder Teilzeit. Die Rolle der Konferenz ist es, die Entscheidung der Gemeinde zu unterstützen. Trotzdem bleibt das Komitee verantwortlich für die Lizenzierung und Ordina¬ tion von Pastoren. Viertens dürfen Frauen der Mennoniten Brüder als Mitglieder in Komitees von Ortsgemeinden dienen und sind eingeladen auch als Abgesandte an Treffen der JMBC teilzunehmen. Die Ehefrau eines Pastors darf in ihrer Gemeinde oder auch außerhalb der Gemeinde im Bereich ihrer Begabung mit Zustimmung ihrer Gemeinde arbeiten. Zukünftige Entscheidungen werden die Möglichkeit anspre¬ chen, dass Frauen in Übereinstimmung mit ihren Gaben auch als Pastorinnen dienen dürfen. JMBC-Leiter erwarten, dass die nächste Entwicklungsphase der Konferenz eine Reihe von theologischen Fragen beinhalten wird. Erstens: Was heißt es „bib¬ lisch“ zu sein? Wie sollten Menschen, die an Christus glauben, am besten täglich nach einem biblischen Model leben? Historisch hat die JMBC den Dispensati- onalismus betont. Das Ergebnis war, dass die Gemeinden einem ganzheitlichen christlichen Leben wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben, genauso wie einer gesunden Theologie der Gemeinde. Wie soll sich das Leben, das die Gemeinde in Christus hat, praktisch auswirken? Japanische Christen müssen nach einem ganzheitlichen Leben streben, das vom Heiligen Geist erfüllt ist. Sie müssen im täglichen Leben einen biblischen Lebensstil entwickeln und nicht nur eine bib¬ lische Theologie. Fünftens; Was heißt es „evangelistisch“ zu sein? Ein Rückblick über die durchschnittliche Gemeindewachstumsrate von bestehenden Gemeinden in den letzten zwanzig Jahren ergab, dass es kein Wachstum gegeben hatte! In vielen Gemeinden besuchen nur wenige Teenager die Gottesdienste. Pastoren haben 142 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE dieses Problem diskutiert und beschlossen, dass „eine wachsende, radikale geist¬ liche Reformation in unseren bestehenden Gemeinden der Schlüssel für Evange¬ lisation in der Zukunft der Konferenz ist.“ Die Verantwortung für die Evangeli¬ sation soll nicht von dem Evangelisationskomitee getragen werden, sondern von jedem Gläubigen selbst. Die Konferenz kann ganz natürlich zahlenmäßig wach¬ sen, wenn die bestehenden Gemeinden lebendige Gottesdienste für den Herrn anbieten und die evangelistische Gesinnung in jedem Mitglied stärken. Sechstens: Was heißt es „friedliebend“ zu sein? Der Christus, der den wah¬ ren Frieden aufrichtet, muss in jeder Person leben, wenn echter Friede entstehen soll. Dieser Friede muss im Haus von jedem Mitglied, in jeder Gemeinde, am Arbeitsplatz jedes Mitglieds und in jeder anderen Institution der Gesellschaft, in der sich ein Mitglied wiederfindet, Ausdruck finden. Das ist das Bild des Diens¬ tes der Versöhnung, wozu das Volk Gottes berufen ist. Abschluss Das Schriftmotto der fMBC ist sichtbar in der Überschrift jeder Ausgabe ihres monatlichen Newsletters, der YOKI-OTOZURE (Gute Nachricht) dargestellt: „Sondern ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, welcher auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein zu Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde“ (Apostelgeschichte 1,8). Die Gemeinde hat viel Energie darauf verwendet, Wachstum in der Konferenz zu schaffen. Jedoch scheint es, dass die JMBC in den letzten Jahrzehnten die Erfül¬ lung mit Gottes Kraft nicht erfahren hat. Vielleicht haben sie vergessen, was am grundlegendsten am biblischen Weg zum geistlichen Fortschritt ist. Japanische Christen hören selten Zeugnisse darüber, was die Kraft des Geistes vollbracht hat. Christen müssen das wunderbare Werk der Kraft Gottes bezeugen, wenn sie es in ihrem Leben erfahren. Sie müssen nach Wegen suchen, wie sie die Kraft des Heiligen Geistes besser zugänglich machen können und sich nicht nur darauf konzentrieren, wie sie ihre eigenen Ziele, durch ihre eigenen Pläne erreichen kön¬ nen. Das Neue Testament ist mit vielen Geschichten gefüllt. Christen die diesem Beispiel folgen werden wahre Jünger Christi sein. AFRIKA 145 Die Mennoniten Brüdergemeinde im Kongo Jean-Claude Kikweta A Mawa Wabala und Maurice Matsitsa ~ N‘$inga D ie Geschichte der Mennoniten Brüdergemeinde des Kongo (CEFMC) beginnt mit der Geschichte einer Person aus Nordamerika, die dem Ruf, Gott im Kongo zu dienen, folgte. Die Geschichte ist bald verwoben mit den Geschichten vieler Kongolesen, die Gott in einem Umfeld voller politischer, sozialer und wirtschaftlicher Schwierigkeiten dienten. In den letzten Jahrzehnten wurde die Demokratische Republik Kongo (DRK) durch zahlreiche politische Konflikte und Kriege erschüttert. Man schätzt, dass mehr als fünf Millionen Men¬ schen in den letzten zehn Jahren durch Kriege ihr Leben verloren haben. Wäh¬ renddessen sah die ganze Welt zu, aber tat nur wenig um die Situation zu verbes¬ sern. Trotz der schwierigen Umstände, unter denen die Kongolesen leben, ist die CEFMC zu eine der größten nationalen Konferenzen in der globalen täuferischen Glaubensfamilie geworden. Zu den Faktoren, die zum schnellen Wachstum bei¬ getragen haben, gehören die Übersetzung der Bibel und christlicher Literatur, die Ausbildung von Dorfevangelisten, medizinische Arbeit und die Gründung von Bibel-, Grund- und weiterführenden Schulen. Die Geschichte der CEFMC begann durch die Verpflichtung und Entschlos¬ senheit nordamerikanischer Missionare, das Evangelium ehemals unerreichten Menschen zu predigen. Im frühen zwanzigsten Jahrhundert entstand unter den nordamerikanischen Mennoniten Brüdern das Verlangen, nach Afrika zu reisen und das Evangelium zu verkünden. Diese Missionare begegneten vielen Schwie¬ rigkeiten. In einigen Fällen weigerten sich Missionsgesellschaften und Organi¬ sationen sie zu unterstützen. Krankheit, eine feindliche Umgebung und andere Faktoren machten es Missionsorganisationen schwer, Kandidaten nach Afrika zu senden. Angesichts dieser Ablehnung entschieden sich einige Mennoniten Brüdermissionare mit anderen Agenturen zu arbeiten, die bereit waren sich den Realitäten Afrikas zu stellen. Aaron und Ernestine Janzen waren die ersten dieser Mennoniten Brüdermissionare, die in den Kongo gingen. Die Pionierperiode (1913-1942): Aaron und Ernestine Janzen Die Janzens kamen aus der Mountain Lake und Carson Mennoniten Brüderge¬ meinde in Minnesota. Sie sahen die Not und verspürten einen Ruf, das Evan¬ gelium zu den unerreichten Menschen nach Afrika zu bringen. Der Mennoni- 146 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE ten Brüderausschuss für Auslandsmission war nicht bereit, sich in diesem Teil des afrikanischen Kontinents, insbesondere in Kamerun, wo andere Missionare schon gestorben waren, zu investieren. Deshalb nahmen die Janzens eine Stelle bei der neuen Mennoniten-Missionsvereinigung an, der Kongo Inlandsmission (CIM). Die CIM sandte sie in die östliche Provinz Kasai, wo sie sich anderen Missionaren, welche dort schon arbeiteten, anschlossen. Im November 1912 ver¬ ließen die Janzens die Vereinigten Staaten und kamen im Januar 1913 in Kasai an.^* Sie dienten der CIM treu und erlangten wertvolle Erfahrungen in der Mis¬ sionsarbeit in Afrika. Während ihres Dienstes im Kongo zwischen 1913 und 1922 blieben die Jan¬ zens in engem Kontakt mit den Mennoniten Brüdergemeinden in den Verei¬ nigten Staaten, insbesondere mit der in Mountain Lake und Carson. Sie hofften darauf die CIM verlassen zu können, um eine Arbeit mit der Mennoniten Brü¬ dergemeinde zu beginnen. 1920 beantragten die Janzens bei der Generalkonfe¬ renz der Mennoniten Brüdergemeinden in Nordamerika die Erlaubnis, die CIM zu verlassen und eine neue Mennoniten Brüder-Missionsstation zu gründen. Unglücklicherweise lehnte die Konferenz den Antrag, trotz der verschiedenen Berichte und Aufrufe, die zeigten, dass amerikanische Gemeinden das Evange¬ lium in den Kongo bringen müssten, ab. Nichtsdestotrotz gaben die Janzens nicht auf. Am Ende ihrer Arbeit mit der CIM ging Aaron Janzen in andere Teile des Kongos, um Orte zu suchen, wo man das Evangelium verkünden und ein unab¬ hängiges Missionsfeld eröffnen könnte. Die Janzens entschieden sich für den westlichen Teil der Provinz Kasai. Mit Hilfe des Stammes Luba kamen sie 1922 in Kikandji an und gründeten die erste Mennoniten Brüder-Missionsstation im Kongo. Einige Einheimische beteiligten sich aktiv an der Gemeindegründungsarbeit. Dazu gehörten Ndjimbo Kubala Timothee, Kayembe, Nzelenga Philippe, Nganga Paul, Jacques Kapumba, Senzele und andere, die sich ihm zuerst als Studenten, danach als Kollegen anschlossen. Kikandji, welche Janzens erste Missionsstation war, war nicht der ideale Ort für Missionsarbeit im Kongo, also mussten sie einen anderen Ort finden, Sie entschieden sich für das Gelände von Kafumba, zehn Kilometer von Kikandji entfernt. Verschiedene Faktoren bestimmten die Auswahl dieses Ortes für das Hauptquartier, dazu gehörten die reiche Vegetation und der Boden, das Poten¬ tial für ertragreiche Landwirtschaft und die Schiffbarkeit des Flusses Kwilu, um 58 Foreign Missions Africa. (Hillsboro, KS; The Board of Foreigo Missions of the Conference of the Mennonile Brethren Church of North America. 1947); 9. DIE AAENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IM KONGO 147 landwirtschaftliche Produkte und Handelsware zu transportieren. Der Bau der Kafumba-Station begann 1923 und endete 1924, als Janzen und alle kongolesi¬ schen Arbeiter die Kikandji-Station verließen und sich in der neuen Station nie- derließen.^* Zahlreiche Stämme bewohnten das Gebiet Kafumba, dazu gehören die Pende, Mbala, Songo und Kwese. Durch die Bemühungen der Janzens wurde die neue Station zu einem großen Missionszentrum und zog viele Menschen aus der Region an. Die Menschen profitierten von vielen sozialen und religiösen Diensten, die die Missionare anboten. Die Janzens bauten einen Klassenraum für die Grundschule und Bibelschule, um zukünftige Leiter für die Verkündigung des Evangeliums in den umliegenden Dörfern auszubilden. Sie bauten auch ein Gesundheitszentrum, eine Geburtsklinik und eine Druckerei um biblische Lite¬ ratur zu produzieren, alles was gebraucht wurde um das Wohlergehen der Men¬ schen zu sichern und Fortschritt in der Kafumba-Station zu machen. Wie schon erwähnt, war die Generalkonferenz der Mennoniten Brüderge¬ meinden in Nordamerika nicht gewillt, finanzielle, materielle oder organisa¬ torische Hilfe für die Janzens zu leisten. Angesichts dieser Tatsache waren sie gezwungen selbst nach Unterstützung zu suchen. Etwas Unterstützung kam aus Mountain Lake und Carson und anderen Orten. Dazu kam, dass sie landwirt¬ schaftliche Programme begannen und die Produkte verkauften und damit die Missionsarbeit unterstützten. Das Kafumba-Gelände mit seinem fruchtbaren Boden war für die Landwirtschaft geeignet.*® Die Grundschule und die Bibelschule waren ein sehr wichtiger Teil des Pro¬ gramms der Janzens. Das Ziel der Schule war es den Einheimischen lesen und schreiben beizubringen. Die, die für das Studium im Bibelinstitute ausgewählt wurden, wurden zu Helfern in der Verkündigung des Evangeliums. Die Ausbil¬ dung war sehr begrenzt. Die Sprache in der unterrichtet wurde war Kikongo ya Leta. Die frühe Mennoniten Brüdermissionsarbeit im Kongo stand im Kontext des belgischen Kolonialsystems. Die belgische Kolonialherrschaft teilte den Kongo in bestimmte Regionen auf, in ähnlicher Weise, wie ganz Afrika unterteilt wurde, obwohl es im Kongo eher aus religiösen Gründen geschah als aus politischen, Man wollte Konflikte zwischen den verschiedenen protestantischen Gruppen 59 Ebd.. 13. 60 Kikweta Mawa Wabala; ^Historie de la Communaute des Eglises des Freres Mennoniles du Zaire (CEFMZ). “ Memoire de maitrise en Thiobgie, Faculte de Theologie Protesiante de Montpellier France, fuin 1977: 39, 148 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE vermeiden. Die katholische Kirche durfte frei im ganzen Land agieren, den Pro¬ testanten jedoch wurden bestimmte Regionen zugewiesen, die sie evangelisieren sollten. Nachdem der Kongo 1960 seine Unabhängigkeit erlangte, durfte sich jede Denomination niederlassen, wo sie es wollte. Die Unterteilung bedeutete auch eine neue Strategie, um soziale Dienstleis¬ tungen für die kongolesische Bevölkerung zu erbringen. Ein System der Co-Ver¬ waltung von Schulen, Ausgabestellen und Krankenhäusern wurde eingeführt. Diese Strategie war entscheidend, da die kongolesische Bevölkerung zum großen Teil in Dörfern lebte und die Missionare sehr motiviet waren auch in abgelegene Teile des Landes zu gehen und dort das Evangelium zu verkünden. In dem Co-Verwaltungssystem durften die Gemeinden Schulen, Ausgabestel¬ len und Krankenhäuser bauen. Die Regierung subventionierte den Aufbau von Infrastruktur, die medizinischen und die Schulprogramme und sie bezahlte die Gehälter von Lehrern, Ärzten und Krankenschwestern. Darüber hinaus durften die Gemeinden Religionsunterricht geben, nach dem Glaubensbekenntnis der Denomination, die die Schule verwaltete. Im Kongo ist der Religionsunterricht Pflicht und die Regierung zahlt das Gehalt des Schulpfarrers. Die Übersetzungen von Bibeln und christlicher Literatur waren ein effek¬ tiver Weg, um es den einheimischen Menschen zu erlauben die Evangelisation selbst in die Hand zu nehmen. Die Missionare konnten die evangelistischen Pro¬ gramme durch Bibelkurse und Jüngerschaftstraining beeinflussen. Sobald Bibeln und christliche Literatur in den einheimischen Sprachen verfügbar waren, ver¬ loren die Missionare die Kontrolle über die Programme. Die Menschen konnten die Bibel auf ihre eigene Weise studieren und sie in ihrem Kontext verstehen. Bald darauf wurde ein Literatur- und Übersetzungsdienst in Kafumba eröff¬ net. Die Einheimischen wurden dazu ausgebildet, den Missionaren bei der Über¬ setzung der Bibel (besonders des Neuen Testaments, aber auch einiger Teile des Alten Testaments), christlichem Unterrichtsmaterial und Schulbüchern zu hel¬ fen, die dann von der Grund- und Bibelschule Kafumba verwendet wurden. All das wurde getan, um Menschen zu evangelisieren, die nur ihren eigenen lokalen Dialekt kommunizieren oder verstehen konnten. Kongolesische Menschen wie Nganga Paul und Ndjimbo Timothy brachten ihre Fachkenntnisse bei diesem Dienst ein und arbeiteten mit Martha Hiebert, die 1928 dazu kam und Kathryn Willems, die 1936 dazu stieß. Die üTjersetzung des Neuen Testaments begann Ernestine Janzen 1936 und wurde 1943 nach Amerika zum Druck geschickt. Gegen Ende desselben Jahres wurden die ersten Exemplare des Neuen Testa- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IM KONGO 149 ments die in Kikongo ya Leta übersetzt wurden in Kafumba veröffentlicht und verbreitet. Ein Gesundheitszentrum und eine Geburtsklinik brachten dringend benö¬ tigte medizinische Versorgung und halfen dabei, einige der endemischen Krank¬ heiten der Region zu heilen. Die Janzens errichteten ein Waisenhaus für Kinder in Not. Einige bekannte Gemeindeleiter, wie Nganga Paul und Yongo Antoine, sind in diesem Waisenhaus aufgewachsen.** Aaron Janzen kannte sich in der Landwirtschaft aus, da er von seinen Eltern, die aus der Ukraine kamen, gelernt hatte. Eingeschränkt durch den Mangel an angemessener finanzieller Unterstützung leitete er landwirtschaftliche und forst¬ wirtschaftliche Programme in die Wege, um Kaffee, Palmnüsse und Palmöl zu produzieren. Außerdem züchtete er Ziegen. Eine Möbelwerkstatt, eine Näherei, eine Ziegelei und ein Sägewerk wurden ebenfalls errichtet, diese schufen Arbeits¬ plätze und Produkte, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Missionare und Kongolesen bei der Arbeit in Kafumba Ein kongolesisches Sprichwort sagt, dass „ein einzelner Finger nicht das ganze Gesicht waschen kann.“ Die Janzens haben die Wahrheit in diesem Sprichwort erkannt. Obwohl sie keine Unterstützung von der Generalkonferenz der Men- noniten Brüder in Nordamerika bekommen hatten, so hatten sie doch das Ver¬ trauen der Brüder und Schwestern in ihren Heimatgemeinden verdient. Sie blieben in engem Kontakt sowohl mit den Gemeinden in Mountain Lake und Carson, als auch mit anderen, die sich für ihre Arbeit interessierten. Bei ihren Besuchen in den Vereinigten Staaten berichteten die Janzens über die Missionsar¬ beit im Kongo und baten um Missionsmitarbeiter und finanzielle Unterstützung für ihr Missionsfeld. Einige Gemeindemitglieder aus den Vereinigten Staaten reagierten positiv auf diese Bitte und unterstützten ihre Arbeit. Andere erkannten ihre Berufung, in den Kongo zu gehen und mit den Janzens zusammenzuarbeiten. Etwa zehn Missionare, insbesondere junge Frauen, schlossen sich den Janzens in Kafumba an. Somit gab es drei Kategorien von Arbeitern in Kafumba: Missionare, Kongo¬ lesen, die von den Missionare ausgebildet waren und als unterstützende Mitar¬ beiter (Lehrer, Religionslehrer, Pastoren, spezialisierte Arbeitskräfte, Kranken¬ schwestern, Schreiner etc.) arbeiteten und ungelernte Hilfsarbeiter. 61 £W., 114. 150 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE In Kafumba waren Missionare in allen Dienstbereiche vor allem in der Ver¬ waltung und im Management tätig. Kongolesen waren einfach als Mitarbeiter angestellt, um ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu helfen. Zu den Missi¬ onaren, die den Janzens dabei halfen die Arbeit von 1924 bis 1943 auszubauen, gehörten auch die Bendicsons, Eimer Hutchinsons, Abe E und Mary Kroeker, Miss Lemaire (eine Belgierin), Kathryn Willems, Anna Goertzen, Martha Hie- bert und Martha Manz.“ Missionarsehepaare blieben nie sehr lange in Kafumba. So war es auch mit Abe E und Mary Kroeker, die eine kurze Zeit da blieben und dann wieder nach Europa zurückkehrten. Bendicson starb in Kikandji, kurz nachdem Hutchinson die Janzens während ihres Urlaubes in Amerika 1927 ver¬ trat. Während die Hutchinsons die Janzens in Kafumba vertraten, starb die Frau von Hutchinson. Deswegen mussten die Janzens eilig nach Kafumba zurückkeh¬ ren. Die Hutchinsons dienten mit der Unevangelized Tribes Missions (UTM), die in den Regionen Panzi und Kajiji arbeitete. Als die Janzens zurückkamen, ging Hutchinson wieder zu seiner Station in Panzi zurück. Aaron Janzen arbeitete bis 1943 viel mit jungen Missionarinnen. Ernestine Janzen starb im September 1937 in Kafumba. Zu den Kongolesen, die Aaron Janzen bei seiner Arbeit halfen, gehörten Ndjimbo Kubala Timothy (der erste ordinierte Mennoniten Brüderpastor), Nganga Paul, Senzele Lue, Kufikisa Jean, David Kalama, Katuala Jonathan, Mabaya Jonathan, Kikweta Manasse, Bulama- tadi Ehe, Lumeya Nzash Gedeon, Kiwoma Jean, Manzumbu Stephan, Muzeba Nkieleb, Malwano Mwemo James und \iele andere. Die Hauptmerkmale der Gemeinde von 1922 bis 1943 Die Janzens entwickelten einen Plan, wie sie das Evangelium zu Menschen brin¬ gen konnten, die es bis dahin noch nicht erreicht hatte. Sie formten die Arbeit in Kafumba mit Blick auf die einheimische Bevölkerung und deren Bedürfnisse. Während einundzwanzig Jahre harter Arbeit erlangte die Kafumba-Station ein Ansehen, das weit über die Grenzen in andere Regionen hinein reichte. Die Gemeinde wuchs aufgrund der Vision, des Einfallsreichtums, der Erfahrung, der aufopferungsvollen Arbeit und der Entschlossenheit der Janzens. Die Gemeinde war hauptsächlich in ländlichen Gebieten zu finden. Die frühen Bemühungen mieden Städte und Wirtschaftszentren, von denen man dachte, dass sie stärker bösen Geistern ausgesetzt seien und somit nicht so offen für Evangelisation. Die 62 Janzen, 33. OIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IM KONGO 151 Gemeinde war zum großen Teil von der Welt isoliert. Der Lehrplan in der Grund- und Bibelschule in Kafumba wurde streng kontrolliert. Die Gemeinde war den evangelikalen und täuferisch-mennonitischen Bibel¬ werten sehr verbunden. Die Missionare lehrten mennonitische Prinzipien, auch wenn die Kongolesen nicht alle ihre Implikationen verstanden. Sogar heute wis¬ sen viele Mitglieder nicht wirklich, was es heißt Täufer oder Mennonit zu sein, und die Geschichte der CEFMC und ihr Missionarserbe ist vielen kongolesischen Mennoniten unbekannt. Die Gemeinde war von missionarischer Bevormundung der Kongolesen durch die ausländischen Missionare geprägt. Der missionarische „Vater“ traf alle Entscheidungen für seine „Söhne“, die selbst keine Verantwortung übernehmen konnten. Die Einheimischen in Kafumba akzeptierten das und fochten die Auto¬ rität der Missionare nicht an. Die Einschränkungen durch die belgische Koloni¬ aladministration wurden auch akzeptiert. Die Gemeinde duldete keine einheimischen Bräuche und Traditionen, da sie als satanisch angesehen wurden. Es herrschte Trennung zwischen Schwarzen und Weißen innerhalb der Missionsstation. Es gab eine Nachbarschaft der Weißen und eine der Schwarzen. Nichtsdestotrotz war die Gemeinde voller Energie und D)mamik, weil die Ausbildung, die die kongolesischen Führungskräfte erhielten, sie dankbar werden ließen für die intellektuellen, psychologischen, religiösen und kulturellen Werte, die ihnen die Missionare vermittelten. Für Aaron Janzen und sein Team gab es von 1938 bis 1943 große finanzielle Schwierigkeiten. Oftmals baten sie die Generalkonferenz der Mennoniten Brü¬ dergemeinden darum, volle Verantwortung für die Missionsarbeit zu überneh¬ men, um sie vor der Schließung zu schützen. Deswegen erklärten alle Missio¬ nare in Kafumba in einem am 29. Dezember 1938 Unterzeichneten Brief, dass sie bereit wären die Missionsarbeit an die Konferenz zu übergeben.*^ 1943 berichtete Aaron Janzen über die Ergebnisse der Arbeit in Kafumba wie folgt: Es wurden deinhundert Schulen in einhundert Dörfern gegründet und von mehr als einhundert Lehrern geleitet, eine Bibelschule wurde in Kafumba gegründet, außerdem gibt es ein Gesundheitszentrum, eine Geburtsklinik, einen Literaturservice für die Übersetzung und Produktion von christlichen Büchern, es gehen zweitausend Schüler in die Grundschulen in Kafumba und den umlie- 63 I. B. Toews; The Mennonite Brethren Church in Zaire (Fresno, CA; Board of Christian Literature, 1977): 77, 152 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE genden Dörfern und es gibt sechzehnhundert aktive Mitglieder in Kafumba und den umliegenden Dörfern.®'* Janzen leistete seinen Beitrag in dieser Region, indem er Lehrer und Evange¬ listen ausbiidete und die Infrastruktur verbesserte. Er hat es geschafft, durch die Selbstversorgung mit Lebensmitteln und indem er den Menschen zeigte, dass sie für sich selbst sorgen könnten wenn sie ihre Ressourcen richtig nutzen, das Evan¬ gelium mit dem menschlichen Wohlergehen in Verbindung zu bringen. Ein zweiter Anfang 1933 begann ein Missionarsehepaar aus Kanada, Henry und Anna Bartsch, eine zweite Arbeit in der Region Bololo des Kongo, etwa 450 Meilen nordöstlich von dort, wo die Janzens arbeiteten. Sie begannen ihre Arbeit unter der Afrika Missi¬ onsgesellschaft, einer Organisation, die von einer Gruppe gegründet worden war, die Verbindungen zur Winkler Bibelschule in Manitoba hatte, an der die Bartschs studiert hatten. Obwohl sie etwa ein Jahr in Kafumba bei den Janzens verbracht hatten, entschieden sie sich dafür mit einigen anderen Missionaren ein separates Unterfangen zu starten. Trotz der extremen Schwierigkeiten, denen sie begegne¬ ten, schlossen sich weitere Missionare an und hatten einigen Erfolg im Bereich der Evangelisation, Bildung, Gesundheit und Literaturarbeit. Aber als der Zweite Weltkrieg ausbrach, gingen fast alle Missionare nach Nordamerika zurück. Die Bemühungen wurden direkt nach dem Krieg wieder aufgenommen, nachdem die Arbeit der Afrika Missionsgesellschaft dem Mennoniten Brüderausschuss für Auslandsmission übertragen wurde. Die Bololo-Station wurde 1946 nach Djongo Sanga verlegt und 1949 einer anderen Mission übergeben. Übergabe der Verantwortung an die Mennoniten Brüderkonferenz von Nordamerika 1943 übernahm die Generalkonferenz der Mennoniten Brüdergemeinden in Nordamerika endlich die volle Verantwortung für die Arbeit im Kongo. Damit beugte sie sich dem Druck von Mennoniten Brüdergemeindemitgliedern in den Vereinigten Staaten und Kanada. Aaron Janzen übergab die Arbeit an den Men¬ noniten Brüderausschuss für Auslandsmission, damit die Einrichtung bestehen 64 Janzen, 25. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IM KONGO 153 bleiben und sich die Mennoniten Brüdergemeinde im Kongo ausbreiten konnte, Der Transfer von Janzens Arbeit brachte einige wichtige Veränderung in der Ver¬ waltung und Finanzierung mit sich. Erstens änderte sich der Status der Kirche selbst. Sie gehörte nicht länger den Janzens und wurde nicht mehr auf seine Wünsche zugeschnitten. Es gab auch eine Veränderung in der Leitung. Die amerikanische Mennoniten Brüder- Mission (AMBM) wurde von der Generalkonferenz der Mennoniten Brüderge¬ meinden in Nordamerika ausgewählt, für die Gemeinde im Kongo verantwort¬ lich zu sein. Die Arbeitsmethoden, Strategien und Philosophie änderten sich. Die AMBM gab eine neue Richtung vor und setzte neue Prioritäten. Die höchste Priorität hatte Evangelisation und die anderen Dienste wurden nur als Unterstüt¬ zung für dieses Hauptziel angesehen. Janzen wurde als gesetzlicher Vertreter der Kirche im Kongo eingesetzt. Er war bei der AMBM angestellt und wurde von ihr bezahlt, genauso wie andere Missionare, die im Kongo arbeiteten. Die ganze Finanzierung für die Arbeit kam aus Nordamerika. Die AMBM übernahm die volle Verantwortung für Ausrüstung, Finanzierung und Arbeits¬ kräfte der Arbeit. Weitere Missionare wurden der Arbeit zugewiesen um das Team in der Mission zu unterstützen und weitere Gemeinden außerhalb von Kafumba zu gründen. Das Ziel war es die Missionsarbeit über Kafumba hinaus in bisher von den Mennoniten Brüdern unerreichte Regionen auszuweiten. Die Kafumba-Station wurde zum Hauptquartier der Kongoer Mennoniten Brüder¬ gemeinde und wurde zum Nervenzentrum aller Mennoniten Brüdergemeinden. Die ganze evangelistische Aktivität in der Provinz Bandundu wurde in Kafumbu entwickelt und von dort aus ausgeführt. Ausweitung (1944-1960) Die Generalkonferenz der Mennoniten Brüder in Nordamerika hatte die Arbeit im Kongo ständig begutachtet. Im Laufe der Zeit entschied sich die AMBM, die Missionsarbeit weiterzuführen und sogar über die Grenzen Kafumbas hinaus auszuweiten. Um dieses Ziel zu erreichen warb die AMBM Mitarbeiter an und sandte sie in den Kongo. Die erste Welle von Missionaren begann 1944 mit der Ankunft von Susie Brucks. Von 1945 bis 1948 wurden andere Missionare ausge¬ sandt um die Evangelisationsarbeit zu unterstützen. Eine zweite Welle von Mis¬ sionaren umrde zwischen 1951 und 1959 ausgesandt. Diese sollten die Auswei- 154 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE tung und Gründung von anderen Gemeinden in Bandundu unterstützen.®^ Neue Stationen entstanden in Matende (1945), Kilembe (1947) und Kipungu (1948) im Bezirk Kwilu. Zusätzlich zu diesen Stationen übernahm die AMBM weitere Sta¬ tionen von anderen Missionsorganisationen, die finanzielle Schwierigkeiten hat¬ ten. Zu diesen gehören Lusemvu (1951), Gungu (1951), Kajiji (1953) und Panzi (1952). Die Mennoniten Brüdermissionsarbeit weitete sich von 150 auf 450 Kilome¬ ter rund um Kafumba aus und erreichte die angolanische Grenze. Im Jahre 1958 gab es neunundvierzig Missionare, elf kongolesische Pastoren, 276 Religionsleh¬ rer, eine Bibelschule, eine EAP {Ecoles d'Apprentissage Peäagogique) Schule, über zweihundert Grundschulen mit insgesamt achttausend Schülern und über sechs¬ tausend Gemeindemitglieder.®® Es ist wichtig anzumerken, dass die Missionsarbeit der AMBM sich dann wieder ausweilete um Bildung mit einzubeziehen. Das Gewicht dieser zusätz¬ lichen Verantwortung wurde sehr schwer und die AMBM beantragte Subven¬ tionen von der kolonialen Regierung. Mithilfe von anderen Mennoniten wurde eine Schule für die Ausbildung von Lehrern in Matende 1953 gegründet, um die staatlichen Anforderungen für den Erhalt von Subventionen, die für die Bezah¬ lung der Lehrer notwendig waren, zu erfüllen. Diese neue Ausbildungsinstitution half dabei, den Bedarf an ausgebildeten kongolesischen Mitarbeitern, die in den Grundschulen der Gemeinden unterrichten konnten, zu decken. Grund- und weiterführende Schulen, sowie medizinische Institutionen dienten als Werkzeuge der Evangelisation. Jedes Jahr bekehrten sich einige hundert Schüler und Patien¬ ten aufgrund des Zeugnisses der Schulpriester, Lehrer, Krankenschwestern und Ärzte. Kürzlich gründeten Patienten aus dem Krankenhaus in Kajiji Gemeinden in Angola, nachdem sie dorthin zurückgekehrt waren. Diese Patienten hatten den Vorteil, die gleiche Sprache wie die Menschen in der Region Kajiji zu sprechen. Die Eröffnung von Bibelschuien zuerst in Kafumba und danach in Kikwit, Panzi, Nzashi Mwadi und Kajiji bot weitere Werkzeuge für die Evangelisation. Mit der Zeit schloss sich die Mennoniten Brüdergemeinde dort der Mennoni- tengemeinde an und sie gründeten eine theologische Schule in Kajiji, die spä¬ ter nach Kinshasa umzog und heute als Christliche Universität von Kinshasa bekannt ist. Bibelschulen wurden zu einer effektiven Methode um Evangelisation zu fördern. Absolventen der Bibelschulen waren gewillt überall zu dienen, wobei 65 Toews gibt eine vollständige Liste, 225-235. 66 Kikweta. 97-106. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IM KONGO 155 es den Absolventen der theologischen Schulen und Seminaren oft widerstrebte an Orten zu dienen, wo die sozialen und wirtschaftlichen Umstände schwierig waren. Das Ergebnis war, dass Absolventen von theologischen Schulen und Semi¬ naren dazu tendierten in Städten zu dienen, wo sie auch als Lehrer in weiter¬ führende Schulen gesandt wurden. Sie erhielten zusätzliche Bezahlung von der Regierung, welches diese Lehrern und Mitarbeitern in Bekenntnisschulen gibt. Unabhängigkeit Der Kongo (auch als Zaire und die Demokratische Republik Kongo bekannt) erhielt am 30. Juni 1960 seine Unabhängigkeit. Dieses Ereignis kam plötzlich und hatte drastische Auswirkungen auf das politische, wirtschaftliche, religiöse und soziale Leben des Landes. Es brachte die Afrikanisierung aller Positionen, die bis dahin mit Weißen besetzt waren, mit sich. Die Belgier hatten die Kongolesen nicht für die Verwaltung des Landes ausgebildet und der plötzliche Anbruch der Unabhängigkeit verursachte ernsthafte politische Instabilität und Unsicherheit im ganzen Land. Die Mennoniten Brüder ergriff Angst und Unsicherheit. Die AMBM wies die Missionare an, das Land im Juni und Juli 1960 über Angola zu verlassen. In der darauf folgenden Abwesenheit der Missionare waren die kongolesischen Pastoren nicht auf die Verantwortung der Verwaltung, der Stationen und des Kapitals vorbereitet. 1961 kehrten einige Missionare zurück und verlagerten das Hauptquartier (das seit 1924 in Kafumba gewesen war) aus Sicherheitsgründen unter der Leitung von John Kliewcr in die Stadt Kikwit. Ame¬ rikanische Mennoniten Brüder waren nicht mehr bereit auf dem Land zu blei¬ ben, weil es dort nicht so sicher war. Deswegen begannen die amerikanischen Mennoniten Brüder damit, sich in städtischen Gebieten niederzulassen. Es wur¬ den Gebäude für das AMBM-Hauptquartier und das Administrationszentrum in Kikwit errichtet. Eine Kirche mit zwei Häuptern Angefangen um 1962 herum, verkündeten die Mennoniten Brüder, dem Bei¬ spiel anderer Kirchen folgend, die „Kongolisierung“ oder „Afrikanisierung“ ihrer Gemeinden. Die AMBM beschloss kongolesische Mennoniten Brüder in die Ver¬ waltung der Gemeinden mit einzubeziehen. Deshalb entstand die Vereinigung der Mennoniten Brüdergemeinden des Kongos (AEFMC). Das deutete im fol- 156 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE genden, dass die Missionare gewillt waren, die Verantwortung für die Arbeit in den Ortsgemeinden zu teilen. Die Kongolisierung der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Positionen hatte eine erhebliche Auswirkung auf das Land. Die Partei oder Orga¬ nisation, die bis dahin von Weißen geleitet wurde, musste jetzt von Kongolesen verwaltet werden. Aber das war nicht einfach, weil Mangel an qualifiziertem Per¬ sonal in vielen Bereichen herrschte. Diese Situation traf auch auf den religiösen Bereich zu. Niemand hatte daran gedacht, die intellektuelle Elite der kongolesi¬ schen Mennoniten Brüdergemeinden auszubilden. Die kongolesischen Mennoniten Brüder standen im Kontakt mit andern Kir¬ chen, wo Kongolesen die Verwaltung der Ortsgemeinden schon übernommen hatten. Sie lehnten es ab, unter der vollen Überwachung von weißen Missionaren zu bleiben. Sie forderten, dass man sie in die Verwaltung der Gemeinden mit ein¬ bezog. Die Missionare stimmten der Gründung der AEFMC, mit der sie arbeiten sollten, nur zögernd zu. Es war keine echte Partnerschaft, da die AMBM allein Finanzen, Equipment und Mitarbeiter beisteuerte. Deshalb leitete die AMBM die Gemeinden und hatte die Autorität, während kongolesische Mennoniten Brüder Personal und Hilfskräfte beisteuerten. Die Kongolesen führten die Entscheidun¬ gen, die die Missionare getroffen hatten, getreu dem Motto: „Die Person, die das Geld gibt, hat die Macht“ aus. Es gab keine wahre Einheit zwischen der AMBM und der AEFMC. Es schien, als hätte die Kirche zwei Häupter, das eine bestand aus den Missio¬ naren und das andere aus Kongolesen. Es hätte eine enge Kooperation zwischen Missionaren und Einheimischen geben sollen, aber die Missionare bestanden darauf, dass die Verantwortung in den Gemeinden nicht geteilt werden sollte. Die Missionare hatten die wirkliche Macht, weil sie die finanziellen Mittel und das Equipment hatten und die Kongolesen hatten nichts. Oft kam keine Gemein¬ schaft zustande, weil teilen nicht fair zu sein schien. Clarence Hiebert, der viele Jahre später Le Lien schrieb, erklärte, dass Nordamerikaner die „fremden Chris¬ ten" oft als Kinder der nordamerikanischen Missionsbemühungen bezeichneten. Diese Probleme sind immer noch vorhanden im Missionsprogramm.^^ Diese Konstellation arbeitete bis 1971 auf diese Art und Weise weiter, als die wahre Vereinigung der Mission, die durch die AMBM und die AEFMC repräsen¬ tiert wurde, stattfand. Die neu entstandene Struktur wurde Communaute des EgU~ 67 Clarence Hiebert, „Un coeur pour ceux qui rioni pas enlendu: historie de la mission des Freies mennonites." Le Lien des Frh-es Mennonites, 19,6 (Dezember 2000): 1-3. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IM KONGO 157 ses des Freres Mennonites au Zaire {CEFMZ, später CEFMC) genannt. Die AMBM übergab auf der Generalversammlui^ im August 1971 in Kwenge die Missions¬ arbeit der CEFMZ. Daraus ergab sich dann, dass die CEFMZ zur offiziellen Men- noniten Brüdergemeinde in Zaire wurde und unter kongolesischer Leitung stand, Wie man über diese Veränderung sprach, kam drauf an, wer redete. Die Missi¬ onare sprachen von der Übergabe der Gemeindeadministration an die Einhei¬ mischen, während die Kongolesen davon sprachen, dass sie ihre Unabhängigkeit von den Missionaren zurückerhielten. Die Sprache, die von den kongolesischen Mennoniten Brüdern verwendet wurde, ähnelte der politischen Sprache, die ver¬ wendet wurde, als der Kongo seine Unabhängigkeit 1960 von Belgien erhielt. Die rechtlichen Vertreter der CEFMC von 1971 bis heute (2009) waren die folgen¬ den: Paul Ngnaga Diyoyo (1971 -1974), Isaac Kilabi Bululu (1974-1984), Jean- Pierre Kusangila Kitondo (1984-1991), Norbert Masolo Mununga (1991 -1998), Gilbert Ndunda Ngelego (1998 - 2004) und Damien Pelende Tshinyam (2004-). Der Zustand der Kirche zur Zeit der Vereinigung Die Mennoniten Brüdergemeinde im Kongo war zur Zeit der Vereinigung zwi¬ schen der Mission und der CEFMZ von Stärken und Schwächen gekennzeichnet. Es war eine Gemeinde mit vielen Dienstbereichen, wie zum Beispiel Evangeli¬ sation, Gesundheitswesen, Bildung, Gemeindeaufbau, Literatur, Radioevangeli¬ sation, Bibelübersetzung und eine Fernbibelschule. Sie existierte in ländlichen Gebieten, sowie in städtischen Zentren wie Kikwit. Sie, die CEFMC, wurde als die erste, gut strukturierte und gut organisierte, protestantische Kirche im Land angesehen, ln Kinshasa war es die erste protestantische Gemeinde, die ein Auf¬ nahmestudio besaß und Predigten über das Radio in den Kongo und darüber hinaus sendete. Die Gemeinde war weltofFen und hatte Verbindungen zu anderen protestantischen Gemeinden und Organisationen, wie z. B. das Protestantische Landwirtschaftsprogramm, das Protestantische Empfangszentrum (Protestan¬ tisches Gasthaus), das Literaturverbreitungszentrum, das Kinshasa Theologie- college (ISTK) und das Mennonite Central Committee. Sie hatte damit begon¬ nen, Führungskräfte für die Gemeinde im universitären Bereich auszubilden, damit sie Bedürfnisse der Öffentlichkeit erfüllen und das Evangelium in urbanen Gebieten verbreiten konnten. Die Kirche hatte eine vielversprechende Zukunft mit ihren jungen Intellektuellen und Laien. Es gab eine neue Generation mit einer neuen Mentalität. 158 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-ßRÜDERCEMEINDE Die Mennoniten Brüdergemeinde war zur Zeit der Vereinigung aber auch von verschiedenen Schwächen gekennzeichnet. Es war eine Kirche der Massen, die sich weder finanziell noch institutionell beteiligten. Das war ein Ergebnis der Strategie, die festgelegt worden war, als die AMBM die Verantwortung von 1943 bis 1971 übernommen hatte. Ihre ganze Unterstützung kam aus Nordamerika. Die Gemeinde schaffte es nicht, die Lebensbedingungen zu verbessern und das Elend und die Armut ihrer Mitglieder zu bekämpfen. Die Missionare verteil¬ ten die Unterstützung, die sie von der Mission erhielten, nicht und die mageren Löhne der Mitarbeiter verbesserten die Lebensbedingungen nicht. Missionare rieten den Arbeitern von Initiativen, mehr Geld zu verdienen, ab. Die Missio¬ nare bezeichneten Versuche von Arbeitern mehr Geld zu verdienen manchmal als satanisch. Der Gemeinde fehlten auch Fachkräfte im Bereich der Theologie, Medizin und Gemeindeverwaltung. Sie hatte nur wenige Leiter, die Erfahrungen im Bereich der Administration und Finanzverwaltung hatten. Kongolesen leiten ihre eigenen Gemeinden (1971-2008) Die Personen, die im Bibelinstitut und in der Pastorenschule ausgebildet wur¬ den, waren die ersten, die Führungspositionen in den neuen Gemeinden über¬ nahmen, um die Missionsarbeit fortzusetzen. Sie mussten auch die brüderliche Beziehung zwischen Missionaren und Kongolesen fördern. Das erste kongolesi¬ sche Team wurde von Paul Nganga Diyoyo geleitet und bestand ausschließlich aus Laien. Diyoyo war einer von denen, die Janzen in der Bibelschule in Kafumba ausgebildet hatte. Er war ein begabter Mann, der noch nie als Pastor gedient hatte. Die erste Satzung der CEFMZ hatte die Qualifikation der Menschen, die eine Mennoniten Brüdergemeinde leiten sollten, nicht genau festgelegt. Laien konn¬ ten hohe administrative Positionen in der Gemeinde inne haben. Viele Mitglie¬ der der Mennoniten Brüdergemeinden des Kongo hatten Hochachtung vor dem ersten Team. Es vermochte die Einheit zwischen Missionaren und Kongolesen und die Einheit unter den Kongolesen selbst zu erhalten, indem es zwischen den Gruppen die Balance hielt. Damit verringerte dieses Team auch die Gefahr, die Gruppenbildung für das Wohlergehen der nationalen Gemeinde darstellte. Dieses Team stellte sich auch der Herausforderung der Evangelisation, indem es weitere Gemeinden im Gebiet von Kinshasa und im Süden Kwangos grün¬ dete und die Bildungsinstitutionen ausbaute. Grund- und weiterführende Schu¬ len wurden für die Ausbildung der Kinder von Mennoniten Brüdergemeinden im Kongo gegründet. Kikwete Mawa Wabala bezeichnet Nganga Paul, Matsitsa DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IM KONGO 159 Charles-Andrew und Mukoso Matthew als Dreigestirn, die herausragende Leis¬ tungen im Bereiche der Administration der Gemeinde geleistet hatten. Kikweta berichtet auch, dass obwohl sie nur Laien waren, die in einer Missionsschule ausgebildet wurden, so leistete das Team einen gewaltigen Beitrag für die Men- noniten Brüdergemeinde im Kongo. Des Weiteren schreibt Kikweta, dass es ein kreatives Team war, das die Gemeinde sorgsam und geschickt leitete und somit verhinderte, dass die CEFMZ ins Chaos stürzte. Das zweite Team diente für zwei Amtszeiten als Haupt der Mennoniten Brü¬ dergemeinde des Kongos. Zum ersten Mal wurde die Gemeinde von jemandem geleitet, der einen Bachelor in Theologie hatte. Reverend Isaac Kilabi Bululu, der ein vom Missionsausschuss unterstützter, in Frankreich ausgebildeter Theologe war, leitete das Team. Die Satzung wurde revidiert, um die Qualifikationen derer, die eine Gemeinde leiten konnten, festzulegen. Die erste Amtszeit von diesem zweiten Team wurde in Zusammenarbeit mit Arnold Prieb, dem Generalsekretär, der die Mennoniten Brüder-Mission und -Service vertrat, geleitet. Später verän¬ derte sich die Struktur. Der rechtliche Vertreter wurde der Generalsekretär. Aus verschiedenen Gründen verließen Missionare Leitungspositionen. Gruppenbil¬ dung kam auf, die Gemeinden wurden schlecht verwaltet, das Fehlen einer klaren Vision und die Ziele von einzelnen Repräsentanten verursachten zeitweise ernst¬ hafte Konflikte. Den schlimmsten von ihnen gab es von 2002 bis 2004. Evangelisation bleibt der Eckstein und die wichtigste Arbeit dieser Gemein¬ den. Die Anzahl der Gemeinden und ihre Mitgliederzahlen wachsen. Die Aus¬ bildung von Leitern ist von hoher Bedeutung. Theologen werden in guten Uni¬ versitäten mit der Unterstützung ihres Partners der jetzigen MBMS ausgebildet. Frauen sind Teil der Entwicklung dieser Mennoniten Brüdergemeinden. Evangelisation und Gemeindewachstum Die Verkündigung des Evangeliums für die Menschen, die bis dahin noch nicht erreicht worden waren, wurde fortgesetzt. Die Leiter entwickelten Strategien, um dieses Ziel zu erreichen. Die Ausbildung von Leitern hat höchste Priorität. Inzwi¬ schen hat die CEFMC Absolventen mit Doktor-Abschlüssen, Master-Abschlüs¬ sen und Bachelor-Abschlüssen in Theologie.^ Die zweite Priorität ist es, Gemeinden an Orten zu gründen, die von den Missionaren nicht erreicht wurden. In Großstädten arbeitet die Gemeinde daran 68 Zum Beispiel: Dr. Nzash-U-Lumeya, Dr. Matuoguiu Guvule, Dr. N'zuzi Mukawa. 160 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Wege zu finden, um das Evangelium zu verkünden und Mennonitische Theolo¬ gie zu lehren. J. B. Toews zufolge gab es 1973 sechzig Gemeinden und 1977 gab es insgesamt 18086 Mitglieder. Reverend Mandono Biansi, der jetzige Gemein¬ deevangelist. berichtet von einem starken Anstieg der Anzahl von Gemeinden in den Jahren 2007 und 2008. Es gab 285 Gemeinden 2007 und 3872008.®^ Die Gesamtzahl der Mitglieder des CEFMC 2008 war 99 376 und die Gemeinde wird höchstwahrscheinlich 2010 über 100000 Mitglieder haben. Das heißt, dass die CEFMC eine der größten Mennoniten Brüdergemeinden der Welt ist. Dieses zahlenmälhge Wachstum erfordert auch eine wachsende Anzahl an Pastoren. Jede Gemeinderegion wählt Kandidaten für eine theologische Aus¬ bildung aus. Auch Frauen verpflichten sich selbst dem pastoralen Dienst und einige Frauen sind auch schon als Pastorinnen ordiniert worden. 2008 gab es insgesamt 427 Pastoren und zwanzig von ihnen waren Frauen. Das ist eine Aus¬ nahme verglichen mit den meisten anderen Mennoniten Brüdergemeinden in der Welt. Im Jahr 2000 warf der gesetzliche Repräsentant und Generalsekretär, Gilber Ndunda Ngelego, die Frage der Frauenordination durch die Mennoniten Brüdergemeinde des Kongo auf. Die erste ordinierte Frau war Charly Lukala, Später wurden auch Beatrice Kadi, Pombo Narri, Gislaine Tshithsi Tomisa, Marie Fumana und Alphonsine Munganga ordiniert. Darüber hinaus wurde eine Abteilung für Mission durch eine Initiative von Dr. Nzash U. Lumeya geschaffen und 1995 von der Generalversammlung der CEFMC akzeptiert. Die CEFMC war gewillt mit der Unterstützung ihres Haupt¬ partners, der MBMSI, über die Staatsgrenzen hinaus zu gehen. Die beiden Orga¬ nisationen haben Vereinbarungen getroffen, aus denen folgte, dass die CEFMC eine Präsenz in Angola durch den Reverend Norbert Masolo Mununga aufbaut. Mit Rev. Baudouin N'Sulunka hat sie auch einen Repräsentanten in Südafrika. Die MBMSI steuert finanzielle und materielle Mittel bei und die CEFMC stellt Personal zur Verfügung. Die CEFMC gründet zurzeit verschiedene Gemeinden im Bas-Kongo und in der westlichen Provinz Kasai innerhalb des Kongo. Die CEFMC erkannte auf der zwölften Generalkonferenz vom 10. bis zum 12. Oktober 2008 in Kahemba die Mennoniten Brüdergemeinde von Süd Kivu als ihre neunte Bezirkskonferenz an. 69 Renseignement fourni par le Reverend Damien PELENDE Representanl Legal et Secretaire General de la CEFMC, kokwit. Fevrier, 2009. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IM KONGO 161 Ausbildung von Leitern Die Richtlinien für die Ausbildung von Leitern haben sich geändert. Das Haupt¬ anliegen der CEFMC war es Leiter auszubilden, weil die Gemeinden immer moderner und städtischer wurden. In großen Städten gab es Menschen mit vie¬ len verschiedenen Gaben, somit konnte die Gemeinde Evangelisation für viele Bevölkerungsgruppen anstoßen. Angefangen in 1971, wurden einige Kandida¬ ten entsandt um ein theologische Ausbildung zu erhalten. Gemäß einer Verein¬ barung zwischen dem Missionsausschuss und der CEFMC wurden finanzielle Mittel für dieses Ziel zur Verfügung gestellt. Stipendienprogramme wurden an der Mhabdu High-School (Kikwit), der Krankenpflegeschule in Kajiji und der Berufsschule in Batela eingerichtet. Neben theologischer Ausbildung engagierte sich die CEFMC auch in der Ausbildung von kongolesischen Kindern, indem sie Grund- und weiterführende Schulen gründete. Große Schulen, wie die in Kinshasa, wurden gebaut. Es wur¬ den auch Schulen auf den Missionsstationen gebaut, die die kongolesische Regie¬ rung finanzierte. Viele Menschen verurteilten die Spaltungen und den Stammescharakter, der in der Mennoniten Brüdergemeinde des Kongo entstanden war. Es wurden 1979 drei Gemeinderegionen geschaffen (Kikwit im Norden, Kinshasa im Westen und Panzi im Süden) und infolgedessen entstanden ernsthafte Stammesprobleme. Ein Machtkampf entwickelte sich. Macht in der Gemeinde war oft mit der Stammes¬ zugehörigkeit verbunden. In der nördlichen Region waren die Pende und die Mbala in der Mehrheit und wollten um jeden Preis die Leitungspositionen in der Gemeinde behalten. In der südlichen Region kämpften die Yaka und die Tshokwe um die Macht. Diese Tendenz gibt es noch heute. Die Wahl zum rechtlichen Ver¬ treter und Generalsekretär nach einer Amtszeit ist oft mit Schwierigkeiten unter den Stämmen verbunden. Der beste Kandidat kann eventuell nicht unterstützt werden, weil man den Kandidaten aus dem eigenen Stamm unterstützen möchte. 1984 wurden zwei Leute, die in der nördlichen Region der CEFMC arbeiteten, in die jeweilige Heimatregion geschickt um ordiniert zu werden und kehrten dann zurück um ihre Arbeit im Norden fortzusetzen. Von 1984 bis 2004 rotierte die Leitung der Hauptverwaltung zwischen den oben erwähnten Regionen. Seit 2000 jedoch sind viele Stimmen für die Aufgabe der Richtlinien und der Satzung der Gemeinde laut geworden. Das Regionalsys¬ tem wurde aufgegeben und durch Gemeindekonferenzen ersetzt. 2003 wurden die drei Regionen in acht Konferenzen aufgeteilt: Kafumba, Kajiji, Kikwit, Kin¬ shasa, Kipungu, Gungu, Panzi und Wamba. Eine neunte Konferenz wurde auf 162 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE der zwölften Generalversammlung 2008 anerkannt. Weitere Aufteilungen sind wahrscheinlich. Die Kajiji-Konferenz wird wahrscheinlich in zwei geteilt (Kajiji und Kahemba). Andere, wie zum Beispiel Panzi, könnten auch geteilt werden. Es werden noch mehr Theologen gebraucht, die eine Ausbildung in adminis¬ trativer Verwaltung, Leiterschaft und Unternehmensführung haben. Viele Lei¬ ter besitzen meist keine administrative Erfahrung, wenn sie ihre theologische Ausbildung beenden. Oft haben sie nur Erfahrung in der Leitung von kleinen Gemeinden. Die CEFMC gebraucht immer noch Kikongo ya leta als Sprache der Admi¬ nistration. Die Sprache Kikongo wurde sogar bei den Tagungen der Generalver¬ sammlung verwandt. Deswegen ist es schwer für Menschen, die nicht Kikongo sprechen, die Protokolle und Berichte der CEFMC Sitzungen zu verstehen. Die Richtlinien und Satzungen waren bis 2000 in dieser Sprache verfasst, bis ein Team, durch Reverend Gilbert Ndunda Ngelego geleitet, sie in Französisch über¬ setzte. Diese Aufgabe war durch eine Kommission unter der Leitung von Maurice Matsitsa - N‘singa in Auftrag gegeben worden. Die Treffen des zentralen Exeku¬ tivkomitees genehmigten den Gebrauch der französischen Sprache. Geschichtliche Aufzeichnungen der Mennoniten Brüdergemeinde Kongos sind nicht sehr gut archiviert worden, somit ist es schwierig Forschungen über die kongolesische Geschichte anzustellen. Offizielle und religiöse Dokumente sind an vielen Orten verstreut und es gibt keine Pläne zur Errichtung eines Archivs. Die meisten Gemeindemitglieder interessieren sich nicht für ihre Geschichte und betrachten es als eine Aufgabe der Missionare. Entwicklung, Gesundheitswesen und Literatur Die CEFMC hat zusammen mit anderen Gemeinden und mit Hilfe von Missiona¬ ren daran gearbeitet, Industrieanlagen aufzubauen, wie zum Beispiel mittels des Programme Agricole Protestant. In den 1990er Jahren wurde eine Abteilung für Gemeinwohl und Entwicklung (DESADEC) unter kongolesische Leitung geschaf¬ fen. Die DESADEC bestand nicht lange. Maweshi Mbenza berichtet, dass viele der CEFMC Projekte eingestellt wurden. Bürokratie ist einer der Hauptgründe, warum etliche Programme nicht finanziert wurden. Kein anderer Dienst ersetzte die DESADEC. Der CEFMC ist es nicht mehr möglich, Dienste wie diese Ent¬ wicklungsabteilung zu schaffen. Diese Dienste sind sehr teuer und die Gemeinde kann sie nicht unterstützen. Nach einigen Beratungsgesprächen mit der MBMSI hat diese sich dafür entschieden die DESADEC nicht zu unterstützen. Einige DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IM KONGO 163 bleiben dabei, dass die CEFMC Verantwortung für sich selbst übernehmen kann und das die CEFMC reif genug dafür ist. Die finanzielle Unterstützung durch die MBMSI wurde fast ganz eingestellt und es gibt nur wenig Unterstützung aus Nordamerika. Auch wenn die CEFMC gereift is und, den Mitgliederzahlen nach, eine der größten Mennoniten Brüdergemeinden darstellt, so sind die finanziellen Mittel doch sehr begrenzt. Die meisten Mitglieder der Mennoniten Brüdergemeinde im Kongo sind arbeitslos und nur ein Drittel von ihnen verdienen zwischen 40 und 50 US-Dollar im Monat. Das heißt, dass die CEFMC immer noch nicht die volle Verantwortung für die Arbeit übernehmen kann. Unter der AMBM hat sich die Arbeitsphilosophie, die von Aaron Janzen befürwortet worden war, geändert. Die landwirtschaftliche Entwicklung hatte stark zum wirtschaftlichen Wohlergehen der CEFMC Mitglieder beigetragen, und wenn die AMBM die Vision von Jan¬ zen weiterverfolgt hätte, wäre die CEFMC unabhängiger geworden. Leider spie¬ gelte die AMBM die Politik des belgischen Kolonialstaates wider. Heute geben Gemeindemitglieder nicht sehr großzügig und denken, dass die MBMSI wei¬ terhin finanzielle Unterstützung senden wird. Dieser Mangel an echter Hingabe der CEFMC-Mitglieder ist ein ernsthaftes Problem, der den Erfolg der Arbeit behindert. Die Gemeinde verarmt immer mehr, weil ihr finanzielle Mittel und Equipment fehlen. Aus dem Gesundheitswesen sind einige Mitglieder der CEFMC, wie zum Beispiel Dr. Pakisa Thimika und Dr. Denis Matshif, als Leiter hervorgegangen. Jedoch stirbt das Krankenhaus in Kajiji, das von Missionaren gegründet wurde, aus. Das Krankenhaus funktioniert nicht mehr so gut wie zu der Zeit, als noch medizinische Missionare da waren, Obwohl die CEFMC ihre eigenen Ärzte hat, unterstützt sie dieses Krankenhaus nicht. Die kongolesische Regierung kann die Gehälter des medizinischen Personals nicht bezahlen. Dazu kommt, dass viele der Gesundheitszentren in alten Missionsstationen entstanden sind, aber auf Grund von schlechter Verwaltung und Mangel an Medizin schließen mussten. Die CEFMC hat keine Literaturproduktion und kein Vertriebszentrum mehr. Auch für diese Programme gibt es keine finanziellen Mittel mehr. Das Equip¬ ment, das die Missionare hinterließen, ist kaputt gegangen oder veraltet. Zurzeit gibt es eine kleine Buchhandlung. Die Finanzierung dieses Programms endete um das Jahr 2000 herum. 164 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Partnerschaft mit MBMSI Die Zeit für eine Beurteilung der Beziehung zwischen der CEFMC und ihrem Hauptpartner, der MBMSI, ist gekommen. Seit der Missionsausschuss 1943 die Verantwortung für Aaron Janzens Missionsarbeit übernommen hatte, spielte er eine große Rolle im finanziellen, institutionellen und menschlichen Fortschritt der Mennoniten Brüdergemeinden im Kongo. Das Geld, das den Missionaren, die im Kongo arbeiteten, zur Verfügung gestellt wurde, wurde jedoch nicht auf gerechte Weise verteilt. Hauptsächlich blieben die Missionare die Begünstigten von allem, was aus Nordamerika kam. Die Angestellten, die für die Missionare arbeiteten, wurden nicht angemessen bezahlt. Die Missionare zahlten ihnen oft nur einen Hungerlohn. Viele Missionare dachten, es wäre normal für diese Men¬ schen, dass sie so behandelt würde, obwohl sie alle zur gleichen Gemeinde gehör¬ ten. John Redekop erklärt, dass die MBMSI die gleichen Richtlinien wie viele andere Missionsagenturen hat. Diese Richtlinien schreiben vor, dass einheimi¬ sche Arbeiter nach örtlichen Standards bezahlt werden sollten. Weil diese Richt¬ linien die Armut vieler unverändert lässt, wurden sie oft kritisiert. „Mein Herz sagt mir, dass sie besser bezahlt werden müssten und meine Seele sagt mir, dass dies weitere Probleme schaffen könnte.“™ Diese missionarische Einstellung hat eine Böswilligkeit unter den Leitern und den Laien geschaffen. Die AMBM förderte das Schaffen neuer Missionsstationen. Die Kongolesen, die die Verantwortung übernahmen, setzten die Beziehung mit Nordamerika fort. Jedoch änderte sich die Arbeitsphilosophie. Es ist jetzt eine kongolesische Gemeinde mit kongolesischer Administration. Die nordamerikanische Missions¬ agentur MBMSI ist nicht mehr für die CEFMC zuständig. Die wichtige finanzi¬ elle Unterstützung, die die CEFMC bis 1997 erhielt, wurde nach Gesprächen zwi¬ schen den beiden Organisationen erheblich reduziert. Zum Beispiel erhielt das Bibelinstitut Kikwit 1994 über 2000 US-Dollar; heute erhält es nur noch 200 US- Dollar. Das Bibelinstitut Nzash Mwadi erhält nur noch 50 US-Dollar. Die Konsequenz daraus ist, dass der Eifer und Enthusiasmus, mit dem die Kongolesen nach einer theologischen Ausbildung strebten, stark nachgelassen hat. Um 1984 herum führte ein Missverständnis zwischen den beiden Partnern dazu, dass die CEFMC finanzielle Unterstützung von der MBMSI ablehnte und diese zurückgab. Obwohl die CEFMC sich selbst versorgen wollen würde, ist das in einem Land, wo die meisten Gemeindemitglieder arbeitslos sind, unmöglich. 70 John Redekop, „ies grandes questions de ta inission daujourcfhui. “ Le lien des Freres Mennonites, 19,6 (De¬ zember 2000); 4. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IM KONGO 165 Die Beziehung zwischen den Partnern ist immer noch unverändert und es sollte eine engere Beziehung angestrebt werden. Abschluss und Aussichten für die Zukunft Die CEFMC ist eine Gemeinde, die ein großes Potenzial für geistliche, finanzielle und institutionelle Entwicklung hat. Trotz des Mangels an Equipment und finan¬ ziellen Mitteln hat die CEFMC ihre administrativen Fähigkeiten klar gezeigt, und ausgebildete Leiter sind in der Lage gewesen, Gemeinden im ganzen Land zu gründen. Die Gemeinde muss ihren Partnern gegenüber offen bleiben. Men¬ schen, die finanzielle Mittel haben, könnten ihre Fachkenntnisse beisteuern, um kongolesische Ressourcen aufzustocken. Die CEFMC muss den Mangel an Aus¬ bildung und Bereitschaft zur finanziellen Unterstützung ihrer Mitglieder über¬ prüfen. Sie muss ihre Methoden, ihre Wohlstandsphilosophie, das Geschäft und die Politik überdenken. Die CEFMC muss ihre Mitglieder dazu ermutigen, eine aktive Rolle in der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verwaltung des Landes zu übernehmen. Die Gemeinde muss ihre Mitglieder dazu ermutigen ihr Geld ehrlich zu verdienen um ihre Lebensbedingungen zu verbessern und aus dem Elend und der Armut zu entkommen. In diesem Punkt kann die CEFMC besser arbeiten als die anderen protestantischen Gemeinden im Kongo, weil sie von Menschen gegründet wurde, die gute Farmer, Handwerker und Geschäfts¬ leute waren. Die Gemeinde kann ihr Vermächtnis der landwirtschaftlichen und ökonomischen Fachkenntnis nutzen, um dem Elend und der Armut ihrer Mit¬ glieder effektiv zu begegnen. Hier wird der Beitrag und die Fachkenntnis von Missionaren oder anderen ausländischen Mennoniten Brüderexperten sehr wichtig und notwendig sein, um den Kongolesen gute Verwaltungspraktiken bei zu bringen. In diesem Bereich muss die CEFMC von anderen evangelikalen Gemeinden, die in der Lage sind, dauerhaft finanzielle Mittel ohne fremde Hilfe aufzubringen, lernen. Indem sie das Bewusstsein stärkt, kann die CEFMC ihre Mitglieder dazu führen, zu einem jährlichen Budget, das ihre Größe widerspie- gelt, beizutragen. Das Problem der Stämme und der schlechten Verwaltung plagt die CEFMC weiterhin und hemmt ihre Entwicklung. Weil solche Konflikte bestehen, entste¬ hen Probleme in der Gemeinde. Die Leiter müssen Maßnahmen ergreifen, um solche Probleme zu lösen. Die Mennoniten Brüdergemeinde im Kongo existiert seit achtzig fahren. Somit ist es Zeit, ihre ganze Arbeit auszuwerten. Wir sollten nicht zögern, ihre 166 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEM El NDE Irrtümer und Fehler anzuerkennen. Wir sollten unsere vergangene und heutige Realität nicht verstecken. Wir sollten nicht nur andere kritisieren und ihre Feh¬ ler sehen, sondern auch daraus lernen, um besser arbeiten zu können. Das ist die Verantwortung einer Gemeinde, die sich selbst respektiert und evangelikal sein möchte. Mit ernsthafter Zusammenarbeit wird die Gemeinde weiterhin der Berufung Christi nachkommen und Menschen mit Gott versöhnen und leben¬ dige und reife Gemeinden gründen, und all das in der Kraft und mit der Hilfe des Heiligen Geistes. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN ANGOLA 167 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Angola Lutiniko Landu Miguel Pedro D ie Welt weiß nicht viel über Angola. Einige bezeichnen Angola als das „vergessene Land.“ Unglücklicherweise ist Angola für seine Bürgerkriege bekannt, die bis zur angolanischen Unabhängigkeit im Jahre 1975 zurück¬ gehen. Obwohl Angola keine große Rolle im Weltgeschehen spielt, so ist es doch politisch ein strategisch wichtiges Land in Afrika. Angola liegt im südlichen Teil Afrikas und grenzt im Norden an die Demo¬ kratische Republik Kongo (DRK), im Osten an Sambia und im Süden an Nami¬ bia. Im Norden grenzt die isolierte Provinz Cabinda an Kongo Brazzaville. Die Hauptstadt Luanda liegt an der Küste des atlantischen Ozeans. Angola ist eins der größten Länder Afrikas, mit einer geschätzten Bevölkerungszahl von 15,5 Millio¬ nen. Die Ovimbundu sind die größte ethnische Gruppe, gefolgt von den Urban, Kimbundu und Bakongo Gruppen. Angola war 450 Jahre lang eine portugiesische Kolonie. Es errang 1975 nach fünfzehnjährigem Krieg seine Unabhängigkeit. Die marxistische Movimento Populär de Libertafäo de Angola (MPLA) übernahm mit Hilfe des kubanischen Militärs die Regierungskontrolle. Ihre Macht wurde von der nationalen Bewe¬ gung der Uniäo Nacionalpara a Independecia Total de Angola (UNITA), anfangs durch West- und Südafrika unterstützt, angefochten. Der Bürgerkrieg zwischen der MPLA und der UNITA zog sich über zwanzig Jahre hin. Die Niederlage der UNITA im Jahr 2002, die dem Tod des Leiters Jonas Savimbi folgte, führte am 4. April 2002 zur Unterzeichnung des Luena Memorandum. Dies brachte ein gewisses Maß von politischem Frieden und eine weit verbreitete Hoffnung, dass das Land nun die Chance hätte sich zu regenerieren. Neben zwei weiteren Kirchen Mennonitischer Prägung, nämlich der von Rev. Makani Mpovi geleiteten Igreja Evangelica Menonita em Angola (Evangelikale Mennonitengemeinde) und der von Rev. Gomes des Miranda geleiteten Igreja Comunidade Menonita em Angola (Mennoniten-Gemeinschaftskirche) sind die Mennoniten Brüder in Angola missionarisch engagiert. Diese drei Mennoniten- gemeinden schufen 2003 die Inter-Mennonitenkonferenz in Angola. Sie wird Conferencia Inter-Menonita em Angola (CIMA) genannt. 168 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Anfänge Die Mennoniten Brüdergemeinde (lEIMA) wurde 1983 von Angolanern gegrün¬ det, die aus Kinshasa im Kongo (DRK) zurückgekehrt waren. 1981 bereits hatte sich ein Team formiert, welches aus heimkehrenden Angolanern aus der Men¬ noniten Brüdergemeinde in Makungu zusammensetzte. Das Team wurde von Rev. Makani Mpovi Sebastiao Sikonda geleitet. Nach Aussage von Rev. Makani Mpovi war die Motivation für seine Rückkehr nach Angola die Verantwortung, die er verspürte, Gemeinden der Mennoniten Brüder in Angola zu gründen, so wie ihm der Missionar Arnold Prieb die Aufgabe anvertraut hatte. Als das Team die Stadt Maquela-do-Zombo in der Provinz Uige erreichte, suchte es den Kontakt zu den Menschen vor Ort und dort wurden sie als Mit¬ glieder in der Christuskirche von Angola (ICA) aufgenommen. Das ist verständ¬ lich, da die vier Gemeinden innerhalb der kongolesischen Mennoniten Brüder¬ konferenz (CEFMC) in Kinshasa in der Vergangenheit eine gute Beziehung zur ICA hatten. Diese vier Gemeinden waren in der Vergangenheit Teil der Gemein¬ schaft angolanischer Christen im Kongo {A$socia<^äo dos Cristäos Angolanos no Congo). Dieser intensive Kontakt zur ICA schien einen vielversprechenden Start zu gewährleisten, aber er wurde zum Stolperstein der ICA. Nach zwei Jahren, in denen sie die Politik des Landes beobachtet hatten, zog das Team von Uige weg und erhielt die Erlaubnis nach Luanda zu gehen. Rev. Makani Mpovi, der jetzt ein Pastorin der ICA war, diente als Leiter der Gemeinde in Cazenga, wo er Gott mit anderen Gläubigen anbetete, während er gleichzeitig sein Vorhaben, die Mennoniten Brüdergemeinde zu gründen, verheimlichte. Das wurde bekannt, als sein Schwager Sanda Samuel ihn eines Tages fragte: „Wann wirst du eine Gemeinde gründen wie die, in der du in Kinshasa Pastor warst?" Diese Frage motivierte das Team und insbesondere Rev. Makani Mpovi, der ihm das Glaubensbekenntnis der Mennoniten Brüder zum Übersetzen in die portu¬ giesische Sprache übergab. Sanda Samuel war in der angolanischen Armee (FAA) und somit wusste er viel über die Politik Angolas in dieser Zeit. Die harte Über¬ setzungsarbeit des Glaubensbekenntnisses und die Erteilung der Erlaubnis vom Justizministerium zur Gemeindegründung öffneten den Weg um mit der Arbeit in Rocha Pinto, wo Sanda Samuel lebte, zu beginnen. Er bot seinen Garten für die Gründung der Mennoniten Brüdergemeinde im Jahre 1983 an. Im Oktober 1983 v^mrde die Mennoniten Brüdergemeinde anerkannt und als Denomination in Angola bestätigt. Zu dieser Zeit stärkte sie die Gemeinde in Rocha Pinto und bemühte sich neue Gemeinden zu gründen. Cazena, Hoje- a-Henda und Mabor waren die neu gegründeten Gemeinden von 1983 bis 1984. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN ANGOLA 169 Laien wurden als Pastoren eingesetzt, da ausgebildete Geistliche noch fehlten. Sanda Samuel war der Co-Pastor in Rocha Pinto, Mbozo David Mabeia war der Pastor in Hoje-a-Henda, Ndombaxi Bonifacio Makila war der Pastor in Cazenga und Ngombo Adre war der Pastor in Mabor. Diese vier Gemeinden waren tief gewurzelt und somit reiste Rev. Makani Mpovi umher, besuchte Gemeinden und initiierte neue Gründungen, wo es möglich war. In der dynamischen Zeit der lEIMA-Anfänge reiste Rev. Makani Mpovi nach Uige um Pastoren einzusetzen, von denen einige ICA-Pastoren gewesen waren. Wie man sieht, haben einige Personen in den Anfängen der lEIMA mitge¬ wirkt. Dies waren u.a. Rev. Makani Mpovi Pr. Sanda Samuel mit seinen Über¬ setzungstätigkeiten ins Portugiesische und Pr. Ndombaxi Bonifacio mit seinen Schreibfähigkeiten. Pr. Sanda Samuel organisierte im Dezember 1983 eine Reise nach Brasilien um dort Mennoniten Brüdergläubige zu treffen. Von dort aus tra¬ ten sie mit Mennoniten Brüdern in den Vereinigten Staaten und Kanada in Kon¬ takt. Am 1. Februar 1984 besuchte eine Delegation aus den Vereinigten Staaten und Kanada ihre Geschwister in Angola. Ihr Besuch hatte Ähnlichkeit mit dem aus Apostelgeschichte 8,14, da die Angolaner Gottes Wort erkannt hatten, und es nun an der Zeit war, dass sie bezeugten, was sie gehört hatten. Damit wurde diese neue Konferenz in die globale Familie aufgenommen. Ein weiteres Ziel des Besuchs war es den Glauben der Brüder in Angola zu stärken. Rev. Mbozo David bezeugte dies, indem er sagte, dass die Brüder aus den USA und Kanada zufrie¬ den waren mit der Arbeit, die hier begonnen wurde. Das war die beste Zeit der Gemeinde m Angola, auch wenn ein guter Anfang eine andauernde Gesundheit nicht garantiert. Es folgte eine zweite Welle von neuen Gemeindegründungen. Die Gemeinde von Golf II in Luanda und die Gemeinde von Induve in Petr‘Angola, wo im folgenden Manteca als Pastor diente, wurden gegründet. Dies war eine Periode mit vielen Initiativen wie die der Grün¬ dung der Zelle des Gebets durch Songo, sowie der Mennoniten-Wohltätigkeits- vereinigung, die später zur Mutual Solidarity Association (SCAM) wurde, Auch war diese Periode von den Gebeten und Bemühungen vieler innerhalb und außerhalb Angolas gesegnet. Leider hielt sie nicht sehr lang. Auf Zeiten des Segens folgten eine Reihe schwerer Erfahrungen. 170 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Konflikt, Spaltung und Übergang: 1986-1991 Die nordamerikanischen Vertreter äußerten sich zufrieden mit dem, was sie sahen, während sie ihre Schwestergemeinde besuchten. So entschieden sie sich bald ihnen Geschenke zu senden, um Gottes Werk in Angola zu unterstüt¬ zen, denn es war eine junge Konferenz, die wenig zur Verfügung hatte. Zu den Geschenken gehörten ein Toyota, Kleidung und siebenhundert Dachziegel aus Metall, um das Dach einer Kirche zu decken. lEIMA und MBMSl arbeiteten zusammen um die Konferenz in dieser Zeit zu unterstützen. 1986 entstand ein ernster Konflikt, als der Konferenzleiter (Rev. Makani Mpovi), der ein Geschenk von den Brüdern erhalten hatte, von Rev. Mbozo David dahingehend konfrontiert wurde, dass er sich nicht bemühen würde, andere in Entscheidungen darüber einzubeziehen, was die Zukunft der Arbeit anginge. Alle Anschuldigungen drehten sich um die fehlende Rechenschaftspflicht und den Missbrauch von Autorität. Da beide Leiter ihre Disziplin und ihr Ansehen vor den Kollegen wahren wollten, brach die Kommunikation, Auf diese Art und Weise entstand eine ganze Reihe von Konflikten bei den Mennoniten Brüdern. Bei den Versuchen die Konflikte zu lösen, verletzten sie manchmal die mennonitische Ethik der Gewaltlosigkeit. Es wurden Anschul¬ digungen bei der Regierung vorgebracht, andere Personen seien Mitglieder der UNITA Partei (solche Anschuldigungen hätten leicht zum Tod führen können). Rev. Mbozo war als Leiter der Opposition bekannt. Die Regierung lud ihn vor, er sollte sich rechtfertigen. Er wurde in Haft behalten und mit dem Tod angedroht, letztendlich kam er jedoch frei. Einige verglichen seine Entlassung mit der des Petrus in Apostelgeschichte 12. 1988 kam es zur Spaltung. Rev. Mbozo leitete von nun an vier Gemeinden: Hoje-a-Henda, Mabor, Cazenga und Petr Angola. Die ursprüngliche Gemeinde in Rocha Pinlo wurde unter den beiden Leitern aufgeteilt, und Rev. Makani Mpovi behielt die Kontrolle über das Grundstück der Gemeinde sowie über die neuere Gemeinde des Golf II. Im gleichen Jahr beschlagnahmte die Regierung die offiziellen Registrie¬ rungspapiere der lEIMA. Eine Delegation von der CEFMC und der MBMSl (Masolo Mununga und Robert Neufeld) wurde zur Schlichtung gesandt, hatte aber wenig Erfolg. 1990 einigten sich beide Seiten, ihren Streit hinter sich zu lassen und sich zu versöhnen. Teilweise hatte es mit dem Druck zu tun, den der Staat ausübte. Ohne die Versöhnung wäre die Mennonitengemeinde aus Angola verbannt worden. Das war eine gute Gelegenheit, um die erste Generalversammlung am 15. November DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN ANGOLA 171 1990 abzuhalten. Es wurde ein Komitee eingesetzt, in dem beide Seiten vertre¬ ten waren, um in der Übergangszeit bis zur nächsten Generalversammlung, bei der die neue Leitung der lEIMA gewählt werden sollte, die Gemeinde zu leiten. Die zweite Versammlung wurde 1991 abgehalten, an dieser nahmen auch das Konzil der Christlichen Kirchen in Angola (CICA), Robert Neufeld und David Dyck vom MBMSI und Harry Janzen von der brasilianischen Mennoniten Brü¬ dergemeinde teil. Pedro Mauricio Nsiangangu wurde zum rechtlichen Vertreter der lEIMA gewählt, Pr. Antonio Panzu zum nationalen Evangelisten, Pr. Sanda Samuel zum Finanzsekretär und Pr. Manteca Francisco zum Verwaltungssekre¬ tär. Die beiden Leiter der Spaltung wurden abgesetzt und durch ein neues Team ersetzt. Partnerschaften, Gemeindegründung und Ausbildung: 1992-1999 Die Ausbildung von Geistlichen war sehr wichtig, und somit wurden alle Pasto¬ ren dazu verpflichtet sich in eines der Seminare in Luanda einzuschreiben. Pr. Joao Diviokele wurde nach Kikwit im Kongo gesandt, Pr. Afonso Manuel in das pfingstlerische Bibelinstitut und andere wie Pr. Pedro Mauricio Nsiangangu, Pr. Antonio Panzu nach Brasilien. Pr. Sanda Samuel und Josefina Sona Alexander erhielten ihre Ausbildung über die Leitung der Bibelgesellschaft durch ein süd¬ afrikanisches Programm, das Timothy International heißt. 1995, als CEFMC, lEIMA und MBMSI einen Vertrag für eine dreigliedrige Partnerschaft unterschrieben, trafen sich angolanische Pastoren, die im Kongo wohnten, mit Leitern der lEIMA, die von den Pastoren Pedro Mauricio Ngian- gangu und Antonio Panzu repräsentiert wurden. Die Pastoren im Kongo wur¬ den durch Rev. Lopez, Rev. Kiala Ntemo Timoty, Lutiniko Landu Miguel Pedro, Segueira Luzemo und Luwawa repräsentiert. Die Leiter der lEIMA Pedro Mau¬ ricio Nsiangangu und Antonio Panzu schlugen ihnen vor den Kongo zu verlas¬ sen und in Angola für die lEIMA zu arbeiten. Das Treffen motivierte einige von ihnen, aber andere dachten es wäre ein Trick und zweifelten an der Integrität des Treffens. Im September 1995 reiste Pr. Lutiniko von Cabinda nach Luanda um die Situ¬ ation zu begutachten. Er sah, dass die wahre Not der lEIMA der Mangel an aus¬ gebildeten Geistlichen war. Das bestätigte den Bericht von Pr. Luzembo, nach¬ dem er sich 1992 eine längere Zeit in Luanda aufgehalten hatte. Die lEIMA sah 172 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE sich einer Leiterschaftskrise gegenüber und es bestand dringender Ausbildungs¬ bedarf. Daraus entstand das Biblische Institut für Missiologie in Angola (IBMA). Weitere Beispiele für Spaltung und Ausweitung der Arbeit: 2000 - 2007 Das Jahr 2000 brachte viele Veränderungen für die lEIMA mit sich. Dr. Pakisa Tshimika (MBMSI) und Robert Neufeld (MCC) führten eine gemeinsame Untersuchung durch, um die Wahrheit über die Situation in Angola aufzude¬ cken - diese Untersuchung führte die lEIMA zu einer entscheidenden General¬ versammlung, in der der einst an den Rand gedrängte Luzembo Segueira zum Generalsekretär der lEIMA gewählt wurde. Dieses Ereignis hätte den Konflikt beenden sollen. Jedoch ist, wie so oft, das Ende eines alten Konflikts der Anfang eines neuen. Neue Spannungen entstanden 2002. Diesmal wurde die Leitung von Rev. Luzembo durch Rev. Jose Ngola Mwenga und Rev. Antonio Panzu angefoch- ten. Nach einer längeren Zeit des eskalierenden Konflikts begannen beide Seiten über Trennung nachzudenken. Rev. Luzembo sowie Rev. Jose erfuhren einen deutlichen Autoritätsverlust in den den geschwächten Organisationen. Keine der beiden Seiten wollte Konfrontation, aber sie waren auch nicht zu Schritten der Versöhnung bereit. Beobachter warnten davor, dass ein hohes Risiko für die lElMA bestand ihren rechtlichen Status als Denomination zu verlieren. Im Dezember 2006, als die lEIMA ihre fünfte Generalversammlung abhielt, baten die Delegierten darum, dass die fehlenden Mitglieder der lEIMA dazu gerufen werden sollten, da Pr. Jose Ngola eine Versöhnung herbeiführen wollte. Die Generalversammlung beauftragte einige Mitglieder bei der Versöhnung zu helfen. Am 17. Dezember 2006 wurde ein Versöhnungsgottesdienst in Gethse¬ mane gefeiert. Rev. Jose Ngola Muenga und Rev. Antonio Panzu dankten Gott dafür, dass sie wieder aufeinander zugehen konnten. Sie beichteten es als ihre Schuld, dass jahrelanger Konflikt und Spaltung die Gemeinde zunichte gemacht und ihren eigenen Dienst zerstört hätten. Jetziger Stand der Gemeinde Jede Gemeinde in Angola wird normalerweise von einem ausgebildeten Pastor geleitet. In ländlichen Gegenden helfen immer noch Laien, da es dort einen Man¬ gel an geschulten Geistlichen gibt. Der Pastor wird unterstützt durch einen Assis¬ tenzpastor, der normalerweise ein Evangelist ist und auch ein ausgebildeter Pas- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN ANGOLA 173 tor sein sollte. Hinzu kommen Diakone. Jugendarbeit und Frauenarbeit helfen die Gemeinde zu erhalten. Jedes Jahr gibt es eine Hauptversammlung, aud der der Pastor und sein Assistent, sowie die verschiedenen Arbeitsbereiche einen Bericht abgeben. Jegliches Problem, dass keine Hauptversammlung erfordert, wird vom Gemeindevorstand bearbeitet. Die Mitgliederschaft der lElMA im Jahre 2006 betrug Rev. Luzembo nach 5800. Die Mitgliederzahlen der einzelnen Provinzen waren wie folgt: Uige 250, Luanda 500, Luanda Norte 2200 und Malange 2850 Mitglieder. Diese Gesamtzahl beinhaltet nicht die Provinz Cunene (150 Mitglieder), da es dort keinen Pastor gibt. Das größte Wachstum ist in den inneren Provinzen Malange und Luanda Norte zu verzeichnen. (ICOMB Daten für 2007 nennen 4559 Mitglieder in ein¬ undachtzig Gemeinden mit achtundsechzig Pastoren). lElMA hat einen sozialen Zweig aufgebaut, der das Evangelium mit diako- nischem Handeln ergänzt. Einige Schulen, die zu Gemeinden in der Hauptstadt Luanda gehören, sind Ausdruck dieses sozialen Engagements der Mennoniten Brüder in Angola. Über zweitausend Schüler gehen in die verschiedenen Vor- und Grundschulen. In den ländlichen Gegenden haben die Gemeinden inoffizi¬ elle Vorschulen, wo die Kinder von den Geistlichen oder jungen ausgebildeten Lehrern unterrichtet werden. Nach seinem Abschluss 1996 vom Zentrum für Missiologie im Kongo kehrte Rev. Lutiniko Landu Miguel Pedro mit seiner Familie mithilfe des Flüchtlings¬ programms der Vereinigten Nationen zurück nach Luanda. Im Oktober dessel¬ ben Jahres startete er mit drei Studenten ein Trainingszentrum in den Büroräu¬ men der lEIMA. Er wurde beim Unterricht von Pr. Pedro Mauricio und Mukoso Rufino unterstützt. Das Bibelinstitut (IBMA)bietet zwei Programme an: Biblische Studien (drei Jahre) werden denen angeboten, die keinen High-Schoolabschluss haben und Missiologie wird denen mit einem High-Schoolabschluss ermöglicht, die ein akademisches Studium wünschen. Probleme und Herausforderungen Angefangen in der vorkolonialen Zeit und nachfolgend in der nachkolonialen Periode ist durch traumatische Ereignisse Frustration bei den Angolanern auf¬ gekommen. Sie haben Praktiken übernommen, die zu extremer Gewalt führ¬ ten. Der Leninistische Marxismus, der zu jahrzehntelangem Bürgerkrieg geführt hatte, dominierte in der nachkolonialen Periode. Gemeinden waren bei solcher Politik nicht außen vor. Ganz im Gegenteil, einige Gemeinden nahmen die mar- 174 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE xistische Ideologie als eine Methode und ein Modell für Leiterschaft an. Wäh¬ rend dieser Zeit begann Rev. Makani Mpovi mit der Mennoniten Brüderarbeit in Angola. Es gab viel Hass zwischen Brüdern, sogar unter Christen. Für Angolaner, die im Kongo lebten, war es nicht leicht in ihr eigenes Land zu kommen. Und wenn sie dann angekommen waren, begegnete man ihnen mit Hass. Der abwer¬ tende Ausdruck langa, der für zurückkehrende Angolaner aus dem Kongo, die nicht willkommen waren, gebraucht wurde, zeigt die Ablehnung, die im Alltag üblich war. Die lange Periode des Bürgerkriegs verwehrte es vielen Angolanern eine ange¬ messene Bildung zu erhalten. Das schuf bei einigen Minderwertigkeitskomplexe, während andere sich dadurch überlegen fühlten. Viele Angolaner waren verletzt und brauchten Zeit und Unterstützung Dritter, dass ihre Wunden heilen konnten. Dieser Mangel an Bildung reicht auch bis in die theologische Ausbildung hin¬ ein. W^enige Leiter mit nationalem Einfluss haben die Bedeutung von gut ausge¬ bildeten Geistlichen in Angola erkannt. Einige Angolaner sind für ein Studium in den Kongo gegangen, aber sie haben wenig Unterstützung, weder aus dem Kongo, noch aus Angola dafür erhallen. In manchen Fällen ist diese Gleichgül¬ tigkeit gegenüber theologischer Ausbildung in eine Ablehnung derer, die ein wei¬ terführendes Studium anstrebten, umgeschlagen. Andere kulturelle Faktoren sind auch wichtig. Die Initiatoren der Gemeinde¬ gründungsarbeit in Angola stammten zunächst aus kongolesischen Stämmen mit matriarchalischer Struktur. Aber im traditionell angolanischen Verständnis spielt der Vater eine wichtige fast göttliche Rolle. Die biblischen Geschichten spiegeln ebenso ein patriarchales Verständnis wider. Einige angolanische nationale Leiter hatten große Schwierigkeiten oder waren sogar tief verletzt, als sie von ihren eige¬ nen geistlichen Söhnen und jungen Leitern herausgefordert und ersetzt wurden. Für sie war das eine Demütigung. Die lEIMA hat immer noch ein ungelöstes Problem mit der Christuskirche von Angola. Als die lEIMA gegründet wurde, wurden auch Mitglieder aus der ICA genommen. Gespräche, Buße und eine Bitte um Vergebung wird von der ICA benötigt. Der Autor fühlt, dass nicht alle ICA-Pastoren den Dienst der Men¬ noniten Brüder in Angola anerkennen. Es wird eine Zeit der echten Buße und des Gebets gebraucht. Die lEIMA muss bestehende Partnerschaften stärken, wie die zu CFEMC und MBMSI. Während es positive Aspekte bei diesen Partnerschaften gegeben hat, gab es auch viele Fehler auf beiden Seiten. Die lEIMA möchte ihren recht- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN ANGOLA 175 mäßigen Platz einnehmen und ihren Beitrag zur globalen Mennoniten Brüder¬ familie leisten. Vision für die Zukunft Wie kann die lEIMA in ihrer Mission in Angola effektiv sein und in andere Län¬ der hineinreichen? Ihre Pastoren glauben, dass viel Korrektur und Verände¬ rung innerhalb der lEIMA nötig sein wird. Armut ist eins der größten Probleme und einer der Hauptgründe, warum die lEIMA immer wieder mit Konflikten zu kämpfen hat. Der Pastorenrat in Luanda hat dieses Problem oft besprochen und alle Gemeinden aufgefordert ihre Pastoren zu bezahlen. Zum Glück sind einige Gemeinden so gewissenhaft, dass sie die Entscheidungen befolgen. Die Gemeinde muss auch mehr über Grundstücke und Gebäude für neue Gemeinde¬ gründungen nachdenken. Es gibt Gemeinden, die gut wachsen, aber immer noch keinen Versammlungsraum haben. Sogar die Nationalkonferenz hat keine eige¬ nen Büroräume. Armut ist deswegen ein Hindernis beim Versuch eine gesunde und gute Leitung innerhalb der Mennoniten Brüder in Angola aufzubauen. Die Kirche in Angola braucht neue Gemeinden, um die alten Gemeinden zu verändern und um neue Leiter auszubilden. Die Ausbildung von Mennoniten Brüdern in Angola ist für eine Zukunft mit Hoffnung sehr wichtig. Ihrer Mis¬ sionsvision nach muss die lEIMA alle achtzehn Provinzen in Angola mit dem Evangelium und alle portugiesisch sprachigen Länder in ganz Afrika erreichen. Die lEIMA als Konferenz sucht nach Möglichkeiten mit anderen Mennoniten Brüderkonferenzen innerhalb der ICOMB zusammen zu arbeiten, um dieses große Projekt zu bewältigen. EUROPA 1 j 179 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Russland und der ehemaligen Sowjetunion Johannes Dyck D ie Geschichte der Anfänge der Mennoniten Brüdergemeinde und ihrer frühen Entwicklung in Russland wurde schon in einem früheren Kapitel beschrieben. Der Erste Weltkrieg und die darauf folgende Oktoberrevolu¬ tion im Oktober 1917 veränderten die politischen und religiösen Umstände der Mennoniten dramatisch. Die Sowjetunion entstand als ein diktatorischer Kom¬ munistenstaat, erst unter Wladimir Lenin bis 1924, gefolgt von Josef Stalin von 1924 bis 1953. 1991, über siebzig Jahre nach der Gründung, zerfiel die Sowjet¬ union, und viele kleine Staaten, wie die Ukraine, entstanden. Die Erfahrungen der Mennoniten, als auch der Mennoniten Brüder, während dieser Zeit sind eine fast unbeschreibliche Geschichte des Leides und des Mutes. Ein verdunkelter Himmel (1917-29) Wahrend sich die sowjetische Herrschaft verfestigte, nahmen die staatlichen Gesetze für evangelikale Protestantengemeinden nach und nach Gestalt an. Die brutale Zerstörung der russisch-orthodoxen Kirche hatte mit der Oktoberrevo¬ lution begonnen und brachte vorerst etwas Erleichterung für die sogenannten Sektierer, die zur Zeit der Zaren stark verfolgt worden waren. Die russischen Baptisten und evangelikalen Christen profitierten besonders und erfuhren ein noch nie da gewesenes Wachstum. Ihre Anzahl verzehnfachte sich fast, besonders wegen ihrer Gemeindestruktur und wegen der Missionsarbeit, die Johann Wieler (1839-1889), ein hervorragender Mennoniten Brüderevangeiist, drei Generati¬ onen zuvor mitgestaltet hatte. Aber es dauerte nicht lange, bis die Mennoniten ihren Status als privilegierte Religion verloren. Wieder einmal wurden sie als Sekte angesehen, wie auch alle anderen „freien Gemeinden.“ Früher war eine Religionsgemeinschaft als Feind der orthodoxen Kirche und damit als Sekte eingestuft worden; jetzt wurde eine Sekte als Feind des ersten Staates der Arbeiter und Bauern der Welt angesehen. Mitte der 1920er hatte Josef Stalin, dessen Name mit grausamen Verfolgun¬ gen und Millionen von Toten in Verbindung gebracht wird, die politische Macht des Landes in der Hand. Die Erstellung von neuen Religionsgesetzen wurde zur Aufgabe der Atheistischen Union, die 1925 gegründet worden war. Eins der ers- 180 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE ten Ziele waren die Schulen. Kurz darauf wurden alle Lehrer in Mennonitenschu- len dazu verpflichtet, eine Erklärung zu unterschreiben, die ihre anti-religiöse Position bewies. Die, die nicht einwilligten, mussten die Schule verlassen. Somit wurde den Mennoniten eine ihrer wichtigen Institutionen für religiöse Bildung genommen. Ein Ergebnis der Verwüstungen, Hungersnöte und religiösen Einschränkun¬ gen, die das kommunistische Regime zu verantworten hatte, war die Auswande¬ rung von tausenden von Mennoniten nach Nordamerika Mitte der 1920er, insbe¬ sondere nach Kanada. Die großen Probleme, die diesen Menschen widerfuhren, während sie versuchten das Land zu verlassen und ein neues Leben zu beginnen, sind an anderer Stelle berichtet. In der Zwischenzeit bemühte man sich, die Pro¬ bleme im Gemeindeleben innerhalb der Sowjetunion anzusprechen. 1925-26 wurde es den großen Freikirchen erlaubt landesweite Konferenzen abzuhaiten. Die neuen Herrscher erwarteten von ihnen, dass sie ihre Loyalität zeigten, indem sie den Militärdienst akzeptierten. Baptisten, evangelikale Chris¬ ten und Pfingstler fassten alle diesbezüglich bejahende Beschlüsse, trotz der erns¬ ten inneren Spannungen in dieser Thematik und manchmal auch in Widerspruch gegenüber früheren Beschlüssen. Den Mennoniten wurde erlaubt eine landesweite Konferenz in Moskau im Januar 1925 zu veranstalten. Die Erlaubnis zu erhalten war nicht einfach, denn die Entschlossenheit der Regierung Religion zu bekämpfen, war offensichtlich. Ein Vertreter der Regierung war bei der Konferenz 1925 anwesend. Die Dele¬ gierten brachten Beschlüsse vor, in denen sie das Recht auf folgendes verlangten: ungestörte religiöse Versammlungen für Erwachsene und Kinder in Gemeinde¬ häusern und Privathäusern, besondere Treffen für Kinder und Jugendliche für religiöse Erziehung, die Erlaubnis mennonitische Waisenhäuser zu unterhalten, die Befreiung von Sondersteuern für Gemeindeleiter und Gemeindehäuser, die ungehinderte Verbreitung von Bibeln und anderer christlicher Literatur, kurzzei¬ tige theologische Ausbildung für Gemeindemitarbeiter und das Recht, Schulen neutral hinsichtlich religiöser oder nicht-religiöser Bildung zu erhalten. Die Liste schloss mit dem Wunsch, ihren gewaltfreien Glauben zu ehren, einen alternati¬ ven Militärdienst anzubieten und den Schwur durch ein einfaches Versprechen zu ersetzen. Die Delegierten erklärten, dass diese Liste die minimalen Voraussetzungen für das Überleben der Glaubensgemeinschaft beinhalte. Sie versuchten den Sta¬ tus, den sie vor der Revolution und dem Ersten Weltkrieg gehabt hatten, wieder¬ zubekommen, aber die Regierung betrachtete die Forderungen als einen offenen RUSSLAND UND EHEMALIGE SOWJETUNION 181 Akt des Trotzes. Das Ergebnis war, dass die Mennoniten als eine extrem schäd¬ liche Sekte angesehen wurden - ähnlich wie die Zeugen Jehovas. Widerstands¬ losigkeit wurde als Nonkonformität vom Staat angesehen. Die meisten der drei¬ undsiebzig Delegierten der Moskauer Konferenz starben im Exil in der darauf folgenden Zeit. Mindestens sechsundzwanzig Delegierte auf der Konferenz 1925 waren Men¬ noniten Brüder. Sie hatten eine aktive Rolle auf der Konferenz, indem sie über ihre Beteiligung an dem faszinierenden Missionsprojekt unter den kleinen Stäm¬ men im Norden Sibiriens berichteten, und indem sie die vorgeschlagene Veröf¬ fentlichung einer gemeinsamen Mennonitenzeitung, die Unser Blatt hieß und im November 1925 gegründet wurde, unterstützten. Durch die Auswanderung vie¬ ler ihrer Mitglieder nach Kanada während der frühen 1920er stark geschwächt, mussten die übrig gebliebenen Mennoniten Brüder in den nächsten Jahrzehnten ihren eigenen Weg finden. Die Missionsarbeit im Delta des sibirischen Flusses Ob war ein Höhepunkt im Leben der Mennoniten Brüder in den 1920ern. 1918 verließen Johann Peters und seine Ehefrau Sara, die Absolventen der Berliner AUianz Bibelschule waren, wäh¬ rend der Revolution die Orenburger Mennonitensiedlung in Richtung Norden, wo die Ostyaks (Khants), Voguls (Mans) und Samoyeds (Nents) lebten. Andere schlossen sich ihnen an und 1924 deckte ihre Arbeit ein Gebiet von 1200 Kilo¬ metern von Norden nach Süden ab. Ihre Arbeit wurde sehr bekannt, besonders durch die Berichte im Unser Blatt. Die Missionsarbeit im Norden hörte aber 1930 schlagartig auf, als die Regierung eingriff. Das Jahr 1926 kennzeichnete das Ende organisierter theologischer Ausbil¬ dung der Mennoniten Brüder. Die erste Mennoniten Brüderbibelschule in Russ¬ land wurde 1918 in Tchongrav, Krim eröffnet und 1924 wieder geschlossen. In dieser Zeit bot sie einen dreijährigen Kurs an und hatten fünfzig Studenten. In Davlekanovo, in der Nähe von Ufa, gab es von 1923 bis 1926 eine kleine Menno- nitenbibelschule mit dreizehn Studenten. In der Mennonitenkolonie Neu Samara gab es zwei Jahre lang eine Bibelschule, von 1923 bis 1925. Die größte Bibelschule wurde in der Orenburger Kolonie gegründet. Sie wurde 1926 geschlossen, als sie siebenundsechzig Studenten aus einem weiten Gebiet von Krim bis nach Sibirien hatte. David Rempel, ein dortiger Lehrer, überlebte die Verfolgung Stalins, sowie mindestens ein Student, Peter Bergmann. Beide spielten eine wichtige Rolle im Wiederaufbau der Gemeinde in den 1950ern. Angesichts der wachsenden Gefahr entdeckten die Mennonitengemeinde und die Mennoniten Brüder immer mehr Gemeinsamkeiten. Auf einer Konferenz für 182 DIE GESCHICHTE DER MENNON ITEN-BRÜDERGEMEINDE die ganze Ukraine im Oktober 1926 in Melitopol sagte ein betagter Mennoniten Brüdergeistlicher: „Wenn wir diese Konferenz vor 65 Jahren gehabt hätten, dann hätte sich die alte Kirche nicht spalten müssen!“ Die letzte offizielle Statistik, die in einer Konferenzzeitung veröffentlicht wurde, berichtet von 46 829 Mennoniten in der Ukraine, davon 7242 die zu einer Mennoniten Brüdergemeinde gehören. Zu dieser Zeit hätte keiner der Delegierten gedacht, dass es die letzte Mennoni- tenkonferenz in der Sowjetunion sein würde. Alle Zeichen deuteten auf Leid. Im Rückblick kann man sich fragen, wie die Geistlichen und die anderen Menschen in den Gemeinden auf die Schwierigkei¬ ten der folgenden Jahrzehnte hätten vorbereitet sein können. Sie gingen emfach nur jeden Sonntag zur Gemeinde, hörten die Predigten von unprofessionellen Geistlichen, sangen traditionelle und neue Lieder in den Chören und beteiligten sich am Bibelstudium. Die Wanderprediger machten ihre Reisen, und die Jugend¬ lichen trafen sich zu besonderen Veranstaltungen. Der Herr prüfte ihren Glau¬ ben: würden sie stark genug sein, um der Verfolgung zu widerstehen? Der Weg des Todes (1929-38) Der ideologische Kampf in der Sowjetunion wurde immer intensiver. Religion, die als ein Relikt der Vergangenheit angesehen wurde, stellte man als Hindernis für eine erfolgreiche Zukunft dar. 1929 betrachtete man den Kampf gegen Reli¬ gion als den Hauptschauplatz des Klassenkampfes, der mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gekämpft werden musste, und dazu gehörten auch Massene- xile und Verhaftungen. Am 8. April 1929 verabschiedete die Regierung ein neues Religionsgesetz. Die meisten Forderungen der Mennonitenkonferenz 1925 wurden ausdrücklich verneint. Die Funktionen und Strukturen der freien Kirchen erhielten besondere Aufmerksamkeit. Das Gesetz schrieb eine obligatorische Registrierung der reli¬ giösen Zugehörigkeit vor und verbot sowohl jegliche Art von materieller Unter¬ stützung für die Gemeindemitglieder, besondere Treffen für Kinder, Jugendliche und Frauen, als auch besondere Veranstaltungen für das Bibelstudium, Literatur, Handarbeit und andere Aktivitäten. Das religiöse Leben wurde auf die religiöse Ausübung innerhalb von Gemeindehäusern beschränkt. Die Angst der Konfe¬ renz von 1925, dass sie die minimalen Voraussetzungen für das Überleben ver¬ lieren würden, wurde schlagartig zur Wirklichkeit. Die Vorreiterrolle im Kampf gegen Religion übernahm die kommunistische Partei. Mit noch nie da gewesener Gewalt und Brutalität wurden Gemeinden auf- RUSSLAND UND EHEMALIGE SOWJETUNION 183 gelöst und Gemeindehäuser geschlossen. Aus einigen wurden Klubs gemacht, um die neue sowjetische Kultur mit Tanz und Film zu fördern. Die Gemeindehäu¬ ser der Mennoniten waren nicht die einzigen, die enteignet wurden. Weniger als zehn Baptisten- und evangelikale Gemeinden behielten ihre Gebäude, die, die es durften, waren in großen Städten wie Moskau. Die sichtbaren Zeichen der Gegen¬ wart der Gemeinde verschwanden fast vollkommen. Glaube und Gemeindeleben waren nur noch auf illegale Art und Weise möglich. Das Jahr 1929 wurde zum Wendepunkt in der Kollektivierung der landwirt¬ schaftlichen Industrie des ganzen Landes. Man zwang die armen Menschen und die durchschnittlichen Bauern den kollektiven Farmen beizutreten. Die reichen Bauern, auch Kulaken genannt, wurden ins Exil geschickt, manchmal in die Urwälder im Norden Russlands. Die Entscheidung darüber, wer ein Kulak war und wer nicht, wurde auf der Grundlage von politischen Kriterien und nicht von ökonomischen getroffen. Eine große Anzahl an Ältesten, Pastoren und Diakonen waren unter den Kulaken, die ins Exil mussten. Die Pastoren hatten keine politi¬ schen Rechte und wurden dazu gezwungen besondere Steuern zu zahlen. Mit der Kollektivierung bekamen die mennonitischen Einrichtungen für wirtschaftliches Leben in der UdSSR ihren Todesstoß. Überall tauchten Zeichen des neuen kommunistischen Regimes auf. Die Sie¬ bentagewoche wurde abgeschafft: jeder sechste Tag wurde zum arbeitsfreien Tag und der Sonntag durfte nicht mehr vom Wochentag unterschieden werden. Kinder und Jugendliche verspürten großen Druck. Erstklässler wurden dazu gezwungen „Kinder des Oktobers“ zu werden, indem sie rote Sterne mit fünf Punkten und ein Bild von Lenin, dem “Führer der Revolution“, tragen mussten. In der dritten Klasse wurden sie „Pioniere“, das heißt Mitglieder in der landeswei¬ ten kommunistischen Kinderorganisation. Im Alter von vierzehn wurden Kinder dazu gezwungen, Mitglieder der kommunistischen Jugendorganisation Komso¬ mol, die wahren Assistenten der kommunistischen Partei, zu werden. Einige frü¬ here Mennoniten wurden sogar Mitglieder der Partei. Alles richtete sich gegen Gott und den Glauben. Bibeln und anderes religiö¬ ses Material wurden verboten. Eltern hatten Angst mit ihren Kindern zu beten und ihnen etwas über den Glauben zu erzählen. Hochzeiten wurden ohne Bibel oder einem religiösen Segen durchgeführt. Beerdigungen wurden ohne Predigt und oft auch ohne Lieder durchgeführt. Die Menschen hatten Angst über Gott zu reden. Religion, die als Opium für das Volk angesehen wurde, verschwand aus der Öffentlichkeit. 184 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEAAEINDE Der Höhepunkt des Leides sollte aber noch kommen. 1936 bekam das Land eine neue Verfassung, die direkte Wahlen und Geheimwahlen einführte. Eine Wahl wurde für Dezember 1937 angesetzt. In der Vorbereitung darauf fällte das Politbüro der kommunistischen Partei einen Beschluss „Für Antisowjetische Ele¬ mente“, der später zur Grundlage des NKVD-Befehls 00447 „Über die Operation zur Repression ehemaliger Kulaken, Krimineller und anderer antisowjetischer Elemente“ wurde. Der Befehl verlangte die Exekution einer Reihe von Personen und die Inhaftierung von anderen für acht bis zehn Jahre. Die Operation sollte am 5. August 1937 beginnen und vier Monate andauern. Tatsächlich begannen die Verhaftungen schon früher und endeten nicht vor dem November 1938. Oft enthielten die Urteile eine Zeile, die persönlichen Schriftverkehr verbot. Viele der Angeschuldigten verschwanden einfach. Jahre später erhielten Verwandte, auf Anfrage, Sterbeurkunden mit gefälschten Daten und Urteilen. Die Jahre 1937 und 1938 wurden zu den blutigsten Jahren in der Erinnerung der Menschen. Zuverlässige Statistiken über Mennoniten und andere Glaubens¬ gemeinschaften fehlen. Statistiken der Mennonitensiedlung Neu Samara deuten daraufhin, dass in vierzehn Dörfern 177 Personen erschossen wurden oder ver¬ schwunden sind, davon waren 176 Männer. David Pätkau David Pätkau kam 1882 in dem Dorf Alexandrodar bei Kuban zur Welt. 1904 heiratete er Maria Abrams im Dorf Kamenka bei Orenburg. Der Herr segnete sie mit dreizehn Kindern. 1911 wurde David in der Mennoniten Brüdergemeinde Kamenka als Diakon ordiniert. Im stürmischen Jahr 1918 %vurde er zum Predi¬ ger in der Gemeinde und 1921 Ältester. Zusammen mit drei weiteren Männern repräsentierte er die Orenburger Mennoniten auf der Mennonitenkonferenz 1925 in Moskau. 1926 musste er die Interessen der Orenburger Bibelschule vor der örtlichen Regierung verteidigen. Im Herbst 1929 hielt er eine seiner letzten Pre¬ digten im Dorf Klubnikovo, in der er über Johannes 15,1-8, den wahren Wein- stock, sprach. Mit der beginnenden Kollektivierung, wurde David an die Spitze der Kulak- Liste gesetzt, obwohl er nicht reich war. Ihm wurde das allgemeine Bürgerrecht aberkannt. Am 27. März 1930 wurde er zusammen mit zwei weiteren Männern von der Kulak-Liste inhaftiert und später zu einer fün^ährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Er musste seine Zeit unter harten Bedingungen im Norden Russlands abbüßen. RUSSLAND UND EHEMALIGE SOWJETUNION 185 Im Herbst 1930, als David Pätkau schon im Arbeitslager war, wurde das Grundstück seiner Familie beschlagnahmt. Jedem Mitglied der Familie wurde erlaubt eine Schüssel, einen Löffel, eine Gabel, ein Messer, einen Becher, ein Kis¬ sen, eine Decke und ein Laken, sowie die Kleidung, die jede Person am Leibe trug, zu behalten. Das ganze Hab und Gut wurde im örtlichen Geschäft verkauft; das Vieh und die Werkzeuge wurden an die KoUektivfarm übergeben. Im September 1933 erhielt Maria Pätkau einen Gerichtsbeschluss, der besagte, dass ihre Familie Staatsfeinde seien und ins Exil geschickt werden sollten. Am nächsten Morgen, einem Sonntag, wurde die 47-jährige Maria samt ihren sechs Kindern, im Alter von 6 bis 18, in die Berge in der Nähe von Abramovka trans¬ portiert und ihrem Schicksal überlassen. Dort fanden sie in einer Schlucht mit einer Quelle fünfunddreißig weitere deutsche und russische Familien, die ins Exil verbannt worden waren. Die Pätkaus gruben ein Loch in den Berg, machten Wände aus Erde und schafften es sogar, sich einen Herd zu bauen. Ihr Heimatdorf unterstütze die deutschen Familien heimlich. Maria Pätkau betete oft intensiv in den nahegelegenen Wäldern. Wegen ihr verzagte die Familie nicht. 1934 wurde David Pätkau, früher als erwartet, aus dem Gefängnis entlassen. Als er zu seiner Familie zurückkehrte, waren seine Haare grau und sein abgema¬ gertes Gesicht hatte tiefe Falten. Er hatte einen müden Blick und sein jüngstes Kind erkannte ihn nicht wieder. Aber jetzt kümmerte er sich wieder um seine Familie. 1934 begann eine neue Ära der Verfolgung. Die Gefängnisse wurden mit neuen Insassen gefüllt, die Strafen wurden härter und es wurden Haftzeiten bis zu zehn Jahren auferlegt. David Pätkau wurde ein zweites Mal inhaftiert. Er fand sich mit etwa dreißig anderen Mennoniien in einer großen Zelle in Orenburg wieder. Er ermutigte seine Brüder ihr Kreuz mit Würde zu tragen und war fest davon überzeugt, dass der Herr seine Generation auf ihrem Leidensweg ehren würde. Er starb im Februar 1942, nachdem er von Hunden während eines Gefan¬ genentransports angegriffen wurde. Johannes Dyck Kein Ende der Trauer (1941-45) Als der Krieg gegen Deutschland am 22. Juni 1941 ausbrach, rückten die deut¬ schen Truppen schnell in den Westen der UdSSR vor. Da die sowjetische Regie¬ rung vermutete, dass die „deutschen“ Kolonisten eine „fünfte Kolonne“ des Fein¬ des wären, entschieden sie sich, sie in ein sicheres Territorium, das nicht so leicht 186 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE vom Feind eingenommen werden könnte, zu verlagern. Am 28. August 1941 begann die Deportation der Deutschen aus dem europäischen Teil der Sowjet¬ union in den asiatischen Teil. Jedoch w'aren viele Frauen, Alte und Kinder in den Kolonien zurückgeblieben, einige Mennoniten befanden sich noch am Bahnhof, kurz davor in den Osten transportiert zu werden, als die Deutschen ankamen. Bis zum Ende des Krieges waren jedoch 1209 430 Deutsche deportiert worden, unter ihnen fast alle Mennoniten. In weniger als zwei Monaten erreichten die deutschen Truppen die ersten der ehemaligen Mennonitensiedlungen in der Ukraine und bald darauf waren die meisten Kolonien besetzt. Das Gemeindeleben konnte in diesen Gegenden wie¬ der aufgebaut werden. Das hörte aber im Herbst 1943 mit dem Abzug der deut¬ schen Armee auf. Viele Familien, die Verwandte in den nicht belagerten Gebieten der UdSSR hatten, wurden über Jahre, manchmal auch Jahrzehnte getrennt. Am Ende des Krieges waren fast alle Mennoniten aus den ehemaligen Mennonitenko- lonien im Süden der Ukraine verschwunden. Viele zogen sich mit der deutschen Armee in den Westen zurück und durchlebten die Schwierigkeiten der langen Reise. Letztendlich fanden sich viele von ihnen nach dem Krieg in Flüchtlings¬ lagern in von Alliierten besetzten Gebieten wieder. Die meisten von ihnen wan- derten nach Kanada, Paraguay und Brasilien aus, wogegen tausende andere in die Sowjetunion zurückgesandt wurden. Das Tal der Schatten wendete sich wieder. Die Menschen, die ausgewiesen worden waren, fanden sich tausende Kilometer von ihrem Heimatort entfernt wieder, fast ohne Besitz, verstreut über ein weites Gebiet von Kasachstan bis in den Osten Sibiriens, wo sie in Dörfern in kleinen Gruppen ihr Dasein fristen mussten. Der Kampf ums Überleben begann. Nur die Mennoniten in Orenburg, Sibirien und des Gebietes Altai blieben verschont. Am 10. Januar 1942 befahl die sowjetische Regierung allen deutschen Män¬ nern im Alter zwischen siebzehn und fünfzig Jahren in die Arbeitsarmee {Tru- darmee) einzutreten. Einige wurden in die Industriegegenden des Urals gesandt, um in der Metallverarbeitung zu arbeiten; einige siebzehnjährige Jungen wurden in die Kohleminen von Karaganda in Kasachstan geschickt. Alle lebten in Barra¬ cken, hinter Stacheldraht und den wachsamen Augen von Soldaten. Alle waren gezwungen ihre Tagesquote zu erfüllen, um ihre tägliche Essensration zu bekom¬ men. Ein bitterer Kampf ums Überleben W'ar die Realität. Im Oktober 1942 motivierte die positive Erfahrung mit den Männern in der Arbeitsarmee die Regierung dazu, auch Frauen im Alter zwischen sechzehn und fiinfundvierzig Jahren, die keine Kinder unter drei Jahren hatten, in die Arbeits- RUSSLAND UND EHEMALIGE SOWJETUNION 187 armee zu schicken. Die Kinder, die ohne Eltern zurückblieben, mussten alleine gegen den Hunger kämpfen. Den Preis, den die Mennoniten zahlen mussten, war extrem hoch. Genaue Statistiken gibt es nicht, aber die Mennonitenkolonie Neu Samara beispielsweise verlor 146 Personen in der Arbeitsarmee, unter ihnen sechs Frauen. Aber Gott erinnerte sich in seiner Treue an sein Volk. Die strengen Ma߬ nahmen gegen Religion wurden mit dem Ausbruch des Krieges etwas gelockert. Eine neue Strategie des Patriotismus wurde zum Weg des Überlebens für russi¬ sche und ukrainische Gläubige. 1943-44 erlaubte die Regierung sogar ein wenig organisiertes Gemeindeleben, obwohl es unter strenger Überwachung stattfand. Baptisten und evangelikale Christen erhielten einige Bürgerrechte. Einige der überlebenden Leiter gründeten im Oktober 1944 das Vereinigte Konzil der evan- gelikalen Christen und Baptisten (AUCECB). Diese schweren Zeiten zeigten, dass trotz blutiger Verfolgung der Glaube nicht komplett ausradiert werden konnte. Der Glaube wurde besonders in den Familien gefördert. Die Witwen und Frauen, deren Männer weit weg in der Arbeitsarmee waren, waren die wahren Glaubenshelden, die ihren Kindern das Beten lehrten. 1943-44 riskierten einige Frauen in Neu Samara, einen kleinen geheimen Gebetskreis zu starten. Gertrud Derksen aus Omsk, die in der Gegend von Swerdlowsk in die Arbeitsarmee eingezogen wurde, initiierte eine geistli¬ che Erweckung unter den anderen deportierten Mennonitenfrauen. Maria Mar¬ tens riskierte es im Dorf Nikolaipol der Omsker Mennonitensiedlung eine Weih¬ nachtsfeier zu organisieren, wo Kinder Gedichte aufsagten und Weihnachtslieder sangen. Im Nachbardorf Mirolyubovka trafen sich Katharina Ketler, Katharina Hamm, Anna Pätkau, Helene Schellenberg und Natalie Schmidt zu geheimen Kinderstunden. In der Arbeitsarmee geschahen Wunder. Am 1. Januar 1942 stand der fünf¬ zig Jahre alte Gerhard Götz (1892 -1970) im Arbeitslager Kimpersai im Wes¬ ten Kasachstans plötzlich während eines schrecklichen Schneesturms in sei¬ ner Baracke auf, stellte sich zwischen die Betten und rief laut: „Wir sind alle am Ende unseres Weges. Wenn wir nicht Buße tun werden, sind wir auf ewig ver¬ dammt.“ Er betete laut und plötzlich schlossen sich viele Leute dem Gebet an. Keiner konnte sie aufhalten; die Wachen waren nicht da. Danach fingen die Leute an über Dinge des Glaubens zu reden. Gerhard Götz versuchte, obwohl er kein Geistlicher war, sogar das Buch der Offenbarung zu erklären. Am 27. August 1942 gab es eine Taufe - Peter Neumann taufte Heinrich Fransen und Jakob Regehr. Am 18. November 1944 wurde die Mennoniten Brüdergemeinde Kim- 188 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE persai gegründet und traf sich regelmäßig im Arbeitslager. Es entstand sogar ein Chor. Fünfunddreißig Menschen kamen 1944 zum Weihnachtsgottesdienst. 1945 wurde Franz Voth als Ältester von Gerhard Götz ordiniert. Das Arbeitslager in Kimpersai war wirklich eine Ausnahme. Ab Mai 1944 erlaubte die Lagerleitung FamiÜenwiedervereinigungen. Dem Familienober¬ haupt wurde es genehmigt, Unterstände in der Nähe der Baracken zu bauen. Die Gottesdienste fanden dann in diesen Unterständen statt. Im Herbst 1946 wurde das Lager aufgelöst, aber den Bewohnern wurde nicht erlaubt den Ort zu ver¬ lassen. Nur an wenigen Treffpunkten der russischen Baptisten genossen die Men- noniten Brüder Gemeinschaft mit ihnen. Karaganda, in Zentralkasachstan, war einer dieser Orte. Anfang der 1930er entschied die Regierung ein Kohlelager in dieser lebensfeindlichen Gegend, in der es starke, trockene Winde und schlim¬ men Frost gab, einzurichten. Die erste Gemeinde wurde 1931 von Mennoni- ten, die hier im Exil lebten und aus der Siedlung Am Trakt im Gebiet Wolga stammten, gegründet. Nach der Verhaftung dreier leitender Personen 1934 fan¬ den keine Gottesdienste mehr statt. 1931 stießen allerdings bereits einige im Exil lebende Baptisten hinzu und starteten gelegentliche Treffen. 1934 wurden die Treffen regelmäßig trotz der Gefahr und den Verhaftungen, und sie wurden - mit einer kleinen Pause 1945 -- fortgesetzt. Die Gemeinde führte fast jedes Jahr Taufen durch. Im Herbst 1944 schloss sich Peter Bergmann (1898- 1979), Predi¬ ger und ehemaliger Student der Orenburger Bibelschule, der in die Arbeitsarmee nach Karaganda geschickt worden war, der Gemeinde an. Obwohl er nicht gut Russisch sprach, konnte er seine Bekehrungsgeschichte erzählen. Dann wurde ihm ein russisches Neues Testament gegeben. Nachdem er Psalm 32 auswendig gelernt hatte, predigte er über diesen Text am darauffolgenden Sonntag. Danach bat man ihn jeden Sonntag zu predigen. Er wurde zum geistlichen Vater vieler junger Deutscher und mennonitischen Männer in der Arbeitsarmee, die in der Kohlemine arbeiten mussten. So schenkte Gott sogar in der Wüste Quellen des Segens. Exil (1945-55) Als der Krieg zu Ende war, blieben viele Deutsche in den Orten des Exils, aber Familien konnten jetzt zusammengeführt werden. Die Anzahl der Exilorte wuchs infolge des Zuflusses derer, die von Westeuropa, gemäß der Jalta-Vereinbarung 1944, zurück in die UdSSR abgeschoben wurden. Die Abgeschobenen wurden RUSSLAND UND EHEMALIGE SOWJETUNION 189 nicht wie versprochen zurück in ihre Geburtsorte geschickt, sondern an andere Orte wie zum Beispiel Kostroma im Norden Russlands und nach Tadschikistan an der afghanischen Grenze. Ab 1948 war es den verbannten Deutschen verboten ihren Wohnort zu ver¬ lassen und man drohte ihnen mit einer zwanzigjährigen Gefängnisstrafe. Am 1. Juli 1951 betrug die Anzahl der Verbannten 1 155 815 Menschen und unter ihnen waren 396047 Kinder unter sechzehn. Währenddessen setzte das religiöse Leben in der UdSSR seinen schwanken¬ den Kurs fort. Alles war mehr oder weniger unter der Kontrolle der Regierung, aber sogar unter diesen eingeschränkten Bedingungen konnten Baptistenge¬ meinden im ganzen Land registriert werden. Illegale Gemeinden und Gruppen entstanden in ihrem Schatten. Die Religionspolitik des Landes veränderte sich von Verfolgung zu offizieller Toleranz. Das hieß, dass vorsichtige Versuche das religiöse Leben wieder aufzubauen, nicht brutal niedergeschlagen wurden, wie es noch im vorangegangenen Jahrzehnt der Fall war. ln Kasachstan, wo jetzt die Hälfte der deutschen Bevölkerung der UdSSR lebte, wurden fünfundzwanzig Baptistengemeinden registriert und das haupt¬ sächlich in großen Städten. Die Baptistengemeinde in Karaganda wurde 1946 registriert. Etwa zwanzig Prozent von den 250 Mitgliedern waren deutscher Abstammung und fast alle davon waren Mennoniten. 1948 fand dort ein großer Taufgottesdienst mit 112 getauften Personen statt. Viele der Neugetauften waren junge Mennoniten. 1946 stieß Heinrich Wedel eine Erweckung unter den Jugendlichen des Dor¬ fes Lukovsk bei Neu Samara an. Im Herbst 1948 organisierte Wilhelm Sawad- ski den ersten Erntedankgottesdienst. Bald begann er auf Beerdigungen und bei Hochzeiten zu predigen. Ebenfalls im Herbst 1948 traf Peter Engbrecht, ein Leh¬ rer und Atheist mennonitischer Herkunft, ein. Auf Grund seiner Tuberkulose wurde er von seiner Schule entlassen. Aber seine Ehefrau glaubte an Gott und betete bis zu seiner Bekehrung für ihren Ehemann. Mit dem gleichen Eifer, mit dem er einst gegen Gott arbeitete, arbeitete er jetzt für ihn. Während er als Wäch¬ ter des Wassermelonenfeldes der Kolchose arbeitete, sammelte er die Jugend¬ lichen von Lugovsk und dem Nachbardorf Kaltan um sich und erzählten von seinen Erfahrungen mit Gott. Im Winter setzte er die Treffen mit den Jugendli¬ chen in seinem Haus fort. Nach und nach schlossen sich auch Erwachsene den Jugendlichen an. 1948 änderte sich das Religionsgesetz wieder und die Unterdrückung wurde wieder stärker. 1950-52 gab es eine Reihe von Gerichtsverhandlungen, in denen 190 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Wilhelm Sawadski und neun weitere Personen zu einer zwanzigjährigen Gefäng¬ nisstrafe verurteilt wurden. Am 28. Oktober 1953 wurde über eine Gruppe von zwanzig Mennoniten aus Orenburg, unter ihnen auch eine Frau, das gleiche Urteil gefällt. Stalin starb am 5. März 1953. Dieser Tag kennzeichnete den Beginn vieler Veränderungen im Land, aber für die im Exil lebenden Deutschen blieb alles, wie es war. Der Weg zurück in ihre Heimatdörfer und der Wiederaufbau von Gemeinschaften waren nicht möglich. Die meisten der Mennoniten mit ihrer ethnisch-religiösen Kultur waren über ein weites Territorium verstreut. Sogar wenn man Deutsche als Nachbarn hatte, sprachen sie oft einen anderen Dialekt, hatten eine andere Gemeindeherkunft und eine andere Identität. Die ethnische Identität der Mennoniten in der UdSSR hatte sich total ver¬ ändert. Die Lebensweise, an die sich die Mennoniten in den Kolonien gewöhnt hatten, gehörte der Vergangenheit an. Die starke wirtschaftliche Grundlage war weg, die gut bekannten landwirtschaftlichen Anbauweisen - sogar in Orenburg, Omsk und der Region Altai - mussten neuen sozialistischen Produktionsmetho¬ den weichen. Der Verlust ihrer kulturellen Elite, zuerst durch Auswanderung und danach durch Verschleppung, hatte einen dramatischen Einfluss auf die Menno¬ nitengemeinschaft. Der Verlust ihrer Bücher - sowohl Bibeln, als auch Bildungs-, Andachts- und Geschichtsliteratur - raubte der Gemeinschaft die Möglichkeit ihre Mennonitenidentität aufrechtzuerhalten. Die neuen Zentren der Mennoni¬ ten lagen in Kasachstan und Zentralasien. Während der Herrschaft Stalins änderte sich die demographische Struktur innerhalb der Mennoniten außerordentlich. Es war normal, dass Familienmit¬ glieder gestorben waren oder vermisst wurden. Ehefrauen ohne Ehemänner, Kin¬ der ohne Väter, Enkel ohne Großeltern waren nicht selten. Die Jahrzehnte der geistlichen Dürre brachten den Mennoniten ein neues Glaubensverständnis. Der Glaube wurde persönlicher und die Erhaltung kultu¬ reller Traditionen wurde zweitrangig. Die Gemeinschaft der Gläubigen war das primäre Ziel. Die meisten Bezugspunkte zu dem früheren Selbstbild der Men¬ noniten waren zerstört. Der einzige Ort, wo Aspekte früherer Traditionen auf¬ rechterhalten werden konnten, waren die Familien, wo man die deutsche Sprache und den mennonitischen Glauben bis zu einem gewissen Grad bewahren konnte. RUSSLAND UND EHEMALIGE SOWJETUNION 191 Erweckung (1955-59) Als Stalin starb, begann ein Machtkampf. Zuerst kümmerte die Regierung das Schicksal der deportierten Deutschen nicht. Aber für das ganze Land an sich gab es massive Veränderungen. Am 13. Dezember 1955 schaffte die Regierung die Bewegungseinschränkungen weitgehend ab. Zwar durften die Deutschen nicht in ihre Heimatsiedlungen zurückkehren, jedoch waren sie nicht mehr auf den Ort ihres Exils beschränkt. Nach 1956 wurden dann den Deutschen, die Men- noniten inbegriffen, die gleichen Rechte und die gleichen Verpflichtungen, wie jedem anderen sowjetischen Bürger, gewährt. Dazu gehörte auch die Verpflich¬ tung den Militärdienst zu leisten, jedoch wurde ihnen die Chance auf eine höhere Ausbildung oft verwehrt. Dazu kam, dass es zwischen 1955 und 1958 so schien, als würde sich die Regierung nicht für die religiösen Entwicklungen unter ihnen interessieren. Die Vorbereitungen für eine große Erweckung begannen während der dun¬ kelsten Nachkriegszeit. Im Herbst 1950 rief Johann Friesen, der sich im fernen Osten im Exil befand, dazu auf, am 15. Juni 1950 einen Tag der Buße und des Gebets für Glaube und Reinigung abzuhalten. Dieser Aufruf wurde mit der Post verschickt. Die Regierung untersuchte den Fall, konnte aber nicht den Ursprung des Aufrufs feststellen. Einer derer, die dabei halfen diese Idee weiterzutragen, war Johannes Fast (1886-1981), der fünfunddreißig Kilometer entfernt von Frie¬ sen im Exil lebte. Friesen war ein theologisch ausgebildeter Leiter, ehemaliger Dirigent des Chores in der Alexanderthaler Mennoniten Brüdergemeinde und daneben auch ein Wanderprediger. Als der 68-jährige Prediger 1954 aus dem Exil entlassen wurde, weinte er vor Freude. Er und seine Familie zogen in die wichtige Industriestadt Temirtau in der Nähe von Karaganda in Kasachstan, wo es eine kleine Gemeinde gab. Von da aus arbeitete er als Wanderprediger und Evangelist. Die Hälfte der befreiten Deut¬ schen wohnte hier und es brach eine gewaltige Erweckung aus. In der Zeit der Veränderung nach Stalins Tod zeigte sich das Ausmaß der Erweckung unter den Deutschen und besonders unter den Mennoniten. Die Erweckung hatte schon vielerorts in geheimen Treffen während des Krieges begonnen. Die Suche nach Gemeinschaft war eine treibende Kraft. Gemeinsame Gebete, Gesang und Buße waren die geistlichen Höhepunkte. 1954 kehrte Peter Dück aus dem Gefängnis ins Dorf Komsomolets im Norden Kasachstans zurück und startete einen Gebetskreis, der am Anfang von einigen wenigen Witwen besucht wurde. Im Laufe der Zeit wuchs diese Gruppe und es kamen auch Lutheraner, Baptisten und Mennoniten. 192 DiE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE 1955-56 fanden zahlreiche Taufen als Ergebnis der Erweckung statt. In den Dörfern um die Stadt Tschutschinsk im Norden Kasachstans gab es dafür viele Beispiele; Andreas Pankratz taufte achtzig Personen in Kotyrkol; Jakob Fedrau taufte zwölf Personen in Rai-Gorodok; Abram Koop taufte etwa fünfundzwan¬ zig Personen in Zlatopolye; Gerhard Unruh taufte eine Person in Urumkai; Jakob Konrad taufte einige in Kovalevka und Franz Klassen in Obaly. In Komsomolets entschied sich die Gebetsgruppe die Einheit zwischen den Denominationen zu erhalten und gründete eine Gemeinde, die aus drei konfessi¬ onellen Fraktionen bestand. Die Neubekehrten wurden durch Untertauchen auf ihr Glaubensbekenntnis hin getauft, dabei wurden die Gründer aber nicht noch einmal getauft. Viele der getauften Personen gründeten Gemeinden und schrie¬ ben eine Untertauchstaufe vor. Diese wurden entweder zu Mennoniten Brüder¬ oder Baptistengemeinden, die viel gemeinsam hatten. Als Harold S. Bender, der Präsident der Mennonitenweltkonferenz, und David B. Wiens, ein Mennoniten Brüdervertreter, 1956 die UdSSR besuchten und einige Mennoniten in Alma- Ata in Kasachstan besuchten, empfahlen sie den Brüdern eng mit den Baptisten zusammenzuarbeiten. Bald darauf organisierten sich die Gemeinden intern, Älteste wurden ordi¬ niert, das Abendmahl eingeführt und Gemeindezucht praktiziert. Die alte Men¬ noniten Brüdertradition der Wanderprediger wurde erneut betont, Männer wie Johannes Fast, die Jahrzehnte des Leids überlebt hatten, wurden zu einer Brücke in die Vergangenheit und gründeten Gemeinden nach dem Modell der früheren Mennoniten Brüdergemeinden. So entstanden viele Dorfgemeinden in Kasach¬ stan und anderswo. Es wurden auch Mennoniten Brüdergemeinden von Abge¬ schobenen aus Deutschland in der Region Kostroma im Norden Russlands, sowie in Tscheljabinsk, einem Industriezentrum in der Region Ural und Hauptort für die Deportierten, gegründet. In den verblieben Mennonitensiedlungen wurde das Jahr 1955 auch zu einem Jahr der Gemeindeerneuerungen. Die erste wiederaufgebaute deutsche Gemeinde in der Region Omsk war im Dorf Issilkul. Als Erste wurden Peter und Anna Harder und Abram und Maria Derksen von Johann Heide getauft. Bald darauf wurden weitere vier Frauen und drei Männer getauft. Im Herbst 1955 wurde eine deutsche Gemeinde mit dreißig Mitgliedern gegründet. Zur gleichen Zeit entstand eine russische Gemeinde mit Waldemar Heine in Issilkul. Johann Heide war in den 1930ern zum Ältesten in einer russischen Baptistengemeinde gewählt worden. Auf Grund seiner Verhaftung 1938 konnte er nicht ordiniert w’erden. 1948 war er sehr aktiv in einer wiedereröffneten Gemeinde, bis diese RUSSLAND UND EHEMALIGE SOWJETUNION 193 von der Regierung geschlossen wurde. 1956 wurde Johann Heide von Johannes Fast ordiniert. Nach seiner Ordination begann Johann Heide zu taufen und gründete Gemeinden in den Dörfern Petrovka, ApoUonovka, Mirolyubovka und Solnt- sevka, 1957 wurde der Omsker Verband von Mennoniten Brüder und deutschen Baptistengemeinden gegründet. Beide Denominationen sind in den Jahren davor in der Siedlung Omsk entstanden und unterhielten gute Beziehung zueinander. Der Omsker Verband, besser bekannt als Omsker Unabhängige Bruderschaft ver¬ abschiedete eine neue Gemeindeordnung. Diese Gemeinden lehnten später eine Registrierung ab und schlossen sich nicht der größeren Baptistenvereinigung des Landes an und wurden deshalb als „unabhängig“ angesehen. Selbst sahen sie sich entweder als „Brodajemeinde“ (Brüdergemeinde) oder Baptistengemeinde. 2006 wurde der offizielle Name „Evangelikale Christen-Baptisten“ eingeführt. In der Siedlung Neu Samara nahm Peter Engbrecht 1953 seine Arbeit wieder auf. Auf einem alten Fahrrad besuchte er die Nachbargemeinden und ermutigte die Gläubigen sich zu Gottesdiensten zu versammeln, jedoch hatten sie Schwie¬ rigkeiten dabei, einen geeigneten Versammlungsort zu finden, Im Dorf Dons- koi boten Gerhard und Lena Löwen, ein Ehepaar mit acht Kindern, ihr Haus als Versammlungsort an. Gerhard und die älteren Kinder arbeiteten in der Kol¬ chose, währen Lena sich um den Haushalt und die Kindererziehung kümmerte. Die Bänke wurden für jeden Gottesdienst aufgestellt und die Räume vorbereitet. Nach dem Gottesdienst wurden die Bänke wieder weggeräumt. Das Haus war in den schneereichen Orenburger Wintern von Schnee bedeckt, da es ein flaches Dach hatte. Manchmal musste man einen Tunnel in den Schnee graben, und die Fenster mussten vom Schnee frei gehalten werden, damit Tageslicht in die Räume gelangen konnte. Die Gemeinde Donskoi hatte keinen Prediger oder offiziellen Leiter. Die ers¬ ten waren Gerhard Löwen als leitender Prediger, Kornelius Dück, Jakob Dück, Jakob Klassen und Daniel Janzen. Alle predigten in Plattdeutsch, weil keiner der jungen Männer Hochdeutsch beherrschte. Heinrich Friesen, ein alter und gebrechlicher Mann aus dem Nachbardorf Bogomazovo, teilte das monatliche Abendmahl aus. Vier Mal im Jahr wurde eine Fußwaschung durchgeführt. Drei ältere Schwestern stellten einen Chor zusammen und ein junges Chormitglied benutze eine Stimmgabel um den ersten Ton zu geben. Die Taufgottesdienste wurden geheim in der Nacht durchgeführt. Auf ähnliche Art und Weise baute der Missionar Johann Peters Susanowo 1953 in der Orenburg Region wieder auf. Die ersten Versuche wurden von Hein- 194 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE rieh Voth 1947 gemacht, aber regelmäßige Treffen mit vielen Bekehrungen gab es nicht vor 1954. Am 15. Juni 1955 wurden fünfundsiebzig Personen getauft und acht weitere Personen zwei Monate später. Eine normale Gemeinde wurde gegründet und Abram Neufeld und Jakob Kehler waren die Prediger. In Susan- owo wurde fast das ganze Dorf Mitglied in der Gemeinde. Ein neues Gefühl von Freiheit entstand unter den Mennoniten in den beste¬ henden Baptistengemeinden. Die Gemeinde in Karaganda überlebte ihre schwie¬ rigen Anfänge in den 1950ern und wuchs sogar bis 1947 auf 289 Mitglieder und bis 1953 auf 805 durch Einwanderung und Taufen (352 Personen), an. Der Hauptgrund war eine Erweckung unter den früheren deutschen Mitgliedern der Arbeitsarmee. 1955 erlaubte die Regierung deutsche Predigten. 1956 bekam die Gemeinde die Erlaubnis, ein zweistöckiges Gemeindehaus zu bauen. Jedoch fühl¬ ten sich einige Mennoniten Brüder aufgrund des Mangels an evangelistischen Predigten unwohl. Am 15. Dezember 1956 gründete eine Gruppe von einund¬ zwanzig Personen eine neue Gemeinde, die Deutsche Mennoniten Brüderge¬ meinde hieß. Der erste vorläufige Älteste war Jakob Klassen, und er wurde von Abram Friesen, Gerhard Harder und Franz Ediger unterstützt. Prediger Dietrich Pauls schloss sich bald darauf der Gemeinde an und teilte das Abendmahl aus. Im Mai 1957 schloss sich David Klassen (1899-1990), der früher in der psych¬ iatrischen Mennonitenklinik Bethania gearbeitet hatte und ein begabter Predi¬ ger war, der Gemeinde an. Er hatte siebzehn Jahre im Arbeitslager verbracht und wurde am 12. September 1957 zum Gemeindeältesten gewählt. Die Mennoniten Brüdergemeinde in Karaganda folgte dem traditionellen Muster des Gemeindelebens, von der Aufnahme in die Gemeinde bis zur Orga¬ nisation der Leitung. Sie trafen sich in verschiedenen Teilen der großen Stadt. Es wurde ein Chor zusammengestellt. Viele der jungen Sänger konnten weder Deutsch lesen noch schreiben, also wurde die Chorprobe zur Einführung in die deutsche Sprache. Es wurden jede Woche vier Gottesdienste veranstaltet - zwei am Sonntag und zwei während der Woche. Im März 1957 versuchte die Gemeinde zum ersten Mal, die rechtliche Anerkennung zu erhalten, Die Regie¬ rung war nicht in Eile diese Anfrage zu akzeptieren. Sie wollte, dass alle freien Gemeinden der AUCECB beitraten, um danach den rechtlichen Status zu erhal¬ ten. Nachdem die Deutschen in den verschiedenen Regionen, in die sie verbannt worden waren, die Erlaubnis hatten, ihren Wohnort selbst auszusuchen, begann der deutsche Exodus. Die deutschen Gemeinden, die nur einige Jahre zuvor gegründet worden waren, begannen zu sterben, während Gemeinden in ande- RUSSLAND UND EHEMALIGE SOWJETUNION 195 ren Gegenden wuchsen. Die Gemeinde in Jurga in der Region Kemerowo in Sibi¬ rien verlor die meisten ihrer 200 Mitglieder. Die Gemeinden im Norden Russ¬ lands in der Region Kostroma wurden aufgelöst. Neue Gemeinden entstanden in Zentralasien, besonders in Kirgisistan, wo es neunzehn registrierte Gemeinden gab. Bald schon hatte sich eine neues geographisches Muster von Deutschen und Mennonitengemeinden entwickelt, mit dem Hauptzentrum und der Hälfte der Gemeindemitglieder in Zentralasien. Besonders Karaganda wurde zu einem Magneten für Einwanderer. Anfangs waren viele Soldaten der Arbeitsarmee, die ihre Verwandten nach 1945 angelockt hatten, in Karaganda. Des Weiteren erlebte Karaganda die Hungersnot nicht so sehr wie andere - ein Laib Brot kostete nur 40 Rubel, was ein Fünftel dessen ist, was er in Tscheljabinsk, einem anderen Industriezentrum kostete. Jedoch war der Hauptgrund für Karaganda das lebendige deutsche und mennonitische Gemein¬ deleben. 1957 wuchs die Mennoniten Brüdergemeinde um 430 Personen (251 Taufen) und 1958 um 340 (128 Taufen). 1959 erreichte die Mitgliederzahl fast 1000 Personen. Auch die Baptistengemeinde wuchs und erreichte 1959 eine Mit¬ gliederzahl von 1136, von denen mehr als die Hälfte Deutsche oder Mennoni¬ ten waren. Gewitterwolken (1959-65) Trotz aller Veränderungen blieb der sowjetische Staat atheistisch. 1960 versprach der neue Diktator, Nikita Khrushchev, dass der letzte Gläubige bald im Fernse¬ hen gezeigt werden würde. Im Oktober 1958 begann mit einer geheimen Ent¬ scheidung des Zentralkomitees der kommunistischen Partei eine neue Welle der Verfolgung. Der neue Angriff auf Religion richtete sich gegen alle Aspekte des Gemeinde ¬ lebens und der Organisation. Die Bemühungen des Staates wurden von Lehrern unterstützt. Schulkinder von Gläubigen wurden vor ihren Schulkameraden ver¬ spottet; ihren Eltern wurde der Entzug der Erziehungsberechtigung angedroht. Die Gemeinden, zu denen sie mit ihren Kindern gingen, wurden eingeschüch¬ tert, dass sie ihre Registrierung verlieren könnten, wenn Kinder zu ihnen kämen. Angestellte in hohen Positionen wurden wegen ihres Glaubens entlassen. Die vom Staat gesteuerte Presse war voll von Artikeln, die Sektierer verdammten. Ein Drittel der orthodoxen Kirchen wurde geschlossen; dem Leitenden Gremium der Siebentags-Adventisten wurde der rechtliche Status entzogen. Viele Baptistenge¬ meinden existierten sowieso schon ohne rechtlichen Status. Allein in der ersten 196 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜOERCEMEINDE Hälfte des Jahres 1961 wurden 300 Baptistengemeinden geschlossen. Die Arbeit der registrierten sowie der nicht registrierten Gemeinden wurde sehr schwierig. In dieser Situation gab die AUCEBC, die leitende Körperschaft der Evan- gelikaJen Christen-Baptisten, dem Druck nach und verabschiedete im Dezem¬ ber 1961 eine neue Satzung, die die Gemeindearbeit erheblich einschränkte. Im August 1961 brach ein Protest unter den Baptisten aus, wonach im September 1965 das Konzil der Gemeinden der Evangelikalen Christen-Baptisten (CCECB) gegründet wurde. Dadurch spaltete sich die Baptistengemeinschaft. Auch Men- noniten und deutsche Baptisten waren von diesem Konflikt betroffen. Im Orenburger Gebiet wurde Peter Engbrecht 1957 zu einer fün^ährigen Gefängnisstrafe verurteilt. 1958 hörten die Gottesdienste auf, wurden aber 1962- 63 im Geheimen weitergeführt. Als Peter Engbrecht zurückkehrte, blieb er Ältes¬ ter in der Gemeinde Lugovsk. 1963 wurde von staatlicher Seite aus eine Ver¬ sammlung in der Kolonie einberufen, an der alle Gläubigen teilnehmen mussten. Während dieser Versammlung wurden Peter Engbrecht, sowie Hermann Görzen und Anna Penner aus der Dorf Kuterlya und Anna Bergmann und Jakob Reimer aus Donskoi zu mehreren Jahren im Exil verurteilt. Die Situation in der Region Omsk war ebenfalls kritisch. In einigen Gemein¬ den hörten die Gottesdienste auf oder wurden im Geheimen durchgeführt, aber es wurden keine Gläubigen verurteilt. In dieser Gegend waren die russischen Gläubigen das Hauptziel. In Karaganda begann die Regierung Druck auf die Besucher von Gottesdiens¬ ten der Mennoniten Brüdergemeinden auszuüben. Überwachungskommissionen stellten Regeln für illegale Versammlungen auf Sie führten Listen der Besucher mit ihren Adressen und Arbeitsplätzen und drohten ihnen. Da die Gemeinden oftmals groß waren, fingen sie an, sich an verschiedenen Orten in Gebetshäusern zu treffen, aber die Regierung schloss auch diese bald darauf Die Versammlun¬ gen wurden in Privathäuser verlegt, aber die Regierung drohte den Eigentümern. Einige Personen wurden dazu gezwungen KGB-Informanten zu werden. Steuer¬ büros erklärten regelmäßige Spenden der Gemeindemitglieder zu privatem Ein¬ kommen der Prediger, die für die Versammlungen verantwortlich waren, und bestraften sie dementsprechend. Im August 1962 wurden drei Prediger verhaftet, unter ihnen war auch der Älteste David Klassen. Im Dezember wurde der dreiundsechzigjährige zu drei Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis verurteilt. Während dieses Prozes¬ ses wurde ein neues Verfahren gegen Prediger Otto Wiebe, der für eine Ver¬ sammlung in einem der Stadtteile verantwortlich war, eingeleitet. Am 26, März RUSSLAND UND EHEMALIGE SOWJETUNION 197 1963 wurde Wiebe zu vier Jahren Haft verurteilt. Am 29. Januar 1964 starb er im Arbeitslager. Die Verfolgung hatte eine sehr negative Auswirkung auf die Gemeinde. Das Fehlen der Leiter brachte Unordnung und Unsicherheit. Einige aktive Personen zogen sich zurück. Andere blieben still. Der Mut der Jugendlichen stieß auf Vor¬ sicht bei der älteren Generation. Um das Platzproblem zu lösen nahmen die Mennoniten Brüdergemeinden im August 1964 das Angebot der registrierten Baptistengemeinden an, sich in ihren großen Räumen zu treffen. Die Baptisten unternahmen eine Reihe von Versuchen die Mennoniten Brüdergemeinden in ihre Gemeinde mit einzubeziehen. Aber es gab Missverständnisse und diese erreichten in einer gemeinsamen Mitgliederver¬ sammlung 1965 ihren Höhepunkt. Diese Erfahrungen hatten einige Konsequenzen für die Mennoniten Brüder¬ gemeinde. Erstens wurde eine Entscheidung getroffen, dass Mennoniten Brüder ihre eigene Identität behalten dürften. Zweitens wurde das Mennoniten Brüder¬ profil geschärft. Drittens wurden die Beziehungen zu den Baptisten zurückhal¬ tender. Die allgemeine Richtung wurde überdacht und das Leitungsteam neu strukturiert. David Klassen, der aus dem Gefängnis entlassen worden war, gab seine Position als Gemeindeältester auf. Heinrich Wölk {1906 - 2001) wurde der nächste Älteste und Wilhelm Matthies (1903-1995) wurde sein Assistent. Beide waren vorher Lehrer gewesen. Stabilität (1965-85) Im Oktober 1964 wurde Khrushchev gezwungen sein Amt niederzulegen. Zur selben Zeit nahm die Unterdrückung der Religion ab. Mit dem neuen Führer des Landes, Leonid Breshnev, begann ein neues Kapitel in der Beziehung zwischen Staat und Kirche. Sogar bevor Khrushchev abdanken musste, war der AUCECB erlaubt worden, eine landesweite Konferenz durchzufuhren, die erste seit zwan¬ zig Jahren. Es ist anznehmen, dass die Regierung damit auf die starke Protest¬ bewegung innerhalb der Baptistengemeinde reagierte. Die dreitägige Konferenz im Oktober 1963 wurd ein großer Kongress und man diskutierte über Themen der Spaltung und Einheit. Heinrich Albert, einer der vier Teilnehmer aus der Baptistengemeinde Karaganda, hielt eine kurze Ansprache und bat den Kongress die Mennonitengemeinden in die Union der Evangelikalen Christen-Baptisten aufzunehmen. Dadurch rückten die Mermoniten in das Rampenlicht des ganzen Landes. 198 DIE GESCHICHTE DER MENNONiTEN-BRÜDERGEMEINDE Drei Jahre danach, auf dem nächsten AUCECB Kongress im Oktober 1966 äußerte Jakob Fast aus Novosibirsk eine ähnliche Bitte. Beide Bitten wurden ange¬ nommen und seitdem vertrat die AUCEBC auch die Mennoniten Brüder und schloss ihre Vertreter in ihr leitendes Gremium mit ein. Viktor Krieger, Jakob Fast und Emil Baumbach waren oft die Delegierten. Die Wende im Religionsgesetz machte sich in den Ortsgemeinden bemerkbar, z.B. indem die Regierung ihre Anfragen auf Registrierung akzeptierte. Bereitsl965 wurde eine Registrierung in Verbindung mit der Mitgüedschaft in der AUCEBC möglich, Mit der Registrierung ging normalerweise auch die Erlaubnis einher ein Gemeindehaus besitzen zu dürfen. Eine beachtliche Anzahl deutschsprachiger Gemeinden, darunter auch Mennoniten Brüder, nahmen diese Möglichkeit in Anspruch. Deswegen wurde auch die Mennoniten Brüdergemeinde in Kimpersai zu einer registrierten Evangelikalen Christen-Baptisten Gemeinde. Die AUCEBC bot vier Möglichkeiten für eine Integration von Mennoniten Brüdern an: (1) Erlaubnis der Mitgliedschaft in Baptistengemeinden für Einzel¬ personen; (2) Co-Existenz von Baptisten- und Mennoniten Brüdergemeinden, mit separaten Gottesdiensten in zwei Sprachen und separaten Gemeindeleitun¬ gen unter einem Dach; (3) Ein gemischtes Modell mit gemeinsamen Gottes¬ diensten, die eine deutsche Predigt beinhalteten oder einen separaten deutschen Gottesdienst unter gemeinsamer Leitung; (4) Eine gesamte Mennoniten Brüder¬ gemeinde unter dem Schutz der AUCEBC. Die AUCEBC war sogar bereit kon¬ vertierte Mennoniten. die nicht durch Untertauchen getauft waren, als Gemein¬ demitglieder zu akzeptieren, aber die örtlichen russischen Baptistengemeinden lehnten diese Praxis ab. In Wirklichkeit wurde das erste Modell immer ohne Erlaubnis irgendeines Gemeindebundes praktiziert, weil Ansichten über Bekehrung und Untertauchs- taufe doch weitgehend übereinstimmten. Das zweite Modell wurde von zahl¬ reichen Gemeinden wie der in Frunse und Novosibirsk bevorzugt. Das dritte Modell wurde von der Mehrheit der Gemeinden mit gemischter Mitgliedschaft gewählt: zwei oder drei russische Mitglieder in einer zum größten Teil deutschen Gemeinde reichten aus um den Großteil des Gottesdienstes in Russisch durch¬ zuführen, was eine raschen Übergang zur russischen Sprache forderte. Die Ver¬ antwortung, das Evangelium an die umhegende Bevölkerung weiterzugeben, för¬ derte diese Veränderung noch weiter. Eine erhebliche Anzahl an Gemeinden vertraute weder der Regierung noch der AUCEBC und entschied sich dafür, sich nicht registrieren zu lassen. Einige sympathisierten mit der CCECB und unterstützten sie oder traten ihr sogar bei. RUSSLAND UND EHEMALIGE SOWJETUNION 199 Die Omsker Bruderschaft wählte diesen Weg. Die Verweigerung einer Regist¬ rierung wurde von der Regierung schwer bestraft, Allein in der Region Omsk wurden sechzehn Männer und sieben Frauen von 1967 bis 1986 zu insgesamt sechsundsiebzig Jahren Haft verurteilt. Nikolai Dückmann führte die Omsker Bruderschaft nach 1976. In der Orenburger Region weigerte sich die örtliche Regierung, jegliche Men- noniten-Gemeinden zu registrieren. Dort hielt der hohe Druck auf Gemeinden und Einzelpersonen an. 1972 wurden etliche Personen, Peter Engbrecht inbe¬ griffen, zu Haftstrafen verurteilt, während andere Personen Bewährungsstrafen erhielten. In Neu Samara wurden bis 1976 Taufen im Geheimen durchgeführt. Die Mennoniten Brüdergemeinde in Karaganda wurde im April 1967 ohne eine Verbindung zur AUECBC registriert und wurde damit zur ersten autonom anerkannten Gemeinde. Im Dezember 1968 eröffneten ein neues Gemeindehaus mit 500 Plätzen. Dadurch konnte man normal arbeiten und leben. Die Gemeinde florierte und stärkte ihr Mennoniten Brüderprofil. 1976 wurde Heinrich Görzen Ältester in der Gemeinde. 1967 kamen Abram Friesen und Gerhard Harder zurück in die Evangelikale Baptistengeraeinde in Karaganda, nachdem sie elf Jahre in der Mennoniten Brü¬ dergemeinde gedient hatten, und übernahmen die Leitung des deutschen Teils der Gemeinde. Ihnen folgten fünf ordinierte Brüder. Das Gemeindeleben wurde nach dem zweiten Modell geordnet und die Gemeinde wurde stärker. Dazu kam, dass der Einfluss der Leiter im russischen Teil der Gemeinde wuchs, und dadurch konnten sie einige Mennoniten Brüderprinzipien und -praktiken in beide Grup¬ pen einführen. Als Emil Baumbach 1975 zum Ältesten der Gemeinde gewählt wurde, wechselte die Gemeinde zum dritten Modell und damit gelangten Deut¬ sche in den Kern des Leitungsteams. 1975 fand ein politisches Ereignis statt, dass weitreichende Folgen hatte - die Helsinki-Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. In Helsinki unterschrieb die UdSSR Vereinbarungen und wichtige Änderungen wurden vor¬ genommen. Verfolgung und Unterdrückung verringerten sich weiter. Es wurden sogar die Mennoniten Brüder und Mennonitengemeinden in Gebiet von Oren- burg ohne Probleme registriert. Man errichtete Gemeindehäuse, die den Gemein¬ den neue Möglichkeiten schenkten ihren Dienst und ihr geistliches Leben zu organisieren. Ab Mitte der 1970er wurde die Ablehnung des Eides und des Militärdienstes immer üblicher unter den Mennoniten, aber auch unter nicht-mennonitischen Gläubigen. Diese traditionelle Überzeugung wurde hauptsächlich von den jun- 200 DIE GESCHICHTE DER MEN NON ITEN-BRÜDERGEMEINDE gen Männer der reformierten Baptisten gefördert und das einfach nur, weil sie es für biblisch hielten. Die jüngste Phase der Mennonitengeschichte in der UdSSR fiel in die Ära von Mikhail Gorbachev als Führer des Landes. 1987 wurden neue Gesetze bezüg¬ lich der Familienzusammenführung verabschiedet, wonach viele Deutsche nach Westdeutschland auswanderten. Innerhalb von wenigen Jahren wanderten fast alle Mennoniten Brüder und Mennoniten nach Deutschland aus. Das Tal des Todes fand sein Ende, Gott war wirklich treu geblieben. 1986 betrug die gesamte Anzahl der Deutschen in der AUCEBC, der CCECB und der verschiedenen unabhängigen Mennoniten Brüder- und Baptistenge¬ meinden etwa 40000 getaufte Mitglieder. Davon waren grob fünfzig Prozent in der AUCEBC und fünfunddreißig bis vierzig Prozent gehörten zu oder unter¬ stützten die CCEBC. Die restlichen zehn bis fünfzehn Prozent waren Mitglieder verschiedener unabhängiger Gemeinden. Die Prozentzahl der Mennoniten ist unbekannt, In Deutschland wurden zahlreiche Mennoniten Brüdergemeinden von früheren Mitgliedern der Baptistengemeinden der UdSSR gegründet. Neue Freiheit für das Evangelium Die politischen Veränderungen, die Mikhail Gorbachev eingeführt hatte, wirk¬ ten sich enorm auf das religiöse Leben aus. Bald darauf profitierten auch die Gemeinden von den Veränderungen. Die Verfolgung hörte nach 1985 auf und die gewaltlosen politischen Gefangenen wurden frei gelassen, Der ideologische Druck verringerte sich, und die Kirche wurde in der Presse nicht länger negativ dargestellt. Die Millenniumsfeierlichkeiten 1988 zum Gedenken der Taufe von Rus halfen eine größere Offenheit gegenüber der Gemeinde zu fordern. Die evan- gelikalen Gemeinden entschlossen sich, dies mit evangelistischen Gottesdiensten und Massentaufen im Freien zu feiern. Die örtlichen Behörden versuchten das zwar an einigen Orten zu verbieten, hatten aber keinen Erfolg. Darüber hinaus geschah das Wunder, dass die örtlichen Kulturorte und Stadthallen den Christen für offene Gottesdienste zur Verfügung gestellt wurden. Im Sommer 1989 fand das erste groß angelegte Mennonitenereignis der letz¬ ten Jahrzehnte statt - die Feierlichkeiten zum 200. Jubiläum der ersten Menno- nitenkolonie in Russland. Es wurde von Viktor Fast aus der Mennoniten Brüder¬ gemeinde in Karaganda organisiert. Die Veranstaltung fand in Zaporozhye in der Ukraine statt und erregte die Aufmerksamkeit der restlichen Mennoniten in der UdSSR, sowie vieler anderer aus anderen Ländern. Gerhard Hamm, der gutbe- RUSSLAND UND EHEMALIGE SOWJETUNION 201 kannte Evangelist, der die Sowjetunion in den 1970ern verlassen hatte, hielt eine evangelistische Predigt. Zum ersten Mal konnten Russische Bibeln frei an die Teilnehmer verschenkt werden. Die anhaltenden Gebete vieler waren von Gott beantwortet worden und die größten Träume wurden wahr. Die Einschränkungen für das Predigen des Evan¬ geliums waren plötzlich verschwunden. Eine wahre Explosion missionarischer Bemühungen folgte. Evangelistische Aktivitäten an öffentlichen Orten erregten die Aufmerksamkeit von Menschen, die nach der Nachricht der Bibel hunger¬ ten. Die alte Mennonitentradition der Zeltmission lebte auf. öffentliche Schulen waren für christliche Bildung offen und mobile Bibliotheken brachten den Men¬ schen christliche Bücher. Kinderbibeln wurden zu den begehrtesten Büchern, weil sie den gemeindefremden Menschen die Geschichte Jesu so erklärten, dass sie sie verstehen konnten. An einigen Orten arbeiteten die Ortsgemeinden verschiedener Konfessionen zusammen, um das Evangelium zu verbreiten. In Karaganda, dem evangelikalen Mittelpunkt im Zentrum Kasachstans, teilten die Christen-Baptisten Gemeinde, die Mennoniten Brüdergemeinde und die Mennonitengemeinde, die die größten Gemeinden der Stadt waren, die Stadt geographisch auf und unterstützen sich gegenseitig in der Arbeit. Die Mennoniten Brüdergemeinde war zu der Zeit auf Grund der Auswanderung nach Deutschland stark geschwächt. Dadurch verän¬ derte sich die Sprache in den Gottesdiensten und der Verkündigung zu Russisch. In wenigen Jahren war die Mitgliederzahl fast völlig wiederhergestellt. Sie hatten etwa zweihundert Mitglieder, einige Außenstellen in den umliegenden Dörfern inbegriffen, und behielten eine starke Mennoniten Brüderidentität. Gorbatschows Reformen konnten die wirtschaftliche Verlagerung und den politischen Zerfall nicht aufhalten. 1991, 70 Jahre nach ihrer Gründung, wurde die UdSSR aufgelöst und die früheren Republiken wurden zu unabhängigen Staa¬ ten, Die meisten der neu entstandenen Staaten, die Russische Föderation inbe¬ griffen, verabschiedeten liberale Religionsgesetze, die sich nicht in die Angele¬ genheiten der Kirche einmischten. Die katastrophale wirtschaftliche Situation der Bevölkerung veranlasste andere Länder zu erheblichen Hilfsaktionen. Die Stunde der Hilfsorganisationen hatte geschlagen und auch die Gemeinden wurden zu Zentren der Verteilung von humanitärer Hilfe. Die Hilfsorganisationen und Missionsgesellschaften, die von kürzlich ausgewanderten Mennoniten gegrün¬ det wurden, brachten viele Bibeln, christliche Bücher, Medizin und andere Güter, die sie im Westen gesammelt hatten. 202 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCE/VIEINDE Die Offenheit der Menschen ermöglichte neue Programme für soziale Unter¬ stützung in den Gemeinden. 1990 sprach Johann Koop, der Älteste der Evangeli- kalen Christen-Baptistengemeinde in Karaganda das Problem der Witwen in der Gemeinde an und schuf damit die Grundlage eines Heims für behinderte und ältere Gemeindemitglieder. Die Gemeinde in der naheliegenden Saran eröffnete ein Waisenhaus. Dadurch erwachte die Verantwortung der Christen für ihren Nächsten. Jahrzehnte des Gebets für die einheimische Bevölkerung von Zentralasien trugen Früchte. Schon in den 1970ern starteten einige Brüder mit mennoniti- schem Hintergrund, von Heinrich Voth geleitet, den Versuch das Neue Testament in die einheimische Sprache in Kirgisistan zu übersetzten. In den 1990ern weitete sich ihre Arbeit erheblich aus. Die Missionsgesellschaft Hoffnungsstrahl und eine theologische Vollzeitschule wurden gegründet. Die ersten Kirgisen entschieden sich, Jesus zu folgen und bekehrten sich. Später erreichte ihre Zahl die tausende und sie wurden zu einer großen Stütze der Baptistengemeinden. Im Laufe der Zeit wurde es normal, ehemalige Moslems in den Gemeinden anderer Staaten in Zentralasien zu sehen. Durch die unaufhörliche Auswanderung der europäischen Bevölkerung wurde ihre Rolle im Gemeindeleben immer bedeutender. Die Omsker Bruderschaft erlebte wohl die aufregendste Zeit ihrer Geschichte. Die ersten vorsichtigen Versuche, ihre Nachbarn zu erreichen, verwandelten sich in ein umfangreiches Programm, das trotz der starken Auswanderung ferne Orte im hohen Norden erreichte. Neue Gemeinden und Stationen wurden in vier¬ undfünfzig Dörfern gegründet und 565 Personen getauft. Neue Gemeindehäu¬ ser wurden gebaut. Zwischen 1988 und 2007 wurden einundfünfzig Gemeinde¬ häuser gebaut oder renoviert. Die Jugendarbeit bekam einen neuen Aufschwung. 1990 wurde ein Magazin mit dem Namen Friedensbote herausgebracht. 2007 fei¬ erte die Bruderschaft ihr hundertjähriges Bestehen. Die Anzahl von zweiund¬ dreißig gegründeten Gemeinden und zweiundvierzig gegründeten Stationen ist bemerkenswert. Trotz der andauernden Schwierigkeiten haben sich die Gemeinden in der ehemaligen Sowjetunion auf bemerkenswerte Art und Weise erholt und kön¬ nen nun in eine Zukunft mit zahlenmäßigem Wachstum und einer Verbreitung ihres Zeugnisses in einer Gesellschaft, die immer noch einen großen Bedarf für das christliche Zeugnis hat, schauen. Die Gemeinden in anderen Ländern kön¬ nen viel vom treuen Zeugnis der Christen, die viele Jahre der Verfolgung und der Schwierigkeiten erlebt und überwunden haben, lernen. RUSSLAND UND EHEMALIGE SOWJETUNION 203 Zurück in die Ukraine Es brach eine neue Ära an, nachdem die Ukraine 1989 unabhängig wurde. Viele Mennoniten Brüder wollten zurück in das Land ihrer Vorväter gehen, um das Glaubenserbe, das auf so tragische Weise für etwa siebzig Jahre unterbrochen worden war, weiterzuführen. Einige Mennoniten Brüder wollten den Geburts¬ ort der Mennoniten Brüder von 1860 sehen. Andere wollte einfach zurück nach Krim, wo einst eine florierende Mennoniten Brüderbibelschule und -gemeinde waren, nämlich im Dorf Tschongrau (jetzt Kolodiazne). Seit der Unabhängig¬ keit der Ukraine wurden hunderte Gemeinden von vielen Missionsgesellschaf¬ ten gegründet. Die Rückkehr der Mennoniten Brüder in die Ukraine, um Gemeinden zu gründen begann Mitte der 1990er mit Personen wie Frank Dyck, Georg Schrö¬ der und Anna Jantz. Diese Menschen folgten einer Strategie, die sie zurück an die Orte brachte, wo einst große Mennoniten Brüdergemeinden existierten. Die Erste war in Kutusowka, wo ein einhundert Jahre altes Gemeindehaus renoviert und eine Gemeinde von Frank Dyck und Georg Schröder aufgebaut wurde. Frank hatte früher schon in der ehemaligen Region Chortitza (Zaporozhye und Niko¬ laipol) gearbeitet. Ende der 1990er akzeptierte die MBMSI die Ukraine als Missionsfeld und sandte Delegationen aus, zu denen Vertreter von LOGOS International (Deutsch¬ land) und Mennonite Church Canada Witness gehörten, um die Zukunft für Gemeindegründung in der Ukraine einzuschätzen. 2003 beauftragte die MBMSI James Nikkei damit, das Gemeindegründungs¬ programm in der Ukraine zu leiten. Man entwickelte eine Strategie von drei regionalen Gemeindegründungsgruppen. Zur Molotschna-Gruppe gehörte Kutusowka (1999), Rückenau (2003) und Tokmak (2006); zur Chortitza-Gruppe gehörte Nikolaipol (2005), Morosowka (2006) und Zaporozhye (2008); und zur Krim-Gruppe gehörte Tschongrau (2006), jetzt Kolodiazne und Feodosia (2007). Disciple Making International (DMI) spielte eine wichtige Rolle bei der Gründung von Gemeinden in Morosowka, Nikolaipol, Tokmak, Rückenau und Kolodiazne. Geleitet wurde es von Nick Dyck als Leiter des DMI Ukraine und organisiert von Feodor Fedorenko. Auf der Ausstattungskonferenz für Gemein¬ degründung 2008 in Feodosia übergab James Nikkei, der DMI Koordinator, die Verantwortung für Gemeindegründung in der Ukraine offiziell Johann Matthies, dem Leiter für MBMSI Missionsentwicklung in Europa. John und Evelyn Wiens sind seit 2007 Missionare in der Gemeindegründungsarbeit in Zaporozhye. 204 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Der Kreis der Geschichte der Mennonitengemeinde und der Mennoniten Brüdergemeinde in Russland, der Sowjetunion und der Ukraine schließt sich nach 150 Jahren. Das hundertfünfzigjährige Jubiläum der Mennoniten Brüder im Jahre 2010 wurde ein bedeutender Moment in der globalen Mennoniten Brüder¬ geschichte sein. Heute besteht die Gemeinde in der Ukraine aus Menschen mit verschiedensten Hintergründen, aber sie teilen viele Erfahrungen der Verfolgung und des Leids, die die Mennoniten in der Sowjetära erlebten. Ein neuer Glau¬ bensbund entsteht unter den Menschen, die oft durch ethnische und kulturelle Realitäten, sowie durch unterschiedliche religiöse Erfahrungen getrennt waren, 205 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Deutschland John N. Klassen D ie Geschichte der Mennoniten Brüdergemeinden (MB) in Deutschland ist die Geschichte von zwei Gemeindegruppen mit unterschiedlichen Anfön¬ gen - der Vereinigung der Mennoniten Brüdergemeinden Deutschland (AMBD) - Gemeinschaften - im Jahre 1950, und der Aussiedler Mennoniten Brüdergemeinden, die verschiedenen Vereinigungen angehören, im Jahre 1974. Diese Gemeinden hatten freundschaftliche Beziehungen miteinander, aber sie wuchsen und arbeiteten unter Gottes Segen als parallele Organisationen. Die Geschichte wird nicht die Aussiedler (ca. 10.000) einschließen, die ihren Platz innerhalb existierender deutscher Gemeinden und Konfessionen fanden. Die Anfänge der Mennoniten Brüdergemeinden in Deutschland resultier¬ ten aus den Umständen nach dem Zweiten Weltkrieg und den Entwicklungen in der UdSSR. Durch den Zweiten Weltkrieg und die Invasion der Deutschen in die Sowjetunion im Juni 1941 waren das Verhältnis zwischen Moskau und allen deut¬ schen Siedlungen innerhalb des Landes angespannt. Als die deutschen Truppen in die Ukraine vorrückten, versuchte die sowjetische Regierung die deutschen Siedler, darunter Mennoniten, in den Osten zu deportieren. Das rasche Vorsto¬ ßen der Deutschen jedoch ließ viele zurück. Folgenderweise kamen sie für mehr als zwei Jahre unter deutsche Besatzung. Alle ansässigen Deutschen, die nicht von diesen Gebieten deportiert wurden, kamen unter die durch die Besatzungs¬ mächte erstellte Zivilregierung. Sie wurden als Volksdeutsche bezeichnet oder genauer gesagt als „Schwarzmeerdeutsche“ identifiziert. Zusammen mit vielen Ukrainern freuten sie sich, als sie befreit wurden. Der Rückzug der deutschen Truppen im Herbst 1943 führte zu der Zerstö¬ rung von Brücken, Städten und Siedlungen. Ansässige Deutsche wurden auf dem Zug nach Westen mitgenommen. Mit Beginn des Jahres 1944 waren rund 350.000 Menschen deutscher Abstammung unterwegs nach Westen. Während eines Auf¬ enthalts bei Warthegau (jetzt in Polen) gab man ihnen die deutsche Staatsange¬ hörigkeit. Ihr Schicksal änderte sich jedoch, als die deutsche Armee zum wei¬ teren Rückzug nach Westen gezwungen wurde. Bevor der Krieg vorüber war, wurden etwa 200.000 wieder von der heranrückenden Roten Armee eingefangen und gewaltsam in die Sowjetunion zurückgebracht. Hier wurden sie in Sonder- Ansiedlungen in Sibirien oder in Konzentrationslager untergebracht, die von der Miliz kontrolliert wurden. 206 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Am Ende des Krieges befanden sich die verbliebenen 150.000 Flüchtlinge zusammen mit anderen Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland. Tragi¬ scherweise wurde über die Hälfte von ihnen gemäß den Bedingungen, die auf der Jalta-Konferenz im Januar 1945 vereinbart wurden, an die Sowjets von den west¬ lichen Alliierten ausgeliefert und kehrte in die UdSSR zurück. Im Gegensatz zu dem, was versprochen war, kamen sie nicht zu ihrem früheren Wohnort zurück. Vielmehr - weil sie des Verrats ihres sozialistischen Heimatlandes beschuldigt wurden - wurden sie bis zu 25 Jahre in die Verbannung verurteilt und in Arbeits¬ lager gezwungen, zusammen mit solchen, die früher gefangen genommen und repatriiert worden waren. Die Verluste an Menschenleben waren beträchtlich. Es wird geschätzt, dass etwa 70.000 - 80.000 Menschen auf dem Weg oder nach der Ankunft in Wüsten und Wäldern starben. Wahrend des folgenden halben Jahr¬ hunderts jedoch wanderten viele der Überlebenden nach Deutschland aus, wo sie als Umsiedler oder offiziell als Aussieäler bekannt wurden. Unter den oben erwähnten 350.000 Flüchtlingen wurden ungefähr 35.000 - 37.000 als Mennoniten identifiziert. Etwa 21.000 - 22.000 von ihnen wurden in die Sowjetunion zurückgebracht. Über die Hälfte von den verbliebenen 15.500 wanderte schließlich nach Südamerika aus, die andere Hälfte nach Kanada. Über 1,000 blieben in der Bundesrepublik Deutschland. Durch das Mennonitische Zentralkomitee (MCC) halfen die Mennoniten in Nordamerika den mennoniti- schen Flüchtlingen in Deutschland sich zu versammeln. Die Mennoniten in Nordamerika waren beunruhigt über die Zerstörung von Deutschland und die Verzweiflung der Menschen. Sie wurden vor allem von der Menge der vielen heimatlosen Flüchtlingen berührt, die in Flüchtlingslagern und in extrem rauen Bedingungen lebten. MCC und die Mennonitenbrüder-Missio- nen sowie Wohlfahrtsprogramme schickten umfangreiche materielle Hilfe und Arbeitskräfte nach Deutschland. Einer der ersten Arbeiter war Cornelius F. Klas¬ sen, eine Führungspersönlichkeit unter den Mennoniten. Er wurde bekannt für sein selbstloses Motto: „Ich suche meine Brüder“, und für sein Vertrauen in einen Gott, der das Unmögliche möglich machen kann. Paul zitierend hieß es oft: „Gott ist in der Lage“. In stark betroffenen Städten versorgten die MCC und die Internationale Flüchtlingsorganisation die Kinder in den Schulen mit Nahrungsmittel. An vie¬ len Standorten wurden Essen und Kleidung verteilt. Verstreute Familien wurden in Lagern in Orten wie Berlin, Backnang und Gronau/Westfalen zusammenge¬ führt, wo auch geistliche Nahrung angeboren wurde. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEUTSCHLAND 207 Humanitäre Helfer sowie Prediger und Lehrer, die geistliche Beratung und Unterstützung in kirchlichen Belangen boten, kamen schon 1945 nach Deutsch¬ land. Diese Männer und Frauen erleichterten mit Unterstützung der Vereinten Nationen auch die Auswanderung der Mennonitischen Flüchtlinge, die schon im Februar 1947 begann. Eine Anzahl von MCC-Mitarbeitern und Pastoren blieb in Deutschland, nachdem die Emigration von diesen Flüchtlingen um 1955 endete. (1) Sie halfen dem Überrest Wohnquartiere zu finden und Gemeinden zu orga¬ nisieren. Acht mennonitische Flüchtlingsgemeinden wurden in der Bundesre¬ publik Deutschland gegründet, bevor in der Mitte der 60er Jahre die ersten rus¬ sisch-deutschen mennonitischen Aussiedler ankamen. Sie waren die Anlaufstelle für die Neuankömmlinge. Der folgende erste Abschnitt wird die Geschichte die¬ ser frühen Gemeinden in Deutschland und in Bayern erzählen. Der anschlie¬ ßende Abschnitt gibt einen Überblick über die vielen mennonitischen Aussied- /er-Gemeinden, die ab 1974 entstanden. 208 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Deutschland - The Hand of Compassion Es war im Jahr 1947, als ich (Gerhard Luther) neun Jahre alt war, dass ich zum ersten Mal den Namen Mennoniten hörte. Damals war mein Vater noch ein Kriegsgefangener. Meine Mutter hatte alle Hände voll zu tun, um ihre drei Kin¬ der und sich selbst zu ernähren. V\^hrend dieser Zeit verteilte das mennonitische Zentralkomitee Kleidung und Essen an die Bedürftigen in Neustadt/Weinstraße, Deutschland. Die Mennoniten gab auch meiner Mutter Arbeit in ihrem MCC- Haus. Mit diesen Einnahmen und den Lebensmittel-Paketen war die Mutter in der Lage, uns über Wasser zu halten. Ich bemerkte den MCC-Slogan „Im Namen Christi“ auf den Schachteln und Konserven, aber ich konnte keinen Sinn dahinter sehen, weil ich in meinem gan¬ zen Leben noch nichts über Jesus Christus gehört hatte. Meine Eltern hatten die Kirche verlassen, als Vaters politische Überzeugung religiöser Lehre entgegen stand. Aber wir waren sicherlich dankbar für die Hilfe, die wir in diesen Nach- kriegs-Tagen erhielten! Die Verpackung der Hilfe war zweitrangig. Mein Vater kehrte im Jahre 1948 aus der Kriegsgefangenschaft heim. Ein paar Wochen später wurde er wegen seiner politischen Überzeugungen inhaftiert. Dies führte für uns als Familie zur sozialen Isolation. Niemand wollte mehr etwas mit uns zu tun haben - niemand außer den MCC-Mitarbeitern. Sie haben sich noch um unsere Familie gekümmert. Sie gingen zu den französischen Militär¬ behörden und baten für die Mutter um Erlaubnis, meinen Vater im Gefängnis zu besuchen. Die Aussage eines MCC-Mitarbeiters wurde für mich zur lebens¬ langen Erinnerung: „Wir sind nicht daran interessiert, was dieser Mann einmal war. Wir wissen, dass seine Familie Hilfe braucht, und das ist unser Anliegen." Diese praktische christliche Nächstenliebe hat unsere Familie tief beeindruckt. Nachdem mein Vater aus dem Gefängnis entlassen wurde, fand er eine per¬ sönliche Beziehung mit Christus. Er starb bald darauf im Alter von 47 Jahren. Abgesehen davon, dass es der Verteilungsstandort für Kleidung und Essen war, war das MCC-Haus der Ort der Bibelarbeiten und Kinderclubs. Diese Aktivitäten führten zur Bildung der Mennoniten Brüdergemeinde Neustadt im Jahr 1960. Meine Mutter war eine der neun Gründungsmitglieder. Auch ich begann ernst¬ haft die Ansprüche Christi zu prüfen und wurde im Alter von siebzehn Jahren gläubig. In den Jahren des Studiums wurde ich getauft. Die nähere Betrachtung der Geschichte der Wiedertäufer und der Kontakt mit vielen Mennoniten aus ver¬ schiedenen Ländern ließ für mich diese Kirche als meine eigene geistige Heimat werden. Hier habe ich meine Wurzeln. Und dafür bin ich unserem Herrn Jesus Christus zutiefst dankbar. Gerhard Luther, True Life, 73 DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEUTSCHLAND 209 Die AMBD-Gemeinden in Deutschland Die mennonitischen Flüchtlinge aus der UdSSR, Polen und Westpreußen, die in der Bundesrepublik Deutschland blieben, gründeten früh ihre eigenen Gemeinden. Die deutschen baptistischen Flüchtlinge wurden in die Deutsche Baptistenvereinigungen integriert. Bis 1965 waren fiinf „kirchliche“ (Menno- nitengemeinden-MC) Flüchtlingsgemeinden und drei Flüchtlings-Mennoni- ten Brüdergemeinden gegründet worden. Bis 2007 waren es dreiundzwanzig Gemeinden und Kirchengründungen. Fünfzehn von ihnen existieren immer noch und gehören zur AMBD. Der folgende Abschnitt beschreibt einige von ihnen und denen des Verbandes der Mennoniten Brüdergemeinden von Bayern (VMBB) und führt einige andere auf. Neuwied am Rhein war eine von vielen Städten, die nach dem Zweiten Welt¬ krieg humanitäre Hilfe bekamen. Auch die Mennoniten stellten Hilfe bereit. Die nordamerikanischen Helfer erkannten, dass die geistlichen Nöte genauso groß waren wie die materiellen Bedürfnisse. Sie waren überzeugt, dass es für die Flüchtlinge von Polen und der Sowjetunion, die Mitglieder der Mennoni- tenbrüder gewesen waren, notwendig war, dass man eine Gemeinde organisiert und einen Versammlungsplatz erwirbt, so das sie ihren Glauben ausleben und in Liebe und Gehorsam zu Jesus Christus wachsen konnten. Im Juli 1950 verei¬ nigten sich die Mennonitenbrüder-Flüchtlinge der Sowjetunion und Polens, die nicht umgezogen waren, um die erste Mennoniten Brüdergemeinde in Westeu¬ ropa in Neuwied am Rhein zu gründen. Sie wurde von Cornelius C. und Anna Wall geleitet und begann mit 23 Mitgliedern. Aus der Arbeit mit Kindern und Frauen und durch öffentliche Dienste kamen neue Menschen zu Christus und wurden zur Kirche hinzugefugt. Die evangelistischen Gottesdienste von H. H. Janzen führten auch dazu, dass einheimische Deutsche hinzukamen. Einige der deutschen Mennoniten wussten jedoch diese Aktionen nicht zu schätzen. Die Organisatoren dagegen sahen sich nicht als eine neue Konfession. Sie betrachte¬ ten sich als Mennonitenbrüder-Mitglieder, die zerstreut worden waren und nun wiedervereint wurden. Die Beziehung zwischen der ursprünglichen mennoni¬ tischen Kirche in Deutschland und der neuen MB-Bewegung blieb kühl, wenn auch in den letzten Jahren von beiden Seiten Initiativen stattgefunden haben, um die Gemeinschaft zu verbessern und zusammen arbeiten zu beginnen. Im Jahre 1990 zählte die Gemeinde etwa 330 Mitglieder, basierend auf fünf verschiedenen Gruppen: Flüchtlinge des Zweiten Weltkrieges, Rückkehrer aus Südamerika, Gastarbeiter, Einwanderer (Aussiedler) von der Sowjetunion und einheimische Deutsche. Trotz dieser Mischung herrschte Harmonie in der 210 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Gemeinde - Dank der Gnade Gottes und seiner weisen Leiterschaft. Jedoch tra¬ ten im Jahre 1989 zwanzig Mitglieder aus, um eine Baptistengemeinde zu grün¬ den. Obwohl die Neuwied-Gemeinde keine Tochtergemeinden gegründet hat, hat sie einige ihrer eigenen Mitglieder, die in anderen Missionsgemeinschaften dien¬ ten, beauftragt und finanziell unterstützt. Zum Beispiel arbeitete Dorli Schnitzler jahrelang in Brasilien. Zehn Pastoren haben der Gemeinde gedient, zuerst von Amerika und später von Deutschland. Die Neuwied-Gemeinde ist die größte in der AMBD. Ende 2007 hatte sie 395 Mitglieder. Zwei weitere Mennoniten Brüdergemeinden kamen bis 1965 zustande - Neu¬ stadt/Weinstraße im Jahre 1960 und Lage/Lippe im Jahre 1965. Die erste Taufe in Neustadt und die offizielle Gründung fand im Juli 1960 statt, geleitet von George H. Jantzen. George und Marianne Jantzen kamen 1958 an, mit dem Ziel eine Mennoniten Brüdergemeinde zu gründen. John N. und Mary Klassen von Kanada folgten den Jantzens im August 1960. ln den folgenden Jahren war ihr Hauptaugenmerk die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und mit der Sonn¬ tagschule. Als die Klassens und ihre drei Kinder 1966 zum Studium nach Fresno abreisten, war die Gemeinde auf dreißig Mitglieder angewachsen. Eine sehr fähige MCC-Freiwillige war Elisabeth Wiebe von Hillsboro, KS, USA. Wiebe kam nach Neustadt im Jahr 1947. Später diente sie mit Mennoni¬ ten Brüdern ausländischen Missionen und war zehn Jahre lang für die Arbeit in Neustadt verantwortlich. Später blieb sie in der Stadt und hatte verschieden Funktionen. Sie wurde sehr bekannt, beliebt und respektiert als „Tante Elisabeth“. Die meisten Mitglieder der Gemeinde kamen nicht von einem mennonitischen Hintergrund. Ende 2007 bestand die Gemeinde aus sechsunddreißig Gläubigen, einschließlich einiger Aussiedler. Eine dritte Gemeinde wurde 1965 in Lage in Lippe gegründet. Die Währungs¬ reform von 1948 führte, zusammen mit der Unterstützung durch den Marshall Plan, zu einer Verbesserung in der deutschen Wirtschaftslage, die alle Erwar¬ tungen übertraf. Im Vergleich dazu war das Leben in Südamerika in dieser Zeit schwierig und Bildungsmöglichkeiten waren begrenzt. Anfang 1954 begannen Einwanderer von Südamerika, bekannt als Rückkehrer, sich in Deutschland anzu¬ siedeln. Diese Bewegung erreichte ihren Höhepunkt in den frühen 70er Jahren. Eine Anzahl dieser rückkehrenden Familien zog in die Gegend um Lage. Andere, die zuerst nach Neuwied kamen, siedelten in die Lage-Region um. Anfang des Jahres 1962 besuchten George H. Jantzen (später Lehrer/Dozent in der nahe gelegenen überkonfessionellen Brake Bibelschule) und Hugo W. Jantz (Neu- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEUTSCHLAND 211 wied) diese Familien, hielten wöchentlich Bibelstunde, und halfen ihnen 1965 eine Mennoniten Brüdergemeinde aufzubauen. Geleitet von Jacob W. und Mar¬ tha Vogt kam diese Gemeinde 1966 mit vierunddreißig Mitgliedern zur AMBD. Als John N. und Mary Klassen 1968 von Fresno zurückkehrten, wurden sie gebeten, Nachfolger von den Vogts zu werden. Die nachfolgenden vierzehn Jahre waren eine Zeit von Gottes fürsorglicher Gnade. Jedes Jahr besuchten drei oder vier Personen eine Bibelschule, gewöhnlich die Brake Bibelschule. Im Mai 1973 begann das erste evangelistische Gemeindegründungsprojekt. Im Oktober 1975 wurde ein neuer Trefipunkt mit 350 Sitzplätzen fertiggestellt. In den nachfolgen¬ den Jahren beteiligte sich die Gemeinde in verschiedenen Gemeindegründungs¬ projekten. Obwohl nicht alle überlebten, wurden einige zu laufenden Unterneh¬ mungen. Bevor die Klassens zum Studium nach Pasadena von 1982 - 83 abreisten, berief die Gemeinde Johann und Valentina Wiebe aus ihrer eigenen Mitte zur Leitung. Wiebe betonte Evangelisation und Mission. Während seiner Amtszeit begann die Gemeinde einen Gemeindegründungsdienst mit MBMS unter den Tamilen, geleitet von John F. und Karla Das von Pakistan. Für eine kurze Zeit kamen ein Teil ihrer Unterstützung von MBMS und ein Teil von der Gemeinde aus Lage. Anschließend wurde die Gemeinde von Jacob und Elfrieda Thielmann geleitet und anschließend von Walter und Anne Fast. In den letzten fünfzehn Jahren hat diese Gemeinde viele Bekehrungen und Taufen erlebt. Seit 1983 war die Mitgliederzahl auf etwa 300 angewachsen, haupt¬ sächlich durch die Aufnahme von Rückkehrern aus Südamerika und den Aussied¬ lern. Aber auch viele Anwohner kamen zum Glauben. Ende 2007 waren es 357 Mitglieder, Die Gemeinde ist gewachsen, indem sie für iVüssionare gebetet und diese unterstützt hat, sowohl im Land als auch außerhalb des Landes. Die Lage-Gemeinde erlebte während der 70er Jahre zunehmende Spannun¬ gen aufgrund der unterschiedlichen religiösen und kulturellen Hintergründe der Mitglieder. Dies führte zu einer neuen Gemeinde in Bielefeld (Stieghorst/ Osning). Einer der Gründe war, dass die Aussiedler glaubten, dass die Schrift eine Kleiderordnung, einschließlich Kopfbedeckungen für Frauen, beinhalte. Als diese unterschiedlichen Ansichten nicht aufgelöst werden konnten, gingen sechs¬ undfünfzig Mitglieder, um im Januar 1980 eine Mennoniten Brüdergemeinde in Bielefeld zu gründen. Eine Zeit lang herrschte eine schwierige Beziehung zwi¬ schen den beiden Gemeinden. Aber die Leiter und andere Mitglieder von beiden Gruppen waren fähig Vergebung zu suchen, und durch die Gnade Gottes began¬ nen die Wunden zu heilen. Die Gemeinde wurde gewöhnlich durch nicht ent- 212 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE lohnte fähige Männer geleitet. Eine missionarische Gemeindegründung wurde 1997 initiiert. Zum Ende 2007 hatte die Gemeinde 172 Mitglieder. Seit ihren Anfängen lebten viele Mitglieder der Lage-Gemeinde in Biele¬ feld, einer Stadt mit etwa 320.000 Einwohnern. Wenn neue Bekehrte von Bie¬ lefeld zur Lage-Gemeinde hinzugefügt wurden, erwartete man, dass sie sich dem Programm ihrer neuen geistlichen Heimat anpassen würden. Schon bald wurde jedoch offensichtlich, dass dies keine gute Strategie für eine missionarische Gemeinde war. Nach vielem Nachdenken und Beten entschied die Gemeinde, unter der Leitung von Johann Wiebe, eine weitere Mennoniten Brüdergemeinde in Bielefeld anzufangen. Nicht alle Mennonitenbrüder-Leiter stimmten mit der Entscheidung überein. Jugendarbeit, Bibelstundengruppen und auch Sonntags¬ gottesdienste hatten Ende 1984 begonnen. Die Familie Klassen zog nach Biele¬ feld, um sich für diese Aufgabe einzusetzen. An Silvester 1984 beauftragte die Mennoniten Brüdergemeinde in Lage fünf¬ undsechzig Mitglieder, einschließlich John N. und Mary Klassen, eine unabhän¬ gige Gemeinde in Bielefeld (Oldentrup/Immanuel) zu beginnen. Die offizielle Gründung wurde im Januar 1985 gefeiert. Bis September 1987 war die junge Gründungsarbeit auf 110 angewachsen. Alexander und Käthe Neufeld, Absolven¬ ten von Fresno, nahmen die Leitung dieser Gemeinde an. Die Klassens übernah¬ men eine Lehrposition in der Freien Hochschule für Mission in Korntal, Stuttgart. Die Gläubigen versammelten sich weiterhin in gemieteten Räumen, bis sie 1995 ihr eigenes großes Kirchengebäude in der Stieghorst-Region errichteten. Die Gemeinde, nun Immanuel-Kirche genannt, zeigte ein stetiges Wachstum bis auf 219 Mitglieder im Jahre 1997. In den folgenden Jahren verließen 15 Mitglie¬ der die Muttergemeinde, um eine neue Gemeinde in Steinhagen zu gründen. Auch andere Gläubige verließen die Gemeinde. Nach 2003 wurde das Gemein¬ dewachstum wieder beachtlich. Ende 2007 lebten 345 Mitglieder dort. Achtund¬ vierzig von den Gläubigen waren gebürtige Deutsche. Als die Neufelds 2001 nach Dresden zogen, um in der ersten Mennonitenbrüder-Gemeindegründungsarbeit in Ostdeutschland zu arbeiten, kamen Paul und Ina Warkentin zur Immanuel- Gemeinde. Sie begannen einen Alpha-Kurs und einige Hausbibelgruppen. Hel¬ mut Matis wurde als Jugendpastor angestellt. Missions-orientierte Gemeindewerke In den 70er Jahren begannen Diskussionen über die Notwendigkeit neue Gemein¬ den zu gründen. 1975 wurde diese Frage zum ersten Mal auf der AMBD-Tagung DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEUTSCHLAND 213 diskutiert. Aber die meisten der Kirchengründungen wurden von den einzelnen Gemeinden gestartet. Es folgt eine Liste von Initiativen, die zwischen 1974 und 2000 stattfanden. Diese befinden sich alle im Nordwesten von Deutschland. Sechs der vierzehn gehörten 2007 zur AMBD. -> 1974 in Bielefeld-Brackwede durch die Lage-Gemeinde - nicht Mitglied der AMBD 1977 in Beckum durch die Lage-Gemeinde - nun Teil der Aussiedler-Arbeit 1985 in Warendorf durch die AMBD, Pioteam Münsterland, Teil der Aussiedler ■> 1981/82/87 in Borkenwirthe Pioteam Münsterland - unterstützt durch Lage 1985 in BielefeId-(01dentrup)-Immanuel durch die Lage-Gemeinde, siehe oben. 1980/87 in Mutterstadt durch die AMBD und die Neuwied-Gemeinde -> 1985/1989 in Dülmen Pioteam Münsterland, zusammen mit Lage - nicht in der AMBD -»• 1990 in Schloss Holte-Stukenbrock durch Brackwede 1988/1991 in Bad Salzuflen durch die Lage-Gemeinde - eingestellt 1991 in Leopoldshöhe, das Ergebnis einer Hausversammlung - nicht Teil der AMBD 1991/1993 in Vreden durch Pioteam Münsterland und einem ortsansässigen Team 1993 in Münster Pioteam Münsterland zusammen mit MBMS - eingestellt -> 1997 in Bielefeld-Brake durch die Bl-Sieker Mennoniten Brüdergemeinde - eingestellt 1990/1998 in Steinhagen durch Bl-Immanuel Die Bielefeld-Mitte Bleichstrasse-Gemeinde kam nach einer Teilung der Biele- feld-Brackwede-Gemeinde zustande. Sie wurde 1993 mit dreiunddreißig Mitglie¬ dern gegründet. Ende 2007 waren es siebenundvierzig Mitglieder. 214 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Das erste Vordringen in das frühere Ostdeutschland geschah Ostern 1990, als Lorenz und Selma Warkentin zum ersten Mal Sachsen besuchten. Nach viel Gebet und Beratung übernahmen die VMBB, AMBD und MBMSI einen Gemeinde- gründungs-Auftrag in der Innenstadt von Dresden. Die Gemeinde wurde 1993 mit neun Mitgliedern organisiert, die aus zwei Taufgottesdiensten hervorgin¬ gen. Sie bestand aus einheimischen Dresdnern und jungen Auss/ed/er-Familien. Die Gemeinde wuchs bis 2007 auf achtundsechzig Mitglieder, fünfundfünfzig von ihnen waren einheimische Deutsche. 2007 diente die Dresden-Gemeinde als Gastgeber für die Pfingstgemeinde. 1999 knüpften Lorenz und Selma Warkentin nach ihrer Zeit in Dresden den ersten Kontakt in Berlin, in der jüngst anerkannten Hauptstadt des vereinten Deutschlands. Sie begannen mit Bibelstunden und Gottesdiensten. Andre und Olka Pritzkau wurden Gemeindegründer in Ostberlin. Heute (2007) sind es sie¬ benundzwanzig Mitglieder und einiges mehr an Besucher am Sonntagmorgen¬ gottesdienst. Im Juli 2002 kamen Reinhold und Ruthild Plocher mit ihren vier Kindern als Gemeindegründer nach Leipzig in Zusammenarbeit mit der AMBD und unter¬ stützt durch MBMSI. Eine zweite missionarische Familie, Reinhard und Erika Kurz, kam 2003. Die Gemeinde Chopinstraße hat nun vierzehn Mitglieder mit über dreißig Besuchern. Eine Gemeinde mit zweiundzwanzig Mitgliedern exis¬ tiert seit 2005 in Lüdge, Nähe Blomberg, und ist die jüngste Gemeinde innerhalb der AMBD. Zusammenfassend waren 2007 in den fünfzehn bestehenden Gemeinden aus der AMBD 1631 Mitglieder. Ein Viertel von ihnen haben ihren Hintergrund nicht in der früheren Sowjetunion. Gemeinschaftliche Unternehmungen Es war ein Gefühl der Einheit unter den Mitarbeitern und den Mennoniten Brü¬ dergemeinden von Beginn der missionarischen Arbeit an in Deutschland. Aber es gab keine Struktur, die deutschen und andere Mennoniten Brüdergemeinden Europas mit den größeren Mennoniten Brüdergemeinden-Konferenzen in Nord¬ amerika oder mit einem anderen Verband der Mennoniten Brüdergemeinden zu vereinen. Das Gefühl der Einheit kam von ihrer Identifikation mit den Pionier¬ missionaren, Lehrern und Gemeindegründern aus dem Ausland. Schon bald wurde es offensichtlich, dass die Gemeinden eine Struktur benö¬ tigen. Im Jahr 1968 schlossen sich drei deutsche Mennoniten Brüdergemeinden DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEUTSCHLAND 215 mit einer Gesamtzahl von 275 Mitgliedern zusammen, um die Arbeitsgemein¬ schaß Mennonitischer Brüdergemeinden in Deutschland (AMBD) zu gründen, Das Ziel war die Gemeinschaft mit gleichgesinnten Gemeinden zu fördern, Gele¬ genheit zur gegenseitigen Inspiration und Ermutigung zu bieten und Projekte anzugehen, die für einzelne Gemeinden zu groß wären, während die Eigenstän¬ digkeit der örtlichen Gemeinden aufrechterhalten bleiben sollte. Die Gemeinden in Österreich schlossen sich als Arbeitsgemeinschaß Mennonitischer Brüderge¬ meinden in Österreich (AMBÖ) zusammen. Heute nennt man sie die Mennoniti- sche Freikirche Österreichs (MFÖ). Als die Mennoniten Brüdergemeinden in Bayern entstanden, wurden sie Teil der österreichischen Konferenz. Später gründeten sie ihre eigene Vereinigung, den VMBB {Verband Mennonitischer Brüdergemeinden in Bayern). Die geogra¬ phische Entfernung trennt sie von den deutschen Gemeinden, und hielt die Bay¬ ern davon ab sich mit der AMBD zusammenzuschließen. Auf internationaler europäischer Ebene wurde der Bund Europäischer Men¬ nonitischer Brüdergemeinden (BEMB-Union der Europäischen Mennoniten Brüdergemeinden) um 1970 geschaffen. Er besteht aus drei Konferenzen - der AMBD, der VMBB und der MFÖ. Die wichtigste Aufgabe des BEMB ist es, die jährliche Pastoren- und Ältestenfreizeit zu organisieren und die Glaubenskonfe¬ renzen, die zweijährig abgehalten werden, einzuberufen. Die erste dieser Konfe¬ renzen fand 1960 in Neuwied statt und wurde von H. H. Janzen geleitet. Bis 1980 traf sich die Konferenz jährlich (außer 1974) an Pfingsten, in der Regel abwech¬ selnd in Deutschland und Österreich. Seit 1982 wurde sie alle zwei Jahre abgehal¬ ten. Das Programm besteht aus Gebet, Auslegung von biblischen Themen, Musik, Jugendprogramm, Berichten und Zeugnissen. Diese Organisationen stellten sich als hilfreich heraus, da nur wenige MBMSI- Mitarbeiter in Deutschland verblieben sind. Nur drei Ehepaare, die durch MBMSI gesendet wurden, blieben nach 1991 übrig, nämlich Walter und Anne Fast, Paul und Ina Warkentin und John N. und Mary Klassen. Das Band mit der Kirche in Amerika wurde wieder gefestigt, als MBMSI und die AMBD gemeinsame Kir¬ chengründungsprojekte in Berlin (2000) und Leipzig (2002) unternahmen. 1993 hatte die AMBD und eng verwandte Kirchen {Münsterland) 1.274 Mit¬ glieder in dreizehn Gemeinden. Fünf Jahre später (1998) waren es 1.397 Mit¬ glieder in sechzehn Gemeinden. Bis zum Jahr 2007 wuchs die Mitgliedschaft auf 1.631 in fünfzehn Gemeinden. Die AMBD hat eine Geschäftsführung, die aus je einem gewählten Vertreter aus jeder Gemeinde besteht und trifft sich an dreimal im Jahr. Die Delegierten- 216 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Versammlung besteht aus bevollmächtigten Vertretern aus jeder Gemeinde und trifft sich jährlich, um Belange der Gemeinden zu hören und sich mit gemein¬ samen Projekten zu befassen. Auf der Tagesordnung stehen Fragen im Zusam¬ menhang mit Schulung, Bau von Gemeinderäumen, Gründung von Gemein¬ den, Fragen bezüglich der Betreuung von Einzelpersonen, von den Gemeinden unterbreitete biblische/theologische Fragen sowie finanzielle Angelegenheiten. Radio und Veröffentlichungen 1957 begann H. H. Janzen die Übertragung der wöchentlichen Radiosen¬ dung Quelle des Lebens von Radio Luxemburg zum ersten Mal. Dieses Programm wurde bis 1990 mit einer Vielfalt von Sprechern ausgestrahlt, zuerst von Radio Luxemburg und später auch von HCJB in Quito, Ecuador. Das Programm wurde an der Europäischen Mennonitischen Bibelschule (Bienenberg, Schweiz) aufge¬ zeichnet und durch Gemeinden und Freunde bezahlt. Die Quelle des Le&e«-Zeitschrift wurde eine zweimonatlich erscheinende Pub¬ likation der Europäischen Mennoniten Brüdergemeinden. Es hatte eine Reihe von ehrenamtlichen Redakteuren. Trotz vieler Versuche aktuell und attraktiv zu bleiben, musste das Papier 1995 seine Veröffentlichung einstellen. 1980 wurde eine Übersetzung des Glaubensbekenntnisses der Nordamerika¬ nischen Mennonitenbrüder, mit ein paar Änderungen, veröffentlicht. 2007 über¬ nahmen die Gemeinden ein stark überarbeitetes Glaubensbekenntnis. Zusätzlich wurden Der Dienst der Versöhnung in einer zerbrochenen Welt von J. A. Toews und Die Mennonitische Brüdergemeinde - eine kurze Selbstdarstellung von H. H. Janzen veröffentlicht. Schule und Ausbildung Junge Menschen und Leiter der Mennonitenbrüder erhielten ihre Ausbildung an einer Reihe von Bibelschulen und Seminaren. Dazu gehören die Schulen in Basel, Bienenberg, Seeheim, Giessen, Walzenhausen, Wiedenest, Fresno, Winni¬ peg, und später Ampfelwang. 1993 wurde das Bibelseminar Bonn in Bonn gegrün¬ det. Es wird vor allem von gut vierzig Aussiedlergemeinden getragen. Auch hier ist die Zahl der Studenten aus den Mennoniten Brüdergemeinden gering. Die Gemeinden identifizieren sich nicht vollständig mit diesen Institutionen und sehen nicht die Notwendigkeit eine Schule als ihr eigenes Projekt zu entwickeln. Seit etwa zwanzig Jahren organisiert die BEMB eine Woche zum theologischen Training für ihre Pastoren und andere Verantwortungsträger. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEUTSCHLAND 217 Evangelisation und Mission Die Europäischen Mennonitenbrüder beschlossen Missionare auszusenden. Dorli Schnitzler, eine Absolventin der Brake-Bibelschule, wurde schon 1968 nach Brasilien gesandt, um unter den Tambiara Indianern zu arbeiten. Später über¬ nahm die AMBD die Verantwortung für ihre Unterstützung. Zusätzlich unter¬ stützten in den 70er Jahren die BEMB zusammen mit der MBMSI die Scharberls und die Dürksens in Spanien. Ab 2007 wurden keine ausländischen Missionare von der AMBD mehr finanziert, wenn auch einzelne Gemeinden eine Reihe von Missionaren unterstützt, die mit „faith missions“ und mit MBMSI arbeiten. Während der ersten Jahre war das Gemeindewachstum in Deutschland über den Weg der Evangelisation sehr langsam. Die beiden größten Gemeinden, Lage und Neuwied, wuchsen hauptsächlich durch die Ankunft von Rückkehrern aus Südamerika und Aussiedlern aus der Sowjetunion. Obwohl die Gemeinde in Lage schon 1974 ihr erstes Missionsprojekt begann, war Gemeindegründung durch die AMBD bis 1975 kein Thema. Dann benötigte es noch einmal neun Jahre, bis das erste gemeinsame Projekt begonnen wurde. Zurzeit sind diese Gemeinden alle noch klein, aber sie wachsen. Während der 90er Jahre nahmen Bl-Oldentrup (später Immanuel) und Bl-Stieghorst (später Sieker) an einer eigenen Gemeinde¬ gründung teil. Die Stadt Münster mit ihren 270.000 Einwohnern wurde als poten¬ tielles Projekt angesehen, aber die Schwierigkeiten halten sich dort hartnäckig. Soziale Unternehmen und Wohlfahrt/Wohltätigkeit Mennoniten und Mennonitenbrüder Aussiedler haben sich oft nebeneinander in verschiedenen Gemeinden angesiedelt. In der Regel herrschte eine positive Bezie¬ hung zwischen ihnen. Die meisten der Mennoniten-Gruppen in Westeuropa sind Teil der Internationalen Mennonitischen Organisation (IMO), gleichbedeutend wie die nordamerikanische MCC, die in sozialen Belangen und Wohlfahrt tätig ist. Alles in allem haben die Mennonitenbrüder auch ein gutes Verhältnis mit anderen protestantischen Gemeinden. Auf lokaler Ebene arbeiten sie zum Bei¬ spiel oft mit der Evangelischen Allianz zusammen, beteiligen sich an der gemein¬ samen Gebetswoche zu Beginn jedes Jahres, an gemeinsamen Bibelstunden und an evangelistischen Einsätzen in der Öffentlichkeit. Zurzeit werden diese Unter¬ nehmungen durch die Mennonitenbrüder geführt. Die Mennonitenbrüder haben entweder als Einzelgemeinde oder in Zusammenarbeit mit anderen auf Naturka¬ tastrophen reagiert. Beispiele für solche Bemühungen sind die Cberschweramun- 218 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE gen ain Elbe-Fluss und Katastrophen im Kongo und Moldawien. Als Wiedertäu¬ fer glauben die Mennonitenbrüder und andere Mennoniten, dass die Erfüllung der materiellen Bedürfnisse der Welt eine Antwort auf die Lehren des Neuen Testaments ist. Die Bayerischen Mennoniten Brüdergemeinden des VMBB Die missionarischen Unternehmungen in Österreich führten zu der Entstehung einer sehr wirksamen Arbeit im benachbarten Bayern in Deutschland. Begin¬ nend in Traunreut im Jahre 1969 wurde die evangelistische Arbeit an verschie¬ denen Orten durchgeführt. Am Anfang wurden diese entstehenden Gemeinden und die Missionare voll in die österreichische Konferenz eingegliedert. Aber mit der Zeit führten praktische Überlegungen zu der Schaffung einer separaten bay¬ erischen Einheit. In den Jahren 1970 bis 1993 entstanden acht Gemeinden: Bad Reichenhall, Burghausen/Salzach, München, Simbach/Inn, Traunreut, Traun¬ stein, Trostberg und Wasserburg/Inn. Die Gemeinde in München und Simbach wurden allerdings nach 2000 wieder aufgelöst. Die Gemeinde in Trostberg hat den VMBB verlassen. Ein Einwohner von Traunreut, der in einer Mennoniten Brüdergemeinde in Uruguay zum Glauben kam, wurde 1996 in Wels, Österreich, getauft. Dies führte die Warkentins, die damals die Gemeinde in Wels betreuten, dazu Kontakt mit Traunreut herzustellen, einer typisch bayerischen Stadt, in die viele Lutheraner aus Berlin gezogen waren. Diese Menschen waren empfänglicher für die gute Nachricht als die einheimischen Bayern. Es dauerte nicht lange und es wurden zweiwöchentliche Gottesdienste gehalten. Der lutheranische Pfarrer war keines¬ wegs gegen diese Arbeit und wünschte ihnen Gottes Segen. Im März 1970 wurde die Gemeinde mit fünfundzwanzig Gläubigen geboren, als sie zum ersten Mal zusammen das Abendmahl feierten. Die gute Beziehung zu der Stadt ermög¬ lichte es dieser w'achsenden Gemeinde ein Grundstück zu erlangen und 1973 ein Gemeindehaus zu erbauen. Traunreut wurde ein Zentrum evangelistischer Aktivitäten im Chiemgau. Menschen kamen zum Glauben und Hausbibelkreise wurden gegründet. Die Warkentins hatten die Vision jedes Jahr eine neue Arbeit zu beginnen. Die Traun¬ reuter Gemeinde stellte einige ihrer Mitglieder frei, mit den Warkentins bei der neuen Gemeindegründung in Traunstein mitzuwirken. Ein ähnliches Modell folgte einige Jahre später in Trostberg. DIE IWENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEUTSCHLAND 219 Traunreut war die erste Gemeinde des VMBB und erfuhr beständiges Wachs¬ tum durch die Hinzufugung von Aussiedlern. Obwohl kulturell unterschiedlich stellten die Neuankömmlinge ein bedeutsames Arbeitskräftepotential innerhalb der Gemeinde dar. In Traunstein wurde 1971 eine Gemeinde als Hauskreis gestartet und begann sich 1983 mit sechzehn Mitgliedern in gemieteten Quartieren zu treffen. Ende 2006 hatte die Gemeinde neununddreißig Mitglieder. Im Jahre 2006 betrug die gesamte Mitgliederzahl der Bayerischen Gemeinden 392 Mitglieder. Die Veränderungen in Deutschland, die mit der Wiedervereinigung ihren Höhepunkt erreichte, führten nicht zu einem geistlichen Erwachen. Aber zu mis¬ sionarisch geführten Gemeindegründungen im Überfluss. Im Großen und Gan¬ zen gibt es heute viel weniger Offenheit für das Evangelium. Die bayerischen Mennoniten Brüdergemeinden müssen die Vorteile der neuen Möglichkeiten wahrnehmen, die sich heute ergeben. Die Aussiedler-Mennomten Brüdergemeinden Nach dem Zweiten Weltkrieg bis Ende der 50er Jahre wurden Einwanderer in die Bundesrepublik Deutschland Flüchtlinge und Vertriebene genannt. Ab Januar 1951 wurden alle Neuankömmlinge aus Ländern des Ostblocks offiziell als Aus¬ siedler bezeichnet. Während der ersten fünf bis acht Jahre kamen die meisten der Aussiedler von den baltischen Ländern und von den östlichen und südöstli¬ chen Ländern von Deutschland. Erst nach Adenauers Abkommen mit der Sow¬ jetunion im Jahr 1955 war es den russisch/sowjetischen Deutschen möglich die Sowjetunion zu verlassen. Die ursprüngliche Vereinbarung war nur die Fami¬ lien zusammenzubringen, die während des Zweiten Weltkrieges getrennt wor¬ den waren. Obwohl der Einwanderungsprozess geregelt war, brauchte es in den ersten Jahren häufig zehn oder mehr Jahre. Die extremen Schwierigkeiten in Zusam¬ menhang mit den Bemühungen um Familienzusammenführung kamen im Januar 1987 mit einem neuen sowjetischen Gesetz für Ein- und Ausreise zu einem Ende. Seit den 1990er Jahren hat die deutsche Regierung gewöhnlich Anträge innerhalb von vier oder fünf Jahren bearbeitet, um die große Anzahl von Anfragen in den Griff zu bekommen. Ein Sprachtest ist bei der Bearbeitung zum Standard geworden. Im Jahr 1951 begann die Regierung eine statistische Erfassung der deutschen Einwanderer aus Russland zu erheben. Über 2.300.000 Neuankömmlinge waren 220 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Ende 2006 offiziell registriert worden. Zusätzlich trafen offenbar 400,000 ohne Registrierung ein, somit sind es insgesamt etwa 2.700.000. In den frühen Jahren betrachteten die Einwanderer ihre Reise als Rückkehr in ihr Heimatland. Über die Hälfte dieser Ankömmlinge waren Lutheraner, während etwas weniger als ein Viertel als Katholiken eingestuft wurde. Bis zu 20 % {etwa 540.000) wurden offiziell unter „Andere Konfessionen“ zusammengefasst, darunter waren etwa 300.000 Baptisten und Mennoniten. Sie gehörten zu den Evangelischen Freikir¬ chen in Deutschland. Die früher Anreisenden haben gute Erinnerungen an ihre Ankunft hier, In der Mitte der 1960er Jahre kamen die ersten russlanddeutschen Aussiedler baptistisch-mennonitischer Überzeugung in Deutschland an. Dies war wirklich ein Famiiienzusammenführungsprogramm, aber später mussten Aussiedler nicht mehr Verwandte in Deutschland haben. Eine Familie Ewert und (Frau) Helene Löwen waren vermutlich die ersten eingereisten Mennoniten. Peter Ewert, ursprünglich aus Chortitza, konnte 1955 Kontakt mit seiner Familie hersteilen. Im Jahre 1963 - nach einer achtzehnjäh¬ rigen Trennung - war es ihm möglich seine Frau Olga in Deutschland wieder¬ zutreffen. Der Fall von Helene Löwen, die nach jahrelanger Suche mit ihrem Ehemann wiedervereint war, ist besser bekannt, und auch Wilhelm Löwen ist ziemlich gut bekannt. Damals wurde dies als ein höchst bemerkenswertes Ereig¬ nis angesehen - ein Wunder von Gott. Das Paar lebte knapp ein Jahr zusammen, bevor Wilhelm starb. Helene Löwen blieb danach für viele Jahre ein geschätztes Mitglied der Lage/Lippe-Gemeinde. Bald nach ihrer Ankunft traf eine Reihe von Mennonitenfamilien in Karlsruhe ein. Als der Autor 1968-69 nach Lage/Lippe kam waren einige Aussiedleriamilien bereits Teil dieser Gemeinde. Basierend auf Informationen von der Mennonitischen Umsiedlerbetreuung (MUB), gekonnt geleitet durch Hans von Niessen, und dem Aussiedler Betreu¬ ungsdienst (ABD), gab es nach 1965 jedes Jahr einige Baptisten/Mennoniten-Au.«?- siedler unter den Ankommenden. In den 80er Jahren stieg die Zahl der Baptis¬ ten auf eine Höhe von 15 %; Mennoniten zählten etwa 10 % der Ankommenden. Nach 1990 war der Anteil der Mennoniten ständig zurückgegangen. Die Aussiedler Mennoniten Brüdergemeinden können nicht völlig getrennt von den früheren (AMBD) Gemeinden betrachtet werden, da die meisten Mit¬ glieder der frühen Gemeinden auch von osteuropäischen Ländern gekommen waren. Einige lebten vor ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland für eine Weile in Südamerika. Die ersten Aussiedler aus der UdSSR wurden durch diese Rückkehrer oder anderen Verwanden, die während des Zweiten Weltkrie¬ ges als mennonitische Flüchtlinge aus Westpreußen und der UdSSR gekommen DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEUTSCHLAND 221 waren und in Orten wie Lage, Bielefeld, Espelkamp und Neuwied/Rhein leb¬ ten, unterstützt. Es war selbstverständlich für diese Neuangekommenen, sich den existierenden Mennonitenbrüder oder MC-Gemeinden anzuschließen. Als nach 1970 mehr und mehr Aussiedler ankamen, änderte sich die Situa¬ tion. Es gab Oordinierte Pfarrer und Älteste unter den vielen Neuankömmlin¬ gen. Sie versuchten ihre eigenen Gemeinden nach dem Vorbild jener, die sie in der Sowjetunion aufgebaut hatten, zu bilden. Die erste Aussiedler-Gemeinde, eine Baptisten-Brüdergemeinde wurde 1972 in Paderborn gegründet, Die erste Aus- siedler Mennoniten Brüdergemeinde wurde 1974 in Espelkamp gegründet. Die erste MC-Gemeinde wurde 1977 ins Leben gerufen als etwa dreißig Gläubige die große Deutsche Mennonitengemeinde in Neuwied, die seit 1681 existiert, verließen. Dies war von historischer Bedeutung, denn Neuwied wurde die erste westdeutsche Stadt mit zwei Mennonitengemeinden. Es wurde von manchen als eine sektiererische Entwicklung angesehen, ähnlich wie 1950 die Gründung der Neuwied-Mennoniten Brüdergemeinde durch die Flüchtlinge des Zweiten Welt¬ krieges in einer Stadt, die bereits eine langjährige Mennonitengemeinde hatte. Die ersten Aussiedler Mennoniten Brüdergemeinden Die Zahl der Aussiedler-Gemeinden stieg beständig durch Einwanderung und als Ergebnis der evangelistischen Aktivitäten, Bekehrungen und Taufen. Wie bereits erwähnt, gab es unter ihnen auch eine Reihe von Mennoniten Brüdergemeinden. Bald nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Espelkamp, nördlich von Bielefeld, ein Zufluchtsort für Flüchtlinge aus allen Glaubensrichtungen. Woh¬ nungen und eine Kirche für die mennonitischen Überlebenden aus Westpreu¬ ßen wurden mit Hilfe von Amerikanern, die einen „alternativen Dienst“ ableis¬ teten, erbaut. Später wurden Rückkehrer aus Südamerika Teil dieser Gemeinde, Einige der Aussiedler kamen auch zu ihnen, aber die meisten schufen ihre eigenen Gemeinden, einschließlich der ersten Aussied/er-Mennoniten Brüdergemeinde 1974 wie erwähnt. Eine Reihe von anderen Gemeinden entstanden in Espel¬ kamp, aber die meisten bezeichneten sich als „Evangelische Freikirchen“, obwohl sie mennonitische Wurzeln hatten. Ende 2006 hatte die Espelkamp-Mennoni- ten Brüdergemeinde etwa 2.200 Mitglieder und ist Mitglied der Bruderschaß der Christengemeinden in Deutschland (BCD). In den frühen 1970er Jahren ließ sich eine kleine Zahl der Aussiedler-Chris- ten in Bielefeld (Bielefeld-Heepen/Oldentrup) nieder. Einige davon trafen sich am 15. Juni 1974 zum ersten Mal und gründeten die erste Aussiedler-Gemeinde 222 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE in der Stadt. Sie kamen von Mennoniten- und Baptistengemeinden der Sowjet¬ union. Diese Gemeinde, die sich selber als Mennonitenbrüder ansah und zu dem Bund Taufgesinnter Gemeinden (BTG) gehörte, begann 1975 einen russischen Radiodienst und schickte 1977 ihre ersten Missionare nach Brasilien. Zusätz¬ liche Gemeinden kamen durch die Mitarbeit dieser Gemeinde in Oerlinghau¬ sen, Brackwede und Nürnberg zustande und einige ihrer Mitglieder sind zu den neuen Gemeinden gewechselt. Am Ende des Jahres 2006 hatte diese Gemeinde einen Mitgliederstand von 926. Nach 1974 begannen sich Mennoniten-Auss/ed/er in Frankenthal anzusie¬ deln. Am Anfang betete eine Gruppe von Frauen, dass eine Gemeinde nach dem Glaubensbekenntnis der Mennonitenbrüder von 1902 entstehen möge. Schlie߬ lich kamen neun Personen zusammen, um im Juni 1977 die Frankenthal-Men- noniten Brüdergemeinde zu gründen. Am nächsten Tag wurden die ersten sieben Menschen getauft. Frankenthal war die dritte Aussiedler-Mennoniten Brüder¬ gemeinde in Westdeutschland. Fleute ist Frankenthal die führende Gemeinde unter fünfzehn nicht zusammengeschlossenen Mennoniten Brüdergemeinden. Unter den verschiedenen kirchlichen Gruppierungen der Aussiedler-Christen ist keine so eifrig wie diese Gruppe der Mennoniten Brüdergemeinden, das Erbe der Täufer zu entdecken und zu erhalten. Im Jahr 1979 wurde in Frankenthal aus¬ gehandelt, dass für Kinder aus Gemeindefamüien in den öffentlichen Schulen Bibelunterricht angeboten wird; 1982 gelang die Schaffung einer der Gemeinde angeschlossenen Bibelschule. Ende des Jahres 2006 hatte die Gemeinde etwa 600 Mitglieder. Eine wachsende Zahl von Aussiedlern in Neuwied fand innerhalb der drei örtlichen Mennonitengemeinden nicht die geistliche Heimat, die sie suchten. Deshalb gründeten sie 1978 die Neuwied-Torney-Mennoniten Brüdergemeinde. Über einen Zeitraum von mehreren Jahren schufen Mitglieder dieser Gemeinde vier weitere unabhängige Mennoniten Brüdergemeinden. Diese Gemeinde hat sich hervorgetan durch ihren missionarischen Eifer, durch Gemeindegründun¬ gen und humanitäre Hilfe hervorgetan. Sie verzeichnete Ende des Jahres 2006 etwa 800 Gläubige. Viele Mennoniten und andere Aussiedler aus Polen und der Sowjetunion wurden zu den Übergangslagern nach Waldbröl gewiesen, wo Sprachkurse ange¬ boten waren und die Menschen eine feste Anstellung erwarten konnten. In den 70er Jahren zogen die meisten der Ankommenden weiter zu anderen Teilen des Landes. Aber einige der Mennonitenbrüder-Familien aus der sowjetischen Ore- nburg-Region entschieden sich, in diesem Teil des Landes zu bleiben und grün- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEUTSCHLAND 223 deten im Januar 1979 eine Gemeinde mit vierundzwanzig Mitgliedern. Diese gehört zum BTG. Trotz interner Differenzen und dem Weggang einiger Mitglieder war die Mitgliederzahl am Ende des Jahres 2006 auf 265 angewachsen. Junge Menschen haben die Bibelschule Brake und das Bibelseminar Bonn besucht. Das missiona¬ rische Interesse war groß und Missionare wurden nach Tschad, Kirgisien und Monaco ausgesandt. In den 1970er Jahren wurden viele Aussiedler, die in Lemgo ankamen, in Sozi¬ alwohnungen untergebracht. Die Stadt hatte eine Bevölkerungszahl von ungefähr 40.000, etwa 6 % von ihnen besuchten sonntags eine Kirche. Hier ergab sich eine Gelegenheit für andere Gemeinden, solche Kirchendistanzierte zu erreichen. Im April 1988 wurde die Lemgo-Mennoniten Brüdergemeinde mit dreißig Mitglie¬ dern formell gegründet. In weniger als zwei Jahren verzeichnete die Gemeinde 288 Mitglieder; am Ende des Jahres 1998 waren es 847. Abgesehen von weiteren Neuankömmlingen wurden ungefähr vierzig Gläubige jedes Jahr getauft, somit waren es 1.007 Mitglieder im Jahre 2007. Die Gemeinde gehört zum BTG, Einige Mitglieder fühlten sich missverstanden und fünfunddreißig verließen im Som¬ mer 2005 die Gemeinde um eine neue aufzubauen. Zwei Besonderheiten der Lemgo-Mennoniten Brüdergemeinde verdienen besondere Aufmerksamkeit. Die erste ist, dass diese seit ihrer Gründung ein evangelistisches Anliegen für ihre Stadt zeigte, indem sie regelmäßig den bekann¬ ten Evangelisten Wilhelm Pähls für Gottesdienste verpflichtete. Zweitens hatte die Gemeinde zum Zeitpunkt ihrer Gründung zusammen mit der Evangeliums- Christen-Brüdergemeinde von Detmold eine allgemeine, staatlich anerkannte christliche Privatschule mit einer Schülerzahl von über 1.000 Schülern ins Leben gerufen. Das Wachstum öer Aussiedler-Mennoniien Brüdergemeinden Die Entstehung und Ausbreitung der Aussiedlergemeinden sind legendär, wurde aber auch oft von Spannungen und Schwierigkeiten gekennzeichnet. Die erste Mennonitengemeinde entstand im Jahr 1974. Die Zahl der Gemeinden, die in einem einzigen Jahr gegründet wurden, erreichte mit siebenundvierzig im Jahr 1989 ihren Höhepunkt. Etwa ein Fünftel dieser waren Mennoniten Brüderge¬ meinden. Bis zum Jahr 2007 waren insgesamt 105 Aussjed/er-Mennoniten Brü¬ dergemeinden entstanden. Neben diesen waren fünfünddreißig Aussied/er-MC- Gemeinden gegründet worden. Dies sind die Nachkommen der Mennoniten in 224 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Russland, aus denen die Mennonitenbrüder hervorgegangen sind. Einige Leiter der Mennoniten Brüdergemeinden in Deutschland bemühen sich die Beziehun¬ gen zwischen der Mennoniten Brüdergemeinde und der MC-Kirche (Mennoni- ten Kirchengemeinde) zu verbessern. Bedeutsame Veränderungen fanden über die Jahre statt, welche die Tür für mehr Gemeinschaft mit den Glaubensbrüdern und -Schwestern in den Mennoniten-Kirchengemeinden öffnen. Es waren insgesamt 21 AMBD und VMBB-Mennoniten Brüdergemeinden und rund 450 andere freikirchliche Aussiedlergemeinden im Jahre 2007. Die meisten identifizierten sich selbst als Baptisten, Evangeliumschristen oder als Freie Evangelikale Gemeinden. In den ersten Jahren waren die Gründungsmit¬ glieder dieser Gemeinden im allgemeinen Aussiedler. Mehrere Gemeinden wur¬ den auch aufgrund der Missionstätigkeit von einigen der älteren und/oder grö¬ ßeren Gemeinden aufgebaut. Sorgfältige Studien über die Aussiedler ergaben, dass fast zwei Drittel der Bekehrten von einem gläubigen Elternhaus kamen, ungefähr ein Drittel von nichtgläubigen Aussiedler- Familien und eine geringe Zahl von der umgebenden deutschen Bevölkerung. Die Zahl der getauften Gläubigen in den Aussiedlerge¬ meinden wuchs im Jahr 2007 auf etwa 86.000 Personen. Um die 46.000 von ihnen wurden in Deutschland getauft. Etwa ein Drittel aller Aussiedler gaben an, einer der Mennonitenbrüder- oder einer der MC-Gemeinden anzugehören. Entwicklungen innerhalb der Organisationen Die Aussiedlergemeinden ergriffen immer die Gelegenheit sich zu organisieren. Anfangs wurden die Neuankömmlinge von kanadischen Mennoniten und deut¬ schen Leitern vor eigenen Gemeindegründungen gewarnt und entmutigt. Jedoch glaubten die meisten russlanddeutschen Christen, dass sie ihre eigenen Gemein¬ den nach ihrem Verständnis der Bibel bilden sollten. Später zeigten sich ihre Kritiker im Allgemeinen unterstützend, vor allem in Bezug auf ihre Kirchen¬ gründungsprojekte. In der UdSSR waren die Aussiedler-Chnsten - darunter Baptisten, Mennoni- ten und andere - bei registrieren, nicht registrierten oder unabhängigen Verbän¬ den angeschlossen. In Deutschland haben sie nicht nur ihre eigenen Gemeinden gegründet, sondern auch Verbände organisiert. Die erste Vereinigung ( 1977) war vor allem von unregistrierten Kirchen der SoTvjetunion. Diejenigen von regist¬ rierten Gemeinden gründeten ihren eigenen Verband. Letztendlich gründeten ungefähr 320 Mennoniten-ZBaptisten-Auss/ed/ergemeinden mit rund 60.000 DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEUTSCHLAND 225 Gläubigen zehn Verbände, einschließlich AMBD und VMBB. Zwei Gruppierun¬ gen, die etwa 25.000 - 30.000 Gläubige in 240 - 260 Gemeinden vertreten, arbei¬ ten relativ unabhängig. Es gibt nur wenige Mennoniten Brüdergemeinden, die unabhängig voneinander arbeiten. Die meisten von ihnen sind Baptisten. Der BTG hat den größten Anteil an Mennonitenbrüder-GIäubigen und ist einer der beständigsten und charakteristischen Vereinigungen der Aussiedler- Gemeinden. So wie in anderen Gruppen der Fall haben einige Gemeinden den BTG verlassen und sind zu anderen Verbänden gegangen oder blieben unabhän¬ gig. Alle Gemeinden sind seit ihrer Gründung gewachsen. Einige haben neue Gemeinden begonnen. Sie sind in Evangelisation, Mission und humanitären Arbeiten beteiligt. Anfangs diskutierten einige Gemeindegruppen die Machbar¬ keit der Schaffung eines gemeinsamen Ausbildungsinstituts, aber dann gründete der BTG das Bibelseminar Bonn. Heute sind sowohl der BTG als auch der Bund Evangelikaler Gemeinden für das Seminar verantwortlich. Der BTG ist Teil von ICOMB und beteiligt sich an der Mennonitischen Weltkonferenz. Heinrich Klas¬ sen (Bielefeld, Vertreter von ICOMB) und Johann Richert (Oerlinghausen) waren einige der langjährigen Leiter im BTG. Charakteristisches der Aussiedler-Cemelnöen Die Aussiedlergemeinden unterschieden sich durch ihre Musik. Im Gottesdienst gibt es von der ganzen Gemeinde, ihren Chören und Musikgruppen viel Gesang. Ihre Loblieder sind gewöhnlich nicht die im Wesentlichen traditionellen Hym¬ nen und selten die lebendigen, modernen Chorusse. Die meisten sind sehr per¬ sönliche Evangeliumslieder, oft Übersetzungen amerikanischer Gospel-Songs, die bereits in Russland gesungen wurden. Die neueren Lieder werden manchmal auf Leinwand projiziert; normalerweise werden Gesangbücher verwendet. In der Regel begleiten Instrumente den Gesang und Gemeinden stre¬ ben danach ein Orchester aufzubauen. In den früheren Jahren fanden jährli¬ che Musikfestivals statt, bestehend aus Chören aus einer Reihe von Gemeinden. Beginnend in den 1990er Jahren wurden Adventslieder-Feste beliebt, um auch die umgebende Bevölkerung mit einzubeziehen. Sonntagmorgengottesdienste blieben der Mittelpunkt im Leben der Gläu¬ bigen. Der Sonntag bezeichnet ein Zeit der Familienandacht. Im Allgemeinen überschreitet die Zahl der Gottesdienstbesucher die Mitgliederzahl um etwa ein Drittel. Um das Jahr 1998 hatten die 360 Aussiedler-Gemeinden ungefähr 62.000 Mitglieder und etwa 100.000 Besucher, hier sind die Aussiedler in deutschen 226 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Gemeinden noch nicht mit eingeschlossen. In der Regel finden zwei oder drei zusätzliche Gottesdienste, die nicht so gut besucht sind, während der Woche statt. Im Einklang mit der Lehre des Neuen Testaments und der frühen Wiedertäu¬ fern, glauben und lehren die Aussiedlergemeinden, dass jeder ein Bekehrungs¬ erlebnis haben muss, um nicht ewig verloren zu sein. Deshalb rufen die meisten ihrer Predigten, zusätzlich zu speziell dazu bestimmten evangelistischen Gottes¬ diensten, zu einer Entscheidung auf. Die Aussiedler führen normalerweise keine Hausbibelkreise durch, und „Freundschaftsevangelisation“ ist ihnen im Allge¬ meinen unbekannt. Trotzdem wachsen die Gemeinden seit Ende der 1990er Jah¬ ren mehr durch Bekehrungen in Deutschland als durch den Zuzug von Neuan¬ kömmlingen aus der früheren Sowjetunion. Mehr als 80 % der Kinder aus ihren Familien kommen zum Glauben und mehr als 25 % der Taufkandidaten in den Gemeinden - so vom Autor untersucht - kamen aus Familien ohne religiösen oder kirchlichen Hintergrund. Dies zeigt, dass die Aussiedlergemeinden auch Menschen außerhalb ihrer Familien erreichen. Bald nach ihrer Ankunft begannen die Aussiedler ihre offiziellen Versamm¬ lungen in fast allen möglichen Einrichtungen, einschließlich Wohnzimmern, Kel¬ lern, Bestattungskapellen und Bürgerzentren. Aber so bald wie möglich erwar¬ ben sie ein Gebäude und bauten zu einem Versammlungsgebäude um, oder sie kauften Baugrund und errichteten ein modernes, attraktives Gemeindehaus. Die umliegende Bevölkerung ist oft sehr beeindruckt durch die vereinte und uner¬ müdliche ehrenamtliche Arbeit für den Bau von Gottesdienstgebäuden. Früher bestanden Versammlungsräume in erster Linie aus einem großen Auditorium und gastronomischen Einrichtungen für die vielen festlichen Anlässe. Heute sind die Gebäude auch für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen entworfen. Schule und Ausbildung sind bei den Aussiedlern hoch angesehen. Während sie die Grundschulbildung als wichtig und notwendig betrachten, beanstanden einige, dass Sexualkundeunterricht Teil des Lehrplans ist. Sie bevorzugen generell eine Berufsausbildung, dennoch wählt eine steigende Anzahl die akademische Laufbahn. Viele junge Leute besuchen Bibelschulen, obwohl dies nicht immer mit der Zustimmung ihrer Gemeinden geschieht. Die Aussiedler haben einen hohen Anteil an Jugendlichen. Im Jahre 2004 hatten die rund 340.000 Aussiedlerfamilien freikirchlicher Überzeugung min¬ destens 100.000 junge Leute im Alter von sechs bis zwanzig Jahren. Sie sind eine sichtbare Präsenz an Sonntagen im Gottesdienst und in den Chören und treffen sich auch während der Woche. Sie unterstützen die verschiedenen kirchlichen Unternehmungen. Während häufig behauptet wird, dass sie einen Großteil der DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEUTSCHLAND 227 Häftlinge in den Jugendhaftanstalten bilden, hat sich dies nicht offiziell bestätigt. Die AussiedlerkiiminzlHäit kommt gewöhnlich nicht von Familien, die sich auf Glaube und Kirche ausrichten. Im Gegensatz zu dem, was zurzeit behauptet wird, haben die Baptisten/Men- noniten-Gemeinden eine zunehmende Vision und Interesse an Mission. Diese Vision wird in ihren Gemeinden, Schulen und regelmäßigen Schriften (z. B. Hqff- nungsbote, Jünger und Meister) gefördert. Sie haben humanitäre Hilfe geleistet und auch Evangelisten gesandt, um in der früheren Sowjetunion das Evangelium zu predigen. Über Jahre unterstützten sie beim Bau von Kirchen und halfen bei Kinderzeltlagern. Gemeinden haben auch Langzeitmissionare ausgesandt und übernahmen die volle finanzielle Verantwortung für sie. Eine Reihe von Gemeinden hat Missionare in die Dritte Welt gesandt, nor¬ malerweise in Zusammenarbeit mit Deutschen Missionseinrichtungen. Es gibt vermutlich kein Missionswerk in Deutschland, das nicht Aussiedler-Christen aus¬ gesandt hat. Die Aussiedler haben auch Gesellschaften, wie z. B. LOGOSInterna- tional, gegründet, welche wiederum Mitbegründer der Christlichen Universität in St. Petersburg war. Beide, LOGOSI und ICW, sind in ganzheitlicher Gemein¬ degründung engagiert durch Bereitstellen und Unterstützen von Missionaren, im Senden von Lehrern und im Leisten von humanitärer Hilfe. Andere Aussied- /er-Missionsgeselischaften, wie Aquila, Friedensbote, Friedensstimme und Tabea unterstützen christliche Gemeinden und Missionen auf kurze Zeitspannen durch Lieferung von Literatur, Nahrung und Kleidung und durch Helfen in der Zelt¬ lagerarbeit. Seit dem Fall der Berliner Mauer im Jahre 1989 und der darauffolgenden Wie¬ dervereinigung im Jahre 1990 hat die Regierung mehr und mehr Aussiedler im früheren Ostdeutschland angesiedelt. Mitarbeiter des AussiedlerBetreuungsdiens- tes (ABD - eine mennonitische Organisation, die die Nachfolge der MUB über¬ nahm und den Aussiedlern Unterstützung gew’ährt) helfen zusammen mit vielen Freiwilligen aus den westlichen Aussiedler-Gemeinden den Neulingen Wohn- und Arbeitsplatz zu finden. Sie helfen ihnen auch, Mitglieder einer bestehen¬ den Gemeinde zu werden oder neue Aussiedlerg,ememden zu gründen. Bis 2007 gab es mindestens zwanzig wachsende Gemeinden, angeschlossene Gruppen und Hausbibelkreise mit einer Gesamtzahl von 400 - 500 Mitglieder. An Orten wie Bernburg, Greifswald, Rostock, Salzwedel und Stendal waren auch Mennoniten- brüder unter ihnen. Zu diesem Zeitpunkt kamen fast alle Bekehrten von den Aus¬ siedlern, trotzdem sind auch einige einheimische Deutsche unter ihnen. 228 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Aussiedler-Christen sind von einem Respekt vor Gott und der Heiligen Schrift gekennzeichnet. Dies ist die Grundlage, auf der der Segen Gottes für die Gesund¬ heit und die Zukunft der Gemeinden versprochen ist. Allerdings zeigt sich die¬ ser Respekt sehr häufig in einer Furcht, die ihren Grund in einer unbiblischen Sicht von Gott findet. Zusammen mit diesem sind die Awss/ed/er-Gläubigen arg¬ wöhnisch gegenüber allem, was mit Ökumene zu tun hat. Die Tatsache, dass die orthodoxe Kirche und die Baptisten in der Sowjetunion Mitglieder des Ökume¬ nischen Rates der Kirchen waren, lässt sie vorsichtig sein bei Kirchenverbänden und Kooperationsprojekten. Als Erben der radikalen Reformation ist ein tiefes ethisches Bewusstsein für die Aussiedler grundlegend, ln der Praxis jedoch sind ihre moralischen Sitten häufig auf Kultur und Tradition statt auf biblische Prinzipien gestützt. Darüber hinaus werden ethische Fragen von vielen als Grundlage für ihre Erlösung und nicht als Aspekte eines geheiligten christlichen Lebens angesehen. Dies wieder trägt Unsicherheit über die Gewissheit der Errettung bei. Abgesehen davon sind die Auss/ed/er-Christen als fleißige und vertrauenswürdige Mitarbeiter gefragt. Ihre Integrität hilft den moralischen Verfall der Gesellschaft aufzuhalten. Sie füh¬ ren die Anordnung von Jesus aus, das Salz der Erde und das Licht der Welt zu sein. Der Ruf der Mennonitenbrüder-Awssied/er ist ähnlich dem der Aussiedler generell. Wie bereits angedeutet macht die deutsche Bevölkerung kaum eine Unterscheidung zwischen Baptisten und Mennoniten und in vielerlei Hinsicht gibt es in der Tat keinen Unterschied. Mennonitenbrüder werden verschieden angesehen, je nachdem wo sie sich befinden. In Espelkamp werden sie als strenge Traditionalisten angesehen, in Paderborn sind es jedoch die Baptisten, die als im Widerspruch mit der deutschen Gesellschaft lebend gesehen werden. Die Beur¬ teilung der Mennoniten Brüdergemeinde variiert von sehr positiv bis sehr nega¬ tiv von verschiedenen Gruppen in der deutschen Gesellschaft. Ihr Verhalten ist wichtiger als ihre theologische Position in der Festlegung öffentlicher Meinun¬ gen. Die Mennonitenbrüder-Auss/ed/er beschäftigten sich bald nach ihrer Ankunft in Deutschland mit Schreiben, obwohl nur wenige die Sprache ausreichend beherrschten, um es mit Kompetenz auszuüben. In der Regel waren ihre Schrif¬ ten religiöser oder historischer Natur. Eine der ältesten regelmäßig erscheinenden Zeitschrift der Mennonitenbrüder ist Jünger und Meister. Seit der Gründung des BTG im Jahre 1989 wurden jedes Jahr vier Ausgaben dieser Zeitschrift veröffent¬ licht. Die LOGOSInternational-Mission bringt vier Ausgaben des Focus Mission DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEUTSCHLAND 229 pro Jahr heraus. Gesangbücher werden auch von den verschiedenen Verbänden veröffentlicht (z. B. Unser Glaube, mit musikalischen Notationen für vierstimmi¬ gen Gesang). Gelegentlich wurden theologische Abhandlungen, Biographien und Monographien gedruckt. Viele Gemeinden schreiben monatliche Newsletters. Darüber hinaus werden Glaubensbekenntnisse und praktische Leitlinien für das christliche Leben verteilt. Ein paar Verteidigungsschriften sind auch von Einzel¬ personen herausgegeben worden, die ihren Standpunkt nach dem Verlassen der Aussiedler-Gemeinden zu rechtfertigen suchten. Hoffnung und die Zukunft Die Zukunft der deutschen Mennoniten Brüdergemeinden kann nicht mit Gewissheit vorhergesagt werden. Basierend auf Beobachtungen und Gottes Ver¬ heißung seiner Kirche gegenüber, kann man eine vorsichtige Prognose wagen. Die folgenden Ausführungen beziehen sich sowohl auf die früheren Mennoni¬ ten Brüdergemeinden (AMBD/VMBB) und auf die von den späteren Aussied¬ lern angefangenen Gemeinden. Christen und Gemeinden, die sich wünschen auszuhalten, zu wachsen und tüchtig zu sein, müssen in der Furcht Gottes und in Demut vor Gott und den Menschen leben. Eine Kirche mit Zukunft braucht ständige Erneuerung ihrer Liebe zu Gott und den Menschen, damit sie nicht dem geistlichen Untergang erliegt. Die Gemeinden und ihre Leitung müssen sich in ihren Beziehungen zwischen alt und jung entgegenkommend und freundlich ver¬ halten, in ihrer Fürsorge um Einzelne, in ihrer Verkündigung der Botschaft des Evangeliums, in ihrer Mission und humanitären Hilfsangeboten und in ihrem Versuch ihr Erbe zu bewahren, während sie sich in neue Formen hineinwagen, die Treue zu Gott in verschiedenen Situationen zeigen. Mission ist der Kern der Kirche. Mission beinhaltet Evangelisation wie auch ein Aufruf zur Verbindlichkeit, geheiligtes Leben und die Sorge für die Bedürf¬ nisse anderer. Es beginnt in der Familie, bewegt sich auf den Nächsten und dann auf den Rest der Welt. Die verschiedenen Gemeinden müssen Prioritäten in den Aufgaben nach ihren Ressourcen und Möglichkeiten erkennen. Die AMBD und VMBB-Gemeinden sind in der besten Lage, die ortsansässigen Deutschen zu erreichen, die nicht verbindlich zu irgendeiner Kirche gehören. Zur gleichen Zeit brauchen sie es, ihre eigenen Familien zur Verbindlichkeit zu rufen, während sie nicht die Möglichkeiten vernachlässigen sollen, Aussiedlern und Ausländern in Deutschland zu dienen. 230 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Die Au5SfW/er-Mennonitenbrüder sind in der besten Position, sich um ihre Mit-Aussiedler zu kümmern. Sie können sich auch in wirkungsvollen Diensten an Deutschen und ihren früheren Nachbarn engagieren, die in der früheren Sowjet¬ union verblieben sind. Während diese Leute heute nicht mehr so aufgeschlossen sind wie vor fünf oder zehn Jahren, ist der Ruf zu kommen und zu helfen immer noch zu hören und Mennonitenbrüder dürfen es nicht ignorieren. In der Zwi¬ schenzeit können sie ihrer Verantwortung ihren deutschen Nachbarn gegenüber nicht entkommen, die auf die missionarischen Unternehmungen der Aussiedler nicht sehr angesprochen haben. Durch die Kraft des Heiligen Geistes können die Mennonitenbrüder-Christen ein beispielhaftes Leben führen und sich im Gebet für andere einsetzen. Es gibt viele begabte Senioren und eine große Zahl an qua¬ lifizierten jungen Menschen. Materielle Ressourcen sind ebenfalls reichlich vor¬ handen. An der Schwelle des 150. Jahrestages der Mennoniten Brüdergemeinde stehen die deutschen Mennoniten Brüdergemeinden an einem Scheideweg. Sie können Gott für seine Treue in ihrer Geschichte preisen. Sie können sich mit dem Bes¬ ten aus ihrer Vergangenheit identifizieren und es bewahren, während sie neue Perspektiven aus der Heiligen Schrift hinzufügen. Gemeinsam mit der übrigen biblischen/evangelikalen Bewegung und mit Gottes Führung können sie vieles erreichen. Auf dieser Basis ist die Prognose für die deutschen Mennoniten Brü¬ dergemeinden positiv. Sie zeigt eine geistige Kraft, die zur Erneuerung und zum Wachstum der Kirche von Jesus Christus auf der ganzen Welt beitragen wird. Verzeichnis der AMBD/VMBB und Aussiedler-Mennoniten Brüdergemeinden. Die folgende Tabelle basiert auf einer umfassenden Studie im Jahr 1998, zusam¬ men mit Folgestudien in den Jahren 2003 und 2006. Die Mennonitenbrüder- Aussiedler-Gemeinden sind in fünf von acht Gruppierungen gefunden, während die früheren Gemeinden in zwei Konferenzen sind Die Gemeinden sind entsprechend den Verbänden, zu welchen sie 1998 gehörten, gruppiert. Einige Gemeinden haben seit 1998 ihren Verband verlassen und sind anderen Gruppen beigetreten oder blieben ungebunden. Von den rund 570 neuen Gemeinden, die durch die Flüchtlinge (AMBD/ VMBB) und den Aussiedlern gegründet wurden, bezeichnen sich 28 - 32 % als Mennonitenbrüder (ca. 26.000 Mitglieder in ca. 125 Gemeinden). DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN DEUTSCHLAND 231 Rund 15.000 Mennonitenbrüder wanderten von 1963 - 2007 nach Deutsch¬ land ein. Aussiedler¬ verbände Gemeinden 1998 Mitglieder 1998 Gemeinden 2003 Mitglieder 2003 Gemeinden 2006/07 Mitglieder 2006/07 21 8,200 44 10,487 " - 26 5.863 27 5.945 - " BEChB 2 475 6 641 - " IndepMB 15/6 2,416 19 4.151 - - Indep Other •/. 415 8 569 - - Gesamt 69 17,400 104 21.794 104 24.000 Die frühen Mennoniten Brüdergemeinden Gemeinden 1998 Mitglieder 1998 Gemeinden 2003 Mitglieder 2003 Gemeinden 2006/07 Mitglieder 2006/07 AMBD ■i 1.397 15 1.482 15 2.016 VMBB mm 224 6 243 6 292 Gesamt 22 1.621 21 1.725 21 2.308 DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN ÖSTERREICH 233 Die Mennoniten Brüdergemeinden in Österreich Franz Rathmair D ie Kirche der Mennoniten Brüder begann Mitte der fünfziger Jahre im zwanzigsten Jahrhundert in Österreich und war bis 1992 als Mennoniti- sehe Brüdergemeinde bekannt. Der Name seither heißt Mennonitische Freikirche und die größere Einheit ist als Mennonitische Freikirche Österreich (MFÖ) bekannt. Diese Kirchen, zusammen mit anderen evangelikalen Gemein¬ den, existieren als kleine Minderheit in einem streng katholischen Land. Von den acht Millionen Einwohnern Österreichs sind 73.6 % römisch-katho¬ lisch und bloß 4.7 % der Menschen sind protestantisch. Gemäß der Statistik gehö¬ ren lediglich 0.3 % der Einwohnerzahl einer protestantischen Freikirche an. Diese Zahl schließt 29.000 getaufte Mitglieder, zusammen mit regelmäßigen und unre¬ gelmäßigen Gottesdienstbesuchern, ein. Die größten Freikirchen Österreichs sind die Pfingstgemeinden (5500 getaufte Mitglieder), die Christlichen Brüderge¬ meinden (von Darby stammend mit 2300 getauften Mitgliedern) und die Baptis¬ ten (mit ungefähr 1400 getauften Mitgliedern). Nach 50 Jahren Missionsaktivität der Mennoniten gibt es 450 getaufte Mitglieder aufgeteilt auf sechs Gemeinden. Wie erklärt man die Tatsache, dass es so wenige Freikirchen in einem demo¬ kratischen Land unter westlichem Einfluss gibt? Der Grund ist in der österrei¬ chischen Geschichte zu finden. Während der protestantischen Reformation des sechzehnten Jahrhunderts folgten über 80 % der österreichischen Bevölkerung der Lehre der Reformatoren. Die Meisten waren Nachfolger von Martin Luther. Sogar die Anabaptisten, die eingekerkert und mit dem Tode bedrohte wurden, gründeten um 1525 neue Gemeinden. Die Gegenreformation führte zu einer brutalen Durchsetzung des Katholizismus. Der Kaiser Ferdinand II schwor, er würde lieber über eine menschenleeren Domäne regieren, als die Ketzerei zu tole¬ rieren. Deshalb sind tausende Protestanten und Anabaptisten in andere Länder geflohen oder sind zum Katholizismus zurückgekehrt. Über zweihundert Jahre lang haben sich die wenig gebliebenen Protestanten im Verborgenen getroffen und es existierten keine freikirchlichen Gemeinden in Österreich. Diese Intole¬ ranz gegenüber Nichtkatholiken war in der österreichischen Denkweise tief ver¬ wurzelt. Sogar heutzutage stehen Österreicher Mitgliedern von protestantischen Freikirchen skeptisch gegenüber. Auch werm diese Einstellung gegenüber Pro¬ testanten in den letzten fünfzig Jahren sich gebessert hat, bestehen noch immer Vorurteile gegenüber den protestantischen Freikirchen. Die Freikirchen haben 234 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE heute immer noch nicht die volle staatliche Anerkennung erlangt. 1998 ^vurde „staatlich angemeldeten, konfessionellen Gemeinden“ Anerkennung gewährt, die diesen Kirchen erlaubte ihre eigenen Gottesdienste und Gebäuden zu führen. In den letzten sechzig Jahren haben große Änderungen in Österreich statt¬ gefunden. Die Anzahl der protestantischen Freikirchen hat sich von weniger als fünfzehn in 1945 bis auf einige hundert heutzutage erhöht. An einem durch¬ schnittlichen Sonntag besuchen zweimal so viele Menschen die Gottesdienste der Freikirchen wie die Gottesdienste der Evangelisch Lutherischen Kirchen. Anfänge Die Mennoniten Brüdergemeinden in Österreich haben in den Hilfsdiensten an den massiven Strömungen der Vertriebenen aus Osteuropa nach dem zweiten Weltkrieg ihre Ursprünge. Die missionarischen Initiativen der nordamerikani¬ schen Gemeinden haben dazu viel beigetragen. Die Sorge der kanadischen und amerikanischen Mennoniten Brüdergemeinden (durch MBMS International) die Flüchtlinge nach dem zweiten Weltkrieg mit Hilfsgütern und geistliche und per¬ sönliche Seelsorge zu erreichen, war äußerst bemerkenswert. Es gab ungefähr zwanzig Flüchtlingslager mit zirka 30000 Menschen in und um Linz herum, entlang der Donau. Henry K. Warkentin aus Reedley CA besuchte 1950 verschiedene Städte und zeigte evangelistische Filme. Viele Flücht¬ linge wurden von diesen missionarischen Bemühungen angezogen und einige haben ihr Leben dem Herrn Jesus anvertraut und fanden dadurch ihr ewiges Heil. Die Erste Kirchengemeinde: Linz 1951 entschied der Missionsvorstand mit der Gemeindegründung in Europa zu beginnen. Zwei Jahre später sind John und Pauline Gossen und John und Mar¬ tha Vogt nach Europa gekommen und wählten Linz als den Ort ihre Arbeit in Flüchtlingslagern zu beginnen. Zu Anfang bekamen die Flüchtlinge materielle Hilfe, aber bald fingen die Missionare an, die Botschaft des Evangeliums zu pre¬ digen und fingen mit Gemeindebau an. Trotz Konflikten in den frühen Jahren zwischen den Flüchtlingen und den beiden dienenden Ehepaaren entstand eine kleine Gemeinde. Fünf Personen wurden getauft und vier andere sind auf Grund ihrer Zeugnisse Mitglieder geworden. Zusammen mit dem frisch angekomme¬ nen Missionarsehepaar, Abe und Irene Neufeld, bildeten sie Ende 1955 die erste Gemeinde in Österreich. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN ÖSTERREICH 235 Die ersten Jahre der Linzer Gemeinde waren schwierig. Die katholischen und evangelischen Gemeinden in der Nachbarschaft waren gegenüber der neu gegründeten Gemeinde ziemlich feindselig. Sogar die anderen Freikirchen waren skeptisch. Die Gemeinde traf sich anfangs im Hause der Familie Neufeld und später in einem Restaurant. Bald wurde der Bau eines Kirchengebäudes unter¬ nommen. Das Gebäude wurde 1958 eingeweiht. Ab diesem Zeitpunkt war das Wachstum, trotz verschiedener Krisen, ziemlich bemerkenswert. Ernsthafte Probleme entstanden mit dem immer wiederkehrenden Wech¬ sel der Missionsehepaare. Familie Neufeld musste 1959 wegen Gesundheitspro¬ blemen nach Kanada zurückkehren. Das nachfolgende Paar, Jacob und Elfriede Thielmann, mussten 1962 aus ähnlichen Gründen seinen Dienst quittieren. In den Jahren 1968 bis 1972 dienten Gerhard und Anny Jantz in Linz. Die Zuwei¬ sung einer permanenten europäischen Führung dauerte lang. In den Jahren 1972 bis 1987 gab es insgesamt acht verschiedene Missionarsehepaare, örtliche Pasto¬ ren und Prediger, die der Gemeinde zu bestimmten Zeiten dienten. Dieser häu¬ fige Wechsel hatte auf das Wachstum der Gemeinde eine negative Wirkung. 1987 bis 1995 dienten Reinald und Uli Leichte als Pastoren. 1991 waren es 66 Mitglieder in der Gemeinde und sie konnte finanziell unabhängig werden. Die Mitgliedschaft wuchs langsam aber konstant, ist aber in den letzten Jahren abge¬ flacht. Ende 2007 waren es 76 Mitglieder. Die Linzer Gemeinde wirkte zehn Jahre lang ohne einen bezahlten Pastor, nachdem der letzte Pastor die Gemeinde ver¬ lassen hatte. Anfang 2005 wurde Johann Schoor, ein langjähriges Gemeindemit¬ glied. Pastor auf Teilzeitbasis. Die Linzer Gemeinde fing ein Missionsprojekt in einem anderen Stadtteil an. Ein amerikanisches Ehepaar im Missionsdienst, zusammen mit einer Kern¬ gruppe von ungefähr zehn Menschen aus der Mennoniten Brüdergemeinde, gründete die Gemeinde in Linz-Dornach. Diese Gemeinde schloss sich 1994 der MFÖ Konferenz an, verließ sie aber 2002 wieder. Andere Gemeinden 1955, während Abe und Irene Neufeld in Linz dienten, boten sie die Möglich¬ keit zu einem Bibelstudium in einem Versammlungsraum in Steyr an. 1958 führte H.K. Warkentin evangelistische Gottesdienste in Steyr gemeinsam mit dem Filmdienst und kaufte ein altes Haus, um es in einen Versammlungsraum umzubauen. Anfang 1959 übernahm die Familie Rüschhoff aus Deutschland die Nacharbeit des Filmdienstes und fing mit der schwierigen Aufgabe, der Ausbil¬ dung der Gemeinde, an. Obwohl viele Menschen großes Interesse zeigten, woll- 236 OIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE ten nur wenige Jesus ernsthaft nachfolgen. Es gab wieder großen Widerstand seitens der katholischen Kirche im Hinblick auf den Ausbau der Gemeindearbeit. Die Anzahl der getauften Mitglieder stieg nach Jahren intensiver evangelistischen Arbeit auf achtzehn. Wegen innerer Konflikten und der Auflösung der Mitglied¬ schaft von sieben Mitgliedern, blieben 1964 bloß sechs Mitglieder übrig. Obwohl der Gemeindedienst in Steyr einer der schwierigsten in Österreich war, zeigte Gott Gnade. In den folgenden Jahren erwachte als Belohnung für die treue evangelistische Arbeit wieder Interesse. Allmählich fanden einige Familien und Mitglieder der Jugendgruppe zum Glauben an Jesus Christus und sind Mit¬ glieder der Gemeinde geworden. Einer davon ist der Autor dieses Artikels, Franz Rathmair, der sich 1972 nach dem Besuch eines evangelistischen Filmabends bekehrte. Er besuchte eine Bibelschule in Deutschland und gemeinsam mit seiner Frau trat er in den vollzeitigen Gemeindeleitungsdienst ein. Es gab auch andere Leiter, aber die Gemeinde erlebte leider Uneinigkeit und Schwierigkeiten. Ende 2007 waren es 75 Mitglieder. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN ÖSTERREICH 237 Wels In der Gegend von Wels begannen Abe und Irene Neufeld im Jahr 1958 regelmäßig Bibelstunden und Gottesdienste mit Flüchtlingen durchzu¬ führen. Zwei Jahre später wurden Lawrence und Selma Warkentin von MBMS nach Wels gesandt. Die Arbeit stieß auf großes Interesse und die Teilnehmerzahl stieg ständig. Ein Jahr später wurde ein Haus gekauft und umgebaut, dieses Haus diente der Gemeinde bis 1990. Damals wurde ein neues Haus gebaut. Viele Mitglieder arbeiten aktiv in der Gemeinde mit, als Ergebnis dieser Arbeit wächst die Gemeinde langsam aber ständig. Anfang 2008 hatte die Gemeinde über 100 Mitglieder und es stellte sich die Frage, ob die Gemeinde ein neues Gebäude suchen oder eine Tochtergemeinde gründen sollte. Salzburg Linda Schrattenecker Ünda Schrattenecker's Bekehrungs- geschichte ist eine von verlieren und finden. 1970 verlor sie einen Sohn. Sechs Jahre später fand sie einen Vater. Linda wurde in Salzburg geboren, Ihre Eltern waren hingegebene Katho¬ liken. Als Kind besuchte sie regelmäßig die Messe und war sorgsam darauf bedacht alle Verpflichtungen der Kir¬ che zu erfüllen. Nach ihrer Hochzeit betete Linda eifrig, dass sie fähig sein würde ihren Sohn zu einem gottesfürchtigen jun¬ gen Mann zu erziehen. Als ihr Sohn älter wurde, schien es als sei sie erfolg¬ reich gewesen. Allerdings kam der Sohn während seiner Studienzeit in Kontakt mit einer Gruppe von Anhän¬ gern des Süd Koreaners Sun Myung Moon. Er schloss sich dieser Sekte an und verließ nach nur wenigen Mona¬ ten der Angehörigkeit die Universität und Österreich um in einer Moon Kommune in den USA zu leben, Gegen Ender der 1950er Jahre lernte man inte¬ ressierte Menschen in Salzburg kennen, ihnen wurde von Wien aus gedient. Im Jahr 1966 hiel¬ ten Helmut Funk aus Wien und Lawrence und Selma Warkentin aus Wels regelmäßig Gottes¬ dienste in Salzburg. Diese wurden von bis zu 20 Personen besucht. Don und Frances Enns kamen im Jahr 1969 nach Salzburg und mussten einen teilweisen Neubeginn machen. Don und Fran¬ ces Enns wurden durch Gerhard und Anny Jantz ersetz, diese blieben in Salzburg, bis Gerhard Anfang 1985 verstarb. Der kleinen Gemeinde gehörten nun dreißig Personen an. Die Gottesdienste der Gemeinde wurden seit 1996 im Diakoniezentrum Salzburg-Aigen abge¬ halten, das ist ein evangelisches Krankenhaus. Lindas Welt zerbrach. Verzweifelt stürzte sie sich ins Gebet, benutzte ihren Rosenkranz immerund immer wieder. Das tat sie tagelang, aber sie erhielt keine Antwort. Sie fühlte sich, als ob Gott tot wäre. Als ihre Verzweiflung wuchs plante Linda eine Wallfahrt zur Begräbnis¬ stätte des Heiligen Antonio in Italien. In der Hoffnung, dass der Heilige der ver¬ lorenen Dinge in der Lage sein würde sich bei Gott für ihr Anliegen einzu¬ setzen. Als sie beim Schrein ankam, waren hunderte Personen vor ihr in der Schlange, die alle darauf warteten den Sarg aus Ahorn zu berühren. Diejeni¬ gen, die am nächsten waren, klam¬ merten sich an das Grab, weinten und klagten, als sie um Fürsprache baten. 238 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Diese Szene machte ünda krank und erschütterte sie. Sie wusste, das konnte nicht der Weg zu Gott sein, in ihrer Verzweiflung rief sie laut: „Bitte Gott! Zeig mir den richtigen Weg, mei¬ nen Sohn zu finden." Aber sie bekam keine Antwort. Verzweifelt kehrte Linda nach Österreich zurück. Eines Tages, kurz nach ihrer Rück¬ kehr, fühlte sie den Drang, das Haus zu verlassen. Sie schlenderte zu einem nahegelegenen Geschäft und ging am einzigen Auto vorbei, das auf dem Parkplatz stand. Sie blieb kurz stehen als sie den Aufkleber an der Heck¬ scheibe las: „Wenn dein Gott tot ist, probier meinen -Jesus lebt." Aufgeregt rannte Linda zurück ins Geschäft und befragte alle, die sie sah, ob sie wüssten, wem das Auto gehört. Niemand konnte ihr Auskunft geben, daher eilte sie zurück zum Auto und wartete. Einige Minuten später verließ ein mit Einkaufstüten voll bepackter junger Mann das Geschäft und kam zu seinem Auto. „Ist das ihr Wagen?" fragte Linda. „Ja." antwortete er, „Kön¬ nen sie mir erklären, was das bedeu¬ tet?" wollte sie wissen, und zeigte auf den Aufkleber. „Es bedeutet, dass Jesus lebt-er lebt in meinem Herz." Entgeg- nete der Mann. Während sie miteinan¬ der sprachen, erzählte Linda dem Mann von ihrem Sohn und ihrer Suche nach Antworten. Als sie sich verab¬ schiedeten, fragte er sie. ob er sie besuchen kommen könnte. Linda stimmte zu und sie vereinbarten ein Treffen an einem Vormittag dieser Woche. Nachdem sie drei Tage ange¬ spannt gewartet hatte, war es endlich soweit, am vierten Morgen läutete es an der Tür, Der Junge Mann war da und hatte ein Buch unter seinem Arm. Als sie ihre Fragen stellte, nahm erdas Buch-eine Bibel und las verschiedene Verse. Die Mitgliederzahl erhöhte sich bis 2004 auf 43 und nahm dann aufgrund innerer Spannungen ab. Diese Spannungen führten zu Resignation und Gemeindeaustritten. Durch ehrenamtliche Leitung, aber mit der Unterstützung der ande¬ ren MFÖ Gemeinden, versuchten die Mitglieder der Salzburger Gemeinde, mit Gottes Hilfe, ihren Dienst fortzusetzen und die Gemeinde neu auf¬ zubauen. Wien Der Beginn der Mennonitischen Gemeinde geht auf das Jahr 1945 zurück, als polnische Mennoni- ten nach Wien kamen. Die Arbeit von MCC star¬ tete zu der Zeit und eine Gruppe Schweizer Men- noniten kamen aus diesem Grund. Ein Ehepaar, das bereits vier Jahre dort mitarbeitete übernahm die Leitung dieser Arbeit. Bereits ein Jahr später wurde eine Mennoniten Gemeinde gegründet, aber es stellte sich heraus, dass dies zu schnell geschehen war. Als die Schweizer Mennoniten wegzogen, fiel die Gruppe auseinander. Im Jahr i960 setzten Helmut und Doris Funk diese Gemeindearbeit im Auftrag des Swiss Men- nonite Evangelism Commmittee fort. Sie leiteten die Gemeinde elf Jahre lang, bis die Anzahl der Mitglieder auf ungefähr zwanzig anstieg. Ein wichtiger Entwicklungsschritt fand 1969 statt. Damals schloss sich die Gemeinde den Men¬ noniten Brüdergemeinden an. Nach einer Peri¬ ode des Wachstums in den folgenden Jahren erlebte die Gemeinde eine ernste Krise. Schlie߬ lich musste die Gemeinde 1979 aufgelöst werden. Die meisten Gemeindemitglieder besuchten die unabhängige Gemeinde Tulpengasse. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN ÖSTERREICH 239 Diese Gemeinde entstand durch den Dienst von Abe und Irene Neufeld. Während der nächsten zehn Jahre gab es in Wien keine Mennonitenbrüdergemeinde. Im Jahr 1988 schloss sich die Gemeinde Hiet¬ zing, eine Schwestergemeinde der Tulpengasse, der Mennonite Brethern Conference an. Im Herbst 2006 war die Mennonitische Freikirche Wien, mit Hilfe eines Darlehens vom MFÖ, in der Lage eigene Räumlichkeiten zu kaufen und umzubauen. Damals gehörten über 70 Mitglie¬ der der Gemeinde an. Das Gebäude wurde im Herbst 2007 eingeweiht. Gmunden Die Gemeinde Gmunden resultierte aus den Bemühungen von Helmut Funk zu der Zeit, als er Pastor der Gemeinde in Steyr war. Evange- listische Aktivitäten in den 1970ern und einige Gläubige, die sich anschlossen, führten zur Gründung eines Bibelstudienkreises, welcher sich schließlich mit der Mennonite Brethern Conference wegen Gemeindegründung in Ver¬ bindung setzte. Die Gemeinde Wels übernahm die Verantwortung für den Gottesdienst und für Hausbesuche im Gebiet von Gmunden. Von 1987 bis 1999 halfen das Kanadische Ehe¬ paar Richard und Hazel Funk in Gmunden mit. Beginnend mit einer Handvoll Gottesdienstbe¬ suchern wuchs die Gemeinde auf 41 Mitglieder. Die Gemeinde in Gmunden wartet immer noch auf Antworten auf ihre Gebete, besonders einige Frauen, deren Männer noch nicht gläubig sind. Ende 2007 hatte die Gemeinde über 70 Mitglie¬ der. Linda war enttäuscht denn sie hatte eine Formel, wie; „Tu dies und das, dann wirst du deinen Sohn zurück bekommen.“ Nichtsdestotrotz war sie von der Offenheit und Freundlichkeit des Besuchers beeindruckt. Sietrafen sich mehrere Male und daraus entwi¬ ckelte sich eine echte Freundschaft. Der junge Mann, ein Mitarbeiter der Mennonitischen Brüdergemeinde namens Reinhold Buxbaum, lud sie ein an einem Bibeistudienkreis und dem Gottesdienst der Salzburger Mennoniten Brüdergemeinde teilzu¬ nehmen. Linda ging hin und zu ihrem eigenen Erstaunen gefiel es ihr. Eines Nachmittags war Linda bei den Buxbaums eingeladen. Dort war auch ein anderer Cemeindemitarbei- ter aus Nordamerika, dieser fragte Linda im Verlauf der Unterhaltung, ob sie auch ein Kind Gottes sei. „Ich weiß es nicht", antwortete Linda ehrlich. „Dann lass uns darüber beten." ent- gegnete der Mitarbeiter. So begannen sie alle zu beten - einer nach dem anderen rund um den Tisch. Linda hatte Angst, sie hatte noch nie zuvor laut in einer Gruppe gebetet. Aber als sie an die Reihe kam, überkam sie plötzlich etwas und sie begann zu beten. Sie schüttete ihr Herz und ihre Seele vor Gott aus. Die Anderen, die um den Tisch saßen begannen zu weinen als Linda ihr Leben Gott übergab. Obwohl auch in den folgenden Jah¬ ren nicht alle ihre Wünsche in Erfül¬ lung gingen, erklärte Linda; „Mein Leben ist jetzt anders. Ich habe einen lebenden Vater gefunden, und durch ihn habe ich Hoffnung und Frieden. Übernommen aus: John und Chris¬ tine Longhurst: They Shall See His Glory. 169 -171 240 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Wachstum und Rückschläge Während der letzten fünfzig Jahre gab es verschiedene Initiativen in Österreich, unter anderem evangelistische Gottesdienste und kleinere Versammlungen von Gläubigen. Kleine Versammlungen entstanden an einigen Orten, aber entweder schlossen sie sich nicht der Konferenz an oder lösten sich aufgrund von verschie¬ densten Problemen wieder auf. ln Liezen wurde mit dreizehn Personen eine Gemeinde gegründet die sich Pro Christo nannte. Diese Arbeit entstand durch den Einsatz von Operation Mobilisa¬ tion und Helmut Funck (Steyr). Diese Gemeinde musste 2001 aufgelöst werden. Die ersten Versuche eine Gemeinde in Amstetten (ca. 40 km von Steyr ent¬ fernt) zu gründen fanden im Jahr 1973 durch Helmut Funck statt. Zwei Jahre später zog ein deutsches Ehepaar nach Amstetten, um die Gläubigen zu stärken. Regelmäßige Gottesdienste wurden begonnen und verschiedenste Mitarbeiter halfen dabei mit. Gemäß dem Wunsch der 15-20 Gemeindeglieder wurde die Gemeinde in die lokale Konferenz aufgenommen. Jedoch führten interne Prob¬ leme und Spaltungen zur Auflösung dieser Gemeinde 1987, dennoch gibt es wei¬ terhin eine Freikirche, diese hat aber keine Verbindung zur Mennoniten Brüder Konferenz. Die missionarischen AktMtäten in Österreich, unter der visionären Führung von Lawrence Warkentin, führten zu einer sehr erfolgreichen Arbeit im angren¬ zenden Bayern (Deutschland). Zu Beginn wurden in Traunreut an verschiedenen Orten evangelistische Gottesdienste gehalten. Aus dieser Gemeindegründungs¬ arbeit entstanden acht Gemeinden. Zuerst waren diese Gemeinden und die Mis¬ sionare Teil der Österreichischen Konferenz, mit der Zeit entwickelte sich daraus eine Arbeit in Bayern, mit einem eigenen Charakter. Diese Gruppe schloss sich zum Verband Evangelischer Freikirchen Mennonitischer Brüdergemeinden in Bayern (VMBB) zusammen. Über diese Gemeinden wird im Teil über Deutsch¬ land berichtet. Organisatorische Entwicklungen Nach der Gründung der Gemeinden in den 1950ern tauchten andere Anliegen, die über die Gemeindemitgliedschaft hinaus gingen, auf. Zu Beginn trafen sich die Missionsgesellschaften regelmäßig in der Hoffnung eine Österreichische Konferenz der Kirchen zu gründen, die sich als nationale Körperschaft treffen sollte. Eine derartige Vereinigung wurde 1962 gegründet, diese sollte sich um die DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN ÖSTERREICH 241 gesetzlichen Rechte und Pflichten einer größeren Körperschaft kümmern. Sechs Jahre später, 1968, gründeten die Gemeinden Linz, Wels und Steyr die Arbeits¬ gemeinschaft Mennonitischer Brüdergemeinden in Österreich (AMBÖ). Vollzeit Missionare und Delegierte aus den Gemeinden diskutierten ihre gemeinsamen Anliegen, darin waren auch ihre Zukunftspläne und die Förderung der Gemein¬ dearbeit eingeschlossen. Von 1975 bis 1980 führte die AMBÖ eine zweijährige Bibelschule durch. Diese fand zuerst in Linz, später in Traun statt. Aufgrund der geringen Studen¬ tenanzahl, zu wenig Lehrpersonal und einer Kürzung des Budgets musste die Schule geschlossen werden. Einige der Leiter hatten das starke Gefühl, dass eine überkonfessionelle freikirchliche Bibelschule etabliert werden sollte. Mit der Gründung einer Bibelschule in Ampflwang wurde diese Idee verwirklicht. Die Gemeinden beteiligten sich durch die teilweise Bezahlung eines Vollzeit Lehrers, Franz Rathmair, von 1988 bis 1993. Die Schule übersiedelte nach Wallsee an der Donau, die Schule wurde allerdings auf Grund der geringen Schülerzahlen ein¬ gestellt. Jacob und Elfriede Thielman, MBMS Missionare aus Kanada, leisteten einen wichtigen Beitrag in Dienst und Lehre. In den letzten Jahren setzt Richard und Hazel Funk diese Arbeit von Salzburg aus fort. Gemeinsam mit den Deutschen Gemeinden veranstalten die Österreichischen Gemeinden regelmäßig Glau¬ benskonferenzen, Mitarbeiterkonferenzen und Theologische Studienkonferen¬ zen. Die Zeitschrift Quelle des Lebens hatte in der Zeit von den 1950er Jahren bis zum Jahr 1995 eine vereinigende Funktion für alle deutschsprachigen Mennoni- tischen Freikirchen in Europa. Die Österreichischen Gemeinden veröffentlichten außerdem die Zeitschrift Gemeinsam. Alle zwei Monate Informierte diese Ver¬ öffentlichung Mitglieder und Freunde der Mennonitischen Freikirchen über die gemeinsamen Anliegen. Diese Zeitschrift wurde 2003 eingestellt. Ziele für die Zukunft In den achtziger und neunziger Jahren war die Mennoniten Brüderkonferenz damit beschäftigt zusätzliche Gemeinden mit der Hilfe von MBMSI zu gründen. Es gab die Vision für neue Gemeinden in Linz, Wien, Enns und Ybbs. Wie vor¬ her erwähnt wurde eine Gemeinde in Linz-Dornach gegründet, aber nach eini¬ gen Jahren verließ sie die Mennoniten Brüderkonferenz. Ein weiteres Gemein¬ degründungsprojekt wurde von den Missionaren Al und Karen Stobbe gestartet, musste aber nach drei Jahren beendet werden. Das Missionskomitee des MFÖ 242 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE beendete ebenfalls seine Arbeit nachdem die Familie Stobbe nach Nordamerika zurück ging. Am Anfang des Jahres 1991 entschied sich die AMBÖ, die Möglichkeit zur gesetzlichen Anerkennung durch den österreichischen Staat zu untersuchen. Das existierende Gesetz war aus dem Jahr 1874 und darauf ausgelegt, die Bildung neuer religiöser Organisationen zu verhindern. Staatliche Anerkennung bedeu¬ tete bestimmte Privilegien, wie Zugang zu Radio, Fernsehen und Werbung in Zeitschriften zu haben. Die Gemeinden jedoch waren nicht einig darin, ob sie sich an die Regierung wenden sollten und gaben sich mit der existierenden Ver¬ fassung zufrieden, 1998 trat ein neues Gesetz zur Regelung der staatlichen Anerkennung kleiner religiösen Gruppen in Kraft und die MFÖ versuchte erneut das Thema anzuge¬ hen, 2001 suchte sie um Anerkennung als konfessionelle Gemeinde an. Die MFÖ bekam den offiziellen Status als „staatlich anerkannte und eingetragene religiöse konfessionelle Organisation", dieser garantiert lediglich juristische Rechte. Kürz¬ lich interessierte sich der MFÖ erneut für die Anerkennung auf der Basis des alten Gesetzes aus dem Jahr 1874, welches noch rechtskräftig ist. Neuere For¬ schungen eines protestantischen Historikers, in Bezug auf die Anerkennung der Mennonitischen Gemeinde in Lemberg, Galicien im Jahre 1908 ermutigen zum Weitermachen. Menschlich gesehen ist die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs eher gering. Sorgen der letzten Jahre In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Leitung des MFÖ mit Spannun¬ gen und Konflikten der Mennoniten Brüdergemeinden beschäftigt. Die Kir¬ che in Österreich steht vor anderen Herausforderungen, wie Neueinstellungen von Gemeindeleitern, die Festlegung der Rolle der Frau in der Kirche und das Erkennen der Beziehung zur charismatischen Bewegung. Weibliche Gemein¬ deleiter haben in Anbetungsgottesdiensten gedient, aber selten in Predigt oder Lehrdienst. Frauen in der Leitung sind eher die Ausnahme als die Regel. Einige Gemeinden sind von der charismatischen Bewegung beeinflusst worden, wäh¬ rend Andere vor diesen Einfluss gewarnt haben oder sich dagegen gewehrt haben. Viele österreichische Gemeinden stellen sich die brennenden Fragen; Warum ist die Gemeinde im Dienst an die Gesellschaft, in der Gott sie gestellt hat, nicht mehr sichtbar? Würde unsere Gemeinde vermisst werden, wenn sie plötzlich nicht mehr existieren würde? DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDEN IN ÖSTERREICH 243 Fazit Nach fünfzig Jahren missionarischer Tätigkeit nordamerikanischer und euro¬ päischer Mitarbeiter in Österreich haben die sechs existierenden Mennoniten Brüdergemeinden eine zahlenmäßige Stabilisierung erlebt, obwohl sie sich wei¬ terhin nach Wachstum sehnen. Die meisten Gemeinden haben bezahlten Lei¬ ter. Laienbrüder, die die Leitungsaufgaben übernommen haben, sind von den Herausforderungen, die von der Anstrengung, ihrer Berufstätigkeit, Familien- und Gemeindeverpflichtungen unter einem Hut zu bringen, stammen, über¬ wältigt. Jedoch hat jede Gemeinde immer wieder erlebt, dass Laien scheinbar unüberwindliche Herausforderungen der Leitung bewältigen konnten. Die Kir¬ che braucht eine starke Vision und kreative Wege, um in einer sehr materia¬ listischen Gesellschaft, die von der traditionellen römischkatholischen Religion durchdrungen ist, zu dienen. Die Mennoniten Brüdergemeinden in Österreich finden Kraft und Ermutigung in dem sie mit anderen gleichgesinnten Christen und Kirchen Zusammenarbeiten. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PORTUGAL 245 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Portugal Otto Ekk D as Material der Vergangenheit - Briefe, Fotos, administrative Entschei¬ dungen der Mission, Feldentscheidungen, sich verändernde nationale Lei- tungsrollen und alle Erinnerungen - rücken im Rückblick die überwälti¬ gende Wirklichkeit von dem, was Gott in Portugal getan hat in den Fokus. Der folgende Bericht möchte die Umstände zusammenfassen, die die portugiesische Mennoniten Brüdergemeinde zu dem gemacht haben, was sie heute ist. Die wichtigen Ereignisse, die zu der Gründung der fünf Kirchengemeinden und verschiedensten sozialen Projekten in Lissabon in Portugal geführt haben, haben ihren Ursprung in Reedley in Kalifornien. 1984 traf sich die Generalkon¬ ferenz der Mennoniten Brüdergemeinden in Nordamerika und bestätigte Portu¬ gal als Missionsfeld. Im September 1986 war schon die erste Missionarsfamilie in Lissabon angekommen. Erstens hatte sich Portugal für die Welt geöffnet, nachdem eine Revolution die, seit 1932 regierende und sehr unterdrückende, Diktatur gestürzt hatte. Die Notwendigkeit für die Gute Nachricht von Jesus war offensichtlich. Zweitens hatte die MBMSI ein Team von Missionaren in Madrid in Spanien und weil die beiden Hauptstädte nicht zu weit voneinander entfernt waren, dachte man sich, dass sich die Missionare gegenseitig unterstützen und ermutigen könnten. Drit¬ tens hatte die MBMSI eine Reihe von Missionaren, die Brasilien (auch Portugie¬ sisch sprechend) verlassen hatten und frustriert waren weil sie keine Visa für den Wiedereintritt erhielten. Portugal hingegen bot eine offene Tür. Verschiedene Machbarkeitsstudien wurden durchgeführt, um die Möglich¬ keiten zur Gründung von Mennoniten Brüdergemeinden in Portugal einschät¬ zen zu können. Alle Studien zeigten einige gemeinsame Faktoren und deutliche Möglichkeiten. Eine davon war, dass Portugal seit 1961 in einem kolonialen Krieg mit seinen verschiedenen Überseekolonien war. Dazu gehörten Angola, Mozam¬ bique, Guinea-Bisau, Säo Tome e Principe und Cape Verde in Afrika, sowie Ost- Timor (neben Indonesien), Goa (Indien) und Macau (China). Nachdem man den Diktator in einem unblutigen Putsch abgesetzt hatte, gab das Land allen afrika¬ nischen Territorien schnell ihre Unabhängigkeit zurück. Aber weil der Rest der Welt im Kalten Krieg verwickelt war, mit Ländern auf beiden Seiten, wurden die neuen unabhängigen Länder schnell auf die Seite der kommunistischen Welt geschoben und standen nun gegen den Westen. Daraus entstand ein gewaltiger 246 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Auszug von Portugiesen und Afrikanern, die die portugiesische Staatsangehörig¬ keit erlangt hatten. Im Laufe von etwas mehr als einem Jahr „drangen“ etwa eine Million Menschen in ein verarmtes und ermüdetes Portugal ein. Diese Mischung stellte eine große Not dar und schien eine gute Möglichkeit für das Evangelium von Jesus zu sein. Entwicklung der Mennoniten Brüdergemeinde in Portugal Es war diese Umgebung, in der die ersten Missionare Hans und Waltraut Krüger aus Abbotsford in British Columbia mit ihren zwei kleinen Mädchen, ihre Arbeit begannen. Hans, der in Brasilien geboren und aufgewachsen war, sprach so gut Portugiesisch, dass er direkt im Dienst involviert sein konnte. Waltraut, die aus Paraguay nach Kanada ausgewandert war, brauchte noch Sprachunterricht. Den Krügers schlossen sich Manuel und Anne Franco und ihre zwei jungen Töchter aus Saint Tlierese in Quebec an. Die Francos hatten einen großen Vorteil. Sie hat¬ ten drei Jahre an dem Portugiesischen Bibelinstitut {Größere Europa Missions¬ schule) in der Gegend von Lissabon studiert. Die Francos hatten während dieser Zeit den Wechsel der Sprache und Kultur durchgemacht und fühlten sich in der portugiesischen Kultur, Sprache und den Sitten zuhause. Neben dem Abschluss der dreijährigen Bibelschulausbildung hatten sie auch schon praktische Erfah¬ rungen bei der Arbeit mit erfahrenen Gemeindegründern gesammelt. Portugal war eine fremde und unbekannte kulturelle Umgebung für die Men¬ noniten Brüdergemeinde. „Warum sollte man nach Portugal gehen? Was gibt es dort für uns?“ Aber es bot sich eine Gelegenheit in einem Land, das sich in einem immensen Flüchtlingsrückkehrprozess wiederfand. Darüber hinaus bewegte sich Portugal von einer hauptsächlich ländlichen Gesellschaft hin zu einer immer städtischeren Gesellschaft. Nach Jahrhunderten der starken Verfolgung und den unterdrückenden Kräften, die in Verbindung mit der katholischen Kirche stan¬ den, waren die Menschen für nichts offen, das etwas mit Kirche oder Gemeinde zu tun hatte. Der Dienst, ob es sich nun um Evangelisation oder soziale Dienste handelte, musste somit anders, als zu der Zeit in Nordamerika üblich, durchge- fiihrt werden. Als die Francos 1987 ankamen, begannen sie sofort einen Bibelkreis in ihrem Haus. Verschiedene Nachbarschaftsdienste entwickelten sich und in kürzester Zeit waren verschiedene evangelistische Projekte im Gange. Die Krügers hal¬ fen, wo es nur möglich war und da Hans im Bereich der Musik und der Lehre sehr begabt war, ergänzte das den gesamten Dienst gut. Die Francos waren ent- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PORTUGAL 247 schlossen und scheuten sich nicht, trotz der zurückhaltenden Kultur, Kontakte zu knüpfen. Auf der anderen Seite hatte Hans den Mut Englisch zu unterrichten und dadurch Menschen kennenzulernen und ihnen die Gute Nachricht von Jesus zu erzählen. Er hängte kleine Zettel in den Eingängen der verschiedenen Hoch¬ häuser in der Nachbarschaft aus. Nur eine Person wurde durch diese kleine Wer¬ bung angesprochen, aber zwanzig fahre später konnte eine Reihe von Hauptlei¬ tern zu diesem kleinen vorherbestimmten Stück Papier zurückverfolgt werden. Die sendende Organisation hat den zu zahlende Preis in einer resistenten Gesellschaft wahrscheinlich nicht ganz verstanden. Der Stress des Alltags for¬ derte seinen Tribut von den Missionaren in Portugal und die Mennoniten Brü¬ der waren da keine Ausnahme. Die Krügers verließen Portugal nach nur zwei Jahren. Die MBMSI war damit einverstanden, drei oder vier Missionarsfamilien nach Portugal zu senden, was aber, außer für kurze Zeitabschnitte, nie passiert ist, Zermürbung spielte eine große Rolle dabei. Trotz der Widrigkeiten wuchs die Mennoniten Brüdergemeinde in der Gegend von Loures, einem Vorort von Lissabon. Bis die offiziellen Teamleiter Erwin und Joyce Klaassen 1988 ankamen, hatte man schon die erste Taufe durchgeführt. In den ersten Jahren wurden die Sonntagmorgengottesdienste im Haus der Francos abgehalten. Jeden Sonntag wurden die Wohnzimmermöbel zur Seite geschoben um genügend Platz für Stühle für die zehn bis zwanzig Besucher zu schaffen. Als man im April 1992 in ein öffentliches Gebäude umzog, waren es schon über dreißig Erwachsene und Jugendliche, die regelmäßig kamen. Bis zu dem Zeitpunkt hatte es im Missionarsteam schon einige große Veränderungen gegeben. Die Krügers waren schon gegangen, die Klaassens waren dabei zu gehen und Otto und Marjorie Ekk und ihre drei kleinen Kinder kamen im Januar 1989 an um den Platz der Krügers zu füllen. Ilse Kuss von der brasilianischen Menno¬ niten Brüderkonferenz kam auch zur Hilfe. In der Erwartung in eine neue Gegend zu gehen, machte die MBMSI immer gewisse Vorhersagen. Das gleiche galt für Portugal. Die MBMSI ermutigte die Missionare ein „Hauskirchen- Modell zu benutzen. Bald zeigte sich aber, dass so ein Modell seltsam und fremd für die portugiesische Kultur war. Auch wenn die Anfänge der ersten Mennoniten Brüdergemeinde im Haus von der Familie Franco waren, entschloss man sich so bald wie möglich mit der Gruppe in ein öffentliches Gebäude umzuziehen. Es war klar, dass ein Heim zu privat und per¬ sönlich war. Der Dienst brauchte einen öffentlichen Ort, damit die Arbeit über¬ haupt die Chance für Entwicklung haben könnte. Das war eins von vielen Kon¬ zepten, die die Missionare lernten. Es gab auch einige Spannungen zwischen dem 248 DIE GESCHICHTE DER MEN NON ITEN-BRÜDERCEMEIN DE MBMSI-Heimatbüro und dem Missionsfeld. Es schien, als wäre der Weg in eine neue Gegend für alle Beteiligten stressig. Die Gemeinde in Loures wuchs gleichmäßig in den ersten Jahren. Sobald man im April 1992 in das öffentliche Gebäude umgezogen war, stieg die Besucherzahl an. Ein Missionar sagte, es wäre fast so, als wäre noch ein Arbeiter dazugekom¬ men. Die Außenwirkung eines Schilds, das über die evangelikale Gemeinschaft mit regelmäßigen und besonderen Veranstaltungen informierte, war ein positi¬ ver Faktor. Gottesdienste wurden normalerweise um 17 Uhr abgehalten und gingen bis 18:30 Uhr. Der Gottesdienst bestand aus Gesang und freien Beiträgen, sowie einer Zeit des Gebets, in der die Personen füreinander beten konnten. Das blieb ein wesentlicher Teil des Gottesdienstes. Kinder, Teenager und Erwachsene hat¬ ten auch besondere Gruppen, in denen sie die Schrift studierten. Ein gemein¬ sames Mittagessen einmal im Monat wurde zur Tradition. Diese Zeit wurde zu einer besonderen Gelegenheit, sich besser kennenzulernen, da die Besucher aus verschiedensten Lebenssituationen kamen. Besondere Ereignisse wurden auf ver¬ schiedenster Art und Weise gefeiert. Die Teilnehmer brachten normalerweise belegte Brötchen, Kuchen und Kekse mit. In den 1990ern gab es viele Veränderungen. Einige Pioniermissionare hatten Portugal schon verlassen, andere waren dabei zu gehen und neue waren ange¬ kommen. Die Übergänge waren oft schwierig. Das MBMSI-Heimatbüro hatte die Absicht, sich mehr aus Europa zurückzuziehen und das spürte man in Deutsch¬ land, Österreich und anderenorts. Irgendwie kam Portugal, obwohl es noch ohne nationale Leitung in der Embryophase war, in diese Operation der Reduzierung von Personal und Verpflichtung Europa gegenüber. Mit wachsender Arbeit hieß das, dass andere Wege gefunden werden mussten. Man nahm Verbindung mit der brasilianischen Mennoniten Brüderkonferenz auf. Daraus ergab sich, dass Pastoren für bis zu drei Wochen am Stück kamen und in Portugal dienten. Das war definitiv eine Stärkung für die Arbeit und ermutigte die verbleibenden Mis¬ sionare. Menschen wie Jim und Marilou Nightingale und ihre Familie, die zuvor schon mit MBMSI in Brasilien gedient hatten, wurde die Möglichkeit gegeben sich für kurze Zeit dem Team in Portugal anzuschließen. Sie hatten den Vor¬ teil, dass sie Portugiesisch sprachen (auch wenn die Sprache in den beiden Län¬ der sehr unterschiedlich ist und die Kulturen noch unterschiedlicher sind) und direkt mit der Arbeit anfangen konnten. Weil sie Erfahrungen im Bereich von Camps und Freizeiten hatten, konnten die Nightingales die entstehende Menno¬ niten Brüdergemeinde in Portugal vorantreiben. Das half den Jugendgruppen zu DtE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PORTUGAL 249 wachsen und eine bessere Richtung und ein besseres Programm zu entwickeln. Im September 1997 kamen Steve und Melissa Miller an. Sie stießen zur portu¬ giesischen Mennoniten Brüdergemeinde mit einem Darlehen der SIM (Serving in Mission). Ihr Einsatz in Mozambique hatte wegen des derzeitigen Umbruchs in der Gemeinde in Mozambique nicht funktioniert. Die Millers arbeiteten etwa vier Jahre lang und sorgten für gute Bibellehre während dieser Zeit. Die Millers gingen Mitte des Jahres 2002 wieder zurück nach Nordamerika. In der Zwischenzwei war Carola Unger im Jahr 2000 zum Team gestoßen und half in den Bereichen Musik, Kinder- und Jugendarbeit. Carola, die jung und ener¬ giegeladen war, war eine große Hilfe. Sie kam von einer Mennoniten Brüderge¬ meinde in Deutschland, was eine gute Verbindung zu anderen Täufern/Menno- niten Brüdern in Deutschland herstellte. Nach einigen Jahren heiratete sie Joao dos Santos, der Mitglied der Mennoniten Brüdergemeinde in Loures war. Zusam¬ men arbeiteten sie fleißig bis Anfang 2007 mit, damit Joao seine Bibelschulaus¬ bildung abschließen konnte und für den zukünftigen Dienst vorbereitet würde. Die Verbindung zu den brasilianischen Mennoniten Brüdern wurde 1999 noch einmal gestärkt, als ein junges Paar mit ihrer kleinen Tochter für ein Prak¬ tikum zum Missionsteam in Portugal stieß. Marcos und Marcia Soares verbrach¬ ten ein Schuljahr in einer Art berufsbegleitendem Studium in der Gegend von Lissabon. Zuerst schrieb Marcos sich m der örtlichen Bibelschule in Loures ein, die nahe der Mennoniten Brüdergemeinde gelegen war. Marcos und Marcia hal¬ fen dem Teamleiter, wo auch immer er sie benötigte. Sie passten gut hinein und wurden dankbar von den einheimischen Gemeindemitgliedern und dem Mis¬ sionsteam aufgenommen. Die Soares gewöhnten sich auch sehr gut an die por¬ tugiesische Kultur, was normalerweise für brasilianische Missionare in Portugal schwierig ist. Nachdem die Soares nach Brasilien zurückgekehrt waren um ihr Studium an der Mennoniten Brüderbibelschule in Curitiba abzuschließen, ermu¬ tigten die Mennoniten Brüdergemeinde Mitglieder in Loures sie dazu, für eine längere Zeit zurückzukommen. Das gelang erst im Dezember 2004. Zurzeit been¬ den die Soares ihre erste Periode und sie haben vor, nach einem langersehnten Heimaturlaub wiederzukommen. Mit Sorgfalt und Weisheit kann die Verbindung nach Brasilien gestärkt werden. Wenn sie erst einmal anerkannt und akzeptiert sind, leisten die brasilianischen Missionare einen sehr positiven Beitrag. Zurzeit (2007) gehören zu den Bemühungen der Mennoniten Brüder in Por¬ tugal Arbeiten unter den kürzlich eingewanderten Afrikanern. Mente Ntiama Marques und seine Ehefrau Teresa, die beide aus Angola stammen, aber in einem Flüchtlingslager in Zaire (jetzt D.R. Kongo) aufgewachsen sind, schlossen sich 250 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE 1995 dem Team an und leiten diese wachsende Gruppe sehr kompetent. Diese Gemeinde, die voller Leben und Energie steckt, liegt westlich von Lissabon in der Stadt Amadora. Ein Faktor, der diese Gemeinde beeinflusst, ist der andauernde Wechsel. Die Einzelpersonen und Familien, die aus Afrika kommen siedeln sich anfangs oft in Lissabon an, aber wenn sie einmal eine dauerhafte Aufenthaltsge¬ nehmigung in Portugal bekommen, dann ziehen sie in reichere Länder in Zen¬ tral- und Nordeuropa, wo sie bessere wirtschaftliche Chancen haben. Trotzdem ist das Potential für Gemeindewachstum großartig. Die andere Gruppe von Einwanderern, mit denen die Mennoniten Brüder in Portugal arbeiten, sind die aus Osteuropa. Im letzten Jahrzehnt sind tausende Arbeiter aus Ländern wie Russland, Rumänien, Moldawien, Weißrussland und aus bestimmten Teilen der Ukraine gekommen. Die Mennoniten Brüderge¬ meinde in Loures reagierte auf diese Not und bat um Hilfe bei ihren Brüdern und Schwestern in Deutschland, die immer noch über gute Russischkenntnisse verfügten. Walter und Nadeschda Klause aus Deutschland, die in Kasachstan geboren und aufgewachsen sind, leiten zwei wachsende Gemeinden. Eine benutzt die Räumlichkeiten der Gemeinde in Loures. Die andere ist im Nordosten von Lissabon in Vila Franca de Xira. Die afrikanische Gemeinde und die zwei russischsprachigen Gemeinden befinden sich im Prozess eine Leitung zu aufzubauen. Beide Gemeinden wach¬ sen und sind dynamisch, Das jüngste Gemeindegründungsprojekt, das in Portugal im Gange ist, ist eine Gemeindegründung in der Stadt Massama im Westen Lissabons. Craig Allan und Fabiana Jost kamen im November 2000 nach Portugal und begannen den sorgfältigen Prozess der Leitung dieses Projekt. Nachdem Jose und Paula Arrais Velez, die Mitglieder in der Loures Mennoniten Brüdergemeinde sind, den Ruf in den Vollzeitdienst verspürten, zogen sie in diesen Vorort von Lissabon um die Arbeit zu unterstützen. Später ging Jost wieder zurück nach Nordamerika um eine andere Stelle bei der MBMSI wahrzunehmen. Otto und Marjorie Ekk sind dazu gekommen, um einige Lücken bei der Verkündigung und dem Ausleben des Evangeliums zu füllen und die Gründung einer neuen Kerngruppe zu fördern. Im Laufe der Jahre freute sich die Mennoniten Brüdergemeinde Portugals über die Anwesenheit und Hilfe etlicher Kurzzeitteams. Diese Teams kamen aus Nordamerika, durch die MBMSI oder Ortsgemeinden, sowie aus Deutschland und Brasilien. Die Mennoniten Brüdergemeinde in Portugal ist rechtmäßig organisiert und steht unter einheimischer Leitung. 2007 war Herminio Gomes der Präsident, DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PORTUGAL 251 Eunice da Carapeto da Silva die Sekretärin und Paula Arrais Velez Kassenführe¬ rin. Jose Arrais Velez war der Vertreter für die ICOMB. Zurzeit herrscht eine gute Arbeitsbeziehung zwischen der einheimischen Leitung und den Missionaren aus anderen Ländern. Jeder versteht, dass man den anderen braucht, um den Missi¬ onsauftrag in Portugal zu erfüllen. Wegen ihrer geographischen Lage und dem Verlangen danach, dass das Evan¬ gelium über die eigenen Grenzen hinaus wächst, baut die portugiesische Menno- niten Brüdergemeinde Kontakte nach Nordafrika auf und untersucht die Mög¬ lichkeiten dort evangelistisch tätig zu werden. Die Meerenge vor Gibraltar ist sehr leicht mit dem Auto erreichbar und nach einer einstündigen Überfahrt mit der Fähre kommt man an der Grenze zu einem großen geographischen Gebiet mit unerreichten Menschen. Es ist das Verlangen der Mennoniten Brüdergemeinde in Portugal in allen ihren Bemühungen aufmerksam auf die Weisheit Gottes zu hören. SÜDAMERIKA ^ _ 255 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Paraguay Alfred Neufeld 1 930 kamen die ersten Mennoniten-FIüchtlinge im zentralen Chaco an und bald gründeten die Aussiedler aus Russland drei Kirchen: die Evangeli¬ sche Mennoniten Bruderschaft (auch Allianz genannt), die Mennonitenge- meinde (auch Kirchliche genannt) und die Mennoniten Brüdergemeinde. Diese Gruppen brachten mindestens drei gemeinsame Überzeugungen mit nach Para¬ guay. Erstens bestand ein Gefiihl der Dankbarkeit gegenüber Gott, weil er ihnen eine neue Heimat gegeben hatte. Zweitens gab es ein echtes Verlangen nach brü¬ derlicher Zusammenarbeit, ohne die Identität der anderen Gruppen zu beein¬ trächtigen. Letztens bestand ein starkes gemeinsames Bev^oisstsein, dass sie zu einer gemeinsamen Mission berufen waren, die die Evangelisation und chrisüi- che soziale Dienstleistungen in den Vordergrund stellte. Historisch waren die meisten Mennoniten, die nach Paraguay kamen, Teil einer ethnischen Gruppe, die ursprünglich (17. Jahrhundert) aus Holland und Preußen stammte. Nachfolgend wurden sie dann durch 150 Jahre kolonialer Exis¬ tenz als ethnische Minderheit ün russichen Reich geprägt. Das Paraguayische Staatsgesetz 514 erteilte ihnen den Status „ethno-konfessionell“. Das Gesetz erkannte ihre besondere ethnische Identität an, und erkannte auch die Verbin¬ dung mit dem evangelisch-mennonitischen Glauben. Obwohl das Gesetz einma¬ lig war und vielleicht das erste in Lateinamerika, welches das Recht auf Wehr¬ dienstverweigerung aus Glaubensgründen festschrieb, blieb es doch ein unklares Gesetz, das immer wieder verschieden ausgelegt wurde. Die ersten Einwanderer waren sich voll und ganz bewusst, dass ihre Ankunft in Paraguay dank Gottes Fürsorge nicht zufällig war. Trotz Armut und Ungewiss¬ heit bestanden die Gemeinden von Anfang an. In den nächsten dreißig Jahren gelangten die Geschwister immer mehr zu der Überzeugung, dass Gott sie nach Paraguay gebracht hatte, um zu evangelisieren und sich um menschliche Bedürf¬ nisse zu kümmern. Dies war ein Mandat der Liebe an den Nächsten, das Jesus bereits im Missionsbefehl zusammengefasst hatte. Die Einwanderer kamen mit dem Wunsch starke Gemeinden aufzubauen, eine enge Verbindung zwischen sowohl Mennonitengemeinden als auch anderen Christen zu pflegen, Gesund¬ heitsdienstleistungen und Bildungsinstitutionen zu stärken, landwirtschaftliche Produktion zu fördern und sich auf christliche Mission und Wohltätigkeitsarbeit zu konzentrieren. 256 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-ßRÜDERCEMEINDE Eine sich entwickelnde Kirche (1930-1961) und ihre Theologie Obwohl die erste Mennoniten Brüdergemeinde in Paraguay bereits am 9. Juni 1930 in dem Chaco Dorf „Gnadenheim“ gegründet worden war, etablierte sich die Paraguayische Konferenz der Mennoniten Brüdergemeinden erst 1961. Die ersten dreißig Jahre waren eine Zeit der Neuorientierung und der Wiederfindung ihrer Vision nach der traumatischen Flucht aus Sowjetrussland. In der Grün¬ dungsakte übernahm die erste Kirche die Lehrsätze, die sie von Russland mitge¬ bracht hatten. Diese umfassten ihre Verpflichtung als eine sehr enge Gemeinschaft zu leben, die Taufe durch Untertauchen zu praktizieren, einander zu ermahnen, an der Mission teilzunehmen, keinen Alkohol oder Tabak zu konsumieren, keine Ungläubigen zu heiraten, den Sonntag heilig zu halten, regelmäßig Gottesdienste zu besuchen und grundsätzlich nach den Maßstäben der Schrift zu leben.’' Während der ersten zehn Jahre wurden einundzwanzig Taufen gefeiert und am 8. September 1940 gab es 420 Kirchenmitglieder. Als der Verband der deutsch¬ sprachigen Mennoniten Brüdergemeinde gegründet wurde, bestanden insgesamt fünf Gemeinden. Die anderen vier, neben Gnadenheim, waren die Karlsruher Gemeinde (1932- 1990), die Friesland Gemeinde (3. Oktober 1937), die Volen- dam Gemeinde (9. November 1947) und die Neuland Gemeinde (2. Mai 1948). Sowohl in Asuncion als auch in Blumenthal fingen Gruppen bereits einige Jahre vor 1961 an sich zu treffen; sieben regionale Gruppen entstanden. Die Asun- ciön Gruppe wurde am 7. Mai 1963 und die Blumenthal Gruppe im Januar 1964 gegründet. Die ersten dreißig Jahre waren von Knappheit, Verwirrung und extremer materieller Armut, aber auch von überraschender missionarischer Vision und Kraft geprägt. Die Mennoniten Brüdergemeinden waren Vorreiter in der Ent¬ scheidung, Sozialhilfe und christliche Evangelisation für die einheimischen Stämme des Chacos zu leisten. 1951 gründeten verschiedene Mennoniten-Ver- bände und das Mennoniten Zentralkomitee (MCC) ein Leprakrankenhaus, um medizinische Versorgung und spirituelle Hoffnung für Lepra-Opfer anzubie¬ ten. Es wurde wegen seiner Lage „Kilometer 81“ genannt. Diese Unternehmung wurde von den Gemeinden der Mennoniten Bruderschaft aktiv unterstützt. Diese unterstützten auch den „Christlichen Freiwilligendienst“ der in demselben Jahr 71 Gerhard Ratzlaff, Ein Leib - viele Glieder: Die mennonitischen Gemeinden in Paraguay (Asuncion; Macrogralic, 2001), lOSff. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PARAGUAY 257 gegründet worden war. Die Mennoniten Brüdergemeinden förderten bewusst die Beteiligung Jugendlicher bei Kilometer 81 sowie in Pflegeheimen und später bei der Versorgung von obdachlosen Kindern, Waisenkindern und alleinerzie- henden Müttern. Die größte Herausforderung war jedoch 1955 die Aussendung von drei Paa¬ ren aus Filadelfia - Albert und Anna Enns, Rudolph und Hilda Plett, John und Susanne Wiens - nach Asuncion (und später in den Osten Paraguays), die dort mit evangelistischer Arbeit und Gemeindegründungen anfangen sollten. Unter¬ stützt von John und Irene Pankratz, Theodore und Nelly Loewen sowie Alfred und Ingrid Klassen bewirkte diese Initiative die Gründung mehrerer einheimi¬ schen Gemeinden und verschiedener Bildungs- und Medieninstitutionen.^^ Die größte Krise der Mennoniten während der ersten dreißig Jahre (1930 -1961) in Paraguay war die tiefe Spaltung durch die nationalsozialistische Ideologie, die im zweiten Weltkrieg mit ihren tragischen Konsequenzen mündete. Die Mängel und Verzweiflung der Pionierphase und auch die Erinnerung an die Grausamkeiten des kommunistischen Regimes förderten eine gewisse Hoffnung unter Mennoniten, dass Adolf Hitler und seine Wiederherstellung der Größe Deutschlands ihre Probleme in Paraguay lösen würden und ihre Rückkehr nach Europa möglich machen könnte. Die Debatten um das „neues Deutschland“ waren ausgerechnet in den Men¬ noniten Brüdergemeinden am heftigsten und führten sogar zu einer kurzzeitigen Spaltung der Gemeinde in Filadelfia. Obwohl es zweifellos ein dunkles Kapital war (1937- 1947), nahm es ein bewundernswertes Ende mit einer denkwürdi¬ gen Erfahrung von Buße und Versöhnung. Unter der Leitung des geistlichen Patriarchen Benjamin B. Janz, der von Kanada ausgesandt wurde, fanden ver¬ schiedene offene Treffen der Beichte, Vergebung und Erneuerung statt, an denen mehr als siebzig Leiter und Teilnehmer beider Gruppen anwesend waren. Die Folge war die Wiedervereinigung der gespalteten Gemeinde und im selben Jahr die Annahme der Paraguayischen Mennoniten Brüdergemeinde als eine Bezirks¬ konferenz der Generalkonferenz der Mennoniten Brüdergemeinden in Nord¬ amerika. 72 Enns, A. et. al. (1983), Documenta Conmemoralivo de laConvendön. Asuncion, ZamphMpolos. 258 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Missionarische Theologie und einheimische Gesellschaft Am 29. März 1931 feierte die Kolonie Fernheim ihr erstes Erntedankfest mit einer bewegenden missionarischen Botschaft von Pastor Gerhard Isaak. Bei der Kol¬ lekte wurden fünf Dollar gesammelt, von denen zwei für Missionsarbeit in Indien und zwei für Java verwendet wurden. Ein Dollar der Kollekte wurde einbehalten um zu überlegen, wie Missionsarbeit unter den Einheimischen im Chaco gesche¬ hen könnte. Kurz nach dem Ausbruch des Chacokrieges (1932 -1935) wurde ein Missionsausschuss gegründet, der diesen Zweck fördern sollte. Als die Kriegsunruhen am 1. Februar 1935 endeten, baten die Gemeinden die paraguayische Regierung um Erlaubnis eine Missionsarbeit unter den Enlhet zu etablieren. Die Erlaubnis wurde erteilt und so begann die Pionierphase, geleitet von Abram Unger, Anna und Abram Ratzlaff, Gerhard und Katarina Giesbrecht und Bernhard und Susanna Epp aus Kanada. Am 24, Februar 1946 wurden die ersten sieben christlichen Konvertiten der ethnischen Gruppe der Lengua getauft. Im selben Jahr begannen Jacob und Helen Franz aus Kanada eine Missionsarbeit unter den Nivacle. Wegen knapper finan¬ zieller und personeller Ressourcen baten die Gemeinden des Chacos den Aus¬ schuss für Mission und Dienst der nordamerikanischen Mennoniten Brüderge¬ meinden (BOMAS) die Koordinierung der Missionsarbeit von Juli 1946 bis Juni 1961 in die Hand zu nehmen. Die evangelislische Arbeit unter den Einheimischen, zunächst unter den Enlhet und Nivacle, später unter den Avoreos y Guarayos, wuchs in unglaub¬ licher Weise. Am 10. März 1971 wurde die Konferenz von Nivacle Gemeinden gegründet; am 9. Mai 1978 wurde die Enlhet Konferenz gegründet; am 17. April 1976 fand die erste Taufe von dreißig Mitgliedern der Gruppe der Guarani statt. 2006 schließlich waren drei Konferenzen von einheimischen ethnischen Grup¬ pen aus dem zentralen Chaco offizielle Mitglieder der Mennoniten Weltkonfe¬ renz: die Evangelische Enlhet Mennonitenkonferenz mit sieben Gemeinden und 2.070 Mitgliedern, die Nivacle Konferenz der Mennoniten Brüdergemeinden mit neun Gemeinden und 2.260 Mitgliedern und die Vereinigte Evangelische Enlhet Kirchenkonferenz mit fünfzehn Gemeinden und 4.049 Mitgliedern. Unter den Ayoreos wächst die Guarani Nandeva Kirchenkonferenz mit acht Gemeinden und z.Z. 550 Mitgliedern. Es ist bemerkenswert, dass die Mennoniten Bruderschaft nie die einzige war, die unter den einheimischen Gruppen des zentralen Chaco evangelisierten. Obwohl sie personell, inhaltlich und administrativ eine Vorreiterrolle spielten, war die Aufgabe eine gemeinsame Anstrengung aller Mennonitengemeinden des DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PARAGUAY 259 zentralen Chacos. Fünfzehn Jahre lang (1946 -1961) wurde die Aufgabe unter der direkten Leitung von BOMAS durchgeführt, später aber an alle Gemeinden des zentralen Chacos zurückgegeben. Das MCC hat in der Unterstützung bei Land- wirtschafts-, Gesundheits- und Bildungsfragen dieser Gruppen eine entschei¬ dende Rolle gespielt. Eines der tragischsten und bewegendsten Ereignisse war der Märtyrertod des jungen Missionars Cornelius Isaak, der am 11. September 1958 während eines Versuchs der mennonitischen Missionare, Kontakt mit den Ayoreos aufzunehmen, von dieser primitiven Gruppe getötet wurde. Heutzutage sind die Einheimische Mennoniten Kooperation Assoziation (ASCIM) und der Einheimische Landwirtschaftliche Entwicklungsverband (FIDA) stabile Behör¬ den, die sich um die sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse dieser Gruppen kümmern. Dazu kommt das Yalve Sange Einheimische Bibelinstitut, das eine strategische Rolle in der Ausbildung von Gemeindeleitern spielt. Wenn man die Erfolge und Fehler dieser großartigen christlichen Bewegung unter den einheimischen Gruppen des zentralen Chacos betrachtet, kann man allein Gott für Seine umwandelnde Gnade im Leben und der Sozialstruktur die¬ ser Stammesgruppen verherrlichen. Außer dem relativ hohen finanziellen Wohl¬ stand, verbesserter Gesundheit und sicherer Bildung ist es eine große Freude zu sehen, dass die Gemeinden und Konferenzen proaktiv und optimistisch in die Zukunft sehen. Die kulturell-anthropologischen Beiträge von Jacob Loewen, Wilmar Stahl und anderen, die kulturelle Änderungsprozesse begleiteten, waren bedeutungsvoll. Ein anderer unbestreitbarer Erfolg war die Betonung eines ganz¬ heitlichen Evangeliums, das neben der Ausbreitung der guten Nachricht auch immer die Notwendigkeit von Bildung, öffentlicher Gesundheit, landwirtschaft¬ licher Selbstverwaltung, Gleichstellung der Geschlechter, ökologischer Perspek¬ tiven und eigener kultureller Identität in Betracht zog. Es gab auch Probleme und Mängel, zum Beispiel die sehr geringe Zahl von Einwanderer, die bereit waren, die Sprache und Kultur der einheimischen Gruppen zu lernen, ein paternalistischer Grundton, der sowohl gute als auch schlechte Wirkungen hatte, und ein Mangel an Motivation, authentische christ¬ liche Gemeinschaft zwischen den Kirchen mit unterschiedlichen kulturellen Hin- tergrüden zu kultivieren. 260 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Der Ruf hinein in die Stadt: Missionarische Anfänge in Asuncion und Ostparaguay Während der Anfangszeit war die Immigrantengruppe der Mennoniten sehr durch die harte Realität des Chacos in Anspruch genommen. Verschiedene Ereig¬ nisse halfen ihnen jedoch das andere Paraguay, das an der östlichen Seite des Flusses lag, zu entdecken. Eine kleine christliche deutschsprachige Gruppe von Studenten, Zimmermädchen und Wirtschaftsvertretern traf sich bereits in den i930er Jahren in der Hauptstadt. Die Migration der Friesland Gruppe in den San Pedro Bezirk 1937 machte den Osten des Landes noch bedeutsamer. 1941 grün¬ dete eine Gruppe von Hutterer Flüchtlingen aus Nazi-Deutschland alternative kommunitäre Missionssiedlungen im Bezirk San Pedro. Ein anderer wichtiger Meilenstein war die Gründung von Volendam durch Weltkriegsflüchtlinge. Die medizinische und diakonische Arbeit unter Lepra-Kranken wurde sehr wichtig und ständig ausgebaut, z.B. durch die Eröffnung des Krankenhauseses „Kilome¬ ter 81“. Deutlich strukturierte Bemühungen, eine evangelistische Arbeit in Asuncion anzufangen, begannen aber erst 1955, fünfundzwanzig Jahre nach der Gründung der ersten Mennoniten Brüdergemeinde in Paraguay. Der Bibellehrer Albert Enns initiierte dieses Projekt zusammen mit John und Susan Wiens, unterstützt von den Gemeinden des Chacos und dem nordamerikanischen Missionsaus¬ schuss. Andere kamen während der Pionierphase dazu, unter anderem Rudolph und Hilda Plett, John Pankratz, Theodor Löwen und Alfred und Ingrid Klassen. Während der nächsten zw'anzig Jahre gründeten sie vier Gemeinden, die spä¬ ter zu Muttergemeinden der Nationalkonferenz heranwuchsen. Sie halfen auch dabei die Albert Schweitzer Schule und das Asunciönner Bibelinstitut zu etablie¬ ren. Sie organisierten große evangelistische Aktionen und das Programm „Exten¬ sion Evangelism“, das aus einem reisenden Team namens „Botschafter Christi“ bestand. Ihr Ziel war es die Evangelisation der inneren ländlichen Landesteile voranzutreiben. Der Ruf in die Stadt und in die östlichen Landesteile waren bedeutungsvolle Schritte in der Geschichte der Mennoniten Brüdergemeinde. Es entwickelte sich eine eigene Sprache, eine eigene liturgische und kirchliche Identität und sogar ein theologischer Schwerpunkt, der sich langsam von den europäischen Wur¬ zeln entfernte. Dieser Schwerpunkt war von baptistischer Theologie aus Buenos Aires und von den Glaubensgewohnheiten der evangelischen Christen in Para¬ guay stark beeinflusst. Die gemeinsamen Erfahrungen der jungen Gemeinden DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PARAGUAY 261 und deutscher Studenten am paraguayischen Bibelinstitut hatten auch rückwir¬ kend eine erneuernde Wirkung auf die Ursprungsgemeinden. Konferenzen der Mennoniten Brüdergemeinden Gemeinden in Konferenzen zusammenzubringen ist ein langsamer Prozess. Der erste Versuch, die bestehenden südamerikanischen Gemeinden in einer Konferenz zu vereinen, fand schon 1946 statt. Damals kamen die Gruppen aus Brasilien, Uruguay und Paraguay zusammen, um die südamerikanische Regio¬ nalkonferenz zu etablieren, welche Teil der Generalkonferenz der Mennoniten Brüdergemeinden mit Sitz in Nordamerika wurde. Aufgrund kultureller Verschiedenheit, geographischer Entfernungen und sprachlicher Barrieren organisierten sich die Mennoniten Brüder in Paraguay schließlich in zwei Nationalkonferenzen. Ein Verband der Einwanderergemein¬ den wurde erst gegründet, nachdem die Missionsarbeit schon in vollem Gange war, Demzufolge stand die Missionsarbeit in Ostparaguay zunächst ganz im Zei¬ chen der Missionsprogramme aus Kanada und den Vereinigten Staaten. Die Ein¬ wanderergemeinden stellten das missionarische Personal, eine administrative Infrastruktur und gemeinsame Ressourcen für den Anfang und die Entwicklung der Missionsarbeit in Ostparaguay. Verschiedene Ereignisse in Paraguay führten schließlich 1962 zur Gründung der Konferenz der deutschsprachigen Mennoniten Brüdergemeinden in Para¬ guay, allgemein als die Vereinigunghekannt. Damit ging einher, dass die Verant¬ wortung für die Missionsarbeit auf einen einheimischen Träger überging. Schon bald schuf die Vereinigung eine neue Organisation, den Wohltätigkeitsverband der Mennoniten Brüdergemeinden in Paraguay. In der Folgezeit fand eine Viel¬ zahl evangelistischer und sozialer Aktionsprogramme unter ihrem Dach statt. Die spanisch- und guarani-sprachigen Gemeinden wurden im Mai 1971 durch die Gründung der Evangelischen Konferenz der Mennoniten Brüder¬ gemeinden in Paraguay zusammengebracht. Die Gründung dieser Konferenz war sowohl Wunsch der Missionare als auch der damaligen Staatsführung. Das oberste Ziel war der Schulterschluss der Gemeinden und die Unterstützung bei der Verkündigung des Evangeliums. Der erste Präsident der nationalen Konfe¬ renz der spanisch- und guarani-sprechenden Mennoniten Brüder wurde Carlos Chävez, der selbst durch Missionsarbeit zum Glauben gekommen war. Carlos Chävez arbeitete bei der nationalen Polizei, aber nachdem er Christ geworden war und getauft wurde, entschied er sich seine Zugehörigkeit zur Polizei aufzu- 262 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE geben. Sein Ziel war es ein Prediger des Evangeliums zu werden. 1966 immatri¬ kulierte er sich beim Asunciönner Bibelinstitut und war einer der ersten Absol¬ venten dieser 1964 eröffneten Bibelschule, Nach seinem Abschluss wurde Carlos Chävez ordiniert und als Pastor ein¬ gesetzt. Er übernahm das Pastorenamt bei der Ersten Asunciönner Mennoniten Brüdergemeinde, ein Amt, das er für mehrere Jahre ausübte. Unter seiner Lei¬ tung begannen evangelistische Gemeindegründungsprogramme in den ländli¬ chen Teilen des Landes. Chävez war ein Prediger, der die Bibel liebte, ein Mann, dessen Leben ein authentisches Vorbild und eine Inspiration zur Nachfolge wäh¬ rend der Anfangsjahre der Konferenz war. In den ersten Jahren wurden die meisten missionarischen Wachstums- und Entwicklungsprogramme von der Konferenz gesteuert. Heute, mit stabileren unabhängigeren Gemeinden, ist Missionswachstum und -entwicklung zuneh¬ mend eine Aufgabe der örtlichen Gemeinden. Die Konferenz unterstützte missi¬ onarische Erweiterungsprogramme mit dem Schwerpunkt Mission, Jüngerschaft, Gemeindegründung und Schulung für neue Gemeindeleiter. Um diese Ziele zu erreichen, wurde die Konferenz in Abteilungen wie z. B. Mission gegliedert, die diese Schwerpunkte verfolgten. Die Konferenz kümmerte sich um Bauprojekte, Koordination von Jugendprogrammen, Schulung von Sonntagsschullehrern und vieles andere mehr. Und sie dokumentierte Fortschritte in der Entwicklung der ländlichen Gemeinden. Genau wie jede andere neu beginnende Missionsarbeit litt auch diese unter finanziellen Engpässen, da es in manchen Gemeinden an Einsicht bezüglich der finanziellen Verantwortung fehlte. Es dauerte ungefähr fünfundvierzig Jahre bis die nationalen Gemeinden die volle Verantwortung für die Finanzen der Konfe¬ renz übernahmen. Hauptgrund für diese Situation war die wirtschaftliche Armut der Mennoniten Brüdergemeinden. Infolgedessen waren alle Infrastruktur- und Erweiterungsprogramme auf ausländische Unterstützung angewiesen. Im Laufe der Jahre verbesserte sich die finanzielle Situation. Heute stehen die nationalen Gemeinden der Konferenz vor einer großen Herausforderung: ihre personellen und finanziellen Ressourcen zu nutzen, um Gemeinden in schnell wachsenden Städten nahe der Grenze zu gründen. Wenn man den Fortschritt und aktuellen Stand der Konferenz bewertet, sind verschiedene Aspekte wichtig. Es gibt das Thema Mission und Jüngerschaft. Die Mennoniten Brüdergemeinden verfallen zunehmend in bequeme Routinen und brauchen Programme, die der Kirche einen Anstoß zu neuer Arbeit in den Berei¬ chen Mission und Jüngerschaft gibt. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PARAGUAY 263 Es gibt auch die Herausforderung, eine Familie bzw. eine nationale Glaubens¬ gemeinschaft zu werden. Die Betonung autonomer Gemeinden führte dazu, dass jede Gemeinde sehr stark auf sich selbst fixiert war und ihre Verpflichtung gegen¬ über der größeren Familie vergaß. Gemeinden müssen ihren Eigensinn überwm- den und zu einer nationalen Glaubensfamilie zusammenwachsen. Leiter müssen für Einheit und Bruderschaft einstehen, um sich mit aktuel¬ len und künftigen Problemen auseinandersetzen zu können. Zudem muss die Gemeinde in Paraguay einen Sinn für globale Mission über ihre nationalen Gren¬ zen hinaus, besonders für Brüder und Schwestern in Nachbarländern entwickeln. Die Glaubensfamilien in Uruguay und Peru brauchen viele der Ressourcen, die die paraguayische Kirche hat. Letztlich gibt es die Herausforderung eine Spiritualität zu entwickeln, die ihre Wurzeln in Werten des Reiches Gottes hat. Spiritualität in der Kirche muss mehr als nur Übung und Routine sein. Spiritualität muss auf das ständige Lesen der Schrift aufgebaut sein, es muss den Bedürftigen dienen, es muss geben, was es zuvor bekommen hat und es muss sich in der Kirche als Glaubensgemeinschaft manifestieren. Gemeinden und Missionen durch Bildungs¬ institutionen aufbauen Ein Teil des Erbes der Mennoniten Brüder ist die starke Betonung von Bildungs¬ institutionen. Die Mehrzahl der ersten Pastoren und Prediger war hauptberuf¬ lich Grund- und Gesamtschullehrer. Mennonitenschulen in Paraguay legten von Anfang an viel Wert auf biblische Lehre und christliche Bildung. Weil aber die meisten Pastoren keine formelle theologische Ausbildung hatten, dienten Bibel¬ besprechungen und Predigerkonferenzen zur ihrer Schulung. Anfang der 1930er Jahre begann dann die erste Bibelschule formale theologische und pastorale Aus¬ bildung für junge Leute anzubieten. Später wurden dann weitere Bibelschulen in Friesland, Filadelfia und Nachbarregionen gegründet. 1964 erfolgte dann ein wichtiger Schritt für die Zukunft der Mennoniten Brüdergemeinden in Paraguay - die Gründung des Asunciönner Bibelinstitu¬ tes (IBA). Während der über vierzig Jahre ihres Bestehens hat sich diese Aka¬ demie maßgeblich weiterentwickelt. 1995 wurde sie zur Theologischen Fakultät der Evangelischen Universität Paraguays. Eine große Zahl von Pastoren und Lei¬ ter erhielt durch die örtlichen Kurse und Fernkurse der Schule eine theologische und pastorale Grundlage. 264 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Das Interesse an einem ganzheitlichen Missionskonzept blieb weiterhin groß. 1959 wurde Yalve Sanga, eine missionsorientierte Schule für die einhei¬ mischen ethnischen Gruppen und die spanisch sprechende Bevölkerung der Region gegründet. 1964 wurde das pädagogische und bilinguale Material dieser Schule vom Bildungs- und Kulturministerium anerkannt. 1966 wurde die Albert Schweitzer Schule im Bezirk Sajonia, einer eher konservativen Wohngegend von Ascunciön, für Kinder im Grundschulalter gegründet. Seit den 1960er Jahren wächst eine starke Mennoniten - Schulbewegung. 1988 wurde die Johannes Guttenberg Schule gegründet. Später wurde auf demsel¬ ben Gelände die Fakultät der Geistes- und Bildungswissenschaften der Evangeli¬ schen Universität Paraguays mit dem Zweck gegründet, Lehrer und Sozialarbei¬ ter auf Basis einer christlichen Weltanschauung für ihre Arbeit in Bildungs- und Sozialinstitutionen vorzubereiten. Regelmäßig überprüften die Gemeinden die Möglichkeiten Bildungsinstitu¬ tionen zu verbessern oder neu zu gründen. Obwohl Bildung und Mission nicht direkt Zusammenhängen, waren Bildungsinstitutionen zweifellos entscheidend bei der Ausbildung von Leitern für die kirchliche und missionarische Arbeit der Mennoniten Brüdergemeinden in Paraguay. Aufbau von Gemeinden und Mission über die Medien Der Einsatz von Massenmedien zur Verkündigung des Evangeliums ist eine ver¬ breitete Missionsmethode der Mennoniten in Paraguay. Als die Mennoniten die kulturelle Vielfalt um sich herum und die Notwendigkeit der Kommunikation zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen erkannten, besorgten sich die Kolonien in Westparaguay eine Lizenz der Regierung, um einen Rundfunksender im zentralen Chaco zu installieren und zu betreiben. Dieser Radiosender startete 1975 unter dem Namen „ZP 30 - die Stimme des Paraguayischen Chacos“ seinen Sendebetrieb. Seine Grundziele waren interkulturelle Kommunikation zu ermög¬ lichen und das Evangelium in der ganzen Region zu verkündigen. Diese Methode der Verkündigung war fruchtbar und bald wurde Missionspersonal nötig um Familien zu besuchen, die Gottes Wort brauchten. Diese Besuche führten dazu, dass sich Gruppen von Menschen bildeten, die daran interessiert waren, dass ihr Glaube gestärkt wurde. Der nächste Schritt war dann der Aufbau und die Festi¬ gung von Gemeinden, die durch die Radiomission entstanden waren. Gerade im Westen des Landes war die Radiomission sehr erfolgreich. Zahlreiche Gemein¬ den entstanden und wuchsen. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PARAGUAY 265 Die Gründung eines Rundfunksenders in Ostparaguay dagegen war eine Auf¬ gabe, die mehrere Jahre intensiver Vorbereitung benötigte. Die Vision existierte seit Anfang der 1980er Jahre. Paraguayische Geschäftsinhaber, die in Kanada wohnten, verstanden, dass ein christlicher Rundfunksender ein starkes Instru¬ ment bei der Evangelisation ist und zum Aufbau der Kirche dient. Zunächst wurde der Schwerpunkt auf das Landesinnere gelegt, in die Caa- guazü Provinz. Aber viele Versuche waren vergeblich, weil die Regierung Radio¬ konzessionen ablehnte, die nicht mit den Wünschen des Diktators Stroess- ner vereinbar waren. Außerdem stellte sich die katholische religiöse Mehrheit einem mächtigen Instrument wie dem Radio in den Händen einer evangelischen Gruppe entgegen. Aber gerade die Geschichte der Rundfunksender in Ostparaguay zeigt deut¬ lich, wie Gott zu Gunsten seiner Kirche in die Geschichte eingriff. Im Februar 1989 machte ein Staatsstreich der Stroessner Diktatur ein Ende und damit eröff- neten sich neue Möglichkeiten für das Projekt. Bald lagen konkrete Pläne zum Kauf und Umbau eines bestehenden Rundfunksenders vor. OBEDIRA ist die Abkürzung für die evangelische Rundfunkarbeit (OBra Evangelica de DIfusiön RAdial), die Medien - Missionsarbeit der Mennoni- ten Brüder in Paraguay. Die Entstehung reicht bis zum Februar 1986 zurück, als entschieden wurde, dass diese Rundfunkmission der Mennoniten Brüder eine Zusammenarbeit beider Kirchenkonferenzen sein sollte. Ein Aufnahmestudio wurde aufgebaut, aus dem Radiosendungen über verschiedene Sender im gan¬ zen Land ausgestrahlt wurden. Diese Sendungen brachten Kontakt zu Menschen, die sich für das Evangelium interessierten, und boten Unterstützung und Seel¬ sorge an. 1992 ergab sich die Gelegenheit einen FM-Radiosender zu erwerben. Das ehemalige Radio Tajy wurde gekauft und in „102.1 FM Obedira“ umbenannt. Am 19. Juni 1993 ging der erste evangelische Sender in Asunciön auf Sendung und übertrug seit 2000 ohne Unterbrechung Musik und Botschaften der Hoffnung. Laut Statistiken hat OBEDIRA FM die drittmeisten Zuhörer des Landes. Die Aus¬ wirkung auf die Ausbildung von Christen ist schwieriger zu messen. Der Sender schuf aber ein Umfeld der Offenheit und Akzeptanz gegenüber dem Evangelium und den evangelischen Gemeinden unter den verschiedenen Bevölkerungsgrup¬ pen. Evangelische Verkündigung und biblische Lehre sind wichtige Bestandteile des täglichen Radioangebots. Verschiedene evangelische Denominationen haben Sendezeit, um ihre Aktivitäten und besonderen Veranstaltungen vorzustellen. 266 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Die positive Akzeptanz auf die Radiosendungen ermutigte auch zu einem Versuch mit dem Fernsehen. 2003 wurde die Radiosendung „Age to Age“ bei einem kommerziellen Sender in Asuncion für das Fernsehen angepasst. Die positive Reaktion auf diese Sendung weckte Interesse und den Wunsch dieses Medium mehr zu verwenden. Nach Aussagen verschiedener Radiohörer war christliches Fernsehen seit langem ein Traum unter den paraguayischen Gemein¬ den. Die Entscheidung mehr Zeit für das Fernsehen zu investieren wurde nicht leicht gefällt. Absprachen und Besprechungen mit den Pastoren der Mennoniten Brüdergemeinden fanden statt, in denen die Vorteile und Möglichkeiten dieses sehr mächtigen Kommunikationsmittels erklärt wurden. Die Herausforderung wurde schließlich mit der geistlichen Unterstützung der Gemeinden und der star¬ ken Befürwortung durch eine Gruppe von mennonitischen Geschäftsinhabern in Asuncion angenommen. Angesichts des begrenzten finanziellen Spielraums kam es den Gemeinden sehr entgegen, als sich die Möglichkeit ergab, die Programmgestaltung und -Ver¬ antwortung für einen insolventen Fernsehkanal zu kaufen. Die Besitzer des „TV Channel 2 Guarani Network“ boten OBEDIRA die Möglichkeit an, die Verwal¬ tung des Kanals zu übernehmen und zu versuchen, ihn mit Sendungen im Sinne der Werte des Evangeliums wiederherzustellen. 2003 begann OBEDIRA die ganze physikalische, technische und personelle Infrastruktur für einen kleinen monatli¬ chen Betrag zu leasen. Plötzlich bekamen sie eine Belegschaft von ungefähr 120 Personen, denen sie ein faires Gehalt bezahlen mussten. Das größte Glaubens¬ zeugnis sah man in der treuen Erfüllung dieser Pflichten gegenüber den Mitar¬ beitern und ihren Familien. Durch die Gnade Gottes gab es keinen Monat, in dem Mitarbeiter ihr Einkommen nicht bekamen. Im Gegensatz dazu war die Beleg¬ schaft vorher von verspäteten und gekürzten Gehaltszahlungen geplagt worden. Die Notwendigkeit Technologie an heutige Bedürfnisse anzupassen, der täg¬ liche Überlebenskampf und der Traum, eine echte Alternative an Sendungen anbieten zu können, ist eine Herausforderung, die Gott gesegnet und wo er bei jeder Not eingegriffen hat. Alternatives Fernsehen mit öffentlicher Unterstüt¬ zung durch säkulare Träger ist eine Herausforderung, die die Gemeinden und der Projektausschuss angehen müssen, zusammen mit der Frage nach dem missio¬ narischen Charakter des Projektes. Die Programme des Senders versuchen indi¬ rekt und vorsichtig Missionsarbeit zu leisten. Obwohl einige Programme typisch evangelistisch sind, sind die meisten erzieherisch und von allgemeinem öffent¬ lichen Interesse. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PARAGUAY 267 Massenmedien sind unbestreitbar mächtige Werkzeuge für das Wachstum und die Stärkung von Gemeinden und christlichen Missionen. Im Falle der Men- noniten Brüder in Paraguay haben die Gemeinden trotz vieler verfügbarer Mit¬ tel nur langsames Wachstum erlebt und die Wirkung ihrer Missionsprogramme bleibt größtenteils unbemerkt von der Öffentlichkeit. Paraguayische Theologie und Pastoren- bzw. Leitungsschulung 1999 fand die fünfte Lateinamerikanische Anabaptisten Sitzung in Paraguay statt. Ihr Schwerpunkt war die Notwendigkeit über die läuferische theologische Bildung in Lateinamerika nachzudenken. Dr. Juan Martinez hatte die Aufgabe über Leitungsschulung in Gemeinden im einundzwanzigsten Jahrhundert zu sprechen, Er behauptete, dass die lateinamerikanische Kirche in vieler Hinsicht aus „vormodernen Mitglieder, die sich mit postmodernen Ideen beschäftigten“ bestände. So sehe die Realität in den Leitungskreisen und die pastorale Ausbil¬ dung in Paraguay aus. Die Herausforderung sei, wie eine höhere theologische Bil¬ dung in die mehr und mehr pluralistische Gesellschaft von Paraguay eingebettet werden kann. Obwohl vieles von dem, was Martinez 1999 äußerte, noch relevant ist, macht die Tatsache, dass die aktuelle theologische Ausbildung als Hochschul¬ bildung gilt, die Frage eher komplizierter. Die Situation verlangt detailliertere Betrachtung und eine Anpassung an die kulturelle Vielfalt in den lateinameri¬ kanischen Ländern. Leiterschaftsausbildung unter den Mennoniten Brüdern in Paraguay war ein Anliegen seit Beginn der Gemeindegründungen. Die ersten Missionare erkann¬ ten, dass sie formelle und institutionelle Programme durchführen mussten um Leiter auszurüsten. Die ersten Lehrer, die bei der Instituto Biblico Anabautista (IBA) gelehrt hatten, waren die, die die Gemeindegründungsarbeit angefangen hatten. Sie betonten die Notwendigkeit einer soliden theologischen Ausbildung und Glaubensausrichtung. Weil die Gemeinden keine formelle Schulung für Neubekehrte anbieten konnten, war das Institut entscheidend für die Prägung des Glaubens seiner Studenten. Bei einem kurzen Blick auf die damals angebotenen Kurse sieht man, wel¬ che Schwerpunkte gesetzt wurden. Neben den Bibelkursen waren das Mission, Gemeindeverwaltung und Dogmatik. Es gab wenig Interesse an einer anthropo¬ logischen oder kulturellen Analyse über die Personenkreise, mit denen die Mis¬ sionare arbeiteten. Zudem waren die Bibelstudenten zwischen 1964 und 1984 268 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE oft in ihrer Glaubensidentität verwirrt: Waren sie Mennoniten oder Mennoniten Brüder. Dies zu klären wurde in der Folgezeit wichtiger. Zwischen 1984 und 1994 kamen die ersten paraguayischen Absolventen von einem der Mennoniten Brüder Bibelseminare in den Vereinigten Staaten zurück nach Paraguay. Die ersten Pioniere in der Leiterschaftsausbildung wichen einer neuen Generation von Lehrern und Mentoren. In dieser Phase wurden nun neue - stabilere - Kirchenstrukturen eingeführt - unter Einschluss der Gemeinden, die direkt aus der Missionsarbeit hervorgingen. Gleichzeitig erlebten die Gemeinden mit ethnischen Mennoniten-Wurzeln einen wirtschaftlichen Aufschwung, der es ihnen ermöglichte, die Leiterschaftsschulung besser finanziell zu unterstützen. Während dieser Periode kamen einheimische Studenten mit besserer akade¬ mischer Voraussetzung an die Hochschulen, und dies führte dazu, dass höhere akademische Standards gesetzt werden konnten. RatzlafTberichtet, dass Studen¬ ten in früheren Jahren ohne einen Grundschulabschluss zu der IBA kamen. Ihre Handschrift war unleserlich, ihre Ideen über die Bibel und ihre Autorität und Ins¬ piration waren sehr einfach und konservativ. Heutzutage kommen die Bibelschü¬ ler mit viel besserem akademischem Hintergrund und haben alle einen Gesamt¬ schulabschluss. In der Regel nehmen sie eine liberalere Position bezüglich der Interpretation und Autorität der Bibel ein. Das Gleiche gilt für moralische Fra¬ gen, über die und zu denen sie sehr unterschiedliche Meinungen und Stand¬ punkte haben. Die hier genannten Beobachtungen sind typisch für Phasen, in denen sich theologische Schulen in einem Umfeld, in dem Wissenschaft und Forschung an Bedeutung gewinnen, ausprägen. Die Betonung lag in der Suche nach Identität und dem Streben nach akademischer Erstklassigkeit. Mission und die Vision für Gemeindewachstum traten in dieser Zeit in den Hintergrund. Die Ausbildung konzentrierte sich auf die geistliche - läuferische - Identitätsfindung und nicht auf das Wachstum der örtlichen Gemeinden. In der Folgezeit wurden intensive Schulungsprogramme für Lehrer, Predi¬ ger und Laien zu verschiedenen Dienstaspekten in Gemeinden entwickelt. Der Grund dafür war unter anderem, dass die inhaltlichen Ansprüche an die akade¬ mische Ausbildung so hoch wurden, dass Kandidaten sich anders nicht hätten vorbereiten können. Das Institut bietet momentan ein formelles Vierjahrespro¬ gramm mit einem Iheologieabschluss an, zusammen mit einem begleitenden Erweiterungsprogramm, das von Gemeinde zu Gemeinde geht und Schulung in verschiedenen Gebieten anbietet. DiE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PARAGUAY 269 Ein sehr positiver Aspekt der aktuellen theologischen Ausbildung ist die gemeinsame Erfahrung mit Partnerinstituten. Seit 1994 gilt die Evangelische Uni¬ versität Paraguays als eine national anerkannte Einheit. Die Theologische Fakultät ist ein Teil der Universität. Sie wurde durch drei bestehende Bibelschulen gegrün¬ det. Das Centro Evangdico Menonita de Teologia Asuncion (CEMTA) wird von den Mennoniten-Gemeinden, die Baptistenschule von den Baptistengemeinden und IBA von der Mennoniten Brüder Kirche unterstützt. Die drei Institutionen schufen ein ganzheitliches akademisches Programm ohne ihre Identitäten und Selbstständigkeiten aufzugeben. Diese Zusammenarbeit ermöglicht koordinierte Schulung von einheimischen und ausländischen Gemeindemitarbeitern und Pas¬ toren. Die größte Herausforderung an die theologische Ausbildung in Paraguay ist das Gebiet der theologischen Pädagogik. Diese Herausforderungen gelten vor allem für Studenten, die sich auf pastorale Arbeit, Seelsorge und Mission vor¬ bereiten. Die heutigen Studenten gehören zu der zweiten, dritten oder vierten Generation und haben einen stärkeren akademischen Hintergrund. Jedoch zei¬ gen sie weniger spirituelles Engagement, kommen mit begrenzten Bibelkenntnis¬ sen und sind mehr interessiert an Glaubensaspekten, die auf Erfahrung beruhen. Sie sind oft ziemlich kritisch und haben weniger Respekt vor Autoritätspersonen. Obwohl sie für Glaubensabenteuer offen sind, haben sie wenig Leidenschaft für pastorale und seelsorgerische Dienste oder Missionsarbeit und sind nicht bereit Dinge langfristig zu opfern. Wenn man diese Realität betrachtet, wird deutlich, wie groß die Herausforderung für theologische Ausbildung bei der Schulung von Pastoren und Mitarbeitern ist. Täuferische Theologie, landwirtschaftliche und städtische Theologie Seit ihren Anfängen um 1860 versuchten die Mennoniten Brüder das Erbe der läuferischen Theologie des sechzehnten Jahrhunderts wiederzuentdecken, zu beleben und zu aktualisieren. Neben den ethischen und kirchlichen Aspekten ihrer läuferischen Identität suchten die Mennoniten Brüder nach der missio¬ narischen Perspektive und Dynamik der Gründer der Bewegung. Eine wich¬ tige theologische Identitätskrise erlebten dabei die Gemeinden im Chaco und in Friesland mit der Herausforderung durch nationalsozialistische Ideologien und deren Idealen von Militarismus, Rassismus und deutsch - kultureller Überlegen¬ heit. Die Krise endete mit Buße und Reinigung sowie der Etablierung einer feste- 270 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE ren läuferischen und missionarischen Identität. Eine andere Folge war 1947 eine große interne Versöhnung, als die Chaco Gemeinden - gespalten in ihrer Stellung zum Nationalsozialismus - zu Buße und Neuorientierung fanden. Die läuferi¬ sche theologische Identität Tvurde aber auch von einigen anderen wichtigen Kräf¬ ten bedroht. Viele Leiter waren in Nicht-Mennoniten-Institutionen ausgebildet worden, wo calvinistische, dispensionalistische oder amerikanisch-baptistische Theologien in der Regel ihre eigene historische Identität überlagerten. Außerdem hatten die langlebigen Militärregimes in Paraguay die Überzeugung untergra¬ ben, dass Pazifismus und Wehrdienstverweigerung aus Glaubensgründen unauf- gebbare biblische und christliche Position waren. Sie erweckten den Eindruck, dass diese Überzeugung nur eine besondere Eigentümlichkeit der mennoniti- schen Einwanderer war. Letztlich machte der starke Einfluss von evangelikaler Theologie im Allgemeinen und deutscher evangelikaler Literatur im Besonderen eine gesunde paraguayische Ausprägung läuferischer Theologie und Identität oft schwierig. Ein großer Perspektivwechsel fand mit dem „Ruf an die Stadt“ und der Umwandlung der Kolonien in städtische Zentren statt. Mennoniten Brüder kamen in Paraguay mit einer tief landwirtschaftlich geprägten Theologie an. Ihre Erfahrung mit Gott und ihr Gemeindeleben waren eng mit dem landwirt¬ schaftlichen Leben verbunden. Aber seltsamerweise wurde diese landwirtschaft¬ lich orientierte Theologie nicht effektiv in die paraguayische Realität übertragen. Die ländlichen Gemeinden sind heutzutage die schwächsten. Die Gegenwart und Zukunft der Kirche ist eher städtisch als ländlich. Die Gemeinden in Asuncion aus beiden Konferenzen mussten die Pionierarbeit leisten mennonitische Identi¬ tät in einen städtischen Kontext einzubetten. Momentan ist die Raices Gemeinde mit Mitgliedern, die stark in akademischen, politischen und unternehmerischen Aktivitäten engagiert sind, vielleicht das dynamischste Beispiel solcher Einord¬ nung innerhalb der oberen Mittelschicht. Die Beziehung der Mennoniten Brüder zur größeren tauferischen Familie Als die Mennoniten nach Paraguay einwanderten, waren sie stark durch die gemeinsame Erfahrung von Exil und Verfolgung geprägt. Jahrhunderte gemein¬ schaftlichen Lebens in Landwirtschaftskolonien hatten zu einer starken kultu¬ rellen Verwandtschaft geführt. Ihr Sinn für Gemeinschaft war groß. Es ist auch bemerkenswert, dass die Einwanderer den eigenartigen Dialekt Plattdeutsch DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PARAGUAY 271 gemeinsam hatten, eine Mischung aus Deutsch und Niederländisch, die mit rus¬ sischen, englischen und spanischen Begriffen gewürzt wurde. Aber die stärkste Verbindung unter den verschiedenen Einwanderergruppen war ihr christlicher Glaube, mit dem läuferischen Erbe als wesentliches Merkmal. Die Memioniten Brüder haben in der Regel Bruderschaft und Zusammenarbeit sowohl zwischen Mennoniten Gemeinden als auch unter Evangelikalen und in einigen Fällen sogar mit der katholischen Kirche gesucht. Die zwei Mennoniten Brüder-Konferenzen beteiligten sich an zwei Projek¬ ten, die von großer Bedeutung waren: das Asuncion Bibelinstitut und die Rund¬ funk- und Fernsehmission von OBEDIRA. Daneben gibt es auch formelle und informelle Kanäle zur gegenseitigen Hilfe unter den Pastoren, Gemeinden und Missionsmitarbeitern. Die Einwanderer-Gemeinden des Chacos haben in verschiedenen Instituti¬ onen zusammengearbeitet, um den einheimischen Gruppen, ihren Gemeinden und ihrer Missionsarbeit zu helfen. Die Missionsagentur „Light to the Indige- nous“ und der Arbeits- und Dienstleistungs-Verband einheimischer Mennoniten (ASCIM) sind Beispiele dafür. Die Gemeinden arbeiten auch in der Missionsar¬ beit des Rundfunksenders ZP 30 - Die Stimme des Chacos zusammen. Auf nationaler Ebene gibt es einen Verband mit insgesamt einunddreißig Mennoniten-Gemeinden mit Immigrantenhintergrund, die zusammen den „Gemeindeausschuss“ bilden. Diese Organisation unterstützt zwei große sozi¬ ale und kirchliche Organisationen: das Mennoniten-Krankenhaus „Kilome¬ ter 81“ und den Mennoniten-Freiwilligendienst. Über fünf Jahrzehnte hat eine große Anzahl von Jugendlichen freiwillig bei diesen Institutionen gearbeitet und dadurch die nationale Wirklichkeit und die Bedürfnisse der paraguayischen Bevölkerung kennen und heben gelernt. Es gibt eine, wenn auch nicht so gut entwickelte, brüderliche Beziehung zwi¬ schen allen Mennoniten Gemeinden in Südamerika: Bolivien, Brasilien, Chile, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Die deutschsprachigen Gemeinden haben alle drei Jahre Jugendtreffen. Es gibt auch Diskussionen und regelmäßige Treffen mit lateinamerikanischen Gemeinden. Acht der größeren Mennonitenverbände, drei einheimische Konferenzen, zwei lateinisch-paraguayische Konferenzen und drei Konferenzen mit Immigran¬ tenhintergrund sind Bestandteil der Mennoniten-Weltkonferenz. Für Juli 2009 luden sie die Weltgemeinschaft ein um die 15. Versammlung in Asuncion, Para¬ guay, zu feiern. Die Erfahrung, sich für eine derartig große Veranstaltung vor¬ zubereiten, förderte gemeinsames Verständnis und Sichtweisen. Beide Menno- 272 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE niten Brüder Konferenzen waren auch Gründungsmitglieder von ICOMB, der globalen Bruderschaft der Mennoniten Brüder. Ein großer Teil dieses Anstoßes kam aus Paraguay. Mennoniten Brüder in der paraguayischen Gesellschaft Die Mennoniten-Gruppen, sowohl die Gemeinden der Einwanderer als auch die der Einheimischen, bleiben in der paraguayischen Öffentlichkeit nicht unbe¬ merkt. Gesehen werden sie großteils durch ihre Bildungsinstitutionen, ihre starke Präsenz in den Massenmedien, ihre blühenden wirtschaftlichen Geschäfte in der Hauptstadt und die enorme wirtschaftliche Wirkung landwirtschaftlicher Pro¬ duktion in den ländlichen Kolonien. Diese Faktoren verschaffen wesentlichen politischen Einfluss. Anfangs vermieden die Einwanderer politische Beteiligung, weil sie gerade vor der furchtbaren Erfahrung der Oktoberrevolution und den katastrophalen Auswirkungen von zwei Weltkriegen geflohen waren. Aber sie brachten und vollendeten ein erstaunliches Sozialsystem für das Gemeinschafts¬ leben: die Produktionsgenossenschaft; die Selbstverwaltung von Gesundheits-, Bildungs- und Straßenbaudienstleistungen und der Gemeinschaftsfond für arme und alte Menschen. All das war von christlichen Werten angetrieben und bildete eine Art alternatives politisches System in den Kolonien. Als sich der Zugang zu den Märkten und zur allgemeinen Bevölkerung ver¬ besserte - durch bessere Straßen, Kommunikationsmittel und das Streben der Jugendlichen, einen Universitätsabschluss zu bekommen - entwickelte sich eine neue, stärker ausgeprägte soziale und politische Interaktion mit der restlichen Bevölkerung. Unter dem Militärregime von Präsident Stroessner blieben die Ein¬ wanderer-Gruppen politisch unauffällig. Weil der Staat in ihren Gruppen buch¬ stäblich abwesend war, nutzten sie die Situation, um ihre eigenen sozialen und wirtschaftlichen Strukturen zu verbessern. Mit dem Übergang zur Demokratie wurde es jedoch notwendig sich in die politische Realität zu integrieren. Die Gemeinden zeigten durch die Anstöße von Einzelpersonen und von Gruppen Eigeninitiative in der Gründung einer politischen Theologie, die mit täuferischen Prinzipien übereinstimmt. Die Gründung war nicht einfach, weil politische Aktivität in der Regel sehr individualistisch ist. Aber die Gemeinden hielten es für ihre Aufgabe, die sozialen Erfahrungen und menschlichen Ressour¬ cen anzubieten, die in ihrer eigenen Gruppe gut funktioniert hatten. Der Pasto¬ renrat der Mennoniten Brüder Assoziation von Paraguays bereitete ein Doku¬ ment vor, das politische Beteiligung grundlegend dahingehend definiert das DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PARAGUAY 273 Gemeinwohl anzustreben. Es warnte jedoch vor den Gefahren des Missbrauchs von Macht durch Parteifanatismus und militärischem Nationalismus. Im Laufe der letzten 18 Jahre gab es Mennoniten, die sowohl als Repräsentatoren, Senato¬ ren, Gouverneure und Betriebsleiter als auch als Minister und obere Beamte der Exekutive arbeiteten. Sowohl die Einwanderer-Gruppen als auch die neuen Gemeinden versuch¬ ten intensiv Bildungsinstitutionen zu etablieren. Dieser Versuch wurde von einer Suche nach theologischen und kirchlichen Prinzipien begleitet, die christliche Bildung und akademische Handlung wertschätzen. Die großen Schulen, Gutten- berg, Albert Schweitzer und Concordia in Asuncion, als auch die Lehrer in der Mennoniten-Schulassoziation analysieren und durchdenken immer wieder die biblische und kirchliche Basis ihrer Unternehmungen. Die Konsequenzen sind bis heute die fortwährende Produktion von Lehrmaterialien zum Bibelstudium, zur Ethik und zur christlichen Weltanschauung in den Schulen. Ein einmaliges Projekt war auch die Etablierung von Direktoren für das Kaplansamt und für christliche Bildung in den Institutionen. Diese fördern evangelistische und wert¬ bildende Programme sowohl mit den Studenten als auch mit Lehrern und Eltern, Der wirtschaftliche Fortschritt von vielen Mitgliedern der Mennoniten Brü¬ dergemeinden wurde beachtlich. Die ländliche Wirtschaft ist durch die Pro¬ duktion, Industrialisierung und Vermarktung von Milch, Rindfleisch, Soja, Erdnüssen, Weizen und anderen Produkten bemerkenswert gewachsen.Die unternehmerisch kommerzielle Aktivität in den städtischen Zentren hat eine phänomenale Revolution erlebt. Die Gemeinden versuchen diese Änderungen durch pädagogische Projekte zu begleiten. Der Zehnte wird als eine grundlegend christliche Praxis gefördert, aber nicht auf gesetzliche Weise. Unternehmensfüh¬ rung und -ethik brauchen auch eine Verankerung innerhalb der christlicher Weltanschauung. Verschiedene Kongresse und Kurse legten einen Schwerpunkt auf diese Frage. Die Schaffung eines täuferischen wirtschaftlichen Kaplansamtes, motiviert von zwei lokalen Gemeinden aus Asuncion, der Concordia Mennoni¬ ten Gemeinde und der Mennoniten Brüdergemeinde, war eine wichtige Unter¬ nehmung. Rund fünfzehn Kapläne kümmern sich um insgesamt über fünfzehn¬ hundert Mitarbeiter in ungefähr fünfunddreißig Firmen. Dieses wirtschaftliche Kaplansamt hatte bis jetzt eine starke Wirkung auf Mission und Ausbildung und wächst schnell. Christliche Unternehmer haben dadurch jetzt auch einen Grund sich regelmäßig zum Frühstücken, Mittagessen und für Kongresse zu treffen, um über ihre aktuelle Lage und christliche Verantwortung in der Arbeitswelt nach¬ zudenken. 274 DIE GESCHICHTE DER AAENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Herausforderungen für die Mennoniten Brüder in Paraguay: Ganzheitliche Mission Das Konzept ganzheitlicher Mission hat in den evangelischen Gemeinden in Lateinamerika jüngst theoretisch und praktisch Gestalt angenommen. Die Wie¬ derentdeckung dieser Missionsmethode ist eine Herausforderung und Gelegen¬ heit für die Gemeinden, die in einem sozialen Umfeld, das von Ungleichheit zwischen Armut und Reichtum geprägt ist, gegründet wurden und sich darin ent¬ wickelten. Das Gemeindeleben der Mennoniten Brüder in Paraguay entwickelte sich in einem ähnlichen sozialen Umfeld. Paraguay ist ein sich entwickelndes Land mit vielen strukturellen und menschlichen Bedürfnissen. Bildungschancen sind begrenzt, Deshalb ist die Bevölkerung relativ ungebildet und die Jugendli¬ chen haben durchschnittlich nur sechs Jahre formale Schulbildung. Diese Aus¬ gangslage korreliert direkt mit den Möglichkeiten, technologische und industri¬ elle Entwicklung im Land zu fördern. Ein Volk mit wenig akademischer Bildung begrenzt Fortschritte, die Entwicklung vorantreiben könnten. Dadurch ernährt sich ein Teufelskreis der Armut, welche unüberwindlich bleiben wird, es sei denn, bewusste Investitionen finden statt, um Personen zu schulen und auszubilden. Was ist ganzheitliche Mission? Es ist Missionsarbeit, die die Gesamtheit der menschlichen Person betrachtet und ihre Bedürfnisse und Möglichkeiten berück¬ sichtigt. Eine ganzheitliche Mission ist daran interessiert dem ganzen Menschen zu dienen. Es werden nicht nur spirituelle Bedürfnisse berücksichtigt, sondern auch emotionale, soziale und andere Aspekte, die Menschen Würde geben. Eine ganzheitliche Mission versucht alle Aspekte der Persönlichkeit, die ein Mensch auf der Erde benötigt, um sich zu entwickeln, zu umfassen und bereitet den Men¬ schen darauf vor, dem Herrn zu begegnen. Eine ganzheitliche Mission versteht, dass Gottes Reich mit einem würdevollen Leben auf der Erde beginnt und zu wertvollen Hoffnungen und Überzeugungen für die Ewigkeit berechtigt. Seit dem Beginn ihrer Missionsarbeit haben die Mennoniten Brüder in Paraguay ganzheit¬ liche Mission verstanden und gelebt. Zu Anfang der Missionsarbeit unter den Einheimischen im zentralen Chaco war ganzheitliche Mission oft sehr nötig. Die unsichere Lage dieser Gruppen und ihre tiefgehenden Bedürfnisse bedurften viel Mühe von Missionaren und Sozialarbei¬ tern, um Fortschritte zu erzielen und sie in die breite Gesellschaft zu integrieren. Die Einheimischen brauchten Schulbildung, aber sie mussten auch eine rechtli¬ che Identität erhalten, die ihren Status als nationale Bürger schützen würde. Sie in das nationale Register einzupflegen und Geburtsurkunden und Identifikations- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PARAGUAY 275 karten für sie zu besorgen, erforderte große Anstrengungen. Ebenso war formale Ausbildung für verschiedene Berufe notwendig, damit sie harmonisch mit dem Rest der Gesellschaft Zusammenleben konnten. Schulen, Krankenhäuser, profes¬ sionelle Schulungszentren, Gemeinden und Produktionsgenossenschaften waren alles wichtige Bestandsteile der Missionsarbeit, die die Mennoniten Brüder vom Beginn der Mission an mit einbezogen. Nachdem auch die Evangelisation und Gemeindegründungsarbeit im östlichen Teil des Landes begann, wurde es bald offensichtlich, dass die Mission andere Anstrengungen leisten musste, um Menschen Zugang zu einem würdevollen Leben zu geben. Das erste Bedürfnis war eine formale Ausbildung mit christli¬ chen Maßstäben für die Familien von neuen Gläubigen. Kinder aus den ersten Familien der neuen Gläubigen waren in öffentlichen Schulen Diskriminierung ausgesetzt, weil sie evangelisch waren. Demzufolge wurde ein Schwerpunkt auf die Gründung von Schulen gelegt. In den letzten lahren haben die Mennoniten Brüder sich anderen evangelischen Konfessionen angeschlossen um die Evange¬ lische Universität Paraguays, eine Hochschule die weiterhin wächst, zu gründen. Mennoniten Brüder in Paraguay sind durch die Massenmedien an intensiven und unterschiedlichen Missionsprogrammen beteiligt. Zu den ursprünglichen evan- gelistischen Zielen eröffnet sich jetzt auch die Möglichkeit öffentliche Meinung mit zu gestalten. Heutzutage benutzen die Mennoniten Brüder Radio, Fernsehen und Zeitungen in ihrer Missionsarbeit. Diese Mittel sind nicht nur evangelis- tisch, sondern bieten auch Schulung, Ehe- und Familienberatung, Seelsorge für in Schwierigkeiten geratene Menschen und eine gesunde und positive Sichtweise zum Leben an. Die historische und theologische Bedeutung der Arbeit der Mennoniten Brüder liegt in der Neuwerdung von Menschen in jesus Christus und ihrer anschließen¬ den Integration in die Ortsgemeinde, damit sie dort ihre Gaben und Talente im Dienst des Herrn entwickeln. Die Frage muss gestellt werden, ob die verfügbaren Mittel und Ressourcen tatsächlich das erreichen, nämlich das Leben von Men¬ schen wieder in Ordnung zu bringen und sie in die Ortsgemeinde zu bringen. Seit mehreren Jahren wird diese Frage oft in Gemeinden und Führungskreisen gestellt. Die ganzheitliche Mission der Mennoniten Brüder in Paraguay steht vor der enormen gesellschaftlichen und missiologischen Herausforderung die gegenwär¬ tigen Bemühungen und wirtschaftlichen Investitionen mit den Bedürfnissen der entstehenden Gemeinden zu vereinbaren. Gewaltige Bildungs- und Medienins- 276 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE titutionen werden wenig zur Zukunft beitragen, wenn nicht eine ähnliche Bemü¬ hung stattfindet, das Wachstum einer stabilen Kirche, die selbständig diese Ins¬ titutionen trägt, zu fördern. Fidelina Cuquejo Als Fidelina Cuquejo 1915 geboren wurde, war Paraguay ein armes, unterentwi¬ ckeltes Land, das wenig Kontakt mit dem Rest der Welt hatte. Der erste Weltkrieg, der in Europa tobte, machte den Familien in Guarambare, dem kleinen Bauern¬ dorfin Ostparaguay, in dem Fidelina aufwuchs, wenig aus. Wie sie es schon seit Generationen gemacht hatten, bauten die Dorfbewohner Mais und Süßkartoffeln für sich selber an und Zuckerrohr, das sie gegen Bargeld an die naheliegenden Zuckerraffinerien verkauften. Die römisch-katholische Kirche, die sich etabliert hatte, als die ersten Europäer 400 Jahre zuvor nach Paraguay kamen, war noch das Zentrum des religiösen Lebens der Menschen, und man besuchte treu die Messe jede Woche. Aber Fidelina war einsam. Als sie Mitte fünfzig war, starben ihre Eltern inner¬ halb eines Jahres. Ihr Mann, mit dem sie seit 23 Jahren verheiratet war, hinterließ sie kinderlos. Sie kümmerte sich nur um einen kleinen adoptierten Jungen. Es wohnte nur noch eine Schwester in Guarambare. 1972 wurde ihre Schwester sehr krank. Als sie im Bett bleiben musste, fing sie zum ersten Mal an in der Bibel zu lesen und einiges an der Kirche zu hinterfra¬ gen. So sehr war sie bewegt, dass sie, als Fidelina den Priester brachte, damit der ihr die Beichte vor ihrem Tod abnahm, sie sich weigerte sie abzulegen. Fidelina erinnert sich, dass ihre Schwester sagte, sie habe gelernt, dass Christen direkt vor Gott beichten sollten. Fidelinas Einsamkeit wuchs, nachdem ihre Schwester starb. „Ich wollte das Haus allein nicht verlassen“, sagt Fidelina. „Die Menschen redeten über mich, weil ich alt und allein war. Ich konnte nachts nicht schlafen." In den frühen 1970ern konnten sich nicht-katholische Glaubensgruppen erst¬ mals in der Öffentlichkeit treffen. Die Mennoniten Brüder waren eine der Grup¬ pen, die von dieser neuen Freiheit profitierten. Sie gründeten das „Thrust Evan- gelism“ - Team, das die kleinen Bauerndörfer um Asuncion herum bereiste. Der Evangelist Albert Enns und das Team kamen nach Guarambare in dem Jahr, in dem das Programm eingeführt w’orden war. Die Filme, die jeden Abend in dem großen Zirkuszelt gezeigt wurden, waren eine besondere Attraktion. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PARAGUAY 277 Eine Cousine drängte Fidelina mitzukommen, aber sie erfand immer Ausre¬ den - bis zum dritten Abend, als sie endlich mit einer anderen überzeugt katho¬ lischen Freundin hinging. Das erste, was die zwei Frauen sahen, als sie das Zelt betraten, war ein Tisch mit Büchern und Literatur. Fidelina fragte Teammitglied Alfred Klassen, was das für Bücher seien. „Das Wort Gottes, das Menschen geist¬ liche Nahrung gibt“, erzählte Klassen. Nachdem sie den Film gesehen und die Predigt gehört hatte, hob Fidelina ihre Hand um zu zeigen, dass sie Jesus Christus als Teil ihres Lebens haben wollte - auf die Weise, die ihr der Evangelist beschrie¬ ben hatte. Aber unsicher über ihre Entscheidung nach ihrer lebenslangen Teilnahme an der katholischen Kirche besuchten sie und eine Freundin einen Priester in einer Nachbarstadt. Fidelina wollte ihn fragen, was das evangelistische Team der Mennoniten Brüder lehrte. Als Fidelina ihm die Literatur und die Bibel zeigte, die sie bei den Thrust-Treffen gelesen hatte und ihm erzählte, dass sie eine Sinnesänderung erlebt habe und sich nun stärker fühle, bestätigte der Priester sie nur. Sie solle dahin gehen, wo sie Wahrheit finden würde, sagte er. Fidelina fühlte sich in ihrer Entscheidung bestätigt und fing an die kleine Mennoniten Brüder Gemeinschaft zu besuchen, die nach der Aktion gegründet worden war. Bald traf sich die Gemeinschaft bei Fidelina zu Haus. Ungefähr ein Jahr nach ihrem ersten Kontakt mit den Mennoniten ging Fide¬ lina für ein besonderes Programm in eine der älteren Mennoniten Brüderge¬ meinden nach Asuncion. Als sie die große Gruppe von Christen beobachtete, die sich versammelt hatte und Abendmahl zusammen feierte, merkte sie, dass sie getauft und ein vollständiges Mitglied dieser christlichen Gemeinschaft werden wollte. Ihre Taufe war eines der schönsten Erlebnisse ihres Lebens. Ihr ganzes Leben hatte Fidelina an Gott geglaubt und versucht zu tun, was er von ihr wollte, aber dann entdeckte sie die Gegenwart tiefer Freude und Frieden. Sie bemerkte; „Vorher hatte ich immer Angst vor der Zukunft; ich fühlte, dass ich allein nicht überleben konnte.“ Doch dann wurden Fidelinas Ängste vor dem Leben durch Bibellesen und die Treffen mit einer Gruppe überzeugter Christen genommen und Gottes Kraft erfüllte sie. Adrienne Wiebe Eine Anpassung von They Saw His Glory, 69-72 OIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN BRASILIEN 279 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Brasilien Victor Harold Wiens D ie Mennoniten Brüdergemeinde (MB) in Brasilien kann ihre Wurzeln bis ins heutige Russland und die Ukraine zurückverfolgen. Die russischen Mennoniten des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts erlebten erhebliches Wachstum in der Bevölkerungszahi und des Wohlstandes. Im Jahre 1920 waren etwa 120000 Mennoniten über mehr als fünfzig Kolonien in der Ukraine und Sibirien verstreut. Die florierende Wirtschaft ermöglichte städtische und bildende Programme wie nirgendwo anders in der Mennoniten- welt zu der damaligen Zeit. Auch wenn für die Mehrheit der russischen Mennoniten das frühe zwan¬ zigste Jahrhundert eine Zeit des Wachstums und zumindest des Potentials auf Wohlstand war, gab es bei der Mehrheit russischer Bauern wirtschaftliche, sozi¬ ale und politische Unzufriedenheit, die die Oktoberrevolution 1917 auslöste. Die kommunistische Revolution und ihre chaotischen Folgen brachten unerträgli¬ ches Leid für viele Mennoniten mit sich, die wohlhabenderen Mennoniten inbe¬ griffen. Die wirtschaftlichen Verluste, der soziale Aufruhr und der zunehmende Verlust religiöser Freiheit überzeugten viele Mennoniten davon, dass sie Russland verlassen müssten. Zwischen 1923 und 1927 fand ein großer Exodus statt, den¬ noch blieben viele aus unterschiedlichen Gründen zurück. Danach wurde es viel schwieriger Visa zu erhalten. 1929 flohen 14000 Mennoniten nach Moskau um Visa zu erhalten, jedoch waren nur 6000 erfolgreich. Die, die nach Hause zurück¬ kehrten, litten unter immer stärkerer Unterdrückung der grausamen Diktatur Stalins. Viele kamen nicht zu Hause an, sondern wurden ins Gefängnis oder ins Exil mit harter Arbeit geschickt. Alle, denen es gelang zu entkommen, entdeck¬ ten, dass die Einreise nach Kanada schwieriger geworden war, und somit wan- derte die Mehrheit nach Paraguay und Brasilien aus. Ende des Jahres 1929 verließen die ersten 1240 Mennoniten, mit einem Kredit für die Reise von der deutschen Regierung, mit Vorräten des Deutschen Roten Kreuzes und mit Krediten für Ländereien von der Hanseatischen Kolonisations- Gesellschaft, Deutschland und siedelten sich im Bundesstaat Santa Catarina im 280 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Süden Brasiliens an. 1934 kamen weitere 180 Flüchtlinge über Harbin in China in Brasilien an.’^ Somit begann ein weiteres Kapitel in der Mennonitengeschichte. Anfänge Die erste Einwanderersiedlung mit Namen Witmarsum wurde 1930 gegründet und liegt im unberührten südtropischen Urwald in der Nähe der heutigen Stadt Presidente Getülio, Weitere landwirtschaftliche Siedlungen von mennonitischen Einwanderern entstanden im nahegelegenen Auhagen, und später in Curitiba, Palmeira, Guarituba, Cleveländia, Lapa (alle im Bundesstaat Parana), Colönia Nova (Bundesstaat Rio Grande do Sul) und Concördia (Bundesstaat Bahia). Hauptsächlich entstanden diese aus wirtschaftlicher Notwendigkeit, viele Men- noniten zogen auch in städtische Zentren wie Blumenau, Curitiba und Säo Paulo. Die frühen Jahre waren von einem Kampf ums Überleben und dem Aufbau der Siedlungen gekennzeichnet. Die Flüchtlinge waren deutschsprachige Einwan¬ derer aus der Sowjetunion, die jetzt in einem portugiesischsprachigen Land, auf einem lateinamerikanischen Kontinent waren. Sie waren erfahrene Bauern der fruchtbaren Prärie Russlands gewesen, aber nun mussten sie geeignete Pflanzen zum Anbau im unberührten und hügeligen Wald finden. Im Kern ihrer Identität hatten sie einen evangelikalen Täuferglauben, der sich nun inmitten von Katho¬ lizismus und Spiritismus wiederfand. Einige entschlossen sich letztendlich, Bra¬ silien zu verlassen und nach Deutschland oder Kanada zu gehen. Die meisten blieben aber, trotz der Unsicherheit und Angst. Wenn man zurückblickt, kann man wirklich Gottes Eingreifen in der Geschichte sehen, wie er diese Mennoniten aus Russland heraus brachte. Die Mennoniten, die Russland verlassen hatten, waren sich bewusst, dass Gott sie mit einer Aufgabe in ein neues Land brachte. Warum einige ihrer Verwandten keine Erlaubnis erhielten das Land zu verlassen, konnte nicht einfach beantwortet werden, weder von denen, die heraus kamen, noch von denen, die dort blieben. Jedoch würde sicherlich die Aufgabe „Licht“ in einem neuen Land zu sein, einen Teil der Frage beantworten. Sie waren dankbar für Brasilien, dem Land, das seine Arme für sie geöffnet hatte, und für die Freiheit Gott anzubeten. Auf dem zweiten Schiff, das sich auf dem Weg von Deutschland nach Bra¬ silien befand, war eine Gruppe Mennonitenflüchtlinge, die von den Ältesten 73 Abram Friesen und Abram L&ven, Escape Across the Amur River, übersetzt von Victor G. Doerksen (Win¬ nipeg, MB: CMBC Publications, MMHS, 2001) DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN BRASILIEN 281 Jacob Hübert und Heinrich Ekk geleitet wurde. Diese begannen eine separate Mennoniten Brüdergemeinde zu organisieren. Bei der Ankunft in Brasilien im März 1930 begegneten einige, die dachten, es solle nur eine vereinte Mennoni- tengemeinde in diesem neuen Land geben, dieser Entscheidung mit Widerstand. Jedoch beharrte diese Gruppe Mennoniten Brüder darauf und wuchs, weil „viele der Siedler sich bekehrten und sich dieser Gruppe von Gläubigen anschlossen.“^^ Die gegründeten Ortsgemeinden in den ersten Jahren waren ein direktes Ergeb¬ nis der Siedlungsanfänge, die oben beschrieben wurden. Für gewöhnlich bauten die Siedler eine Schule, die an Wochenenden auch als Gemeindehaus diente. Die erste Gemeinde mit den Namen Waldheim, benannt nach dem Dorf in Russland, wurde in der Siedlung Witmarsum gegründet und von Hübert und Ekk geleitet. Höhepunkte in der Entwicklung der Mennoniten Brüdergemeinde Brasiliens Mit der gleichen Auswanderungswelle, die Tausende Mennoniten 1929 dazu führte aus Russland zu fliehen, fand eine noch größere Gruppe eine Heimat in Paraguay. Die Mennoniten Brüdergemeinde wurde dort auch 1930 gegründet. Ähnlichkeiten in Herkunft, Glaube, Traditionen und Kultur führten die Menno¬ niten Brüdergemeinden in Brasilien und Paraguay zu einer besonderen Bezie¬ hung zueinander. 1948 verbanden sich die Mennoniten Brüdergemeinden in Paraguay und Brasilien und bildeten die Südamerikanische Mennoniten Brü¬ derkonferenz unter der Leitung von Kornelius Voth (Paraguay) und Gerhard H. Rosenfeld (Brasilien). Das Ziel war eine engere Gemeinschaft zu fordern, Einheit in der Lehre beizubehalten und Dienste zu entwickeln, die man besser zusammen durchführen könnte. Am Ende des gleichen Jahres beantragte die Südamerikani¬ sche Mennoniten Brüderkonferenz die Zugehörigkeit zur Generalkonferenz der Mennoniten Brüdergemeinden in Nordamerika. Diese Zugehörigkeit festigte die Zusammenarbeit zwischen süd- und nord¬ amerikanischen Mennoniten Brüdern weiter. Eine solche Zusammenarbeit hatte schon in den frühen 1940ern begonnen, als Jacob und Anna Unruh, anfangs als unabhängige Mennoniten Brüdermissionare mit einem Waisenhaus, das von der Heilsarmee unterstützt wurde, zusammenarbeiteten. 1946 kehrten sie als Menno¬ niten ßrüdermissionare, die von der Konferenz finanziert wurden, aus den USA 74 Jacob J. Toews, The Mennonite Brethren Mission in Latin America (Frcsno, CA; Board of Christian Literature of the Generalkonferenz of the Mennonite Brethren Church, 1975). 24 282 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE zurück mit dem Auftrag ein Waisenhaus in Zusammenarbeit mit den Menno- niten Brüdergemeinden um Curitiba herum zu gründen. Das Waisenhaus, das 1947 gegründet wurde, war das erste oflizieile Missionsprojekt der Mennoniten Brüder in Brasilien. Zusätzlich dazu, dass hunderte obdachlose Kinder mit dem Evangelium erreicht wurden und eine Vision für Mission in den Einwanderer¬ gemeinden entfacht wurde, entstanden mindestens vier Mennoniten Brüderge¬ meinden als direktes Ergebnis dieses ganzheitlichen Dienstes. Die Nord-Süd- Kooperation in der Missionsarbeit setzt sich bis heute fort und beinhaltet auch theologische Ausbildung. 1960 kamen die deutschsprachigen Gemeinden, die jetzt über vier Bundes¬ staaten verteilt war, unter der Leitung von Hans Kasdorf zusammen, um die Ver¬ einigung der Mennoniten Brüdergemeinden Brasiliens zu bilden. Sie listeten vier Ziele für die Existenz dieser Gruppe auf: 1) Gleichheit in der biblischen und theologischen Lehre; 2) geistliche Gemeinschaft und gegenseitige Ermutigung; 3) bildende Konferenzen für Gemeindemitarbeiter; 4) Stärkung einer gemeinein¬ samen Missionsvision.” Das letzte Ziel drückte sich besonders in den folgenden zwei Jahrzehnten aus, als zahlreiche Gemeinden, insbesondere im Bundesstaat der ersten Einwanderer Santa Catarina, gegründet wurden. Die Bildung der Brasilianischen Konvention der Mennoniten Brüdergemein¬ den entstand aus der wachsenden Anzahl der portugiesischsprachigen Gemein¬ den, die durch die Zusammenarbeit mit der Vereinigung und der Gemeinde¬ gründung der MBMSI entstanden. 1966 verbanden sich diese Gemeinden und organisierten sich unter der Leitung von Dietrich Reimer. Der Gründe, warum diese Gruppe von Gemeinden sich nicht der Vereinigung anschloss, waren pri¬ mär die sprachlichen und kulturellen Unterschiede. Die Konvention beschrieb ihre Ziele mit „geistlicher Einheit erhalten, Gemeinden bei Evangelisation und christlicher Bildung unterstützen und alle Heimat- und Fremdmissonspro- gramme von portugiesischsprachigen Mennoniten Brüdergemeinden in Brasi¬ lien zu fördern und zu überwachen.“” Da die sprachlichen und kulturellen Unterschiede nach und nach abnahmen, verbanden sich die deutschsprachige Mennoniten Brüdervereinigung und die portugiesischsprachige Mennoniten Brüderkonferenz 1995 zur Brasilianischen Konferenz der Evangelikalen Mennoniten Brüdergemeinden, oder COBIM. Der 75 Kasdotf, Hans, Design of MyJourney: A Autobiography {Fresno; Center for Mennonite Brethien Studies. 2004). 240. 76 Heinrich Esau, „Mennonite Brethren Mission in Brazil“ (M.R.E. Thesis, Mennonite BibÜcaJ Seminary, 1972), 80. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN BRASILIEN 283 erste gewählte Moderator war Ernesto Rudolfo Wiens. Ihre Ziele sind: 1) gegen¬ seitige Gemeinschaft; 2) Einheit in der Lehre; 3) evangelistische Missionsarbeit; und 4) Zusammenarbeit in sozialer Arbeit und Bildung. Eine Studie über die Mennoniten Brüderpräsenz in Brasilien, die über etwa siebenundsiebzig Jahre ging, beschreibt eine Reihe von Perioden ihrer Entwick¬ lung und Ausbreitung. Zuerst die Anfangszeit von 1930 -1946, eine Periode des Überlebens und des Sesshaftwerdens. Missionsarbeit war ausgerichtet auf Kinder und Jugendliche sowie auf noch nicht bekehrte einwandernde Mennonitensied- 1er. Danach, ab 1947, schloss sich eine Periode der Missionsanstrengungen an. Eine Erweckung in der ursprünglichen Gemeinde Witmarsum, die 1947 durch einen verheerenden Gewittersturm ausgelöst wurde, führte zum Verlangen nach Bibelstudium, Bekehrung und Evangelisation.^’ Im gleichen Jahr wurde auch das Waisenhaus in Curitiba eröffnet, ein Vorgehen, das beträchtüches Interesse, Gelegenheit und Ausübung von Mission entfachen sollte. Diese Periode ging bis zum Ende des Jahrzehnts der 1950er, als MBMSI und örtliche deutschsprachige Gemeinden Schulen und Gemeinden gründeten. Die 1960er und 1970er Jahr¬ zehnte waren schließlich Jahre der fruchtbaren Ausbreitung, besonders in den Bundesstaaten Santa Catarina und Parana. Es wurden funfunddreißig Gemein¬ den gegründet, neue Missionsfelder erreicht und neue Methoden ausprobiert (z.B. Sättigungs-Evangelisation). Man könnte sagen, dass während dieser Jahr¬ zehnte Missionsausbreitung der Motor der Mennoniten Brüdergemeinde war. Zuletzt schien sich der Fokus während der 1980er und besonders der 1990er auf Festigung verschoben zu haben. Deswegen wurden weniger Gemeinden gegrün¬ det, viele wurden geschlossen und mindestens eine Region verzeichnete einen Rückgang. Die Mennoniten Brüdergemeinde hat in ihrer brasilianischen Version, als auch durch die nordamerikanische Missionsgesellschaft MBMSI immer versucht den Missionsauftrag und das höchste Gebot Jesu ernst zu nehmen. Schon in den 1930ern begann man mit ersten Ansätzen ganzheitlicher Missionsarbeit. In den letzten siebzig Jahren ist dies in viele verschiedene Richtungen gegangen, dazu gehört Arbeit mit Kindern, Bildung, Gesundheitsdienste und Krisenbewältigung. Das erste offizielle Beispiel von ganzheitlicher Missionsarbeit war die Arbeit mit Kindern. Das Waisenhaus, das oben erwähnt wurde, hieß Heim für Kinder und wurde bis 1966 betrieben. Seit den 1970ern haben mindestens vier Ortsge- 77 Ebd.,21. 284 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE meinden mit institutioneilen Diensten zur Hilfe von hilfsbedürftigen und versto¬ ßenen Kindern begonnen und haben diese weiterentwickelt. Eine andere Art, wie die Mennoniten Brüder stark mit Kindern gearbeitet haben, sind christliche Schulen. Mehrere christliche Schulen woirden aufgrund der Initiativen von Eltern, Lehrern und Missionaren der Mennoniten Brüder gegründet. Indem die Schulen auch nichtchristliche brasilianische Kinder auf- nahmen, sind sie einer fundamentalen Not gerecht geworden, nämlich eines christlichen Zeugnisses. Dieses christliche Zeugnis konnte normalerweise am Charakter der Lehrer, an einer christliche Weltanschauung im Lehrmaterial, im biblischen Pflichtunterricht und in täglichen Andachtszeiten mit christlicher Musik und biblischen Ansprachen wahrgenommen werden. Die von der MB initiierten Schulen begannen in Curitiba (Erasmo Braga, Willy Janz) und Colonia Nova (Menno Simons). Darüber hinaus wurden christliche Schulen von Menno- niten-Gemeinden in Curitiba (Erasto Gaertner) und Witmarsum im Bundesstaat Parana (Fritz Kliewer) gegründet. Christliche Gesundheitsdienste spielten auch eine Rolle bei der Entwick¬ lung und der Evangelisation der Mennoniten Brüdergemeinden. Schon in den 1950ern begann die Siedlung Colonia Nova eine Klinik zu unterstützen, die später sich zu einem kleinen christlichen Gemeinschaftskrankenhaus entwi¬ ckelte. In den 1960ern dienten Mennoniten Brüderkrankenschwestern (von der MBMSI gesandt) im Evangelikalen Krankenhaus in Curitiba. Örtliche Menno¬ niten Brüderpastoren dienen auch heute noch als Geistliche in diesem Kranken¬ haus. Genauso wie beim Start der christlichen Schulen, arbeiteten die deutsch¬ stämmigen Mennoniten Brüder auch beim Start der Gesundheitsdienste mit den deutschstämmigen Mennoniten zusammen. Unter den Werken sollten folgende erwähnt werden: das Krankenhaus in der Siedlung Witmarsum; ein zweites Kran¬ kenhaus in der Siedlung Witmarsum (Bundesstaat Parana); ein intermennoniti- sches Seniorenheim (Bethesda) in Curitiba und ein gemeinschaftlicher psychi¬ scher Gesundheitsdienst (Menno Simons-Therapiezentrum), auch in Curitiba. Mehr als die anderen vier Mennonitendenominationen in Brasilien, haben sich die Mennoniten Brüder in besonderer Weise der Ausbildung von Gemein¬ demitarbeitern und theologischer Ausbildung gewidmet. Diese Betonung zeigte sich auf gemeindlicher, inoffizieller und offizieller Ebene. Gemeindlich beruhte die Ausbildung von Gemeindemitarbeitern auf Mentoring, wöchentlicher Gemeindelehre (z.B. Sonntagsschule) und jährlichen Veranstaltungen (z.B. Frei¬ zeiten und Konferenzen). Die inoffizielle Ausbildung ist gewachsen und beinhal¬ tet Praktika, Intensivkurse, Seminare und Ausbildung auf besonderen Veranstal- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN BRASILIEN 285 Lungen (z.B. Kampagnen). Dabei waren Mennoniten Brüder am stärksten in der offiziellen theologischen Ausbildung involviert. Schon im Jahr 1947 entstand eine Bibelschule in einer Ortsgemeinde. 1956 gründete die zuvor erwähnte Südame¬ rikanische Mennoniten Brüderkonferenz ein mobiles Bibelinstitut, das zwischen Brasilien und Paraguay pendelte und auch der uruguayischen Gemeinde diente. 1961 gründeten die deutschstämmigen Gemeinden dieser Länder ein Evange- likales Theologisches Institut, und die MBMSI startete das Bibelinstitut Parana um den portugiesisch sprechenden Gemeinden zu dienen. Diese beiden Schulen waren in Curitiba und arbeiteten bis 1972 getrennt voneinander. In diesem Jahr verschmolzen sie und wurden zum Mennoniten Brüderbibelinstitut und -Semi¬ nar (ISBIM). Diese Schule bildete in über dreißig Jahren bis 2003 verschiedenste Gemeindeleiter aus. 2003 wurde das Fidelis College durch die Partnerschaft mit vier weiteren Täufergruppen gegründet, ein College mit der Vision, höhere Bil¬ dung in Theologie und anderen Berufen anzubieten, war. Zuletzt haben die Men¬ noniten Brüdergemeinden in der Region Säo Paulo seit 1990 zweimal versucht ihr eigenes Trainingszentrum aufzubauen. Das erste war das Mennoniten Brü¬ dertrainingszentrum (CENTRIM) und dann 2005 das Paulistana Bibelcollege. Keines der beiden Zentren besteht heute noch. Der aktuelle Stand der Mennoniten Brüdergemeinde in Brasilien Ortsgemeinden Die Mennoniten Brüder in Brasilien wissen, dass Jede nationale Gemeindekon¬ ferenz mit Ortsgemeinden beginnt. Wie bei Familienmitgliedern haben diese Gemeinsamkeiten, sind aber auch verschieden. Im Falle der brasilianischen Men¬ noniten Brüderortsgemeinden reichen sie von historischen Gemeinden, die in den 1930ern gegründet wurden bis zu 2007 gestarteten Gemeindegründungen, Einige sind groß und etabliert mit über 700 Mitgliedern, andere dagegen sind zarte, kleine Gemeindegründungen mit weniger als fünfundzwanzig Mitgliedern. Obwohl sie den gleichen Gott anbeten und danach streben ihm treu zu dienen, reichen die Stile der Anbetung von formell und traditionell bis informell und zeitgenössisch. Teilweise sind die Persönlichkeiten der Ortsgemeinden von ihrer Lage beeinflusst. Mennoniten Brüdergemeinden in Brasilien sind gleichmäßig zwischen kleinen Städtchen und Großstädten verteilt. Obwohl mindestens fünf Ortsgemeinden Gottesdienste in Deutsch sowie Portugiesisch haben, so führen 286 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEiNDE die meisten der fünfundsiebzig Mennoniten Brüdergemeinden selbständig ihre Gottesdienste und ihre Arbeit in Portugiesisch durch. Folgende Dienstbereiche sind t)'pisch für eine Ortsgemeinde: Gottesdienst, Kleingruppen, Jugend, Gebet, Sonntagsschule und Freizeiten (für Jugend, Ehe¬ paare, Frauen, Leitung etc.). Die Kleingruppen sind von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich, einige sind traditionell geblieben (Frauen, Männer, Jugend, Ehe¬ paare), während andere Hauskreise benutzen (auch Familien- oder Zellengrup¬ pen genannt) um zu evangelisieren und die Teilnehmer zu ermutigen. Zuletzt sind einige Gemeinden mit großen und schönen Gebäuden ausgestattet, während andere sich damit zufrieden geben in gemieteten Räumen und den Häusern der Mitglieder zu wachsen. Die Mennoniten Brüdergemeinden in Brasilien wollten in der Anbetung, Lehre, Gemeinschaft und Mission einheitlich sein, aber sind auf keinen Fall in ihrer Ethnizität, Persönlichkeit und Dienste gleich. In den letz¬ ten Jahren wurde diese Unterschiedlichkeit eher gefeiert, als das es ein Grund für Streit gewesen wäre. Regionalisierung Die COBIM hat kleinere „Regionen“ (Bezirkskonferenzen) zur Stärkung der Gemeinschaft und zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen örtlichen Gemeinden in verschiedenen Dienstprojekten geschaffen, Im Moment gibt es sechs Regionen. Sie liegen in den fünf südlichen Bundesstaaten Brasiliens, näm¬ lich in Rio Grande do Sul (RS), Santa Catarina (SC), Parana (PR, zwei Regionen), Säo Paulo (SP) und Mato Grosso do Sul (MS). Wenn auch die Mennoniten Brüdergemeinden weiter in ihrer Größe und Reife wachsen, gibt es tendenziell noch mehr zu regionalisieren. Somit wird es im Moment so gehandhabt, dass Ortsgemeinden Unterstützung und Überwachung auf regionaler Ebene erhalten. Es entstehen regionale Projekte, wie Gemeinden und Zeltlager, und mehr Regionen führen Freizeiten für besondere Gruppen, wie Jugend oder Frauen, durch. Nationale Organisation Die Brasilianische Konferenz der Evangelikalen Mennoniten Brüdergemein¬ den (COBIM) ist die Mutterorganisation vieler kleinerer Strukturen, von denen einige rechtlichen Status haben und andere inoffiziell arbeiten. Die COBIM ist wie folgt organisiert: ^ Exekutivrat (Präsident, Vizepräsident, zwei Schatzmeister, zwei Sekretäre) DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN BRASILIEN 287 -> Pastoraler Rat (beaufsichtigt pastorale, theologische und ethische Angelegenheiten) -> Missionsrat (stattet lokale/regionale Bemühungen aus; sponsert neue/inter¬ nationale Felder) Vermögens-ZBaurat (überwacht steuerliche Angelegenheiten und führt interne Prüfungen durch) -> Willy Janz-Schulrat (beaufsichtigt die örtliche Grundschule in Curitiba) Koordinator für Jugendarbeit (Verwaltungsperson) -> Koordinator für Frauenarbeit (Verwaltungsperson) Statistiker (für die nationale Konferenz) -> Wahlkommission (koordiniert Nominierungen für die oben genannten Positionen) Einen wichtigen Anteil an der Erhaltung der Einheit, der Jüngerschaft der Gläu¬ bigen und der Förderung des Informationsflusses hat die Zeitschrift Irmäos em Afrto (Brüder in Aktion). Zurzeit ist es eine sechzehnseitige Zeitschrift, die an alle Gemeinden der Konferenz und andere ohne Verbindung zur COBIM gesandt wird. Zu den regelmäßigen Berichten darin gehören Leitartikel, Andachten und Ethikartikel, Ausrüstungen für den Dienst der Ortsgemeinden (Anbetung, Jugend, Familie, Mission) und Neuigkeiten aus Regionen und Gemeinden. Die Beiträge werden von Mennoniten Brüdern und nicht-MB Autoren gesammelt. Die Faculdade Fidelis (Fidelis College) ist das Ergebnis von langjährigen Überlegungen, die letztendlich 2003 in der offiziellen Gründung des Colleges endeten. Sie wird von der COBIM, drei weiteren täuferischen Denominationen (Mennonitengemeinde, Evangelikale Mennonitengemeinde, Evangelikale Frei¬ kirche) und einer intermennonitischen Bildungsstiftung finanziert. Sie ist ein Teil des gut ausgestatteten Campus der Erasto-Gaertner-Schule, die von der oben erwähnten Stiftung finanziert wird. Zur Zeit bietet Fidelis Bachelor und Master Studiengänge in Theologie an. Jedoch gibt es schon Gespräche darüber weitere Kurse für andere Berufe einzuführen. Das College ist vom Bundesministerium für Bildung und Kultur anerkannt. 288 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Leitung Es ist erfreulich zu sehen, dass sich die großen Investitionen der brasilianischen Mennoniten Brüder in formales Leiterschaftstraining in den letzten Jahrzehn¬ ten ausgezahlt haben. Von der Ortsgemeinde bis zur nationalen Konferenz ist die COBIM mit höchst begabten und gut ausgebildeten Leitern gesegnet. In früheren Jahrzehnten gab es einen Überfluss an Evangelisten und Gemeinde- gründern.^* Jedoch befanden sich in den späteren Jahren vorwiegende pastorale Leiter in höheren Leitungspositionen. Die meisten Pastoren haben theologische Abschlüsse und die meisten derer, die keinen haben, haben am Bibelinstitut stu¬ diert. Eine wachsende Anzahl an Pastoren und Lehrern haben Ausbildungen auf Magisterebene von brasilianischen oder ausländischen Seminaren. Eine Reihe von brasilianischen Mennoniten Brüderleitern hat am MBBS in Fresno studiert. Da immer mehr Mennoniten Brüdergemeinden in den Städten wachsen, stre¬ ben viele Mitglieder danach neben einer theologischen Ausbildung auch einen Abschluss von öffentlichen Universitäten zu erhalten, um sich damit für Lei¬ tungsfunktionen zu qualifizieren. In einer Reihe von Gemeinden findet man Geschäftsführer, Manager, Lehrer und Unternehmer. Außerdem ist wichtig zu erwähnen, dass begabte und ausgebildete Leiter nicht nur in Gemeinden der Mit¬ telschicht zu finden sind, sondern auch in Gemeinden der Arbeiterklasse. Während sich in der Vergangenheit die ausgebildete Leitung aus Mitgliedern deutschstämmiger Herkunft zusammensetzte, so sind in den letzten Jahren, wenn auch langsam, lateinamerikanische Brasilianer zu Leitern und einflussreichen Entscheidungsträgern herangewachsen. Ethnische Beziehungen Es ist gut kurz über die ethnischen Beziehungen zu sprechen, da die Mennoniten Brüdergemeinde in Brasilien eine Einwanderungsgemeinde und nicht primär ein Ergebnis von Missionsbemühungen war, obwohl missionarische Ausrichtung schon immer ein wesentlicher Teil der Mennoniten Brüderidentität seit ihrer Entstehung 1860 gewesen war. Da ist die Geschichte in Brasilien nicht anders. Russlanddeutsche Mennoniten sind seit über siebzig Jahren in Brasilien. Akkulturation, der Prozess von Kulturveränderung, der in einer Gruppe stattfin- 78 Victor H. Wiens, „FromReftigeesloAmbassadors; Mennonite Mission in Brazil. 1930-2000“(PhDdisserta- tion, Füller Theological Seminary, 2002), 279. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN BRASILIEN 289 det, die dauerhaft mit einer anderen kulturellen Gruppe wechselwirkt, schreitet fort. Zurzeit sind die meisten deutschstämmigen Mennoniten Brüder in der zwei¬ ten oder dritten Generation. Praktisch alle sprechen fließend Portugiesisch. Viele nehmen ungezwungen an kulturellen Traditionen, die typisch brasilianisch sind, teil, wie zum Beispiel an der Leidenschaft für Fußball oder dem Trinken von chi- marräo, einem heißen Teegetränk, im Familien- oder Freundeskreis durch einen gemeinsamen Strohhalm aus einem Kürbisbecher. Ein starkes Zeichen für die Akkulturation ist die portugiesische Ausbildung der Kinder, obwohl Deutsch in den Schulen, die von deutschsprachigen Einwanderern gegründet worden waren, als zweite Sprache verlangt wird. Obwohl der Prozess der Akkulturation auf einem guten Weg ist, wird eine komplette Assimilation von den deulschstämmigen Mennoniten Brüdern nicht akzeptiert. Zur Assimilation gehört ein Prozess der sozio-kulturellen Fusion oder Vermischung, wobei eine Gruppe völlig von der anderen absorbiert wird, sodass man praktisch keinen Unterschied mehr sieht. Die Ablehnung der völligen Assi¬ milation kann man besonders gut bei denen, die noch in den Einwanderungssied¬ lungen geblieben sind, feststellen. Dort werden deutschsprachige Gottesdienste weitergeführt, sowie Deutsch in portugiesischsprachigen Schulen unterrichtet und soziale Kontakte primär im deutschsprachigen Umfeld gepflegt. Für einige sind die Grenzen zwischen kulturellen Traditionen und Glaubenstraditionen getrübt, was zu Identitätsschwierigkeiten, wenn nicht Krisen, führt. Nichtsdes¬ totrotz nimmt die Assimilation unweigerlich zu. Viele der jüngeren deutschstäm¬ migen Mennoniten Brüderfamilien benutzten Portugiesisch als Hauptsprache zu Hause. Die Heirat mit nicht deutschstämmigen Partnern ist verbreitet. Das Stre¬ ben nach höherer Bildung kann meistens nur in brasilianischen Universitäten (darunter auch römisch-katholisch finanzierten) erfüllt werden. Die Beziehungen zwischen deutschstämmigen und lateinamerikanischen Mennoniten Brüdern in Brasilien waren bisher normalerweise immer brüder¬ lich und kooperativ. Gelegentliche Konflikte haben keine großen Krisen ausge¬ löst. Der Zusammenschluss der deutschsprachigen Mennoniten Brüdervereini¬ gung und der portugiesischsprachigen Mennoniten Brüderkonferenz 1995 war teilweise deshalb erfolgreich, weil es immer weniger kulturelle Unterschiede gab. Wie in einer Ehe haben die deutschstämmigen und lateinamerikanischen Men¬ noniten Brüder jeweils etwas zur brasilianischen Mennoniten Brüdergemeinde beigetragen und sie zu dem gemacht, was sie heute ist. Der Beitrag der deutsch¬ stämmigen Mitglieder bestand zum größten Teil aus Beiträgen im Bereich der Leitung, finanzieller Unterstützung, lehrmäßiger und administrativer Stabilität 290 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE und Gemeindegründung. Der lateinamerikanische Beitrag bestand eher in Evan¬ gelisation, kultureller Identitätsbildung und Förderung von Ortsgemeinden. Missionsbemühungen Wie schon angedeutet geht ein Großteil der Geschichte der Mennoniten Brü¬ dergemeinde in Brasilien mit der Geschichte ihrer Missionsbemühungen einher. Jedoch muss darüber noch mehr erzählt werden, um bestimmte Lücken zu füllen und neueste Entwicklungen zu erklären. Für den größten Beitrag zur Mennoniten Brüdermissionsgeschichte in Brasi¬ lien waren die unterstützenden Gruppen, z. B. die nordamerikanische Missions¬ gesellschaft (MBMS International), die nationalen Konferenzen und die Ortsge¬ meinden verantwortlich. In diesem Jahrzehnt sind zwei weitere Gruppen dazu gekommen, und zwar regionale Gemeindeverbände und internationale Schwes¬ terkonferenzen. Mennoniten Brüder in Brasilien haben sich an verschiedenen Missionsakti¬ vitäten beteiligt, wie zum Beispiel an Evangelisation, Gemeindegründung, Arbeit mit Kindern, christlichen Schulen, Gesundheitsdiensten und an theologischer Ausbildung für Missionare. Die Hauptaklivitäten, die den größten Beitrag zum Bau des Reiches Gottes in Brasilien geleistet haben, waren wohl Evangelisation und Gemeindegründung. Heute sind über dreißig Gemeinden in der Grün¬ dungsphase. Das stimmt sicherlich mit der Betonung der Mennoniten Brüder auf persönliche Bekehrung und Zeugnis überein. Die Ortsgemeinden waren der Kern der meisten Missionsbemühungen. Es wurden mehr Gemeinden von „Muttergemeinden“ gegründet, als auf irgend¬ eine andere Art und Weise. Einige Gemeinden, wie zum Beispiel Boqueiräo und Xaxim in Curitiba oder Colönia Nova in Bage, sind zu „Mutter- oder Großmut¬ tergemeinden“ von sechs oder mehr neuen Gemeinden geworden. Über Jahrzehnte war dieses Mutter-Tochter Modell auf die großen deutsch¬ stämmigen Gemeinden beschränkt, während kleinere Gemeinden Hilfe von der Konferenz oder der MBMSI für Neugründungen brauchten. Heutzutage gilt weit¬ verbreitet, dass jede gesunde Gemeinde in der Gründung von neuen Gemein¬ den involviert sein kann und sollte, wenn nicht als einzelne Gemeinde, dann aber gemeinsam mit anderen Ortsgemeinden. Deshalb sind regional vernetzte Gemeinden zunehmend bei der Gründung von neuen Gemeinden in ihrer Region beteiligt. Das ist der Fall in Rio Grande do Sul, Säo Paulo und Santa Catarina. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN BRASILIEN 291 Nach dem Zusammenschluss 1995 zur COBIM gab es eine kurze Periode, in der die nationale Konferenz keine Missionsarbeit finanzierte. Man könnte sagen, dass das Pendel von dem, was einige als eine zu große Abhängigkeit von konferenzfinanzierter Ivlissionsarbeit ansahen, zu der Ortsgemeinde als einzig möglichen Sponsor für Missionsarbeit geschwungen war. Diese Reaktion wurde durch die Gründung eines nationalen Missionsrats korrigiert. Der Rat versucht neue Missionsarbeit in Gegenden außerhalb der bestehenden Ortsgemeinden oder Regionen zu schaffen, dazu gehört auch internationale Mission. Ein Beispiel dafür ist die Gemeinde in Iguassu Falls an der paraguayischen Grenze, wo eine gesunde neue Gemeine in Zusammenarbeit mit der paraguayischen Mennoniten Brüderkonferenz gegründet wurde. Angefangen in den 1990ern und zunehmend im letzten Jahrzehnt haben einzelne Mennoniten Brüdermitglieder, Ortsgemeinden und die COBIM damit begonnen sich an internationaler Missionsarbeit zu beteiligen. In den letzten Jahren haben Mennoniten Brüdermissionare aus Brasilien in Portugal, Angola, Senegal, Ecuador und Ost Timor gedient. Jemand Wunderbaren treffen Als wir Martins Appartement näher kamen, warnte mein christlicher Mitarbeiter mich, dass Martin nicht schön anzuschauen wäre. Wir traten ins Wohnzimmer und wurden freundlich von seiner Frau empfangen. Ich versuchte meine ersten inneren Windungen zu verstecken. Seine trüben Augen traten grotesk aus den Augenhöhlen. Seine Zunge ragte unkontrolliert aus seinem verformten Mund - wobei der obere Teil nicht mehr da war. Er versuchte mich zu begrüßen. Ich konnte nur zusammenhangslose Silben hören, die von wilden Gesten begleitet waren. Was tat ich hier? Wie würde ich mich mit diesem Mann verständigen? Vor zwanzig Jahren hatte ihn der grüne Star erblinden lassen. Weitere Krank¬ heiten folgten und raubten ihm systematisch die Fähigkeit, für sich selbst zu sor¬ gen. Obwohl seine Sprache gänzlich unverständlich schien, so konnte seine Frau die zusammenhangslosen Silben zusammenstellen und den Sinn verstehen. Während wir sprachen, nahm mich Gott in seiner Gnade hinter die physi¬ sche Erscheinung zum suchenden Herzen. Martin, ein nominell religiöser Mann, wollte unbedingt Jesus kennenlernen. Ich nahm ihn auf den bekannten Weg, der zum Retter führt, mit. 292 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Als wir beteten füllten Tränen seine Augen. Sein Gesicht strahlte. Jesus, der das Herz hinter unseren Gesichtern kennt, machte Martin an diesem Tag zu einer neuen Kreatur. Die Schönheit Jesu war in ihn hineingekommen. Ray Harms-Wiebe True Life, S. 65 Probleme und Herausforderungen Gesellschaftliche Einßüsse Wenige Mennoniten Brüder in Brasilien würden leugnen, dass Gott bestimmte Aspekte der brasilianischen Kultur genutzt hat um zum Wohlergehen der Gemeinde beizutragen. Dazu gehören die Gelegenheit seinen Lebensunterhalt in einer relativ stabilen Gesellschaft zu verdienen, die Chance auf formae Bil¬ dung und die Freiheit, Gott zusammen mit Jungen und Alten anzubeten und ihm zu dienen. Gleichzeitig sind es weltliche Einflüsse, die den Werten des Königreiches Got¬ tes widersprechen allgegenwärtig und dabei ist Brasilien keine Ausnahme. Aus Platzgründen können nur wenige, die besonders für die Mennoniten Brüder her¬ ausfordernd waren, erwähnt werden. Die brasilianische Gesellschaft ist sehr materialistisch geworden. Dieser Mate¬ rialismus ist in den städtischen Zentren am offensichtlichsten. Jedoch bringen die Massenmedien (Radio, TV, Internet) das Beste und Schlechteste des Stadtlebens zur entlegensten Farm. Manchmal setzt man sich unabsichtlich der Gefahr aus, wie z. B. wenn gierige Arbeitgeber Gläubige dazu zwingen während der Zeiten des Gottesdienstes und der Gemeinschaften zu arbeiten und dadurch ihren Glau¬ ben schwächen und ihr Mitwirken im Gemeindeleben minimieren. In anderen Fällen ist die Gefahr selbst gewählt, so wie wenn ein Gemeindemitglied sich dafür entscheidet während der Gemeindeveranstaltungen zu arbeiten, nur Überreste als Spende gibt (als ob irgendw'as vom Einkommen überbleibt) oder sich immer wieder darauf ausrichtet sein eigenes Haus anstelle des Hauses Gottes zu bauen. Über Jahrhunderte war die katholische Kirche die dominante Gestalt im reli¬ giösen Umfeld sowie auch in der gesamten Gesellschaft. Veränderung begann im späten zwanzigsten Jahrhundert. Diese Abnahme an religiösem Einfluss und die zunehmende Säkularisierung leitet die brasilianische Gesellschaft in Richtung eines ethischen Desasters. Eheliche Untreue und zerbrochene Familien sind all¬ täglich. Homosexualität wird nicht nur toleriert, sondern auch gefeiert (in Säo DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN BRASILIEN 293 Paulo gibt es die größte Schwulenparade). Es werden ernste Gespräche unter den Politikern darüber geführt Abtreibung zu legalisieren. Korruption ist auf allen Ebenen der Gesellschaft wiederzufinden. Unweigerlich haben sich einige dieser Einflüsse auch in die Gemeinde eingeschlichen. Christen im Allgemeinen und insbesondere Mennoniten Brüder finden sich inmitten von scheinbar überwälti¬ genden ethischen und moralischen Schwierigkeiten wieder. Gewalt ist eine weitere Herausforderung, der die Mennoniten Brüder gegen¬ überstehen. Das gilt besonders für die erhebliche Anzahl derer, die in den städ¬ tischen Zentren Curitiba und Säo Paulo wohnen. Ein Großteil der Gewalt ist auf organisiertes Verbrechen im Zusammenhang mit Drogen zurückzuführen, aber häufig ist es gängige Gaunerei. Auch Gemeindehäuser werden nicht verschont. Dies ist ein wachsendes Problem, und zwar in Sachen persönlicher Sicherheit und bei der Frage, wie Mennoniten Brüder als friedliebende und friedenstiftende Gemeinschaft darauf reagieren sollten. Religiöse Einflüsse Jemand hat die evangelikale Gemeinde in Brasilien mal als „eine Meile weit und einen Zoll tief“ beschrieben. Man liest oft von phänomenalem Wachstum unter den Evangelikalen in Brasilien. Auf den ersten Blick stimmt das auch. Wenn man jedoch die Gesundheit und Reife von hunderttausenden Neubekehrten anschaut, so ist das Ergebnis alles andere als phänomenal. Als Evangelikale und Täufer legen wir Wert auf eine radikale Bekehrung, biblisches Verständnis von gemein¬ dezentrierter Jüngerschaft. Traurigerweise ist ein großer Teil des gegenwärtigen Wachstums auf diesen Gebieten elendig schwach und auch die Mennoniten Brü¬ dergemeinde leidet unter diesem flachen Christentum. Vielleicht noch bis vor fünfundzwanzig Jahren kritisierten die Evangelikalen die katholische Kirche für ihr nominelles Christsein. Heute müssen Evangelikale und darunter auch Men¬ noniten Brüder zugeben auf ihre eigene Art nominell zu sein. Das nominelle Christentum der Evangelikalen gründet zum Teil auf einer neuen religiösen Bewegung, die allgemein als Neupfingstlertum bekannt ist (auch als Wohlstandsevangelium bekannt). Gegenüber ihren Wurzeln in historischen Pfingstgemeinden unterscheidet sich diese Bewegung mindestens auf zwei Arten. Erstens ist das Zentrum ihres Evangeliums nicht die volle Hingabe an Gott um dadurch den Segen der Vergebung, Befreiung von persönlicher Sünde und das ewige Leben zu erhalten. Stattdessen ist es die Inanspruchnahme der Verspre¬ chen Gottes durch Glauben um Segnungen des Reichtums und der Gesundheit in diesem Leben zu erhalten. Zweitens sind ihre Gemeinden nicht ausgelegt irgend 294 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE jemandem gegenüber Rechenschaft abzulegen, weder für die Gemeindeleiter noch für die Mitglieder. Viele haben keine oflizielle Mitgliedschaft. Das ist keine kleine Bewegung. Den Befürwortern dieses „Evangeliums“ gehören ganze Radio- und Fernsehstationen und sie sind Profis im Marketing¬ bereich, die die Massen anziehen. Diese Bewegung ist eine Herausforderung für neuere Mennoniten Brüdergemeinden, die noch kein festes biblisches Funda¬ ment für ihr neues Leben haben, die von womderbaren Behauptungen angezo¬ gen sind, beeindruckt von zahlenmäßigem Wachstum, versucht durch materi¬ alistische Versprechungen und die mit der Realität des Leides im christlichen Leben kämpfen, Ein weiteres Problem, das erwähnt werden sollte, ist die wachsende Profes- sionalisierung der Leitung und des Dienstes. Genauso wie andere evangelikale Denominationen Brasiliens in der Vergangenheit legen die Mennoniten Brüder Wert auf höhere Bildung und die meisten Gemeinden verlangen, dass der Pastor ein theologisches Diplom hat. Im Allgemeinen sind diese Werte positiv und soll¬ ten auch unterstütz werden, jedoch müssen wir uns als biblische Täufer daran erinnern, dass Leitung im Dienst aus dem Charakter und der Begabung ent¬ springt und nicht aus den Abschlüssen, Positionen oder Titeln in der Gemeinde. Des Weiteren sind wir in einer Kultur, die ihre katholischen sowie spiritistischen Priester auf ein Podest erhebt, dazu herausgefordert uns daran zu erinnern, dass jeder im Königreich Gottes zum heiligen Priestertum berufen ist. Angesichts der Tatsache, dass es viele kleine Gemeinden und Gemeindegründungen gibt und die Lebensunterhaltskosten steigen, müssen brasilianische Mennoniten Brüder Pas¬ toren auswählen und bestätigen, die nebenberuflich dienen und nicht unbedingt einen Seminarabschluss haben. Vision für die Zukunft Die offizielle Visionsaussage, die von der COBIM 2005 verabschiedet wurde, lau¬ tet wie folgt: ...Um zu dem Organ der Menrioniten Brüdergemeinde in Brasilien zu werden, welches so strukturiert ist. dass es Anregungen zum Cemeindewachstum gibt, welches aktiv die Einheit der Lehre und des Glaubensbekenntnisses fördert, welches strategische Gemeindegründung und Leiterschaftstraining plant und welches Bildung, Ausweitung der Missionsarbeit. Integration und Gemeinschaft unterhalb von Kirchen, sowie soziale Aktivität fördert. Die oben genannte Vision ist von einem strategischen Plan für die Zeit von 2005-2010 begleitet. Inhalt dieses Plans ist eine Reihe von Zielen die zur Ent- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN BRASILIEN 295 Wicklung der Vision gehören. Diese Ziele beschreiben die folgenden Prioritäten; 1) Wachstum - das andauernde und ganzheitliche Wachstum von Ortsgemein¬ den; 2) Mission - die Förderung der Missionsvision und -praktik auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene; 3) Leitung - die Ausbildung von neuen Pastoren/ Leitern und die Fürsorge für und Erneuerung von bestehen¬ den Pastoren/ Leitern; 4) Regionalisierung - die Stärkung und beständige Ent¬ wicklung von neuen Regionalkonferenzen, wodurch das Fundament der COBIM durch Dezentralisierung erweitert wird; und 5) Nationale Umstrukturierung - während bestimmte nationale Funktionen dezentralisiert werden, werden andere Abteilungen gestärkt, um nationale Ressourcen für Regionen und Ortsgemeinde zu bieten (wie zum Beispiel Jugend, Frauen und christliche Bildung). Die globale Mennoniten Brüderfamilie Die brasilianischen Mennoniten Brüder sind froh, dass sie zur ICOMB, der glo¬ balen Mennoniten Brüderfamilie von Gemeindekonferenzen, gehören. Seit ihren Anfängen 1930 sind die brasilianischen Mennoniten Brüder durch diese interna¬ tionale Zusammenarbeit gesegnet und wollten auch selbst ein Segen sein. In den letzten Jahren und durch die Gnade Gottes konnten die brasilianischen Mennoni¬ ten Brüder einen Beitrag über ihr eigenes Land hinaus unter dem Südkreuz leis¬ ten. Sie haben mit Freude den Paraguayern in Iguassu Falls gedient, Missionare zu den jungen Gemeinden in Portugal entsandt und einige Steine im Langzeit¬ brückenbauprojekt in Angola gelegt. Darüber hinaus haben einige ihrer besten Leiter in Positionen der ICOMB gedient. In der Tat bewirkt das Gebet der Brasilianer, dass ihr Beitrag in der Mission in diesen und anderen Ländern wächst. Eine wachsende Anzahl an hingegebenen und gut ausgebildeten Männern und Frauen haben einen Ruf in die Mission ver¬ spürt. Einige sind Evangelisten und Pastorenlehrer, andere Geschäftsleute (Aus¬ bilder, medizinisches Personal, Agronomen, etc.). Viele Jugendliche sind an mis¬ sionarischen Praktika interessiert, wo sie ihr Interesse und ihre Begabung für die Weltmission ausprobieren können. Die brasilianische Gemeinde muss ihre Sen¬ dungsstrukturen stärken, damit sie weiterhin innerhalb der Mennoniten Brüder Glaubensfamilie in der ganzen Welt dienen kann. Letztlich lernt die brasilianische Mennoniten Brüdergemeinde andau¬ ernd Lektionen, die sie mit Brüdern und Schwestern in anderen Ländern und in zukünftigen Generationen teilen muss. Die Brasilianer erkennen die Lektio¬ nen, die sie im Bezug auf interkulturelle Kommunikation, Konferenzorganisa- 296 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE tion, christliche Bildung, Leitungsentwicklung und Gemeindegründung gelernt haben, dankbar an. Sie gestehen sich auch ihren Bedarf, von anderen in der ICOMB Familie zu lernen, offen ein. Mennoniten Brüder kamen als Flüchtlinge nach Brasilien und obwohl sie einerseits Botschafter geworden sind, bleiben sie immer Pilger auf einer Glaubensreise, die sich nach gleichgesinnten Reisebeglei¬ tern sehnen, mit denen sie treu nachfolgen bis sie ihr Endziel in Christus errei¬ chen. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN KOLUMBIEN 297 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Kolumbien Cesar Garcia D ie ersten Mennoniten Brüdermissionare kamen 1945 in Kolumbien an. Während die Welt das Ende des Zweiten Weltkrieges feierte und die Nach¬ kriegsära anbrach, begann eine der schlimmsten politischen Krisen in der Geschichte Kolumbiens. Ideologische Meinungsverschiedenheiten zwischen der liberalen und der konservativen Partei entfachten im Land eine Zeit der Gewalt und des Bürgerkrieges. Zu dieser Zeit entstanden linke revolutionäre Guerillag¬ ruppen. Einige davon sind heute noch aktiv. Anfänge 1945-1960 Die ersten nordamerikanischen Missionare, Daniel und Elsie Wirsche, ent¬ schieden sich ihren Mennoniten Brüdermissionsdienst in isolierten Gegenden Kolumbiens zu tun, wobei sie ihre Basis in der Stadt La Cumbre in der Provinz El Valle errichteten. Von dort aus weiteten sie die Arbeit in die Provinz Chocö aus. Später kamen auch noch weitere Missionare”, die einen großen Einfluss auf die San Juan-Fiussregion haben würden, dazu. Die San Juan-Flussregion war eine Region, die von starker Armut gekennzeichnet, von der kolumbianischen Regie¬ rung vergessen und größtenteils von Schwarzen bewohnt war. In diesem Sektor, nämlich in der Stadt Istmina, entstand 1946 die erste Mennoniten Brüderge¬ meinde in Kolumbien. 1947 wurde hierauch eine medizinische Klinik gegründet und dadurch konnten einige der Gesundheitsprobleme, um die sich die Regie¬ rung nicht kümmern wollte, gelindert werden. Armut war damals eins der Hauptprobleme, vor dem die Mennoniten Brü¬ der in Kolumbien standen. Man spürte das Verlangen nach einem ganzheitlichen Evangelium stark. Die Predigt vom neuen Leben in Christus wurde von medizi¬ nischen und bildenden Programmen sowie Gesellschaftsentwicklung begleitet. 1947 wurde die erste Mennoniten Brüderschule gegründet. Sie war in La Cumbre 79 David und Dora Wirsche, John und Mary D>xk. Anni Dyck, Lillian Schäfer, Kathryn Lentzner und Mary Schroeder kamen 1946 an; Lydia Golbcck, )acob und Anne Löwen 1947; Ruth Löwen und Harry K. und Mar¬ tha Bartel 1948; Bennie ]. und Ruth Fadenrecht 1950; Herta Volh und Wilmer und Eugeni« Quiring 1952; Doris Harder 1953; Ernest H. und Elsie Friesen 1954; Martha Kroeker 1955; Esther Leora Wiens, V'ernon A. und JoElla Reimer Ebner J. und Martha Friesen 1956; Elizabeth Tiezen 1957; Herman M. und Anne Buller und Alvin und Vera Voth 1960. 298 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMElNDE und hieß Los Andes. Der täuferische Schwerpunkt der ersten Missionare veran- lasste sie dazu nach Alternativen zu suchen, die die Gesellschaft Kolumbiens auf Grund von christozentrischer Jüngerschaft verändern würden. Jedoch begann auch bald darauf die Verfolgung. Religiöse Intoleranz mischte sich in diesen Jahren mit politischer Gewalt. Die katholische Kirche behielt ein hohes Maß an Kontrolle und Vorherrschaft, was sich in einigen Fällen in der Verfolgung von Mennoniten Brüdern ausdrückte. Die Jahre 1948- 1960 waren von religiöser Gewalt gegen nicht-katholische Gruppen gekennzeichnet. Schu¬ len und Kliniken wurden an einigen Stellen geschlossen. Einige Gebäude wurden mit Steinen beworfen und niedergebrannt und einige Gemeinden wurden auch während der Gottesdienster angegriffen. Die Theologie des Leides, die die frühen Täufer des sechzehnten Jahrhunderts inmitten von Verfolgung entwickelt hatten, diente als Inspiration für diese Mis¬ sionare, denen körperliche Gewalt angedroht wurde. Einige Missionare haben versucht sich auf politischer Ebene einzusetzen, um die Situation zu verändern. Indem sie Appelle an die nordamerikanischen Botschaften richteten, konnten sie Kommunen beeinflussen und die Verfolgung etwas verringern. Danach suchten sie nach neuen missionarischen Alternativen und reagierten auf ihre Schwierig¬ keiten mit der Verlegung ihrer Basis in die Stadt Cali. In den darauffolgenden Jahren wurde dieser Ort zum primären Zentrum der Mennoniten Brüderarbeit. Der Preis, den die ersten Mennoniten Brüdermissionare zahlen mussten, um die Saat des Königreiches Gottes in Kolumbien zu pflanzen, war hoch. Viele von ihnen gaben ihre besten Jahre dieser Arbeit hin und andere verbrachten den größten Teil ihres Lebens in Kolumbien. Heute noch erinnert man sich in ver¬ schiedenen Teilen des Landes daran, wie John und Mary Dyck, die Pioniere der Arbeit in Chocö waren, bei einem Flugzeugunglück im Dschungel dieser Region umkamen. Ihre vier Kinder, die somit Waisen waren, wurden nach Kanada gebracht und von Verwandten aufgezogen. Bald schon fruchteten die Bemühungen der ersten Missionare. Gemeinden entstanden und neue Jünger kamen dazu. Jedoch wurden die ersten kolumbia¬ nischen Leiter nicht von Mennoniten Brüdern ausgebildet, sondern es wurden Pastoren und Lehrer aus der Christian Missionary Alliance und der Evangeli- cal Missionary Union eingeladen, um ihren Dienst in den Mennoniten Brüder¬ gemeinden zu verrichten.® Diese Arbeitsweise hat man von Anfang an bis jetzt fortgeführt und verblasste die klare täuferische Identität. Trotz dieser Situation 80 Unter anderen isidoro Mosquera, Carlos Julio Osorio, Anibal Aguirre, David Vivas und Miguel Coy. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN KOLUMBIEN 299 entwickelten junge Mennoniten Brüder langsam aber sicher Leitungsfähigkeiten innerhalb der Gemeinden als Pastoren, Lehrer und Krankenschwestern.®’ Gegen Ende dieser Jahre der Gewalt, als neue Gemeinden in verschiedenen Sektoren Calis entstanden, sahen einige Missionare die Notwendigkeit, eine theo¬ logische Ausbildung anzubieten, um sich für die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Die darauffolgenden Jahre sollten zu den Jahren des stärksten Wachstums innerhalb der Mennoniten Brüdergemeinde werden. Zu dieser Zeit wurde der größte Teil der Gemeinden in der Provinz El Valle gegründet. Wachstum 1960-1970 Die Missionare legten in dieser Periode den Schwerpunkt auf die Gründung von neuen Gemeinden und die Vorbereitung von Leitern, die fähig waren die Evan¬ gelisation des Landes und die Leitung der entstehenden Mennoniten Brüder¬ konferenz in Kolumbien zu übernehmen. Trotz der Tatsache, dass einige Missio¬ nare eine formale, theologische Ausbildung für unnötig hielten, wurde 1960 das Emmanuel Bibelinstitut, das die erste kolumbianische Mennoniten Brüderschule war, gegründet. Jedoch wurde die Institution wegen hoher Erhaltungskosten nach sieben Jahren geschlossen. Später gab es eine Reihe von Versuchen andere theologische Institutionen zu eröffnen. Einige davon entstanden in der Zusammenarbeit mit anderen Deno¬ minationen, wie zum Beispiel das United Biblical Seminary und das Ekklesiolo¬ giezentrum. Andere waren unabhängig wie das Technological Biblical Seminary. Alle diese Bemühungen endeten aus wirtschaftlichen Gründen schnell. Wegen dieser Misserfolge schufen die Mennoniten Brüder kleine lokale Ins¬ titutionen, um auf Grundlagenebene theologische Ausbildung für Leiter anzu¬ bieten. Für eine höhere Ausbildung wurden Studenten zu protestantischen oder katholischen Universitäten geschickt. Somit studierten die wenigen, die einen Bachelor-Abschluss in Theologie erhielten, nicht mit einem täuferischen Fokus oder in einer Mennoniten Brüderinstitution. Die Möglichkeit für die Entwicklung einer klaren Identität einer Gemeinde blieb dadurch außerhalb der Reichweite. Eine theologisch reife Gemeinde zu 81 Francisco Mosquera. Belarmino Sänchez. Daniel Mosquera, Alfredo Cördoba und Esquivel Mosquera; Irma Agudelo und Veneda Montenegro aus La Cumbre; Eliza Castellanos aus Palmira; Evangellna Ibaigüen aus Noananii; Saturia Castellanos aus Palmira und Luz Eiiz^eth Hoyos aus CalL Zu weiteren Leitern gehörten Salomön Manchola. Juan Gutierrez. N’icoläs Mosquera. Manuel Gutierraz, Daniel Duque. Anibal Aguirre, Hector Rodriguez, Reinaldo .Mosquera, Dagoberto Minota. Carlos Romero, David Mosquera, Antonio Mos¬ quera, Reinaldo .Mosquera, Eliecer Lozano und Americo Murillo. 300 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE haben - die ihre eigene Theologie mit täuferischen Wurzeln entwickelt und kon- textualisiert - ist bis heute eine Herausforderung. Eine theologische Ausbildung auf Master- oder Doktoralebene, mit einer Spezialisierung auf Geschichte, Altes Testament, Neues Testament, Friedensstiftung, Missiologie, Seelsorge und ande¬ ren sind bisher unerreichbare Träume für kolumbianische Leiter gewesen. Es kamen immer wieder neue Missionare nach Kolumbien und eine neue Lei¬ tung entstand in der nationalen Konferenz. Darüber hinaus gelangten verschie¬ dene nordamerikanische Bewegungen wie zum Beispiel Campus Crusade, die starke fundamentale Wurzeln haben, nach Kolumbien und erhielten viel Unter¬ stützung von der Mennoniten Brüdergemeinde. Einige Mennoniten Brüderleiter wurden Teil der Bewegung und zogen sich trauriger weise aus der Mennoniten Brüdergemeinde zurück. Die nationale Gemeinde 1970-2001 Während die Gemeinde sich weiter in andere Gegenden ausbreitete, z. B. in der Hauptstadt Bogota, wo die erste Mennoniten Brüdergemeinde 1974 gegründet wurde, kamen innerhalb der kolumbianischen Konferenz in den 1970ern Span¬ nungen auf. Es formten sich zwei Fraktionen, die eine strebte nach einer größeren Unabhängigkeit der nationalen Gemeinden und die andere bevorzugte, dass man weiterhin in Abhängigkeit von den Missionaren bliebe. Diese Spannungen began¬ nen sich zu lösen, als die Verwaltung der Gemeinde, die bis dahin von den Mis¬ sionaren durchgeführt wurde, an die nationalen Leiter übergeben wurde. Diese Übergabe erfolgte mit der Gründung des Exekutivkomitees, welches das erste Team nationaler Leiter war. Da man sich nach einer pastoralen Leitung sehnte, wurde dieses Komitee später durch das Nationale Ältestenkonzil, das aus Voll¬ zeitmitarbeitern der Gemeinden bestand, ersetzt. Man kann ein trauriges, aber konstantes Muster in der kolumbianischen Leitung in der Geschichte der Gemeinde erkennen. Es ist ein Muster von Kon¬ flikten und ungelösten Problemen unter einigen Pastoren. Die Art und Weise, wie die Leitung in einigen Gemeinde geregeltn war, führte zu einer autorita¬ tiven Rolle des Pastors, was wiederum unzählige Spaltungen und Verletzun¬ gen von Menschen aufgrund der unbiblischen Ausübung des Dienstes mit sich brachte. Machtkämpfe, sowie der Autoritarismus und Individualismus, der aus der kolumbianischen Kultur übernommen wurde, haben eine lange Geschichte von Konflikten geschrieben, sodass die Mehrheit der vorher erwähnten kolum- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN KOLUMBIEN 301 bianischen Leiter die Denomination verlassen hat. Es gibt nur wenige Pastoren, die lange im Dienst stehen und heute noch da sind. In diesen Jahren wurden Frauen im Dienst akzeptiert, wobei sie nicht als Pas¬ toren oder ordinierte Diener anerkannt wurden. Das änderte sich 2007, als dann Frauen offiziell für den Dienst anerkannt wurden. Nichtsdestotrotz war die Mit¬ arbeit von Frauen in der Gemeinde unersetzlich. In der Geschichte der Menno- niten in Kolumbien machten Frauen die Mehrheit der Mitgliederzahl aus, arbei¬ teten aktiv in Leitungspositionen und als Pastoren, Lehrer und Missionare mit. Die theologischen Spannungen in Nordamerika schwappten auch nach Kolumbien über. Die Polarität, die zwischen einer Theologie, die radikal anti¬ kommunistisch und praktisch faschistisch war, und einer liberalen Theologie, die die Verantwortung der Gemeinde im Bezug auf wirtschaftliche und soziale Ungerechtigkeit in der Welt betonte, bestand, war auch in Kolumbien zu spüren. In einigen Gegenden wurden die, die vom Evangelium aus über Frieden oder soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit sprachen, als komisch angesehen und auf Abstand gehalten. In anderen Gegenden wurden die, die evangelisierten, für ihre scheinbare Irrelevanz kritisiert. Dadurch entfernten sich die verschiedenen Mennonitendenominationen (Generalkonferenz der Mennoniten und Mennoniten Brüder) voneinander, weil sie zwischen den liberalen Gemeinden auf der einen Seite und den Fundamen¬ talisten auf der anderen Seite gefangen waren. In dieser Spaltung wurde die Not¬ wendigkeit vergessen, ein ganzheitliches Evangelium zu predigen, in dem es um die persönliche Bekehrung und die Erlösung auf der einen Seite geht und es auf der anderen Seite inmitten von Gewalt und Armut, die Kolumbien gefangen hiel¬ ten, relevant bleibt. Aus der derzeitigen Perspektive der Mennoniten Brüder beeinflussten auch die Theologie der Befreiung und die liberale Theologie, die fundamentale Grund¬ annahmen des Glaubens in Frage stellte, die Mennonitengemeinde in Kolum¬ bien (Generaikonferenz). Der Gebrauch von hermeneutischen Methoden, die aus einem marxistischen Hintergrund kamen, wie zum Beispiel das Predigen von sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit, klang fremd für die Mennoni¬ ten Brüdergemeinde. Der Fundamenlaiismus von Bewegungen wie Campus Crusade brachte einige Teile der kolumbianischen Mennoniten Brüderkonferenz dazu die Wichtigkeit von Gesellschaftsentwicklung und sozialer Arbeit zugunsten von der „Rettung der Seelen“ als wichtigster evangelikaler Berufung zu gering zu achten. Es wurde kaum über die soziale Verantwortung von Christen gesprochen. Einige Leiter 302 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEiNDE sahen sich sogar als „ AngrifFstruppe“ gegen den Kommunismus und die liberale Theologie. Zeitweise wurde dadurch der soziale Dienst, der seit Jahren zur Arbeit der Mennoniten Brüder gehörte, außer Acht gelassen. Die Fundamentalisten-Evangelikalen Debatte während der J970er über die Unfehlbarkeit der Bibel fand auch hier statt. Die Antwort, die die nordameri¬ kanischen Mennoniten Brüder artikulierten, die betonte, dass Orthopraxis und Unfehlbarkeit der Schrift Leitfaden auf der Suche nach Gottes Willen sind, wurde in Kolumbien leider nicht gut aufgenommen. Vielmehr entschieden sich die Mennoniten Brüder für eine klare fundamentalistische Antwort, welche die Unfehlbarkeit der traditionellen spanischen Übersetzung der Bibel predigte. Das machte bedeutungsvolle hermeneutische und exegetische Arbeit schwer. Die Evangelisation betonte die Vorzüge der Rettung, während sie die Forde¬ rung nach Dienst, Verantwortung und Jüngerschaft nicht anerkannte. Die Gute Nachricht, die angeboten wurde, war diese: „Wiederhole dieses Gebet und werde gerettet.“ Das passte gut in den Individualismus der Kolumbianer und beein¬ flusste die Ekklesiologie der Gemeinde somit negativ. Das Konzept der Gemein¬ schaft verlor jegliche praktische Relevanz, genau wie der Preis der Nachfolge Christi. Die dispensationalistische Endzeitlehre, die die nordamerikanischen Missi¬ onare mitbrachten, verringerte die Bedeutung einer Friedenstheologie und der Suche nach Gerechtigkeit und Gesellschaftsentwicklung. Man hielt dies für eine zukünftige Realität, die nur im eschatologischen Königreich möglich wäre. Die Idee von einer Gemeinde als friedensschalTender Gemeinschaft wurde schon bald zu einer Vorstellung, die es in den Glaubensbekenntnissen von Fremden gab, aber nicht zu einer praktischen Realität in einem Land passte, dass zu der Zeit schon eine lange Geschichte der Ungerechtigkeit und gewaltsamen Konflikten hatte. Christus finden Der Raum war ruhig und kühl. Nichts bewegte sich außer dem Flackern der Flamme einer, am Ende des Tisches stehenden, Kerze. Ihr gegenüber war ein Häufchen Erde. Am anderen Ende des Tisches standen ein Behälter mit Wasser und gegenüber davon ein Räuchergefäß. In der Mitte von den vier Elementen Feuer, Erde, Wasser und Luft lag eine Bibel. Lucia Quiroga trat lautlos in den Gottesdienstraum. Sie kniete auf dem Boden nieder und begann die anspruchsvolle Yoga-Übung. Bald war ihr Atem das ein¬ zige, was man hören konnte. Sie schloss ihre Augen und begann zu meditieren. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN KOLUMBIEN 303 jedoch konnte sie sich nicht konzentrieren. Plötzlich überkam sie ein überwäl¬ tigendes Gefühl von Leere und Zweifel. Ihre Hände und Arme erstarrten mit¬ ten in der Übung. Ein Laut durchbrach die Stille - ihre eigene qualvolle Stimme. „Warum tue ich das?“ flüsterte sie. „Gott, wo bist du? Warum versteckst du dich? Ich such schon seit vierzig Jahren nach dir. Warum kann ich dich nicht erreichen?“ Eine bittere Trauer stieg ihr in die Kehle und sie schmeckte das Salz ihrer Tränen. Ihre Augen richteten sich auf die Bibel. Bücher waren schon immer ihre Quelle des Trostes gewesen. Sie ergriff dieses, öffnete es und las: „Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du wandeln sollst; ich will dich mit meinen Augen leiten.“ Lucia spürte einen plötzlichen Energiefluss. Sie rief laut aus und schloss das Buch in ihrer Aufregung. „Herr, also sprichst du doch. Du antwortest doch! Auf dieser Antwort werde ich beharren.“ Obwohl sie als Katholikin erzogen wurde, war sie nie ein frommes Gemeinde¬ mitglied gewesen. Erst war sie von den Rosenkreuzern und dann von Yoga faszi¬ niert. „Beim Yoga denkst du an Gott und das Transzendente. Du bist immer auf der Suche nach dem Guten, dem Unendlichen.“ Während einer stillen Zeit der Vorbereitung geschah es, dass Gott ihr auf ihren qualvollen Schrei antwortete. Lucia verlor jedes Verlangen weiter Yoga zu machen und gab ihre Stelle als Leiterin auf. Während dieser Zeit lud sie eine Freundin zu einem „interessanten Treffen“ ein. Als sie feststellte, dass es ein Gebetskreis des Alpha-Omega Campus Crusade war, wollte sie aufstehen und gehen. Jedoch mochte sie die Musik und die Lied¬ texte. Als die Leiterin sie um ein Gespräch bat, stimmte sie zu. W^ährend dieses Gesprächs fragte die Frau sie, ob sie den Herrn angenommen hatte. Lucia wurde wütend. „Was hat dieses ganze Reden von Retter und Erlö¬ ser zu bedeuten? So etwas wie einen Erlöser gibt es nicht. Es gibt nur einen Weg gerettet zu werden; du musst es selbst tun.“ Die Leiterin stritt nicht mit ihr, sondern las aus der Bibel vor, „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an...“ Lucia war still. Dann sagte sie mit leiser Stimme: „Es gibt keine Person in der ganzen Welt, die ich nicht hineinlassen würde, wenn sie rein wollen würde. Wenn der Herr an mein Leben anklopft, lass ihn rein." Auf dem Weg von der Versammlung nach Hause wurde Lucias Verwirrung größer. Ein Bekannter riet ihr, dass sie zum Missionar John Savoia gehen sollte. Lucia entschied sich dafür zum ßibelkreis im Haus der Savoias zu gehen und ent¬ deckte, dass die Gruppe Apostelgeschichte 19,19 studierte, einen Vers, in dem die 304 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMElNDE Gläubigen in Ephesus ihre Zauberbücher verbrannten. Lucia war entsetzt und fragte die Gruppe: „Was für Höllenmenschen sind denn das hier in der Bibel? Dass man Bücher verbrennt! Bücher sind die Quelle der Weisheit und Erkennt¬ nis.“ Der Konflikt in Lucia dauert über die nächsten Monate an. In der Zwischen¬ zeit war ihr Sohn Edwardo durch einen Kollegen namens Bernado in Bogota Christ geworden. Edwardo war schockiert, wie dünn und traurig seine Mutter geworden war. „Ich werde verrückt“, sagte Lucia zu ihm. „Ich muss die Wahrheit finden.“ Lucia flog nach Bogota und verbrachte einen langen Abend im Gespräch mit Bernado. Sie kam zu der Überzeugung, dass der Weg mit Jesus Christus rich¬ tig war; alle anderen Wege waren falsch. Nachdem Lucia nach Cali zurückgekehrt war, hatte sie noch mehr Probleme zu lösen, bevor sie ganz von ihrem alten Leben befreit werden konnte. Es dau¬ erte nicht lange und sie war befreit und erzählte ihr Zeugnis allen Gästen, die sie besuchten. „Es scheint, als ob jeder der hier zu Besuch kommt, Christ wird.“ erklärt sie lachend. „Jetzt ist meine Erfahrung wunderschön“, sagt sie, „Ich spüre die Gegenwart Christi und seine Liebe. Jetzt frage ich nicht mehr, wo Gott ist. Ich weiß es. Er ist mit mir.“ Frances Martens Übernommen aus True Life, 66-68 Die unabhängige Gemeinde nach 2001 Die theologische Herausforderung Obwohl die Mennoniten Brüder in Kolumbien von pfingstlerischen und funda¬ mentalen Strömungen in den frühen Jahren beeinflusst waren, so hat die Suche nach Identität in den letzten Jahren zu bewussten Bemühungen geführt zu den täuferischen Wurzeln des sechzehnten Jahrhunderts zurückzukehren. Jedoch haben sie das getan ohne den europäischen Pietismus des neunzehnten Jahr¬ hunderts zu verwerfen und indem sie die wertvollen Dinge in den evangelikalen Strömungen, wie z. B. den Fundamentalismus, die Baptistenbewegung und einige charismatischen Bewegungen dankbar mit einbezogen. In den letzten Jahren ist das Evangelium „des Marktes“ gewachsten, das die Forderung nach echter Buße, radikaler Lebensveränderung und einer Jünger- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN KOLUMBIEN 305 Schaft, die auf Selbstverleugnung basiert, verneint. Der Theologische Pluralismus und die Erosion der Einheit im Bekenntnis sind die Herausforderungen, denen sich die Gemeinde durch die Rückkehr zu ihren theologischen Wurzeln stellen muss. Täuferische Schwerpunkte - wie das biblische Konzept der Gemeinde als Gemeinschaft, der Leitungsstil, der auf Dienerschaft und Mitbestimmung basiert anstatt auf Hierarchie, die Suche nach Frieden, Gerechtigkeit und Vergebung, sowie die Notwendigkeit von Bekehrung, Buße und Wiedergeburt - sind Leh¬ ren, die unsere Gesellschaft inmitten von tiefen kulturellen und sozialen Kon¬ flikten braucht. Die organisatorische Herausforderung Im Laufe der Jahre hat die Suche nach einem biblischen Leitungssystem, welches unsere theologische Identität widerspiegelt, die Gemeinde zu einem Kampf um das Ideal der Interdependenz, im Kontrast zu einer autoritären oder unabhängi¬ gen Leitung, geführt. Wie schon erwähnt, ist ein autoritäres Leitungssystem cha¬ rakteristisch für lateinamerikanische Leiterschaft, die sich trauriger weise in dem Dienst der Konferenz widerspiegelt. Die Konzentration und der Missbrauch von persönlicher Macht reflektieren die kolumbianische Kultur, die das biblische und christozentrische Konzept eines dienenden Leiters nicht versteht. Die Rückkehr zum täuferischen Dienstkonzepts könnte zu einem Überfluss an Dienern führen - sowohl Männer als auch Frauen - die verschiedene Meinungen wertschätzen und wissen, wie man in einem Team zusammenarbeitet, weil sie verstehen, dass „zwei besser sind als einer.“ Die Missionsherausforderung Die Prozentzahl der Mennoniten Brüder, Täufer und Protestanten im Allgemei¬ nen ist weiterhin niedrig in Kolumbien. Das Evangelium, das hier wächst, ist so sehr von der Wohlstandstheologie verfälscht, dass schon ein Aufruf zu einer zweiten Evangelisation der evangelikalen Gemeinde zu hören ist! Die Notwen¬ digkeit ein ganzheitliches Evangelium, nicht nur in unserem Land, sondern bis ans Ende der Welt zu verkünden, hat die Mennoniten Brüdergemeinde dazu geführt, kolumbianische Missionare nach Peru, Mexiko, Panama, Bolivien und Usbekistan zu senden. Nichtsdestotrotz geht die Suche nach einem einheimi¬ schen Model weiter. Die kolumbianische Gemeinde träumt davon, dass eines Tages kolumbianische Missionare anderen Kulturen dienen könnten, indem sie die Gute Nachricht von Jesus Christus in multikulturellen Teams, zusammen mit 306 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Mennoniten Brüdern aus aller Welt verkünden. Wirtschaftliche Probleme sind jedoch zu einem gewaltigen Hindernis geworden. In Zusammenarbeit mit nord¬ amerikanischen Gemeinden kann der finanzielle Bedarf der kolumbianischen Missionare gedeckt werden. Ohne diese Unterstützung sind kolumbianische Mis¬ sionare gezwungen in die Heimat zurückzukehren, wie es bei einem Ehepaar, das nach Venezuela gesandt worden war, der Fall war. Die Bildungsherausforderung Die kolumbianische Gemeinde hat eine Geschichte mit gescheiterten Versuchen im Bereich der theologischen Ausbildung. Deshalb zwingt die gegenwärtige Situ¬ ation im Bereich Bildung und Training sie dazu ihre Träume hinter sich zu lassen. Zurzeit gibt es nur zehn Personen in der gesamten kolumbianischen Konferenz, die einen Bachelor-Abschluss in Theologie haben. Wie können Leiter mit einer läuferischen Ausrichtung auf Bachelor-, Master- oder Doktoralebene ausgebil¬ det werden, wenn es unglaublich viel kostet, Mennoniten Brüderseminare weit weg sind und es keine Kontakte zu anderen gibt, die solche Projekte unterstützen würden? Solange die Gemeinde noch alleine auf diesem Weg ist, ist die Wahr¬ scheinlichkeit, eine Antwort darauf zu finden, weit entfernt. Die Friedensstifter-Herausforderung Weil sie in einem Land lebt, das die älteste Gueriilagruppe der Welt hat, mit 3000 Kidnappings und über 3.500.000 Menschen, die wegen der Gewalt aus der Hei¬ mat vertrieben wurden, muss die Gemeinde nach etwas Einzigartigem suchen, das sie in dieser Situation anbieten kann. In den letzten jahren wurden Frie¬ densprojekte in zwei Städten, wo es Mennoniten Brüdergemeinde gibt, gestar¬ tet. Beratungskurse für Kriegsdienstverweigerung und Konfliktbewältigung sind entwickelt worden und die Botschaft des Friedens wurde auch in Schulen und andere Gruppen gebracht. Neue Projekte entstehen in den Gemeinden, sodass die Hingabe der Konferenz zur Friedensstiftung nicht mehr reine Theorie geblie¬ ben, sondern praktisch geworden ist. Diese Aufgabe ist weiterhin von einer engen Beziehung zu Christus abhängig. Die ekklesiologische Herausforderung Lateinamerikanische Ekklesiologie sieht die Gemeinde oft als Produkt des Mark¬ tes an. Dies hat das Konzept der Gemeinde als „Bundesgemeinschaft“ in Frage gestellt. Nichtsdestotrotz hat unsere Rückkehr zur täuferischen Ekklesiologie die DIE MENNONITEN BRÜDERGEftAEINDE IN KOLUMBIEN 307 Gemeinde dazu gezuoingen viele ihrer Praktiken, die jahrelang Teil der Konfe¬ renz waren, neu zu überdenken. Gemeindezucht ist eine davon. Gemeindezucht wurde kaum durchgefiihrt, und wenn, dann war es eher strafend als aufbauend. Konfliktbewältigung, ein Modell der Einigkeit bei Entscheidungen, dienende Leiterschaft, Vergebung und Versöhnung sind jetzt die Themen, die fortlaufend analysiert und studiert werden, um eine wahre täuferische Gemeinschaft aufzu¬ bauen. Die politische und soiiaie Herausforderung Extreme Armut, Arbeitslosigkeit, schnelles Wachstum von großen Städten, Infla¬ tion, Wohnungsmangel, Menschenrechtsverletzung, niedriges Bildungsniveau, illegale Armeen (sowohl Linke als auch Rechte), Drogenhandel, Korruption, Konsumdenken, Hedonismus - das alles sind nur einige Komponenten, die die Gesellschaft Kolumbiens beeinflussen. Unter den gegebenen Umständen wurden Gesellschaftsentwicklung und soziale Arbeiten, die einst von unseren Gemeinden abgelehnt wurden, wiederaufgenommen. Die Gemeinde arbeitet jetzt mit ihren eigenen Ressourcen in Projekten im Bereich der Bildung, Geschäftsgründung und Hilfe für einkommensschwache Menschen, sowie mit Menschen, die durch die Gewalt ihre Heimat verlassen mussten. Die ökumenische Herausforderung Wenn man den Wert der läuferischen Wurzeln missversteht, kann dies ein fal¬ sches Gefühl von Überlegenheit und Exklusivität im Verhältnis zu anderen christlichen Gemeinden mit sich bringen. Aus diesem Grund haben die kolum¬ bianischen Gemeinden versucht anderen Glaubensgemeinschaften mit einer demütigen und kooperativen Einstellung zu begegnen, ohne die Prinzipien, die man für wichtig hält, zu diskutieren. Mit der Rückkehr zu den Wurzeln des sechzehnten Jahrhunderts ist die Zusammenarbeit mit der Mennonitengemeinde wieder möglich geworden. Konferenzen, die die gleichen historischen Wurzeln haben, sind mit dem Verständnis, dass Täufer weder Fundamentalisten noch Liberale sind, zusammen gebracht worden. Die Notwendigkeit Kolumbiens nach einem ganzheitlichen Evangelium, das Bekehrung mit Gesellschaftsentwickiung und der Arbeit für Frieden vereint, hat nun eine wunderbare Möglichkeit für die kolumbianische Täufergemeinde geschaffen. Die kolumbianische Mennoniten Brüdergemeinde hat schon eine lange Geschichte der Zusammenarbeit mit evangelikalen Protestanten, mit der frei- 308 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEAAEINDE kirchlichen Tradition und mit den Nachkommen der puritanischen, pietistischen und fundamentalistischen Bewegungen hinter sich. Sie haben in Bereichen wie theologischer Ausbildung, politischer Fürsprache und Evangelisation zusam¬ mengearbeitet. Nichtsdestotrotz benötigt man für eine gesunde Gemeinschaft mit anderen Denominationen eine klare Identität, die zu den Stärken der Men- noniten Brüder beiträgt und Schwestergemeinden erlaubt, ihre Schwächen zu erkennen und zu korrigieren. Der Prozess des Dialogs mit der katholischen Kirche, der von der Mennoni- tenweltkonferenz angestoßen wurde, hat in Kolumbien Früchte getragen. Man hat anerkannt, dass Täufer katholische Wurzeln in ihrer Christologie, Soteriolo- gie und Ekklesiologie haben. Das hat uns eine neue Perspektive in unserer Bezie¬ hung zu der katholischen Kirche gegeben, denn es war eine Beziehung, die tra¬ ditionell angespannt und schwierig war. Weil Kolumbien eins der katholischsten Länder in Lateinamerika ist, hat die Dankbarkeit für die täuferische Theologie täuferischen Professoren den Zugang zu den universitären Kreisen der katholi¬ schen Theologie ermöglicht. Friedensstiftende Arbeit und Konfliktbewältigung haben Gemeinden zusammen gebracht. Obwohl die Unterschiede weiterhin klar sind, so sind der gegenseitige Respekt und die Zusammenarbeit auf Gebieten der Einheit ein Zeugnis, das Nachfolger Christi einem Land, welches gezeichnet ist von Intoleranz, anbieten. Die Zukunft Missiologen bezeichnen eine reife Gemeinde manchmal als eine, die unabhängig, selbsttragend, selbstverwaltend und selbstpropagierend geworden ist. Manche fügen hinzu, dass eine Gemeinde reif ist, wenn sie fähig ist ihre eigene Theo¬ logie zu entwickeln. Die kolumbianische Mennoniten Brüdergemeinde ist von letzterem noch weit entfernt. Die Gemeinde hat Unabhängigkeit geschmeckt; sie hat Selbstverwaltung versucht; und hat sowohl sich selbst zu tragen als auch zu propagieren ausprobiert. Jedoch ist noch kein klares Zeichen für Reife zu sehen. Die Gemeinde wird ihre Fülle in Christus erreichen, wenn sie versteht, dass es notwendig ist voneinander abhängig zu sein und Theologie gemeinsam zu ent¬ wickeln. Sie wird die Fülle Christi erreichen, wenn Netzwerke von Schwesterge¬ meinden in der ganzen Welt anfangen voneinander abhängig zu sein, wenn Geld nicht mehr das Kriterium dafür ist, wer die Kontrolle hat und wenn die Welt an Jesus glaubt, weil sie Teams von interkulturellen Gemeinden, anstatt von nationa¬ len Gemeinden, sieht. Nur dann wird die Gemeinde die Fülle der Reife erreichen. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN KOLUMBIEN 309 Solange soziale Ungerechtigkeit und politische Hindernisse in kolumbianischen Gemeinden Zusehen sind und solange in der Praxis die Nord-Süd-Grenzen beste¬ hen bleiben, wird Reife weiterhin ein unerreichbarer Traum bleiben. Global muss die Gemeinde ein Anzeichen für Gottes Plan der Demut sein. Die Gemeinde Christi überwindet soziale und kulturelle Hindernisse und Bar¬ rieren und ist berufen eine Vorbildgesellschaft für andere Gesellschaften zu sein. Die Herausforderung für die Mennoniten Brüdergemeinde ist so zu denken und zu agieren, dass sie nationale Grenzen überwindet. Sie muss Alternativen bieten, die der Welt erlauben, dass die Wesensmerkmale ihrer Beziehungen christlich sind und nicht auf politischen Modellen beruhen. Aus diesem Grund möchte die kolumbianische Mennoniten Brüdergemeinde folgendes werden: Keine Gemeinde frei von Schuld, sondern vielmehr eine Gemeinde, wo Vergebung die Quelle der Hoffnung ist. -> Keine Gemeinde frei von Spaltungen, sondern vielmehr eine Gemeinde, in der Versöhnung alltäglich ist. ■> Keine Gemeinde frei von Konflikten, sondern vielmehr eine Gemeinde, wo Konflikte auf Jesu Weise gelöst werden, Keine Gemeinde ohne Leiter, sondern vielmehr eine Gemeinde, wo Leitung als Dienst und Opfer angesehen wird. -> Keine Gemeinde, die sich um sich selbst dreht, sondern vielmehr eine Gemeinde, die sich selbst als ein Zeugnis für die Welt hingibt. Keine unabhängige nationale Gemeinde, sondern vielmehr eine abhängige Gemeinde, wo menschliche Grenzen nicht die Kriterien für Entscheidungen sind. -i' Keine Gemeinde ohne ein Kreuz, sondern vielmehr ein Gemeinde, die mit Christus stirbt und mit ihm aufersteht. 311 DieAAennoniten Brüdergemeinde in Uruguay Gerhard Ratzlaff und Ernst und Ursula Janzen D as Land Uruguay, das offiziell als Republica Oriental del Uruguay bekannt ist, ist mit einer Fläche von 176 215 km2 und einer Bevölkerung von etwa drei Millionen die kleinste Republik Südamerikas. 1515 haben die Spanier Uruguay entdeckt und es war bis 1811 eine spanische Kolonie. 1821 wurde es ein Teil Brasiliens und erlangte 1828 seine Unabhängigkeit. Das Klima ist angenehm warm. Uruguay hat mit der Agrarwirtschaft ein starkes Fundament, wobei Vieh¬ zucht und Weizenanbau überwiegen. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist spanischer oder italienischer Abstam¬ mung, wobei auch ein guter Teil deutsch, jüdisch, armenisch und französisch ist. Uruguay hat keine Ureinwohner. Mehr als die Hälfte der Menschen wohnen in Montevideo, der Hauptstadt des Landes. Es herrscht Religionsfreiheit und Kirche und Staat sind getrennt. Der größte Teil der Bevölkerung ist römisch-katholisch, obwohl viele eigentlich agnostisch sind und somit nicht in der Kirche involviert. Nur 11,1 % sind protestantisch. Die Mennoniten Uruguays Am 27. Oktober 1948 brachte ein Schiff die ersten 751 Mennoniten nach Uru¬ guay. Davon waren 690 Flüchtlinge aus Danzig. Sie waren während des Zwei¬ ten Weltkriegs aus ihrem Heimatland geflohen, als die Sowjetarmee dahin vor¬ rückte. Sechzig weitere waren Flüchtlinge aus Polen. Im April 1950 gründeten sie El Ombü, die erste Mennonitensiedlung, mit 1200 Hektar. Im Oktober 1951 kam eine zweite Gruppe in Montevideo an. Diese Gruppe von 431 Flüchtlingen schuf Gartental, die zweite Siedlung. Mit 1462 Hektar wurde Delta, nach dem Flussdelta des Flusses Vistula in Polen benannt, 1955 zur dritten Kolonie. Sie bestand aus Siedlern der vorher genannten Gruppen, die auf der Suche nach mehr Land waren. Einige Mennoniten blieben in Montevideo, wo sie sich zusammenschlossen und eine Gemeinde gründeten. Die Mehrheit der uruguayischen Mennoniten kam aus Danzig und Westpreu¬ ßen und schloss sich der Generalkonferenz der Mennoniten in Nordamerika an. Nur wenige davon waren Mennoniten Brüder (aus Polen und der Sowjetunion). Als die politische Situation sich in den 1960ern und 1970ern erheblich ver¬ schlechterte, wandelten viele der deutschsprachigen Mennoniten nach Kanada, 312 DIE GESCHICHTE DER MEN NONITEN-BRÜDERGEMEINDE Deutschland oder in andere Länder aus. Heute sind nur noch ein paar hundert deutschsprachige Mennoniten übriggeblieben. Die Mennoniten Brüdergemeinde In Uruguay Die deutschsprachige Mennoniten Brüdergemeinde Die Mennoniten Brüdergemeinde in Uruguay wurde am 22. Oktober 1948 mit achtzehn Mitgliedern auf dem Atlantischen Ozean an Bord des holländischen Schiffes Volendam gegründet. Fünf Tage später legte das Schiff in Montevideo an. Dieses Schiff hatte Deutschland von Bremerhaven aus am 7. Oktober mit 1578 Mennoniten Flüchtlingen aus der Sowjetunion, Polen und Preußen verlas¬ sen. Unter den zuvor erwähnten 751 Mennoniten aus Polen und Preußen, die in Montevideo an Land gingen, waren auch die achtzehn Mennoniten Brüdermit¬ glieder, die gemeinsam mit ihren Familien einunddreißig Personen waren, Fast alle siedelten sich in der Siedlung El Ombü an. Die Mennoniten Brüdergemeinde in Uruguay wuchs durch Taufen und der Ankunft von weiteren Flüchtlingen - zwölf aus der Sowjetunion und etlichen Familien aus Paraguay, die in Uruguay auf eine bessere Zukunft hofften. Bis 1960 hätte die Mitgliederzahl aufgrund von Taufen und Neuankömmlingen 160 Personen erreicht haben können. Aber die Mitgliederzahl betrug 1960111, die höchste, die sie je sein würde. Im Laufe der Jahre verteilten sich die Mitglieder über die fünf Kolonien und der Stadt Montevideo. Das war nicht vorteilhaft für das Wachstum. Als sich die politische und wirtschaftliche Lage verschlechterte, begann die Auswanderung, sodass sich die deutsche Mennoniten Brüdergememde in Uru¬ guay letztendlich auflöste. Auf dem südamerikanischen MB-Kongress 1979 in Witmarsum in Brasilien wurde verkündet, dass die deutsche Mennoniten Brü¬ dergemeinde Uruguays nicht mehr existiert. Aber die Mennoniten Brüderge¬ meinde Uruguay überlebte als spanisch sprachige Gemeinde. Die spanisch sprachige Mennoniten Brüdergemeinde Die deutschsprachige Mennoniten Brüdergemeinde hatte sich der Evangelisation verpflichtet. 1950 musste sich die Gemeinde entscheiden, ob sie in El Ombü (der neuen Mennonitenkolonie) bleiben würde. Ein beachtlicher Teil der Mitglieder war gegen den Plan, indem sie argumentierten, dass die Möglichkeiten für Mis- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN URUGUAY 313 sion außerhalb einer Mennonitenkolonie besser wären. Nach langen Diskussi¬ onen und Analysen entschieden sich die Mitglieder für El Ombü. Obwohl sie hauptsächlich damit beschäftigt waren ihr Überleben in den schweren Pionier¬ jahren zu sichern, hielt die Gemeinde daran fest die Einheimischen Uruguays mit dem Evangelium zu erreichen. Der erste Schritt in Richtung Evangelisation wurde gemacht, als ein „Missi¬ onshaus“ ,auch als Mennonitenhaus bekannt, mit Hilfe des nordamerikanischen Ausschusses für Auslandsmission in Montevideo erworben wurde. Es wurde am 18. Januar 1953 feierlich eröffnet und diente auch als Gasthaus für Mennoniten auf der Durchreise. Anfangs wurde noch nicht aktiv mit den Einheimischen gear¬ beitet, teilweise, weil die meisten noch nicht fließend Spanisch sprachen. Aber die Gemeinde unterstütze durch gelegentliche finanzielle Spenden das paraguayische Mennonitenmissionsprogramm unter den Indianern. Am 8. Juli 1960 wurde auf einer Dienst- und Diakonkonferenz die Möglich¬ keit für ein spezielles gezieltes Missionsprogramm ernsthaft in Betracht gezogen. Auf einer Glaubenskonferenz im darauffolgenden Dezember wurden spezifische Vorschläge gemacht und verabschiedet. Es wurde ein Missionskomitee gegrün¬ det und als erstes Projekt startete man ein deutschsprachiges Radioprogramm in Montevideo. Bei der BOMAS wurde ein Missionar, der fließend Deutsch und Spanisch sprach, angefragt. Der Ausschuss sandte Daniel und Elsie Wirsche, die mehrere Jahre in Kolumbien gedient hatten. In den frühen 1960ern wurde eine spanischsprachige Sonntagsschule im Stadtteil Penarol gestartet. Das führte zur Gründung der ersten einheimischen Mennoniten Brüdergemeinde, was ein kleiner aber bewusster Schritt in Rich¬ tung Mission unter den Uruguayern war. Unter den Mitgliedern waren sowohl deutschsprachige Neuankömmlinge als auch Einheimische. Der erste urugua¬ yische Mitarbeiter war Walter Preza. Er war Mitglied einer Baptistengemeinde in Montevideo und hatte Amalie, die Tochter von Ewald Prochnau aus der MB- Gemeinde, geheiratet. Am 27. Oktober 1965 startete man offiziell mit Gottes¬ diensten auf Spanisch. Diese Gottesdienste wurden auch von den deutschspra¬ chigen MB-Mitgliedern besucht und die beiden Gruppen wurden nach wenigen Jahren zu einer Gemeinde. Die erste Taufe, wo drei Kandidaten getauft wur¬ den, fand am 6. August 1967 statt. Langsam wuchs die Arbeit und die Gemeinde konnte im Dezember 1981 ein eigenes Gebäude einweihen. Mehrere Versuche eine Arbeit in anderen Teilen der Stadt anzufangen schlu¬ gen fehl. Aber 1976 entstand im Stadtteil Piedras Biancas eine kleine Gemeinde mit siebzehn Mitgliedern, die La Esperanza hieß. 314 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Saii Javier ist eine schöne, kleine Stadt fünfzehn Kilometer außerhalb von der Mennonitensiedlung Gartental. San Javier wurde von russischen Einwanderern gegründet. 1972 begannen Mitglieder der Mennoniten Brüdergemeinde in Gar¬ tental dort zu evangelisieren. Mit Hilfe eines Missionars, den die BOMAS gestellt hatte, entstand hier nach wenigen Jahren eine kleine Gemeinde. 1978 entstand die Gemeinde El Faro (der Leuchtturm) in Colon, einem Stadt¬ teil von Montevideo. Das war die erste protestantische evangelikale Gemeinde in Pando. Alle vorangegangenen Versuche eine evangelikale Gemeinde zu grün¬ den waren fehlgeschlagen. Da man keine geeigneten Arbeiter engagieren konnte, führte das unglücklicherweise zum Untergang der Arbeit und das Gebäude wurde verkauft. Die Arbeit in Uruguay bewegt sich nur langsam und schwerfällig voran. Es wurde der Versuch unternommen das Licht des Evangeliums an verschiedene Orte zu bringen. An einigen von ihnen gibt es keine erkennbaren Ergebnisse. An anderen, Gott sei Dank, gab es Frucht. Währenddessen geht die Arbeit weiter. Wichtig für den Aufbau von Gemeinden ist das Freizeitzentrum mit sechzig Betten, das Campamento Maranatha heißt. Dieses Camp kann für alle mögli¬ chen Veranstaltungen verwendet werden, darunter für Jugend, Paare, Gemein¬ demitarbeiter, Ledige und Familien. Eine kleine Bibelschule (CEHM) wird für die Ausbildung von Leitern und Mitarbeitern für die Gemeinden in Montevideo durchgeführt. Die MB-Bibelschule spielt eine wichtige Rolle für alle Gemeinden. Anfang 1991 gab es sechs Mennoniten Brüdergemeinden in Uruguay, vier davon in der Hauptstadt und zwei im Inland. Folgende Gemeinden waren in Montevideo: Penarol (fünfundsechzig Mitglieder); Colön (siebenundzwanzig Mitglieder); La Esperanza (fünfundzwanzig Mitglieder); und Sayago (fünfund¬ zwanzig Mitglieder). Folgende Gemeinden waren im Inland: San Javier (vier¬ zehn Mitglieder) und Gartental (fünf Mitglieder - deutschsprachig). 1991 hat¬ ten die MB-Gemeinden in Uruguay keinen einzigen ordinierten einheimischen Mitarbeiter. Lila Radionov Lila Radionov hatte alles geplant um den Rest ihres Lebens fröhlich und ruhig in ihrer Heimatstadt San Javier im Nordwesten Uruguays zu verbringen. Mit 34 hatte sie ein etwas schnelllebiges Leben geführt, indem sie fünfzehn Jahre lang als Hausbedienstete in verschiedenen Städten gearbeitet hatte. Jetzt wollte es ruhiger DIE MENNONiTEN BRÜDERGEMEINDE IN URUGUAY 315 angehen lassen, mit ihrer Mutter zusammen wohnen und sich mit ihrer Fotogra¬ fie selbstständig machen. „Jedoch war das nicht Gottes Plan.“ sagte sie. Drei Jahre nachdem sie nach San Javier zurückgekehrt war, starb ihre Mutter 1979. „Die Einsamkeit nach ihrem Tod war schrecklich.“, erinnerte sie sich. „Meine Mutter war das Zentrum meines Lebens gewesen.“ Lila hätte vielleicht Selbstmord begangen, wenn sie nicht eine Freundin, Maria, in dieser Zeit der Trauer gehabt hätte. Lila verbracht viele Nächte in Marias Haus. Im Februar 1980 veranstaltete die Mennoniten Brüdergemeinde in San Javier eine evangelistische Kampagne, wo Albert Enns aus Paraguay als Sprecher einge¬ laden war. Nachdem sie diese Veranstaltungen besucht hatte, begann Lila sonn¬ tags zur Gemeinde zu gehen. „Ich fing an von der Rettung und Liebe Gottes zu lernen“, sagt Lila, „und ich lernte auch, dass Christen ihren Feinden vergeben sollen.“ Aber sie war noch nicht bereit eine persönliche Entscheidung zu treffen, Zu dieser Zeit ging die Militärregierung in Uruguay hart gegen Personen vor, die unter Verdacht standen gegen die Regierung zu handeln. San Javier war besonders unter Verdacht, weil dort viele Menschen wie Lila, Einwanderer mit russischen Wurzeln, wohnten. Im Mai durchsuchten Soldaten Lilas Haus nach Waffen und kamen vier Tage später zurück und brachten sie in ein vierzig Kilo¬ meter entferntes Gefängnis. Maria und zwei weitere wurden zur gleichen Zeit festgenommen. Zehn Tage lang wurden sie und neun weitere völlig allein gelas¬ sen, ohne zu wissen, warum sie da waren. Lila war am Rande des Nervenzusam¬ menbruchs. Im Gefängnis entschied sich Lila Christus nachzufolgen. Sie betete ständig dafür, dass Gott ihr durch diese Tortur helfen würde, ln Erinnerung daran, was sie über Feindesliebe gelernt hatte, betete sie auch für die Soldaten. Lila wurde letztendlich zum Verhör geholt und über ihrer Beziehung zu Maria, deren Ehemann einer der Leiter der Tupamaros, einer linken Oppositi¬ onsgruppe, war, befragt. Jedoch konnten nichts gefunden werden, das Lila mit irgendwelchen staatsfeindlichen Aktivitäten in Verbindung bringen würde. Die San Javier Gemeinde war über ihre Rückkehr überaus glücklich und freute sich über die Neuigkeiten ihrer Entscheidung Christ zu werden. Im Okto¬ ber des gleichen Jahres wurde Lila im örtlichen Fluss getauft. 1981 führte der Herr Lila dazu am Mennoniten Brüdertrainingszentrum, dem Bibelinstitut, weiches von der Mennoniten Brüderkonferenz in Uruguay geleitet wird, zu studieren. Eine große Herausforderung für sie war, zu lernen, wie man studiert, da sie nur eine dreijährige Schulausbildung hatte. Als sie 1983 316 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE absolvierte, hatte sie vor nach San Javier zurückzukehren und sich in Ruhe in ihrem Haus niederzulassen. Aber sie erinnerte sich noch daran, was das letzte Mal geschah, als sie einen ähnlichen Plan hatte. Gott hatte einen völlig anderen. Also überließt Lila es diesmal Gott sie so zu führen, wie er es wollte. Adrienne Wiebe Übernommen von They Saw His Glory, 115-117. Die Gemeinde in Uruguay heute Die wirtschaftliche Lage in Uruguay ist immer noch sehr schwierig. Aus diesem Grund wandern viele Menschen auf der Suche nach einer besseren Zukunft in andere Länder aus. Deswegen hat die MB-Gemeinde viele Mitglieder verloren, aber die Arbeit wird fortgesetzt. Auf der jährlichen Konferenz im September 2007 waren sechs Gemeinden aus Montevideo und zwei weitere aus dem Inland Uruguays vertreten. Zusam¬ men waren es 211 Mitglieder. Dazu gehörten auch vierzehn Neugetaufte des Jah¬ res 2007. Ernst Janzen, einem Missionar in Uruguay nach, ist der Mangel an einheimi¬ schen Arbeitern eine der größten Nöte der uruguayischen Gemeinde. Die meis¬ ten Leiter sind jung, unerfahren und haben keine formale Ausbildung. Ein Prob¬ lem, das die Arbeit in Zukunft einschränken wird, ist, dass die meisten Mitglieder zur unteren sozial-wirtschaftlichen Schicht gehören und somit ihre Arbeiter nicht finanziell unterstützen können. Vielen Mitgliedern fällt es schwer die ethi¬ sche und moralische Einstellung zu übernehmen, die von Mitgliedern der christ¬ lichen Gemeinde verlangt wird. Missionare und Gemeindemitarbeiter brauchen viel Weisheit und Geduld, um in Liebe zu handeln, während sie auch lehren und die Einhaltung klarer biblischer Anforderungen erwarten. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PERU 317 Die Mennoniten Brüdergemeinde in Peru Rolando Neyra Die Mennoniten Brüder brachten nicht nur humanitäre und medizinische Hilfe mit, sondern auch eine Nachricht der Hoffnung für die, die wegen des Regens alles verloren hatten. Inmitten von Desastern und einer Regierung, die uns im Stich ließ, kamen sie uns mit mehr als nur einem Lebensmittel¬ paket ganz nah. Jetzt, wo ich das Wort Gottes kenne, kann ich sagen, dass sie uns geistliche Nahrung brachten, die den Hunger der Menschheit stillt. Jose Diaz, Mitglied der Mennoniten Brüdergemeinde SuUana D as antike Peru war der Sitz einiger bekannter Zivilisationen der Anden, die bekannteste von ihnen waren die Inkas, deren Reich von den spanischen Conquistadors 1533 erobert wurde. 1821 wurde die Unabhängigkeit Perus verkündet. Peru kehrte 1980 zu einer demokratischen Regierung zurück, erlebte aber wirtschaftliche Probleme und das Wachstum eines gewaltvoUen Aufstands. Die Präsidentenwahl von Alberto Fujimori 1990 läutete ein Jahrzehnt ein, dass von einer dramatischen Wende in der Wirtschaft und erheblicher Verringerung von Guerillaaktivitäten gekennzeichnet war. Verschiedene Faktoren verursach¬ ten jedoch eine wachsende Unzufriedenheit mit seinem Regime, was dann 2000 zu seinem Sturz führte. Die Neuwahlen im Frühling 2001 brachten Alejandro Toledo als neues Staatsoberhaupt hervor - Perus erster demokratisch gewählter Präsident mit indianischer Herkunft. 2006 wurde Alan Garcia nach seiner ent¬ täuschenden Amtszeit von 1985 bis 1990 wiedergewählt. Er versprach die sozia¬ len Bedingungen zu verbessern und steuerliche Verantwortung zu gewährleisten. Die Bevölkerungszahl Perus liegt bei 28000 000 (2008), mit einer überwälti¬ genden Mehrheit, die römisch-katholisch ist. Nur etwa 12 % sagen von sich, dass sie Protestanten sind. Mennoniten Brüder sind erst seit 1950 in zwei verschiede¬ nen geographischen Regionen, unter sehr schwierigen Umständen und mit sehr schwierigen Ergebnissen, präsent. Frühe KMB-AAission Die ersten Missionsbemühungen begannen 1950, als Sylvester Dirks von den Krimmer Mennoniten Brüdern anfing mit den WyclifF-Bibelübersetzern zusam¬ menzuarbeiten. Diese Arbeit wurde östlich der Hauptstadt Lima und östlich des 318 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Andengebirgszugs im peruanischen Dschungel getan. Das Ziel war die Bibel in die Sprache der Campa Ashanica-Indianer zu übersetzen. Eine Gemeinde ent¬ stand unter den Campas sowie eine weitere, spanisch sprachige, in nahegelege¬ nen Atalaya. I960 übernahm der Missionsausschuss der Mennoniten Brüdergemeinde die Arbeit der KMB. Unter den Missionaren, die in der darauffolgenden Periode dort arbeiteten, waren Paul und Maurene Friesen, Joe und Jan Walter, Helene Braun, Wald und Joy Pauls und Hazel Biehn, einige von ihnen wohnten auf dem Gelän¬ der der Schweizer Indianermission. Eine Zuwendung der kanadischen Regierung ermöglichte den Beginn von Bildungs-, Gesundheits- und Landwirtschaftspro¬ jekten. Im Jahre 1990 wurde die Arbeit in dem Gebiet wegen den Aktivitäten einer Terroristengruppe, die sich „leuchtender Pfad“ nannte, zunehmend schwieriger. Einige Gemeindeleiter wurden umgebracht und einige Dörfer verlassen. Men¬ noniten Brüdermissionare wurden bedroht und danach evakuiert, so dass 1995 kein Missionspersonal mehr in dieser Region aktiv war. MCC übernahm die Ver¬ antwortung für spätere Projektentwicklung. Die Schweizer Mission agiert dort immer noch und eine Gemeinde, die Iglesia Evangelica Ashaninka heißt, besteht auch noch. Antwort auf das Desaster Die Ankunft der Mennoniten Brüder im Norden Perus war von einem unge¬ wöhnlichen Ereignis im Bundesstaat Piura gekennzeichnet. Der Bundesstaat Piura liegt an der nordöstlichen Küste Perus und ist 1000 Kilometer von der Hauptstadt Lima entfernt. Furchtbare Fluten verwüsteten die Region und brach¬ ten extremes Leid für viele Menschen. Die Fluten wurden durch El Nino-Wet- terphänomene in der Region Piura verursacht. Es fielen im Zeitraum von fünf oder sechs Monaten über 2500 mm Regen. Küstenstädte auf den Prärien und Tälern waren auf ein Ereignis dieses Ausmaßes nicht vorbereitet. SuUana und Talara waren, wegen ihrer geographischen Lage, am stärksten von diesem Desas¬ ter betroffen. Am 21. Juli 1983 sprach Jorge Pablo Fernandini, der Botschafter Perus in Kanada, mit Peter Kroeker, dem Vertreter der BOMAS, und bat um humanitäre Hilfe. Der Missionsausschuss reagierte positiv und stellte 100000 $ für Hilfsakti¬ onen zur Verfügung. Damit begann die xMennoniten Brüdermissionsarbeit in die¬ ser Region. Der erste offizielle Missionar reiste mit einem Diplomatenvisum ein. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PERU 319 Piura war durch die Zerstörung der normalen Kommunikationswege iso¬ liert; die Straßen waren vollkommen mit Schlamm überflutet, und viele länd¬ liche Dörfer waren durch den Anstieg der Flüsse und Erdrutsche buchstäblich von der Landkarte verschwunden. Weiter im Norden teilten zwei Schluchten die Stadt Sullana in drei Teile. Die ganze Ernte war durch die Kraft des Wassers weg¬ geschwemmt worden. Talara, eine weitere wichtige Stadt, die das ganze Land mit Öl versorgte, war zerstört. Der ganze Norden Perus blieb in einem katastrophalen Zustand, voller Leid, kompletter Zerstörung und Isolation zurück. Als Antwort auf die Petition wurde LaMont Schmidt, ein Missionar im peru¬ anischen Dschungel, von der BOMAS damit beauftragt die Situation in Piura zu untersuchen und zu entscheiden, wo man am besten die Hilfe der Mennoniten einsetzten könnte. Im November 1983 machte sich Schmidt von Lima nach Piura auf und fand Casma vor, wo die Fluten die örtliche Ernte, Häuser und Brücken zerstört hatten. In Trujillo konnte er die Arbeit der Food for the Hungry Organi¬ sation mit ihren temporären Suppenküchen sehen. Er entschied sich dafür ihre Methoden der humanitären Hilfe zu lernen und die Institution, mit der die Mis¬ sion Zusammenarbeiten wollte, kennenzulernen. ln Piura, kontaktierte Schmidt Dr. Parcemon Morales, den regionalen Leiter für Gesundheit in Piura und Tumbes, um herauszufinden welche geographischen Regionen die dringlichsten Nöte hatte. Morales schlug Sullana vor. Nach seinem Besuch berichtete er: „Wir fuhren durch neue Städte aus Pappe. Die Armut und Entwürdigung, die wir gesehen haben, ist die größte, die wir je in Peru gesehen haben. Viele Frauen haben sich der Prostitution verschrieben um Lebensmittel für ihre Familien kau¬ fen zu können, deren Preis um 100 bis 200 Prozent gestiegen ist. Viel von der gesandten Hilfe ist in korrupte Hände gefallen und wird für die eigenen Zwecke benutzt.“ Schmidts Beobachtungen führten zu dem Entschluss die Hilfe auf Sullana zu konzentrieren. Die abschließende Empfehlung war; 1) einen medizinischen Pos¬ ten einzurichten, um Krankheiten, die von der Flut verursacht wurden, zu behan¬ deln; 2) 10 bis 15 Küchen zu errichten und zu betreiben, die 150 Kinder unter 5 Jahren versorgen sollten; 3) ein Jüngerschaftsprogramm zu schaffen, um denen, die am Evangelium von Jesus Christus interessiert sind, Hoffnung zu bringen; 4) Gesellschaftsentwicklung zu fördern, um die lokale Wirtschaft durch Berufsaus¬ bildung zu unterstützen. 320 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Am 4. Dezember 1983 verließ Schmidt das Programm und Dan Woodland, der einige Tage zuvor angereist war, übernahm seine Aufgaben. Die Woodlands starteten den Betrieb der Küchen und des medizinischen Zentrums. Eine Gemeinde entsteht Die Hilfe begann mit 16 Küchen, die in Verbindung mit der römisch-katholi¬ schen Kirche arbeiteten und von BOMAS unterstütz wurden. Zwei Monate danach wurde ein medizinisches Zentrum eröffnet. Zu den Dienstleitungen gehörten Beratung, eine Apotheke und Ernährungsberatung speziell für Kinder und Schwangere. Um das umsetzen zu können schloss sich Dr. Ray Martens aus Kanada im Februar 1984 dem Team an. Wichtig zu erwähnen wäre auch, dass die Woodlands zusätzlich zu der huma¬ nitären Hilfe biblisches Training anboten. Sie nahmen Freiwillige auf Ausflüge mit, die ihnen dabei halfen das Evangelium weiterzugeben und die auch den Kin¬ dern in der Gegend evangelistische Filme zeigten. Die ersten Zusammenkünfte gab es Mitte Dezember 1983 in den Häusern der Missionare und in den Häu¬ sern von Julio Contrera und von sechs Familienmitgliedern der Leons. Manch¬ mal begleiteten die Mitarbeiter des Missionars ihn auch in die Baptisten- oder Nazarenergemeinde, wo sie sonntags den Gottesdienst besuchten. Das Evange¬ lisationsinteresse der Woodlands konzentrierte sich auf die Tatsache, dass die Menschen, obwohl sie „Christen" waren, in der Dunkelheit der Sünde lebten. Ein Bericht besagt, dass, obwohl die Menschen Weihnachten fromm und mit Begeis¬ terung feierten, sie eigentlich in Dunkelheit waren. Am 7. Juli 1984 kamen John und Agnes Penner in Lima an und hatten vor nach Piura zu reisen um das BOMAS Projekt in der Region zu übernehmen. Wie vorher schon erwähnt kamen sie mit einem Diplomatenvisum ins Land. Ihre Arbeit bestand darin die Küchen am Laufen zu halten und zu überprüfen, ob es möglich wäre eine Mennoniten Brüdergemeinde in dem ärmlichen Stadtteil Sanchez Cerro in SuUana zu gründen. John entschied sich vorerst dafür, die Pas¬ toren der evangelikalen Gemeinden zu kontaktieren und sie über das Projekt zu informieren und Rat von ihnen einzuholen. John berichtet; „Ich dachte es wäre schwierig, hungrigen Menschen das Evangelium weiterzugeben, weil ihr Ver¬ stand und ihr Herz auf ihr Verlangen nach Nahrung ausgerichtet ist. Deswegen haben wir ihre Körper mit den Küchen ernährt, aber mit den Bibelkreisen haben wir ihre Seelen genährt.“ DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PERU 321 Nach dem sie einige Wochen lang Bibelkreise für Freiwillige, Nachbarn und Freunde durchgefuhrt hatten, begannen die Penners damit die erste Gruppe zur Taufe vorzubereiten. Diese Personen wurden zu den Gründern der Mennoniten Brüdergemeinde in Suilana. Die erste Taufe wurde an einem historisch wichtigen Tag für die Mennoniten Brüder abgehalten, dem 6. Januar 1985. 1986 kamen die Missionare Nellie und Hardy Groening nach Suilana um den Penners zu helfen, die mit dem Wunsch, mehr Menschen zu Christus zu bringen, ihre Arbeit erweitert hatten. Das Ziel der Groenings war es die Arbeit der jungen Gemeinde in Suilana zu stärken. Im folgenden Jahr machten die Penners Heimaturlaub in Kanada und war¬ ben bei den nördlichen Gemeinden für ihre Arbeit in Peru. Als Antwort darauf fühlte sich Peter Löwen, ein Geschäftsmann aus der King Road-Mennoniten Brü¬ dergemeinde in Abbotsford, BC, von Gott dazu berufen den Erwerb und Aufbau des Gemeindehauses in Suilana, sowie von drei weiteren Gemeinden im Norden Perus: Vichayal, El Indio und Chato Chico, zu finanzieren. Jacqueline Salazar, die Frau des Pastors, sagte: „Ich kenne die King Road-Gemeinde nicht, aber ich fühle, dass wir eine starke Partnerschaft mit ihnen haben, da sie die Arbeit in Peru von Anfang an unterstützt haben. Es ist erstaunlich und ermutigend zu wissen, wie eine Gemeinde Mission unterstützen kann. Stellt euch vor, was passieren würde, wenn alle Mennoniten Brüdergemeinden sich der Mission verschreiben würden. Dann könnten wir Gemeinden in der ganzen Welt gründen.“ Als die Penners aus Kanada zurückkehrten zogen sie nach Piura und wohnten mit den Groenings zusammen, die für die Gemeinde in Suilana verantwortlich waren. Piura ist eine der Städte in Peru mit den wenigsten Christen, Einer offi¬ ziellen Statistik nach, sind nur sieben Prozent gläubig, national liegt die Zahl bei dreizehn Prozent. Eine Arbeit in Piura zu beginnen war strategisch gut, denn es ist die Hauptstadt des Bundesstaates und hat eine Bevölkerung von fast 800 000. Währenddessen waren die Groenings weiterhin für die Arbeit in Suilana verantwortlich. Sie unterstützen weiterhin soziale Projekte und versuchten die schwierige wirtschaftliche Situation der Mitglieder zu erleichtern. Nach einigen Jahren der Ausharrens mussten die Groenings die Arbeit aus Gesundheitsgründenverlassen. Für sie kam 1988 David Ediger, ein junger ame¬ rikanischer Missionar, um besonders die Groenings, aber auch die Penners zu unterstützen. Ediger versuchte der Gemeinde eine Identität zu geben, aber er hatte nicht genug Zeit. 1991 war seine Zeit mit der MBMSI vorbei und er kehrte zurück in die Vereinigten Staaten. 322 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Die Penners schlossen ihre Dienstzeit 1990 ab und hinterließen vier etablierte Gemeinden: SuUana, El Indio, Vichayal, Chato Chico, und zwei Tochtergemein¬ den: El Cucho in SuUana und Miramar in Vichayal. Insgesamt lag die Mitglie¬ derzahl bei fast 180. Ausbreitung und Leiterschaft Die Gemeinde in Sillana entwickelte sich mit einheimischen Arbeitern wei¬ ter. Santiago Hidalgo, ein Laienleiter aus der Christlichen Missionarsallianz- Gemeinde in Piura, wurde für zwei Jahre zum Pastor der Gemeinde gewählt. Jeff Prather nach wuchs die Gemeinde in SuUana auf mehr als 100 Mitglieder und begann während dieser Zeit sich selbst zu finanzieren. Als Santiago Hidalgo die Gemeinde nach seiner Dienstzeit verließ, wurde kein einheimischer Leiter aufgestellt um das Pastorat zu übernehmen. Darüber hinaus gab es auch keinen, der die nötigen Fähigkeiten hätte, um es zu überneh¬ men. Deswegen wurde ein Leitungsteam gewählt, das sich aus Jeff Prather als Leiter und Jose Julio Mendoza Iman und Roberto Chau Garcia als Assistenten zusammenstellte. Angesichts der Not einheimische Leiter zu finden, die bereit waren die Pas¬ torate der örtlichen Gemeinden zu übernehmen, leitete MBMSI ein Stipendien¬ programm ein, das nationale Leiterschaft entwickeln sollte. 1995 wurde Roberto Chau aus der Gemeinde in SuUana zum ersten Leiter, der bei seinem Studium am Nazarener-Seminar in Chiclayo unterstützt wurde. Er war der erste lokale Leiter, der von der Gemeinde darin unterstützt wurde seinen eigenen Leuten zu dienen. Das war tatsächlich der erste erfolgreiche Versuch der Leitungsentwick¬ lung. Früher wurden schon einmal drei Studenten für ihr Studium an die IBA nach Paraguay gesandt, aber konnten aus verschiedenen Gründen das Programm nicht abschUeßen. In der Zwischenzeit wurde das Leitertrainingsprogramm (FLET) von Jeff Prather eingerichtet und gestärkt und hatte bessere Ergebnisse in SuUana. Ein Jahr später, im Januar 1996, wurde Jose Julio Mendoza Iman zum Pastor der Gemeinde ernannt. John Penner ergriff die Initiative in Vichayal, in einer Zeit als die Bauern durch Entwicklungsprogramme versuchten ihre Existenz wieder aufzubauen, nachdem ihr Land durch das Phänomen El Nino zerstört worden war. Die Ver¬ wirklichung dieses Projekts schuf wiederum die Möglichkeit Zeugnis zu sein. Penner nutze die Gelegenheit und startete einen Bibelkreis in der Stadt. DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PERU 323 Während die Gemeinde sich etablierte, schrieb Valerio Ramos, ein Laienlei¬ ter der Kirche der Nazareners, ein sehr wichtiges Papier. John Penner half Ramos bei seiner Entwicklung und der Übernahme der Arbeit in Vichayal. 1998 ent¬ schied sich der Missionar ihn zu ordinieren und die Gemeinde wuchs weiterhin auf beeindruckende Weise. Sie eröfFnete auch eine Tochtergemeinde in Mira- mar, die fünfzehn Minuten von Vichayal entfernt ist, und diese besuchten zwan¬ zig Menschen. Die Gemeinde in El Indio wurde von der Gemeinde in Sullana gegründet. El Indio ist eine städtische Siedlung im Bezirk Castilla fünfzehn Kilometer von Sullana entfernt. Eine Gruppe, die Sullana besuchte, wurde angesprochen und ihnen wurde das Evangelium weitergegeben. Einige Mitglieder einer Familie nah¬ men Christus an und begannen einen Bibelkreis in ihrem Haus. Gemäß Jeff Prather sah John Penner nach seiner Rückkehr nach Peru im Oktober 1987 die Möglichkeit für eine Arbeit in El Indio. Davor war jegliche evangelikale Arbeit in dieser Nachbarschaft schwierig gewesen. Es waren einige Gemeinden gegründet worden, die für eine Zeit gut liefen, aber dann letztend¬ lich geschlossen wurden. Eine Methodistengemeinde, die sich gespalten hatte und unabhängig geworden war, hatte Verbindungen zu pfingstlerischen Grup¬ pen, aber mit wenig Erfolg. Im November 1987 nahm Penner das Missionarspaar Jeff und Teri Prather mit und startete wöchentliche Treffen im Haus der zuvor bekehrten Familie Flores. Im März 1988 übernahmen die Prathers die Verantwortung für die Arbeit in El Indio. Die Arbeit wuchs schnell unter Jugendlichen und Frauen mit einer Reihe von Taufen, obwohl es schwierig war Männer zu erreichen. Angefangen in 1990 wurde die Arbeit aber dann auch von Männern gut aufgenommen und 1991 wurde der Erste getauft. Die Schwierigkeiten in El Indio beanspruchten viel Zeit und Energie von Prather, besonders nachdem John und Agnes Penner in den Ruhestand gingen und ihm mit Freude die ganze Verantwortung für die Mission abgaben. Die Arbeitsaufteilung zwang Prather dazu einen weiteren Leiter für die Beaufsichtigung in dieser Region zu suchen. Für kurze Zeit war Jorge Pacherrez Ordinola eine Option, ein junger Prediger, der in dieser Gemeinde geboren war und sicherstellte, dass die Arbeit weiterlief. Trotz des mutigen Beitr^s von Pacherrez brauchte die Gemeinde einen vor¬ läufigen Pastor. Im September 1993 bestellte die Gemeinde Juan Vilchez von der Baptistengemeinde in Chiclayito zum Pastor. Er schaute positiv nach vorne und koordinierte evangelistische Bemühungen. 1995 hatte die Gemeinde in El Indio sechsunddreißig Mitglieder und über 70 Besucher, während sie verschiedene Pre- 324 DIE GESCHICHTE DER MEN NON ITEN-BRÜDERGEMEINDE digtzentren eröffnete. Als sie die Zeit, für die sie berufen worden waren, erfüllt hatten, entschied BOMAS den Vertrag mit Vilchez nicht zu erneuern, um Platz für einen einheimischen Leiter zu schaffen. Am 13. Juli 1996 wurde Miguel Reyes, ein siebzehnjähriger Prediger, zum Pastor der Gemeinde in El Indio ernannt. Er übernahm die Verantwortung und gab der Gemeinde eine Richtung in einer Zeit, wo man fast dabei war sie zu schließen. Die andere Gemeinde, die die Penners gegründet hatten, war Chato Chico. Ende des Jahres 1988 trat ein Laienleiter der Baptisten Gemeinde an John Pen¬ ner heran und fragte, ob die Mission an einer Arbeit in Caserio Chato Chico im südlichen Piura interessiert wäre. Sie hatten in der Gegend schon evangelisiert, hatten aber nicht die Möglichkeit einer Nacharbeit, aus der eine Gruppe ent¬ stehen könnte. John Penner war an den Aussichten interessiert und begann die Gegend zu besuchen. Im Januar 1989 kamen Gerald und Shirley Falk aus Kanada an und schlossen sich dem Team an. Auf Empfehlung von Juan F. Martinez wurden die Falks von der MBMSI ausgesandt, um unter der Mittel- und Oberschicht in Piura zu arbei¬ ten, aber ihnen wurden vom Leiter der MBMSI in Peru eine andere Arbeit zuge¬ wiesen. Deswegen, auch wenn sie erst gerade angekommen waren, übergab man ihnen die Verantwortung des Pastorats von Chato Chico, wo sie schnell unter den Frauen und Kindern Mitglieder gewannen und nach längerer Zeit auch Männer. Im Juni 1991 wurde ein weiterer Leiter der Christen- und Missionsallianz, nämlich Jose Carrasco, berufen, um eine Gemeinde für zwei Jahre zu leiten. Als er wieder ging, übernahm der pfingstlerische Laienleiter Juan Yovera vorüberge¬ hend bis zum September 1994 die Arbeit. Schon früher v^oirde Feliciano Juarez Yovera, der in der gleichen Gemeinde geboren war, von Prather für die Zusam¬ menarbeit mit Yovera empfohlen. Er wurde der leitende Pastor, nachdem Juan Yovera seine Zeit vollendet hatte. Nach einigen Jahren der produktiven Leitung wuchs die Gemeinde 1999 auf sechsundvierzig Mitglieder und siebzig Besucher. Die Gemeinde hat heute die gleiche Mitgliederschaft trotz des Rückgangs der Einwohnerzahl in dieser Region, weil viele auf der Suche nach besseren Beschäftigungsmöglichkeiten woanders hingegangen sind. 1992 entschied sich die Mission die Arbeit umzuorientieren, um die nationale Arbeit zu stärken. Am Anfang hatten sie in städtischen und ländlichen Randge¬ bieten gearbeitet. Aber nach fast einem Jahrzehnt hatten sie keinen Erfolg damit die Gemeinden dazu zu entwickeln, dass sie sich selbst erhalten und die Zukunft sah nicht vielversprechend aus. Darüber hinaus wurden die Ansätze für Missi- DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PERU 325 onsarbeit, die in den Herzen der Ortsgemeinden wuchsen, durch die Lebensum¬ stände der Mitglieder zunehmend schwieriger. Welche Freude Welche Freude! Wenn ich jemals daran zweifle, dass Gott Wunder tun kann, erin¬ nere mich an Isabel. Isabel hatte so viel zu verarbeiten, aber welch ein Zeugnis hat sie heute gegeben. Sie erkannte ihre Nervosität an, aber sie sagte, dass es von den Emotionen kam und nicht von Angst. Sie war stark. Isabel war immer jemand, die am Ende ihrer Kräfte war und aufgeben wollte, Sie wollte ihrem Leben ein Ende setzen, sie wollte ihren Mann und ihre Kinder verlassen, sie wollte raus. Sie war sauer auf sich selbst, sie war bitter wegen ihrer Vergangenheit, sie war ungeduldig bis zum Punkt, wo sie ihre Kinder schlecht behandelte, sie war einsam - das war Isabel. So blind, so hart, so verschlossen dem Licht Gottes gegenüber. Immer und immer wieder reagierte ich auf ihre SOS-Rufe und dann war ich letztendlich so ausgelaugt, dass ich ihr sagte, dass ich nichts mehr für sie hätte - ich gab sie auf. Gott sei gelobt, dass er, während wir für das Studium in Kanada waren, sie mir wieder stark aufs Herz gelegt hatte. Ich begann für sie zu beten und bat Gott um eine weitere Chance. Aus tiefstem Herzen danke ich jedem von euch, der mal für Isabel und für mich, für uns in unserem Zeugnis für die Menschen um uns herum, gebetet hat. Isabel ist auch ein Juwel in eurer Krone. Isabel wollte im August getauft werden, aber sie hatte es nicht ihrem Ehemann Felix oder sonst jemanden in ihrer Familie gesagt und deswegen konnte diese an dem Morgen nicht im Gottesdienst sein. Zwei Monate später waren Felix, Isabels Jungs, ihr Vater und ihre Mutter, ihr Onkel, zwei Schwestern und einige Neffen und Nichten da, um zu hören und zu sehen. Mit Hilfe der Missionare Jose und Esperanza Prada hat sie in den letzten zwei Monaten viel Müll aus ihrer Vergangenheit verarbeitet. Sie schrieb Briefe an ihre Familie und hat ihren Vater in Liebe aufgenommen. Heute sprach sie von der Liebe und Annahme, die sie von Gott spürt und den Unterschied, den er in ihrem täglichen Leben gemacht hat. Sie gibt zu, dass sie immer noch Fehler macht, aber jetzt sieht sie diese und versucht sie zu berichtigen. Welch einen großen, großen Segen hat Gott uns an diesem Morgen geschenkt. Shirley Falk True Life, 83 326 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Neue Ansätze Diese Situation brachte die Mission dazu über Arbeit in der Mittel* und Ober¬ schicht in den großen und wichtigen Städten Perus nachzudenken. Das erste Projekt wurde verwirklicht, als Gordon und Martha Boettcher 1992 in der Mit¬ telschicht in Piura, in Miraflores Nachbarschaft, ankamen. Die Arbeit hatte schon mit den Prathers und den Falks angefangen, die einen Bibelkreis am Dienstag und ein Kinderprogramm am Samstag organisiert hatten. Als die Boettchers ankamen, gab es sichtbares Wachstum in der Arbeit. 1995 hielten sie ihre ersten drei Taufen ab. 1999 kamen Jose Manuel und Esperanza Prada, ein kolumbiani¬ sches Missionarspaar, an um die Verantwortung für die Gemeinde Miraflores zu übernehmen. Die Arbeit der Pradas bestand darin der Gemeinde Identität und Orientie¬ rung zu geben und sie auf eine neue Ebene des Wachstums zu bringen. In dieser Zeit versuchten sie die Gemeinde durch intensive Jüngerschaft und indem sie die Menschen lehrten, sich Gott und der Gemeinde zu verpflichten, zu festigen. Nach drei Jahren im Dienst in Miraflores übergab das Paar die Arbeit an Rolando und Jacqueline Neyra, welche Leiter in der Theologiefakultät des Bibelinstituts Asuncion waren. Die Gemeinde hatte zweiundsechzig Mitglieder und fast hun¬ dert regelmäßige Besucher. Krise in der Gemeinde Das zweite Projekt hat sich auf natürliche Art in der Stadt Trujillo entwickelt. Diese ist 600 km von Piura entfernt und bekannt als Universitätsstadt. Die Boett¬ chers initiierten diese Arbeit, nachdem sie einen peruanischen Studenten in einem Kurs von Campus Crusade for Christ an der Universität von Buenos Aires kennengelernt hatten. Die Boettchers nahmen Kontakt zu ihm auf und luden ihn ein eine evangelistische Arbeit in seiner Heimatstadt Trujillo in der Mittel- und Oberschicht zu beginnen. Das Projekt begann mit der Gründung eines Zentrums für Ehebereicherung, um dadurch Arbeiter und Geschäftsleute anzuziehen, die den Worten „evangeli- kal“ oder „christlich“ misstrauten. Das Zentrum sollte Partnerberatung, Ehewie¬ derherstellung und andere Arten der Beratung bieten. Das Problem mit diesem Fokus war, dass dadurch die anfängliche Vision und das Ziel verloren gingen. Die Treffen \vurden zu Gesprächen über Ehethe¬ men und Gottesdienste. Manchmal wurden Personen gebeten ihr Zeugnis, mit DIE MENNONITEN BRÜDERGEMEINDE IN PERU 327 wenigen Bezügen zur Schrift und ohne Bibelverse zu zitieren, zu geben. Der Grund dafür war, dass Menschen nicht abgeschreckt werden sollten, wenn die Gruppe als evangelikal erkannt würde. Dieser Ansatz wurde in Frage gestellt, als Robert und Erica Sukkau ankamen. Die Sukkaus waren davon überzeugt, dass eine Gemeinde, die auf humanistischen Prinzipien aufgebaut war, mit Sicher¬ heit scheitern würde. Der Versuch der Sukkaus, die Bibel mehr zu betonen ver¬ ursachte Reibereien zwischen den nationalen und ausländischen Missionaren. Die Ergebnisse, wenn man ohne Bezug auf Gott oder die Bibel predigt, sind immer die gleichen und immer gleich verheerend. Wie der Psalmist sagt: „Wo der Herr nicht das Haus bauet, so arbeiten umsonst, die dran bauen.“ (Psalm 127,1). Im Oktober 2000 kam es zum Bruch nach einigen Monaten, in denen man darüber verhandelt hatte der Arbeit eine klare täuferische Identität zu geben. Julio Sanchez entschied sich dafür die Denomination zu verlassen und eine neue Gruppe mit der Mehrheit der Mitglieder zu gründen. Gleichzeitig verlangte er eine Abfindung über 57 000 Dollar, indem er eine Zivilklage einreichte. Die Auswirkungen auf die Gemeinde, gegen die diese Klage lief, waren ver¬ heerend. Drei Monate nach der Trennung konvertiert die Sanchez-Gruppe von mennonitisch zu römisch-katholisch und zerfiel letztendlich. Die übriggebliebe¬ nen Mennoniten Brüdermitglieder blieben bei den Sukkaus und identifizierten sich auch bald mit ihnen. 2007 hatte die Gemeinde sechsundzwanzig Mitglieder und vierzig regelmäßige Besucher. Letztendlich, nach einer sorgsamen Untersuchung der Mittel- und Ober¬ schicht, begann die Mission damit eine Gemeinde in Lima, der Hauptstadt Perus, zu gründen. Dieses Projekt war unter der Aufsicht von den kolumbianischen Missionaren Jose und Esperanza Prada, aber die Aussichten auf Wachstum waren ärmlich und die Finanzen sind begrenzt. Nichtsdestotrotz gibt es Hoffnung, dass der Herr diesen Versuch segnen wird. Eine weitere Sache, die zu einem großen Problem fiir das Missionsbüro in Peru wurde, war die Erstellung einer Verfassung für die Nationale Vereinigung der Mennoniten Brüdergemeinden. 1995 wurde ein Prozess angestoßen um die Vereinigung zu legalisieren, welche 1996 letztendlich ihren rechtlichen Namen als Die Vereinigung der Mennoniten Brüdergemeinden in Peru erhielt und Pastor Jose Julio Mendoza Iman als Präsidenten hatte. Diese erste Institution existierte bis 2001, obwohl ihre Arbeit unregelmäßig war. Die nationalen Leiter, darunter auch der Präsident, hatten keine Ausbildung im administrativen Bereich, die für solche Vereinigungen notwendig sind. Deswegen waren sie von der Arbeit des Missionars Jeffrey Prather abhängig. 328 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE Erstellung einer neuen Vision Prathers Abreise 1998 hinterließ ein enormes Vakuum in den Mennoniten Brü¬ dergemeinde Perus, weil er wirksam und weise geleitet hatte, was nicht zu erset¬ zen war. Gerald und Shirley Falk hatten versucht die Vereinigung, nicht die Konferenz, zu einer festen Einheit zu machen. Aber durch eine drastische und unerwartete Verringerung der Finanzen war das unmöglich. Die einzige Lösung war eine klare Vision für die Zukunft zu entwickeln und die Gemeinden dazu zu verpflichten wirtschaftlich unabhängig zu werden. Dafür brauchte man Zeit und Opfer. Nach zwei Jahren der Stärkung von Pastoren und Gemeinden, scheint das Ziel, die Konferenz voran zu bringen, möglich zu sein. Die Herausforderung ist groß. Die am besten ausgebildeten nationalen Lei¬ ter sind unbezahlt und müssen Teilzeitjobs finden. Dadurch wird ihr Dienst sehr anstrengend. Die, die ihre Arbeit weitermachen möchten, werden gebeten, andere Diensten zusätzlich zu leisten, damit sie ihren Lebensunterhalt mit einer angemessenen Bezahlung verdienen können. Ein Stipendiensystem der IBA in Paraguay hilft bei der Entwicklung der Leiter. Die peruanische Konferenz der Mennoniten Brüdergemeinden schaut mit viel Hoffnung in die Zukunft. Durch die Bemühungen der Ortsgemeinden in Zusammenarbeit mit der MBMSl und der King Road-Mennoniten Brüderge¬ meinde entwickelt sich eine neue Generation von Leitern. HORIZONTERWEITERUNG 329 Horizonterweiterung Ray Harms Wiebe D ie fortlaufende Geschichte der Mennoniten Brüderfamilie ist eine von treuen Dienern aus vielen verschiedenen ethnischen Gruppen, die den Schatz des Königreichs, wo auch immer sie hingingen, mitgenommen haben. Manchmal war die Geschichte von geographischer Umsiedlung, von Krieg und Verfolgung getrieben, manchmal von Auswanderung und neuen Mög¬ lichkeiten in der Welt und zu anderen Zeiten von missionarischer Vision und Lei¬ denschaft. Durch die Gnade Gottes sind die Mennoniten Brüder daran beteiligt gewesen die Geschichte des Evangeliums Menschen zu erzählen, die entweder noch nie von Gottes Liebe ihnen gegenüber gehört hatten oder noch nie das Vor¬ recht hatten die Nachricht auf eine Art und Weise zu hören, in der sie sie verste¬ hen konnten. Es folgt eine kurze Zusammenfassung der jüngsten Entwicklungen. ASIEN Mongolei Nördlich von China liegt die abgelegene Nation der Mongolei. Die Mennoniten Brüdermissionsarbeit in der Mongolei begann 2001 durch den Dienst von Robert und Marlene Barg. Ihre Gemeinschaftsevangelisation durch Kinder- und Jugend¬ zentren hat sich zu einem größeren Jüngerschaftsdienst in der Hauptstadt Ulan Bator weiterentwickelt. Im Moment erkunden sie die Entwicklung einer neuen Camparbeit außerhalb der Hauptstadt, um ihren wachsenden Jüngerschafts¬ dienst zu verbessern. Laos Die Mennoniten Brüdermissionsarbeit in Laos begann mit der MBMSI-Unter- stützung von Phone Keo, eines Khmu Pastors, in seiner Gemeindegründungs¬ arbeit unter Einwanderern aus Südostasien während der frühen 1990er in der Gegend von Fresno in Kalifornien. Die Khmu sind eine der größeren Stammes¬ gruppen in Laos mit etwa 400000 Menschen und etwa 30000 weiteren in Thai¬ land. Sie sind auch in China und in Myanmar (Burma) zu finden. 330 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Seit 1996 ist Phone Keo von der MBMSI in seine Heimatregion gesandt wor¬ den, um das Evangelium zu predigen und Leiter auszubilden. Das daraus resul¬ tierende Netzwerk von Gemeinden ist von ein paar hundert Gläubigen auf über 35000 angewachsen. Sie identifizieren sich mit den Mennoniten Brüdern und haben ihr Glaubensbekenntnis übernommen. Viele Pastoren sind von der kom¬ munistischen Regierung inhaftiert und gefoltert worden. Ihre Geschichten erin¬ nern an die ersten Täufer, die ihr Leben für das Evangelium hingegeben haben. Die Philippinen Disciple Making International (DMI), ein Kurzzeit-Evangelisationsdienst der MBMSI, sandte im April 1996 ihr erstes Team auf die Philippinen, Aufgrund seiner DMI-Evangelisationserfahrungen und seiner Freude, dabei zu helfen, Gemeinden für die Neubekehrten Filipinos zu gründen, stellte Arthur Löwen 2002 der MBMSI eine Gemeindegründungsvision vor. Zur gleichen Zeit trat auch John Culaniban, der geborene Filipino und Pastor einer Filipino-Gemeinde in Bakersfield in Kalifornien, an die MBMSI heran. Er gründete drei Gemeinden in Manila und wollte, dass diese Mennoniten Brüder¬ gemeinden werden. Im November 2002 entschied sich die MBMSI zusammen mit philippinischen Leitern dafür die Mennoniten Brüdergemeinde der Philippi¬ nen zu gründen. Man einigte sich darauf, dass Culaniban in Manila und Umge¬ bung weiter Gemeinden gründen würde und Löwen an Gemeindegründung außerhalb der städtischen Gebiete arbeiten würde. Im März 2004 hatte Arthur Samuel Arcano, einen Gemeindegründer, durch seinen Schlüsselkontakt und Freund auf den Philippinen Nathan Costas gefun¬ den. Arcano hatte die Vision eine Gemeinde unter den Universitätsstudenten in Baguio zu gründen. Bald schon kamen vierzig Jugendliche ins Jugendzentrum Baguio. 2006 wurde Arcano dazu ermutigt eine zweite Gemeinde in der Region Ambiong, die an Baguio City grenzt, zu gründen. Die Gemeindegründungsar¬ beit wurde von zwei im Jugendzentrum ausgebildeten Jüngern initiiert. Schnell wuchs ein kleiner Bibelkreis. Im Mai 2007 hielten sie den ersten Gottesdienst in der Redeemed in Christ (MB)-Gemeinde ab. Die Besucherzahl ist auf über sieb¬ zig angewachsen. Die drei Gemeinden in Manila setzen ihre Reise fort. Die zwei Jungen Gemeindefamilien in Manila und in Baguio sind die kleinen Anfänge von ent- HORIZONTERWEITERUNG 331 stehenden Mitgliedern der Internationalen Gemeinschaft der Mennoniten Brü¬ der (ICOMB). Thailand Die Mennoniten Brüdermissionsarbeit in Thailand begann, als die MBMSI-Mis- sionare Russ und Liz Schmidt 1992 im Norden Thailands ankamen um Gemein¬ den unter den Khum in der ländlichen Provinz Nan zu gründen. 1995 sandte die MBMSI Fritz und Susie Peters als Gemeindegründer nach Chiang Mai. Fritz reiste zu den fünf Stunden entfernten Khum-Dörfern um dem Khum-Volk zu dienen, und Susie unterrichtete in einer christlichen Thai-Schule. Das Ehepaar diente bis 2004 in Thailand. Team 2000, das aus drei Paaren (Ricky und Karen Sanchez, Dave und Louise Sinclair-Peters, Andy und Carmen Owen) und ihren Familien bestand, wurde im Jahr 2000 mobilisiert. Im Januar 2001 kam das Team in Thailand zur Sprach¬ schule an. Ein Jahr danach zog das Team nach Chonburi in Zentralthailand um Gemeinden zu gründen. Team 2000 ist aktiv an vier Gemeindegründungen beteiligt, dazu gehören The Life Center, The Promise Church, The Bethel Church und das Ang Sila Friend- ship Center, wo sie evangelisieren, zu Jüngerschaft anleiten und gläubige Thais ausbilden, sowie soziale Dienste leiten. In der Folgezeit des Tsunamis 2004 mobilisierte Team 2000 und das MBMSI- Büro Hilfsaktionen, die viele Freiwillige aus Nordamerika mit einbezogen. Fünf¬ undzwanzig Häuser wurden für Witwen gebaut. Nach den Hilfsaktionen wurde ein zweites Team, das Operation 2nd Wave (02W) hieß, 2006 nach Südthailand gesandt. Dieses Team legt zurzeit das Fundament für neue Gemeindegründun¬ gen in der Stadt Phuket. Das Abundant Life Home, ein Waisenhaus für HlV-positive Kinder, wurde im April 2006 vom Team 2000 eröffnet. Im März 2008 wurde die Abundant Life Stiftung gegründet wodurch das Team 2000 die Erlaubnis für soziale Projekte in Thailand erhält. Die Thai Mennoniten Brüderkonferenz wurde im Juni 2008 gegründet um dem Abundant Life Home rechtlichen Status und ein religiöses Fundament zu geben. 332 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE AFRIKA Burkina Faso Als die Missionare Dan und Kathy Petersen von der Evangelikalen Mennoni- tengemeinde (EMC) zum ersten Mal Mitte der 1980er in die ultra-konservative Nanerige-Welt gingen, fanden sie heraus, dass die Menschen dort von Christen „bombardiert“ worden waren. Es gab nur ein paar Dörfer irgendwo im Westen Burkina Fasos, die noch keine Evangeiiumsshow, die von Besuchern in der regi¬ onalen Handelssprache Jula veranstaltet wurde, gesehen hatten. Die Missionare wählten Jula, weil Nanerige eine sehr schwer zu lernende Sprache ist. Zu der Zeit gab es noch kein Schreibsystem oder linguistische Informationen für Nanerige. Indem sie die Handelssprache gebrauchten, sparten sich die Missionare sieben bis zehn Jahre Vorbereitung. Von den 55000 Menschen der Nanerige (zu der Zeit), von denen gut über neunzig Prozent animistisch sind und der Rest ein wenig muslimisch, wurden nur eine Handvoll von der christliche Nachricht angesprochen. Viel mehr haben sich dem Islam zugewendet, einer Religion, die keine Missionare aussendet. Dar¬ aus folgerte man, dass die Nanerige eine geschlossene Gruppe seinen und das Evangelium ablehnten. Angesichts der geringen Akzeptanz des Evangeliums, glaubten die Petersens, dass ein anderer Evangelisationsansatz notwendig sei - einer, der Gemeinschaft und die Bibel anstatt der reinen Predigt, ins Zentrum rückt. Die Petersens entschieden sich ein Nanerige-Dorf auszuwählen, sich der Füh¬ rung als „Boten“ vorzustellen, die Gottes Wort liebten, und diese Frage zu stellen: „Würdet ihr gerne erfahren, was Gottes Wort übersetzt in eure Sprache sagt?“ Die positive Reaktion auf diese Frage öffnete die Tür. Nach zwanzig Jahren und viel harter Arbeit, wurden schließlich am Sonntag, den 16. November 2008, neun Nanerige-Personen getauft. Einer der Männer, die an dem Tag getauft wurden, sagte: „Gottes Wort spricht zu uns über den Weg zum Frieden mit Ihm. Wenn er uns sein Wort gegeben hat und wir es ignorieren, wie können wir dann erwar¬ ten den Frieden, nach dem wir alle streben, zu finden? Gottes Wort spricht zu uns über einen Retter, Jesus Christus. Wir müssen uns alle entscheiden, was wir mit Jesus machen.“ Die Mennoniten Brüdermissionare Phillip und Carol Bergen schlossen sich den Pertersens 1992 mit dem Ziel an die Bibelübersetzungsarbeit zu übernehmen und damit die Petersens zu entlasten, damit sie die übersetzte Bibelnachricht ver¬ künden könnten. Zu der Zeit waren die Bergens und die Petersens Teil der Afrika HORIZONTERWEITERUNG 333 Inter-Mennonitenmission (AIMM). Die Petersons verließen Burkina Faso 1998, nachdem sie den ersten Entwurf einer sechsstündigen Schriftauswahl, die man für die Erzählung der Bibelgeschichte von Schöpfung bis Pfingsten braucht, fertig gestellt hatten. Sie erzählten die Geschichte der Bibel in dem Dorf Silorola, und die Leiter erlaubten ihnen weiterzumachen, aber es gab keine echte Bekehrung, bevor sie fortgingen. Angesichts der Tatsache, dass die Bergens jetzt auf sich allein gestellt waren, spürten sie, dass der Heilige Geist es wollte, dass sie ein Team zusammenstellen. Aber woher sollten die neuen Mitglieder dieses Teams kommen? Im Warten auf Gottes Versorgung teilten sie ihren Unterstützern ihre Nöte mit und beschränk¬ ten sich einfach auf das Folgende: das Testen, Revidieren, Vervollständigen und Mitteilen der übersetzten Schrift. Nach einigen erfolglosen Anfängen kam zehn Jahre später endlich die Antwort! Blaine und Michelle Warner aus Kanada schlos¬ sen sich dem Team an. Rosanna Löwen aus Paraguay entschied sich auch ein Mitglied des Teams zu werden. Jedoch kamen die Schlüsselpersonen für die Bil¬ dung eines effektiven Evangelisationsteams als Leihgabe der kürzlich gegründe¬ ten Evangelikalen Mennonitengemeinde von Burkina Faso. Pastor Madou Traore, seine Ehefrau Mariam und ihre Kinder sind Chris¬ ten der ersten Generation, die dem Hilferuf folgten und sich den Bergens 2007 anschlossen um die Rolle der Evangelisten zu übernehmen. Sie verließen das Pastorat der ersten Mennonitengemeinde, die unter dem Volk Sicite gegründet wurde - die Nachbarn der Nanerige sind - um die ersten Missionare, die von den Sicite als Missionare in eine andere ethnische Gruppe gesandt wurden, zu werden. Ihre Ankunft schuf neue Möglichkeiten. Jeder der ersten neun getauf¬ ten Menschen war ein Freund der Bergens und hatte die Botschaft der Bibel mit ihnen studiert. Aber erst nachdem Pastor Traore kam, begannen die Menschen damit ihre Absicht Christ zu werden, zu erklären. Endlich sahen einige Nanerige die Entstehung eine christlichen Gemeinschaft, der sie sich anschließen könnten. Heute gibt es immer noch über 80 000 Nanerige, die unerreicht sind. Aber ein effektiverer Ansatz für Evangelisation trägt langsam Früchte. Die Menno- niten beteiligen sich entscheidend durch Leitung und Unterstützung an diesem Projekt und arbeiten eng mit der Evangelikalen Mennonitengemeinde von Bur¬ kina Faso zusammen. 334 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Namibia Im Herbst 2005 kam MBMSI auf einer Disciple Making International Evangeli¬ sationskampagne nach Namibia. Eine Gruppe von acht Pastoren in der Region Ashakati bekundete ihr Interesse daran sich der Mennoniten Brüderfamilie anzu¬ schließen. Gespräche zwischen den angolanischen Mennoniten Brüdergemein¬ deleitern und den Namibiern führten zu diesem Treffen. Nach einer kurzen Erklärung der Mennoniten Brüderlehre und -praxis baten vier Jugendliche enthusiastisch darum getauft zu werden. Man entdeckte einen 1000 Liter Wassertank aus Plastik auf einer Farm in der Nähe. Nachdem der obere Teil abgeschnitten war, wurde der Tank zu den Grenzgemeinden ftir eine gemeinsame Feier gebracht. Nach einigen Zeugnissen folgten die Taufen in einem Tank voll kaltem Wasser! Südafrika Nach der Beurteilung durch die Communaute des Eglises de Freres Mennonites au Congo (CEFMC) in der Demokratischen Republik Kongos wurden Baudouin Nsulunka und seine Familie von der CEFMC und der MBMSI nach Durban in Südafrika gesandt um eine Gemeinde unter den französischsprachigen Flücht¬ lingen zu gründen. Zwischen Juli 2004 und Dezember 2004 widmeten sich Pastor Nsulunka, seine Frau Marie und ihre drei Kinder dem Studium der Stadt Durban und besonders den französischsprachigen Flüchtlingen. Im Mai 2005 sicherte sich die Mennoniten Brüdergemeinde Durban einen Ort für ihren Sonntagsgottes¬ dienst im „Bat Center“. Die Gemeinde bestand aus zweiunddreißig Mitgliedern und drei Kleingruppen. Trotz finanzieller Einschränkungen und der Unsicherheit von gemieteten Räumlichkeiten ist die Gemeinde auf fünfundsiebzig Mitglieder angewachsen, wozu sieben Südafrikaner, ein Nigerianer, ein Kongolese und zwei Simbabwer gehören, Es sind Teams für den Dienst der Anbetung, Evangelisation, Jugend, Kinder und Frauen organisiert worden um der Gemeinschaft zu dienen. Zu den Zielen der Zukunft gehören die Ausbildung von Theologen, das Angebot von Englisch- und Computerkursen und die Gründung einer Tochtergemeinde in Kapstadt. HORiZONTERWEITERUNC 335 Nordafrika Pionierarbeit in der Mission beginnt oft mit einem Leiter, den Gott dazu beruft in eine neue Richtung zu gehen. Die faszinierenden Geschichten vom Handeln Gottes in Nordafrika durch die MBMSI beginnen auch mit einer Person. In den frühen 1990ern ergab sich ein Kontakt zwischen der MBMSI und Samir, der ein arabisch sprechender Pastor war und eine arabisch sprechende Mennoni- ten Brüdergemeinde in Vancouver gegründet hatte. Samir interessierte sich auch für Evangelisationsarbeit in seinem Heimatland Ägypten. Die MBMSI begann Teams, bestehend aus Collegestudenten, für Kurzeinsätze im Sommer auszusen¬ den, um zusammen mit ägyptischen Jugendlichen zu dienen, während der Pastor auf Gemeindeevangelisationen sprach. Der MBMSI-Dienst mit Samir in Nordafrika weitete sich aus und beinhal¬ tete eine Radiosendung und letztendlich auch Satellitenfernsehprogramme. Die Arbeit der Medienproduktion war anfangs durch eine Zusammenarbeit zwischen dem MBMSI und dem Family Life Network ermöglicht worden. Diese Produkti¬ onsarbeit wurde von Samir in Nordafrika durchgeführt. Dieses Satellitenfernseh¬ programm machte den Pastor zu einem überaus bekannten christlichen Leiter in der ganzen Region, und Türen begannen sich zu öffnen. Jedes Jahr wenden sich tausende Nordafrikaner mit muslimischem Hinter¬ grund an die MBMSI um mehr Informationen darüber zu erhalten, wie sie Jesus nachfolgen können. Dieser Dienst der Nacharbeit ist gewachsen und beinhaltet ein Netzwerk von Hausgemeinden in der ganzen Region, welches fortlaufend wächst und sich weiterentwickelt. Eine der vielen Geschichten von Veränderung aus dieser Region dreht sich um einen Universitätsstudenten namens Abe. Trotz seiner Treue Allah gegen¬ über spürte er Gottes Gegenwart und Liebe nicht. Er entschied sich fünf Mal am Tag in der Moschee zu beten (wie es für alle Muslime vorgeschrieben ist). Eines Tages, als er in der Moschee betete, hörte er eine Stimme hinter sich sagen: „Du betest nicht richtig.“ Er drehte sich um. aber es war keiner da. Die Stimme sprach jedes Mal wieder zu ihm, wenn er in den folgenden Wochen zum Beten kam. Abe war von diesem Rat frustriert, weil es im Islam nur eine vorgeschrie¬ bene Art zu beten gibt. Schließlich besuchte Abe seinen Bruder um sich Rat einzuholen, was er wegen der Stimme, die er hörte, tun sollte. Sein Bruder konnte seine Frustration nachempfinden und bot ihm an ein Buch aus seiner Bibliothek zu lesen, das ihm ein Freund gegeben hatte. Dieses Buch war die Bibel. Als Abe vom Leben und den Dienst Jesu las, entdeckte er die Beziehung zu Gott, nach der er sich gesehnt 336 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE hatte. Sein Gebetsleben veränderte sich, als er die Gegenwart und Kraft des Hei¬ ligen Geistes spürte. Abe leitet jetzt eine Bewegung von Hauskirchen und ist an der Nacharbeit von Samirs Fernsehsendung beteiligt. UTEINAMERIKA Venezuela 1991 starteten die MBMSI-Missionare Miller und Isabella Zhuang aus Vancou- ver in Kanada neue Bemühungen in der Gemeindegründungsarbeit unter den neuen chinesischen Einwanderern in Caracas. Im Zeitraum von sechs Jahren wurden zwei Gemeinden gegründet. Das geschah vor der Dienstzeit von Zhuang. Nachher sandten die Pacific Grace Mennoniten Brüdergemeinden aus Vancouver einige Mitglieder nach Venezuela um die entstehenden Gemeinden zu ermutigen und auszurüsten. Pastor Semson Nip dient zurzeit unter ihnen. EUROPA Litauen Wahrend der Gorbachov-Ära suchten viele überlebende Gläubige aus der Ukra¬ ine und Russland Freiheit im Südwesten Litauens, auchum näher an Deutschland zu sein. Eine Reihe von Mennonitenfamilien war in dieser Region evangelistisch aktiv, woraus eine kleine Gemeinde in Siauliai entstand. Sie wurde als Freie Chris¬ tengemeinde bekannt. Nachdem Litauen 1991 seine Unabhängigkeit verkündet hatte, legten der nationale evangelikale Leiter, Otonas Balciunas, gemeinsam mit Johannes Rei¬ mer aus Deutschland und Art DeFehr aus Kanada dem Bildungsministerium in Vilnius ein Konzept vor, wodurch ein englisches Sprachinstitut und ein westliches College der freien Künste gegründet werden komiten. Ein Sprachinstitut wurde 1991 in Panevezys errichtet, das zum größten Teil von nordamerikanischen Mennoniten Brüdern personell besetzt war. Frank Dyck wurde von der MBMSI ausgesandt um geistliche Leitung zu geben. Eine Reihe von Kurz- und Langzeitarbeitern wurde von der MBMSI für die Leitung dieser Gruppe ausgesandt, die sich offiziell mit der Freien Christengemeinde in Siau¬ liai verband. Heute besuchen eU\’a ein hundert Personen die Freie Gemeinde in Panevezys. HORIZONTERWEITERUNC 337 Im Sommer 1992 wurde das litauische christliche College (LCC) in der Stadt Klaipeda gegründet. Obwohl es kein Mennoniten Brüderprojekt war, wurde es anfangs von Ernest und Elfrieda Reimer, die zwei Jahre in der MBMSI gedient haben, geleitet. Seit ihrem Beginn in 1992 hatte das LCC immer Mennoniten Brü¬ der als Teil der Lehrerschaft und des Verwaltungsrates. Johann Matthies, der als Missionsleiter der MBMSI in Europa dient, war ein einflussreiches Mitglied in diesem Rat. Heute als LCC International University bekannt, nimmt die Schule etwa 650 Studenten auf, die überwiegend aus osteuropäischen Ländern kommen. Von 1994 -1997 wurde eine Reihe von Ehepaaren für Gemeindegründungs- arbeit von der MBMSI nach Litauen gesandt. Die Arbeit in Klaipeda, Siauliai und Panevezys wuchs schnell. In dieser Zeit entstand das Evangelikaie Bibelinstitut in Siauliai und neue Gemeinden wurden in Silute und Vilnius gegründet, wobei Litauer die Gemeindegründungen leiteten. Auch die Familie Hägele aus Deutsch¬ land kam unter der Schirmherrschaft der MBMSI und bot beständige, stabile Lei¬ terschaft für die Gemeinden und das Bibelinstitut. Heute gibt es sieben Gemeindegründungen der Freien Christen in Litauen. 1995 schloss sich auch die Gemeinde in Kaunas, die von der Kontaktmission gegründet worden war, der Freien Christenkonferenz an. Eine neue Gemeinde wurde vor kurzem in AJytus gegründet. Diese Gemeinden stehen nicht in direkter Verbindung zu einer Denomination, aber sie sind gut innerhalb des Landes orga¬ nisiert. Die Pastoren treffen sich regelmäßig. Sie haben sowohl das Mennoniten Brüderglaubensbekenntnis übernommen, als auch andere Mennoniten Brüder¬ dokumente übersetzt und übernommen. Der Litauische Christliche Fond, der 1989 als wohltätige Organisation gegrün¬ det wurde, ist das übergeordnete Gremium, unter dem die LCC, das Evangelikaie Bibelinstitut, die Litauischen Freie Christengemeinden und andere evangelisti- sche Funktionen registriert sind. Die Gemeinden arbeiten zusammen an einem umfangreichen Sommerlagerprogramm, einem Buchübersetzungsdienst, Gute Nachricht Clubs, Männer- und Frauenfreizeiten und vielem mehr. MBMSI unter¬ stützt viele dieser Programme und hilft auch stark bei der finanziellen Unterstüt¬ zung der Ausbildung von Leitern, pastoraler Unterstützung und Dienstprogram¬ men für Kinder mit. Ernie und Elfrieda Reimer dienen als Verbindungspersonen zwischen der litauischen Arbeit und der MBMSI. 339 ICOMB-Vision und Geschichte Victor Wall D ie Gemeinde hat ihrem Wesen nach internationalen Charakter. Eine der größten Prüfungen Gottes für sein Volk im Alten Testament war es Gottes Plan für die ganze Menschheit zu begreifen. Die frühe Gemeinde musste auch lernen, was es heißt ein Volk zu sein, das aus Mitglieder aus der ganzen Weit besteht. Die Bibel beginnt mit einer globalen Perspektive und endet mit einer globalen Perspektive. Der Missionsauftrag, die Pfingsterfahrung und mis¬ sionarische Vision von Paulus deuten alle auf eine Gemeinde als globale Reali¬ tät hin. Die letzte Vision in der Offenbarung ist durch und durch international, transkulturell und global. Diese globale Vision ermöglicht es der Gemeinde ihrer Berufung treu zu sein, Die Geschichte der Gemeinde und ihrer missionarischen Bewegungen for¬ dert die Gemeinde heraus ihre Verpflichtung zur Internationalität nicht zu ver¬ lieren. Mission ist die treibende Kraft der Gemeinde international zu sein. Mis¬ sion etabliert eine Reihe von Paradigmen für die Interpretation der Schrift und für das Verständnis des Konzepts der Kultur, des Nationalismus, des Provinzia¬ lismus, der Wirtschaft, der Sprache und der Geschlechter. Zusätzlich zu einer Verpflichtung globaler Mission gegenüber haben die Erweckungs-, Verfolgungs- und Auswandererfahrungen die Gemeinde dazu her¬ ausgefordert treu und global zu bleiben. Die Geschichte der Täufer und Menno- niten Brüder spiegelt alle diese Verpflichtungen und Erfahrungen wieder. Die Vision für die Gründung der Internationalen Gemeinschaft von Menno- niten Brüdern (ICOMB) entstand aus der Sorge darum, wie man den globalen und internationalen Charakter der Gemeinde Christi in eine dynamische, bibli¬ sche, praktische und aufbauende Lebenserfahrung übertragen könnte. ICOMB war ein konkreter Schritt zur Übertragung der biblischen Prinzipien und einer Missionsdynamik in strategische Wirklichkeiten. ICOMB ist zu einer der wich¬ tigsten Instrumente geworden, die es Mennoniten Brüdern ermöglicht ihre Ver¬ pflichtung zur Internationalität und Multikulturalität zu leben. Geschichte Von Anfang an hatte die Mennoniten Brüdergemeinde einen internationalen Charakter, Viele der frühen Mennoniten Brüder waren aus Preußen nach Russ- 340 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE land ausgewandert und behielten eine enge Verbindung zu Preußen. In Russ¬ land lebten sie als eine ethnische Minderheit in isolierten Kolonien innerhalb der breiteren russischen Gesellschaft. Der evangelistische Eifer dieser Erneuerungs¬ bewegung in den 1860ern und 1870ern brachte die frühen Mennoniten Brüder dazu sich den Herausforderungen ihrer ethnischen Separation und ihrer Frie¬ densverpflichtung zu stellen. Verfolgung und Auswanderung schufen ein starkes Bewusstsein und Verständnis für internationale Themen. Ihr Auslandsstudium hatte einen großen Einfluss auf viele der frühen Lei¬ ter, zu denen auch Abram Friesen und seine Frau Maria gehörten, die die ersten Mennoniten Brüdermissionare in Indien waren. Friesen wurde am Baptistischen Theologischen Seminar in Hamburg in Deutschland ausgebildet um sich für die Mission vorzubereiten. Jakob Kröker studierte ebenfalls in Hamburg. Er konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Indien gehen, aber er entwickelte einen umfangreichen Wanderpredigtdienst in Russland und nach seiner Auswande¬ rung nach Deutschland 1910 führte er seinen internationalen Dienst weiter. Die Mennoniten Brüdergemeinden in Nord- und Südamerika hatten schon immer einen internationalen Charakter. Ein Teilnehmer der Konferenz zum hun¬ dertjährigen Bestehen 1960 in Reedley war Gerhard B. Giesbrecht, der die Süd¬ amerikanische Mennoniten Brüderkonferenz vertrat. Giesbrecht, ein Lehrer, der seine Ausbildung in Russland gemacht hatte, wurde zu einem der Pioniermissio¬ nare unter den einheimischen Enthlet im paraguayischen Chaco und später auch zu einem starken Konferenzleiter. Er hatte die strategische Vision, das junge para¬ guayische Männer für ihre theologische und pastorale Ausbildung nach Nord¬ amerika oder Europa gehen sollten. Zusammengefasst, die Mennoniten Brüdergemeinde ist in ihrer ganzen Geschichte international und global ausgerichtet gewesen - trotz der Tatsache, dass die Strukturen in den letzten Jahrzehnten eher national geworden sind. Die strategische Bewegung in Richtung globaler Ausrichtung kann als eine Antwort auf eine nationale Einengung angesehen werden - gerade zur rechten Zeit. Vision und Entwicklungen Die Vision für die Internationalisierung ist stark mit dem Konzept der Partner¬ schaft verbunden. Harold Ens, dem Generalsekretär der MBMSI (1999-2004), nach, wurde Partnerschaft zu einem oft besprochenen Thema in den späten 1950ern und frühen 1960ern. Die schnell wachsenden Mennoniten Brüderge¬ meinden in Indien, dem Kongo und Lateinamerika schufen ihre eigenen Konfe- ICOMB - VISION UND GESCHICHTE 341 renzen. Auf der Generalkonferenz 1963 rief ]. B. Toews, der Generalsekretär von BOMAS, zum „Gehorsam in Partnerschaft“ auf, wobei die älteren Gemeinden mit den jüngeren Gemeinden zusammen in einer weltweiten Gemeinschaft ste¬ hen.®^ Drei Jahre später entschied sich der Missionsausschuss dafür im Namen der jüngeren Gemeinden im Ausland zu handeln. Das hieß, dass man Missionare in Länder entsandte, wo nationale Konferenzen auf Einladung dieser Konferenzen bestanden und dass man MBM/S die Erlaubnis gab, Missionaren, die aus diesen Konferenzen kamen finanzielle Teilunterstützung zu gewähren. Aber der Aussage von Hans Kasdorf nach war der direkte Fortschritt im Aufbau von bedeutungs¬ vollen Partnerschaften „bestenfalls enttäuschend.“*^ Harold Ens bemerkte, dass man oft zu diesem Thema Zusammenkommen musste um es weiterzutreiben. 1981 wurde entschieden Delegierte von anderen Mennoniten Brüderkonfe¬ renzen zum Kongress der Generalkonferenz 1984 einzuladen. Im gleichen Jahr drückte Victor Adrian, der Generalsekretär der MBM/S, seine Sorge über den Bedarf nach Partnerschaften aus. Er schilderte die Internationalisierung der Men¬ noniten Brüdermissionsbemühungen in groben Zügen. Infolgedessen wurde ein internationales Planungskomitee mit acht Mitgliedern gegründet, das die erste internationale Beratungsversammlung für Mennoniten Brüdermission im Feb¬ ruar 1988 in Curitiba in Brasilien organisierte. Diese Versammlung war ein stra¬ tegisch wichtiger Moment für die letztendliche Gründung der Internationalen Gemeinschaft von Mennoniten Brüdern (ICOMB). Despertar ’88 hieß die Veranstaltung in Curitiba und brachte 805 registrierte Delegierte aus fünfzehn Ländern zusammen. Harold Ens beschreibt es wie folgt: Der Fokus lag klar auf Angelegenheiten der globalen Mission der Mennoniten Brüder, Die Plenarredner kamen von den fünf Kontinenten, auf denen es Menno¬ niten Brüdergemeinden gab. Die Leiter der Workshops reflektierten auch über die internationale und vielfältige Natur der globalen Mennoniten Brüdergemeinde und es wurde gleichzeitig eine Übersetzung angeboten um den fünf Hauptspra¬ chen, die von den Mennoniten Brüdern gesprochen wurden entgegenzukommen. Die abendlichen Festgottesdienste zogen bis zu 1400 Menschen an, wovon viele aus lokalen Mennoniten Brüdergemeinden kamen, um sich den Delegierten am Abend anzuschließen.*^ 82 Hans Kasdorf. „A Century ofMennonite Brethren Mission Thinking, 1885- 1984“{Th.D. Diss-, Universityof South Africa, 1986), 558. 83 Ebd.,560. 84 Harold Ens, „Mennonite Brethren in Global .Mission“ (Unveröffentlichtes .Manuskript, 2006), 24. Mit Erlaub¬ nis verwendet. 342 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE Herb Brandt, der Moderator der Generalkonferenz, berief eine Versammlung aller Konferenzleiter der auf der Despertar anwesenden Mennoniten Brüdergrup- pen ein. um die mögliche Schaffung einer globalen Mennoniten Brüdergemein¬ schaft zu besprechen. Man einigte sich darauf, dass sich die Mennoniten Brüder¬ leiter aus der ganzen Welt in Verbindung mit der Weltkonferenzversammlung 1990 in Winnipeg wieder treffen würden. Die fünfzig Teilnehmer des Winnipeg-Treffens einigten sich darauf, ein Forum für einen andauernden Dialog zwischen den verschiedenen Mennoniten Brüderkonferenzen zu bieten. Sie wollten aber keine neue Ebene organisatori¬ scher Bürokratie. Nichtsdestotrotz wurde das erste Internationale Komitee der Mennoniten Brüder auf diesem Treffen gegründet. Mitglieder waren ein Reprä¬ sentanten aus jedem Kontinent und der Moderator der Nordamerikanischen Generalkonferenz als erster Vorsitzenden. Edmund Janzen übernahm die Ver¬ antwortung als erster Vorsitzender der ICOMB, nachdem er früher im gleichen Jahr zum Moderator der Generalkonferenz gewählt worden war. Dieser Schritt bezeichnete definitiv eine neue Ebene der Beziehung. Die Men¬ noniten Brüderkonferenzen in der ganzen Welt standen nicht mehr primär in Verbindung mit der MBM/S, sondern einander eher brüderlich gegenüber. Das Protokoll aus dem MBM/S Bericht an die Generalkonferenzversammlung in Hillsboro in Kansas 1990 stellte das ganz klar dar; Die internationalen Treffen, die wir in Curitiba 1988 und in Winnipeg 1990 hatten (in Verbindung mit den Treffen auf der Mennonitenweltkonferenz), haben zur Förderung internationaler Zusammenarbeit und Gemeinschaft beigetragen. Die BORAC (Board of Reference and Council) hat sich ebenso in diese Diskus¬ sion eingeschaltet um die Partnerschaft der MBM/S in der Mission, mit theolo¬ gischen, ethischen und brüderlichen Interessen zu ergänzen,®* Edmund Janzen beschreibt die offiziellen Anfänge der ICOMB wie folgt: Wir hatten wirklich keine Strukturen für die ICOMB. Sie hatte keinen Namen und arbeitete als locker definierte Ad-hoc-Konfiguration von Leitern der 12 Konferen¬ zen. Als Moderator, so wurde es von den versammelten Leitern (auf der MWC in Winnipeg 1990) vorgeschlagen, sollte eine Person der Generalkonferenz dienen und somit auch als Vorsitzender und Initiator dieser Art Cemeinschaftstreffen von Mennoniten Brüderleitern. Auf Basis der Diskussion in Winnipeg (Notizen wurden mir weitergegeben, da ich daran nicht teilnahm) begann ich damit eine Satzung zu schreiben und gab der Organisation einen Namen: „The International Committee of Mennonite Brethren" (ICOMB). Desweiteren formulierte ich eine 85 1990 Yearbook of the General Conference of Mennonite Brethren Churches, 56 . ICOMB - VISION UND GESCHICHTE 343 Absichtserklärung; eine Art- und Zusammensetzungserklärung; eine ICOMB- Funktionserklärung; und eine ICOMB-Finanzierungserklärung. Diese Satzung wurde von den Konferenzleitern auf unserem ICOMB-Treffen in Winnipeg am 5.-6. Juli 1993 verabschiedet.“ Die vierfältige Absicht der ICOMB, wie in der Satzung festgelegt, ist wie folgt: 1) Die Vision für die Internationalisierung der Mission und der Dienste der Menno- niten Brüdergemeinde auf globaler Ebene zu artikulieren und zu fördern; 2) Die Kommunikation und den Informationsfluss unter den Konferenzen zu ermög¬ lichen und somit die geistliche Einheit und die Brüderschaft/Schwesternschaft unter den Mennoniten Brüdergemeinden der Welt zu verbessern; 3) Einen Rah¬ men (regional und/ oder global) zu schaffen, um die gemeinsamen Angelegenhei¬ ten, wie Glaubensbekenntnis, Pastoren-Gemeinde-Beziehungen, Berufung von Leitern, Leiter- und Laienausbildung, ethische Probleme, Veröffentlichung von christlicher Literatur, Evangelisation und Gemeindegründung, etc. zu untersu¬ chen; 4) Ein Forum für gegenseitige Ermutigung zu schaffen - eine kooperative Gemeinde (Konferenz) • zur Gemeindepartnerschaft (Konferenz), die ethnische, kulturelle und sprachliche Barrieren überschreitet und unsere Einheit in Jesus Christus feiert. Edmund Janzen war bei der Entwicklung einer Finanzierungsformel behilf¬ lich, auf deren Basis alle Konferenzen gebeten wurden die Ausgaben Je nach Mög¬ lichkeit mitzutragen. Diese freiwillige Beteiligung gründete auf 1 % des jährli¬ chen Budgets jeder Mitgliederkonferenz. Janzen beschreibt die Schaffung eines Nothilfefonds zur konferenzübergreifenden Mithilfe bei Naturkatastrophen (z.B. Hilfe bei den Überflutungen bei der Mennoniten Brüdergemeinde Ashaninca in Peru). Die ICOMB produzierte auch ein Video in Paraguay für die Öffentlich¬ keitsarbeit und die Gemeindebeziehungen, das das Wesen, die Absicht und die Funktion der ICOMB beschreibt. Auch die Erklärung zur Internationalisierung, die aus dem BORAC-Bericht an die Nordamerikanische Generalkonferenz in Winnipeg (7.-11. Juli 1993) genommen wurde, ist erwähnenswert: Basierend auf früheren Beratungen (Curitiba 1988 und Winnipeg 1990) hat sich dieses Konzept in ein festes internationales Komitee entwickelt. Die Lei¬ ter unserer 12 nationalen Mennoniten Brüderkonferenzen aus der ganzen Welt haben eine repräsentative Gruppe geschaffen um kooperativ unter den Gemein¬ den zu arbeiten. Als ein Produkt unserer MBM/S sind diese Konferenzen gereift 86 Korrespondenz, Juli 2008 344 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE und habe ihr Interesse bekundet mit uns als gleichgestellte Partner zusammen zu arbeiten. Zu unseren gemeinsamen Angelegenheiten gehören das Mennoniten Brüderglaubensbekenntnis, Pastoren- und Leiterausbildung, Gemeindepraktik, Ethik und Moral, christliche Bildung, Mission und Gemeindegründung, etc.*^ Die MBM/S stellte Mitarbeiter für die Unterstützung der ICOMB bei ihrer Entwicklung während der 1990er Jahre und darüber hinaus frei, weil die ICOMB keine Mitarbeiter hatte und keine weitere bürokratische Struktur schaffen wollte. Regionale Beratungen wurden als strategische Gelegenheiten zur Verbesserung der internationalen Beziehungen zwischen den Konferenzen angesehen. Die erste wurde in Paraguay im Juli 2002 unter der Leitung von Juan Silverio Verön, dem Vorsitzenden der Convenciön de Iglesias Paraguayas Hermanos Menonitas abge¬ halten. Treffen und Wachstum Von Anfang an hat die ICOMB einige Erklärungen verabschiedet, die ihren inter¬ nationalen Charakter stärken würden. Zu den zwei wichtigsten Erklärungen gehörten die Entscheidung sich jährlich zu treffen und dass jede Mitgliederkon¬ ferenz bei diesen Treffen vertreten sein soll. Ein hoher Prozentsatz der Finanzen wurde für Reisen und Treffen festgelegt. Diese internationalen Treffen haben eine zentrale Rolle im Leben der ICOMB eingenommen. Edmund Janzen sagt, dass „während der Jahre 1993-96 die Vision der ICOMB gewachsen ist, dass das Bewusstsein für andere Mennoniten Brüder in der ganzen Welt sich vergrößerte und dass etliche Hilfsprojekte gestartet und durchgeführt wurden. Dadurch wuchs man als weltweite Mennoniten Brüderfamilie zusam¬ men.“®® Das ICOMB-Treffen in Indien 1997 war aus zwei Gründen wichtig. Ers¬ tens waren sowohl Indien (9) als auch der Kongo (6) gut vertreten. Zweitens wur¬ den einige strategische Entscheidungen getroffen. Als die Frage aufkam, ob die ICOMB weiter bestehen bleiben sollte und das mit der (so in den Statuten fest¬ gelegten) vierfältigen Absicht, stimmten alle dafür. Die Repräsentanten stimmten einstimmig für die Änderung des Prinzips der regionalen Repräsentation zu einer nationalen Repräsentation. Alle Konferenzen stimmten für die Finanzierungsfor¬ mel, die 1 % des jährlichen Budgets jeder Konferenz verlangte. Sie entschieden 87 Ebd. 88 ICOMB Protokoll, Kalkutta, Indien. 1997 (COMB - VISION UND GESCHICHTE 345 sich auch dafür einen Welthilfefond, der von allen Konferenzen gebraucht wer¬ den könnte, zu fördern und zu managen. Die Beteiligten des Treffens in Kalkutta 1997 entschieden ferner weitere Bera¬ tungen 1999 in Kansas in den USA zu abzuhalten. Die Beratung 1999 wurde in Verbindung mit dem Konvent der Generalkonferenz unter dem Thema „Zeichen der Hoffnung in einer Welt voll Chaos: Erneuerung der Mennoniten Brüderge¬ meinde für das 21. Jahrhundert“ abgehalten. Die Redner kamen aus verschiede¬ nen Teilen der Welt. Jede nationale Konferenz war durch vier Delegierte vertre¬ ten. örtliche Mennoniten Brüdergemeinden in Nordamerika profitierten von dieser Veranstaltung, weil ihre Mitglieder die neue Wirklichkeit der globalen Mennoniten Brüderfamilie erlebten, besonders bei den Abendveranstaltungen. Bei diesem Kongress wurde die Auflösung der Generalkonferenz entschieden. Einer der Hauptgründe für die Auflösung war die Existenz der ICOMB, die als eine angebrachte Schirmorganisation angesehen wurde, unter der alle nationa¬ len Konferenzen miteinander und mit der größeren Mennoniten Brüdergemein¬ schaft auf sinnvolle Art und Weise in Verbindung stehen. Das ICOMB-Treffen in Kansas zog zum ersten Mal die Möglichkeit eines gemeinsamen Glaubensbekenntnisses in Betracht. Die Umsetzung des Bekennt¬ nisses würde dann von jedem Land und ihrer jeweiligen Konferenz geleistet wer¬ den. 2000 traf sich die ICOMB in Guatemala in Verbindung mit dem Treffen des Generalkonzils der Mennonitenweltkonferenz. Man entschied sich dafür die Sat¬ zung aus dem Englischen in andere Sprachen (spanisch, deutsch und franzö¬ sisch) der internationalen Mennonitengemeinschaft zu übersetzten. Eine japa¬ nische Version war schon fertig. Das Glaubensbekenntnis war ausführlich auf einer regionalen Beratung in Curitiba in Brasilien 2001 besprochen worden. Das Treffen wurde von den Men¬ noniten Brüdergemeinden des südlichen Kegels sehr gut besucht. Harold Ens berichtet, dass: Das Dokument, welches unsere globale Familie weiter vereint, ist das ICOMB- Glaubensbekenntnis. Zum Treffen in Guatemala 2000 brachten die ICOMB- Delegierten verschiedene Versionen des Mennoniten Brüderglaubensbekennt¬ nisses, die in den jeweiligen Konferenzen benutzt wurden, mit. Eine Überprüfung und Diskussion offenbarte Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Einige fragen, warum die Nordamerikanische Konferenz Änderungen an den zuvor verabschie¬ deten Versionen vorgenommen hatte ohne sich vorher mit der globalen Menno- 346 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEINDE niten Brüderfamilie zu beraten. Man beschloss weitere Versionen und Überset¬ zungen für das Treflfen in Curitiba 2001 zu sammeln. Das ICOMB Treffen in Curitiba führte zu weiteren neuen Initiativen. Nach¬ dem man den MBMSI Bericht über Mexiko gehört hatte, entschieden sich die Delegierten dafür ein Team im Namen der ICOMB auszusenden, um die Situa¬ tion in Mexiko zu beurteilen. Das war die erste konkrete Aktion, die eine Part¬ nerschaft mit der MBMSI in einem bestimmten Land involvierte. ICOMB ging erste spezifische Schritte zum Erreichen ihrer Ziele. In Bezug auf das Glaubensbekenntnis nominierte die ICOMB eine internationale Kommis¬ sion, bestehend aus Repräsentanten aller Hauptkontinente, die an einem gemein¬ samen Glaubensbekenntnis arbeiten sollten, indem sie die Bekenntnisse der ver¬ schiedenen nationalen Konferenzen als Ausgangspunkt verwendeten. Das Ziel eines neuen ICOMB-Bekenntnisses war nicht die Bekenntnisse der Konferen¬ zen zu ersetzten, sondern die geteilten Überzeugungen zu definieren. Es könnte denen, die sich in Zukunft der ICOMB anschließen wollen würden, helfen und auch die nationalen Konferenzen formen. Das ICOMB-Glaubensbekenntnis wurde auf dem Treffen in Paraguay 2004 einstimmig nach Überprüfung von allen Mitgliederkonferenzen übernommen. Die Mitglieder der Kommission für das Glaubensbekenntnis bestätigten den Wert dieses internationalen Projekts und ermutigten die ICOMB dazu „globale theologische Treffen“ regelmäßig abzuhalten um diesen dynamischen, interkul¬ turellen Dialog über wichtige Dinge des Glaubens fortzuführen.™ Als nächsten Schritt entschied sich die ICOMB ein Büchlein zum Glaubens¬ bekenntnis herauszugeben, das von Mennoniten Brüdertheologen und Pastoren der ganzen Welt geschrieben und in ICOMB-Mitgliedssprachen übersetzt wer¬ den sollte (Kolumbien 2006). Dieser Studienführer sollte theologische Identität und Einheit stärken und sollte von Pastoren, Kleingruppen, Sonntagsschulen und Bibelschulen verwendet werden. Es w'urde in verschiedene Sprachen übersetzt und war 2010 auf dem 150jährigen Jubiläum der Mennoniten Brüdergemeinde erhältlich. Ein weiteres TTiema, das intensiv von der ICOMB besprochen wurde, war die Feier zum 150 jährigen Jubiläum der Mennoniten Brüdergemeinde. Der erste Schritt war die Entscheidung im Jahr 2003 eine globale Mennoniten Brüder¬ geschichte zu schreiben, die in verschiedenen Sprachen erhältlich sein würde. 89 Harold Ens, 2006. 8. 90 ICOMB Protokoll. Paraguay 2004. ICOMB - VISION UND GESCHICHTE 347 Auf dem ICOMB-Treffen 2006 wurden das Format und der Inhalt des Buches im Detail mit dem Haupteditor des Projekts, Abe Dueck, besprochen. 2008 ent¬ schieden sich die ICOMB-Delegierten die Jubiläumsfeier 2010 in Europa zu ver¬ anstalten, und sie baten die deutsche Konferenz sich um die Gestaltung zu küm¬ mern. Die ICOMB entschied, dass die Feierlichkeiten sich auf Erneuerung und Mission konzentrieren sollten. Der Bedarf für einen Angestellten für die ICOMB wurde zum ersten Mal auf dem Treffen in Canada 2002 erwähnt. Zwei Jahre später in Paraguay legte die ICOMB fest, dass sie einen leitenden Sekretär brauchte und entschied sich jeman¬ den zu ernennen. Ein Jahr später in Japan, schlug das leitende Komitee Victor Wall aus Paraguay für die Ernennung zum leitenden Sekretär in einer dreijähri¬ gen Amtszeit vor. Die Delegierten der ICOMB drückten ihre Zustimmung aus und bestätigten Victor Wall als ersten leitenden Sekretär. Bildung und Leiterentwicklung sind zu einem wichtigen Teil der Vision und Herausforderung der ICOMB geworden. Die Satzung der ICOMB verpflichtet zu einem Interesse an „der Berufung von Leitern, Leitungs- und Laienausbil¬ dung.“ Die ICOMB entschied 2005 in Japan universitäre Stipendienprogramme zu evaluieren. Diese Herausforderung wurde ein weiteres Mal 2006 in Kolum¬ bien diskutiert; es wurden Pläne gemacht 2007 in Fresno eine Beratungssitzung für höhere Bildung, zusammen mit dem Biblischen Mennoniten Brüderseminar und der Fresno Pacific Universität, zu veranstalten. Die Reaktion der internatio¬ nalen akademischen Gemeinschaft war sehr positiv. Die teilnehmenden Profes¬ soren stellten einen Untersuchungsbericht vor, der mit einem großen Beitrag der ICOMB- und der MBMSI-Vertreter die Vision der globalen Mennoniten Brü- derakademikergemeinschaft widerspiegelte. Der Bericht wurde später im selben Jahr von der ICOMB in Kinshasa angenommen. Daiton Reimer wurde gebeten Bildungsvermittler der ICOMB auf freiwilliger Basis zu werden. Die wachsende Zahl der Initiativen hat ein paar mutige Schritte zum Deckung der finanziellen Bedürfnisse gefordert. 2004 bat man jede Mitgliederkonferenz die ICOMB mit 2 % ihres jährlichen Budgets zu unterstützen. Ein Jahr danach wurde diese Änderung bestätigt und in die Satzung aufgenommen. Heute gehören neunzehn nationale Konferenzen aus siebzehn Ländern aus allen Kontinenten zur ICOMB. Obwohl die ICOMB als ein Komitee begann, entschieden sich die Delegierten 2007 dafür den Namen in International Com¬ munity of Mennonite Brethren zu ändern, um den ekklesiologischen Charakter besser auszudrücken, aber dabei das Akronym zu behalten. 348 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERGEMEIN DE Das frühe Täufertum, sowie die Erneuerungsbewegung 1860 gebar die Men- noniten Brüdergemeinde, die eine Jesusbewegung war, eine Gemeindebewegung, eine Bewegung des Heiligen Geistes und eine Missionsbewegung. Sie war lokal, hatte aber immer eine internationale, transkulturelle und globale Ausrichtung. Das geistliche Mandat der ICOMB ist Gott gegenüber treu zu bleiben, während sie versucht ihren vielen Konferenzen und Gemeinden zu dienen. Indem sie sich mit Hilfe des Heiligen Geistes auf Jesus ausrichtet, kann die ICOMB eine wich¬ tige Rolle dabei spielen, die internationale Mennoniten Brüdergemeinschaft ins einundzwanzigste Jahrhundert zu führen. 349 Nachwort Abe Dueck D as Einführungskapitel erzählt die Geschichte, wie die Mennoniten Brü¬ der aus einer größeren religiösen Gemeinschaft hervorgegangen sind und in welchem Zusammenhang ihre Geschichte zu den Anfängen der Men¬ noniten in der täuferischen Reformation Europas im sechzehnten Jahrhunderts steht. Die Mennoniten sind nach Menno Simons, einem holländischen Anfüh¬ rer der Täuferbewegung im 16. Jahrhundert, benannt. Viele seiner Nachfolger sind in den Osten, nach Preußen und später nach Russland ausgewandert, wo es eine Reihe von Spaltungen gab, woraus einige noch heute als eigenständige Denominationen erwuchsen. Die Faktoren, die zu den Spaltungen führten sind komplex und verursachten viele Beschuldigungen und sogar Feindseligkeiten, welche an einigen Orten immer noch auf subtile Weise nachklingen. Selten sind die Probleme gut definiert. Die Mennoniten Brüderfeierlichkeiten zum ISOjäh- rigen Bestehen, als eine eigenständige Denomination innerhalb der Mennoniten können deshalb schmerzhafte Erinnerungen aufleben lassen und Klischees ver¬ stärken. Weder die Mennoniten Brüder noch irgendeine andere Mennoniten¬ denomination mit Wurzeln in Russland, Mitte des neunzehnten Jahrhunderts sind weder das geblieben, was sie einmal waren, noch besteht ein Verlangen bei irgendjemanden, die alten Formen der Gemeinde wieder aufzubauen. Die wich¬ tigste Sache für alle ist es, jene Ereignisse und die daraus entstandenen Entwick¬ lungen so zu verstehen, dass sie für heute lehrreich und inspirierend sind. Dieses Buch war eine Initiative um einen solchen Prozess anzustoßen. Die nordamerikanischen Mennoniten Brüder feierten ihr hundertjähriges Bestehen auf einem Kongress I960 in Reedley in Kalifornien. Etliche Aussagen von Erland Waltner, dem Präsident der Generalkonferenz der Mennonitenge- meinde, wurden zu dieser Gelegenheit präsentiert: „Uns [...] tut es für alle Gefühle, Worte und Taten, die von unseren Vorvätern in unbrüderlicher Weise ausgedrückt wurden leid [...]. Es tut uns Leid, dass diese Ereignisse einen solch intensiven Bruch innerhalb der Täufer-Menno- niten-Bruderschaft verursacht haben, sodass ein ganzes Jahrhundert lang, zwei parallele Erklärungswege fortgeführt wurde«...“ (Jahrbuch, 38). In aller Demut versprach er, eine engere Gemeinschaft zwischen der General- konferenz der Mennonitengemeinde und der Mennoniten Brüdergemeinde auf- 350 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-8RÜDERCEMEINOE zubauen und drückte seine Dankbarkeit dafür aus, wie beide Konferenzen von Gott gebraucht wurden um das Evangelium zu verkünden. Als Antwort auf Waltners Aussage sagte Dan Friesen, der Vorsitzende der Generalkonferenz der Mennoniten Brüdergemeinde: „Auch wir teilen eure Bedenken, dass die Spaltung 1860 „viele Gefühle, Worte und Taten, die nicht brüderlich waren” ausgelöst hatte. Wir erkennen an, dass bestimmte Einstellungen auf unserer Seite von Intoleranz gefärbt waren, sogar bis hin zur Vermeidung von gegenseitiger Gemeinschafi und “{Jahrbuch, 135-36) Er bat um Vergebung und zitierte Jesu Gebet um Einheit (Johannes 17,11b) als Hoffnung für die Zukunft. Die Generalkonferenz der Mennonitengemeinde besteht nicht mehr. Aber es war auch nicht die Generalkonferenz der Mennonitengemeinde von 1960, von der sich die Mennoniten Brüdergemeinde abgespalten hatte. Zufälligerweise und auch etwas ironisch hatte die Generaikonferenz der Mennonitengemeinde ihre Anfänge auch 1860, aber ihre Wurzeln waren in Iowa in Nordamerika. Die meisten Mennoniten (außer den Mennoniten Brüdern), die in den 1870ern, den 1920ern und zu anderen Zeiten von Russland nach Nordamerika ausgewandert sind, sind letztendlich der Generalkonferenz der Mennoniten beigetreten. Man bezeichnete sie normalerweise als Kirchliche (Kirchenmennoniten) und sie waren Teil der Allgemeinen Bundeskonferenz der Mennonitengemeinden in Russland, welche als solche nie nach Nordamerika umgesetzt wurde. Stattdessen schlossen sich die meisten der Generalkonferenz der Mennonitengemeinde an, die getrennt davon in Nordamerika entstand. Mennoniten Brüder haben mit vielen anderen Mennoniten auf verschie¬ denste Art und Weise und in vielen verschieden Ländern und Agenturen zusam¬ men gearbeitet. Einige der eher bissigen Begegnungen zwischen diesen beiden großen Gruppen in Russland begannen schon im frühen neunzehnten Jahrhun¬ dert zu schwinden und das besonders als Ergebnis der Krise während und nach der Oktoberrevolution und dem Trauma der Hungersnot und Auswanderung. Anschließend arbeiteten Mennoniten unter Organisationen wie Mennonite Central Committee, Mennonite Disaster Service, Missionsagenturen, Kranken¬ häusern, Schulen und in vielen weiteren Gebieten, des gemeinsamen Interesses wegen, zusammen. Manchmal hatten sie gemeinsame Gottesdienste. Manchmal \vurden mutige Versuche gemacht, zusammen für die Unterstützung von Bibel¬ schulen, Colleges und anderen Ausbildungsinstitutionen zu arbeiten. Beispiele NACHWORT 351 für kooperative Institutionen sind in verschiedenen Ländern wiederzufinden und viele davon sind in den vorangegangenen Kapiteln dokumentiert. Die Mennoniten, die Wurzeln im Geburtsland der Mennoniten Brüderge¬ meinde haben, haben sich alle auf vielerlei Weise verändert und können nicht mehr einfach mit den Problemen, die zur Spaltung geführt hatten in Verbin¬ dung gebracht werden. Die meisten Mennoniten in der ganzen Welt haben keine ethnischen Wurzeln in Russland und haben nicht die gleichen Erinnerungen um einen gemeinsamen Sinn für Identität zu definieren. Sprachliche, ethnische und kulturelle Vielfalt erfahren Mennoniten Brüder sogar in Paraguay, Brasi¬ lien, Kanada und den Vereinigten Staaten, wo man zuallererst Einwandererge¬ meinden gründete. Die gemeinsame Identität der Mennoniten Brüder ist von dem Wunsch geformt, dem Evangelium gegenüber treu zu bleiben und durch ihre Versuche, Hoffnung und Glauben in eine Welt, in der Gewalt, Ungerechtig¬ keit und Verzweiflung alltäglich sind, zu bringen, Heute wird eher die südliche Gemeinde, anstatt der nordamerikanischen oder europäischen, die Richtung für die Zukunft festlegen. Vor einer Generation sah man Mission noch als einseitig an. die vor allem von Nordamerikanern ausging. Heute ist Mission mehr und mehr zweiseitig. Die vorangegangenen Geschichten beschreiben diese Verände¬ rung immer wieder. Als die ICOMB das globale Mennoniten Brüdergeschichtsprojekt in Auftrag gab, war eine der Richtlinien, die sie festlegten, dass es einen missionarischen Fokus haben sollte. Man versuchte nicht, die Geschichte der Mennoniten Brü¬ dermission zu strukturieren, sondern damit anzuerkennen, dass die Mennoniten Brüder den Charakter der Gemeinde als grundsätzlich missionarisch verstehen. Die ersten Mennoniten Brüder hatten eine Leidenschaft für missionarische Evan¬ gelisation. Sie gingen auf ihre Mitbürger in Russland zu und waren bei der Geburt und dem frühen Wachstum der Baptistenbewegung in ihrem Heimatland sehr hilfreich. Sie reichten auch über ihre Grenzen hinaus. Einer ihrer ersten Hand¬ lungen war es, Missionare nach Indien zu senden und das als zweites nach der Baptisten-Missionarsunion aus Boston. Als viele Mennoniten Brüder in die Ver¬ einigten Staaten oder nach Kanada auswanderten, war eine ihrer ersten Hand¬ lungen Missionare an andere Orte in der Welt zu senden. Ende des neunzehnten Jahrhunderts sandten sie Missionare nach Indien, wo diese Gemeinden in den Dörfern südlich von Hyderabad gründeten. Im frühen neunzehnten Jahrhundert sandten sie Missionare nach China und einige Jahrzehnte danach nach Afrika, Eine starke Verbreitung Mitte des Jahrhunderts brachte Mennoniten Brüdermis¬ sionare nach Lateinamerika, nach Japan und nach Europa. Heute sind die Men- 352 DIE GESCHICHTE DER MENNONITEN-BRÜDERCEMEINDE noniten Brüdergemeinden wie ein Feigenbaum, der oft viele Stämme hat, aber dabei ein Baum bleibt: auf der ganzen Welt zu finden, aber sie bleiben Teil einer globalen Mennoniten Brüdergemeinschaft mit verschiedenen Namen.®' Auch wenn die Mennoniten Brüdergemeinde in der Nachfolge Christi ver¬ bunden ist, so ist sie doch von den verschiedenen sozialen, kulturellen und poli¬ tischen Kontexten, in denen sie existiert, geformt. Die Gemeinde in jedem Land hat dabei nach Gottes Führung gefragt, um zu verstehen wie sie das Evangelium in ihrer eigenen Situation ausleben sollte und wie sie Zeugen der Guten Nach¬ richt für ihr Volk sein könnten. Ais solche ist die Mennoniten Brüdergemeinde lokal und global. Es gibt eine Einheit in Glauben und Gemeinschaft, jedoch auch eine Vielfalt darin, wie dies zum Ausdruck kommt. In diesem Buch konnte man die Stimmen von Schwestern und Brüdern in der ganzen Welt hören, oder die Stimmen derer, die in ihre Gemeinschaft gekommen sind. Das Ziel ist es, Chris¬ ten in jedem Land zu helfen, ihre Brüder und Schwestern woanders zu verstehen und für das Umfeld, in dem der andere versucht Christus treu zu sein, dankbar zu sein. Internationale Gemeinschaft der Mennoniten Brüdermitglieder Anmerkung: Die unten stehende Mitgliederstatistik ist aus dem Jahr 2007 oder später. Die neusten Zahlen stehen unter http://icomb.org/icombwelcome zur Ver¬ fügung. Konferenz Mitglieder Gemeinden Angola-IEIMA 6,850 80 Brasilien 6.000 45 Demokratische Republik des Kongo-CEFMC 100.000+ 364 Deutschland-AMBD 1.602 15 Deutschland-BTC 6.468 27 Deutschland-VM6B 316 5 91 Paul Hiebert schrieb ein kurzes Prospekt fiir das Treffen 2005 in Abbotsford, BC. Er verglich das Wachstum der Mennoniten Brüdergemeinde mit einem Feigenbaum, der in Indien heimisch ist, wo er riel Zeit als Sohn eines .Vtissionarspaares und als Missionar und später in seinem Leben als Anthropologe verbracht hatte. Er beschrieb die Mennoniten Brüdeigemeinde als lokal und global, also ghkal. NACHWORT 353 Konferenz Mitglieder Indien-CMBI 200.000 Japan-JMBC 1.829 Kanada-CCMBC 36.830 Kolumbien-IHMC 1.600 Mexiko-ICPM 650 Österreich-MFO 416 Panama-IEU 750 Paraguay-CEIPHM Paraguay-VMBCP 1.826 Peru-CPHM 460 1 Portugal-AIMP 180 ! USA-USMBC 34.500 1 Uruguay-CCHMU 209 ! Gesamt 403.494 355 Abkürzungen AIMP: AMBD: BTG: CCMBC: CEFMC: CEIPHM: CMBI: COBIM: CPHM: ICPM: lEIMA: IHCM: lEU: JMBC: MFO: USMBC: CCHMU: VMBB: VMBGB: Associa^äo dos Irmäos Menonitas de Portugal Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Brüdergemeinden in Deutschland Bund Taufgesinnter Gemeinden Canadian Conference of Mennonite Brelhren Chörchens Communaute des Eglises des Freres Mennonites au Congo Convenciön Evangelica de Iglesias Paraguayas Hermanos Menonitas Conference Mennonite Brethren Church in India Convencao Brasileira das Igrejas Evangelicas Irmaos Menonitas Conferencia Peruana Hermanos Menonitas Iglesia Cristiana de Paz en Mexico Igreja Evangelica dos Irmanos Menonitas en Angola Iglesias Hermanos Menonitas de Columbia Iglesia Evangelica Unida-Hermanos Menonita Japan Mennonite Brethren Conference (Nihon Menonaito Burezaren Kyodaan) Mennonitische Freikirche Österreich U.S. Conference of Mennonite Brethren Churches Consejo de las Congregaciones de los Hermanos Menonitas en Uruguay Verband Mennonitischer Brüdergemeinden in Bayern Vereinigung der Mennoniten Brüdergemeinden Paraguays 357 Studienfragen 1. Vergleiche das Wesen und die Entwicklung der Mennoniten Brüderge¬ meinde in Ländern, wo Christen erheblichen Widerstand, Not, Armut und Leid (z.B. Kolumbien, Kongo, China, Sowjetunion, etc.) erlebt haben mit der Gemeinde in Ländern, wo es nur wenig Widerstand und Leid gegeben hat. Welche Lektionen kann man daraus lernen? Sollten treue Christen unbe¬ dingt Nöte und Verfolgung erwarten? 2. Vergleiche die Erfahrungen von Christen in Ländern, wo ein Großteil der Gesellschaft nominell Christen waren oder wo das Christentum Staatsreli- gion war (z.B. Österreich, Kolumbien, USA, etc.) mit den Erfahrungen von Christen in Ländern, wo andere Religionen (z.B. Indien, Japan, etc.) über¬ wogen. 3. Sollten die Verbindungen zwischen Mennoniten Brüdergemeinden in der ganzen Welt gestärkt werden? Warum und wie? Welche Aufgaben sollten geteilt werden? Was sollte sich in unserer Beziehung zueinander verändern? 4. In welcher Beziehung sollten die Missionare zu der Regierung des Landes, in dem sie arbeiten, stehen? Sollten sie zurückhaltend oder neutral bleiben, wenn es um politische Angelegenheiten geht? Sollten sie sich mit den poli¬ tischen Zielen der Menschen identifizieren, auch wenn sie dadurch bei der Regierung Widerstand hervorrufen? 5. Welche Rolle haben Institutionen wie Schulen, Krankenhäuser, etc., bei der Entstehung von Gemeinden in den verschiedenen Ländern gespielt? Welche Nöte gibt es für die Zukunft im Bezug darauf? 6. In welcher Beziehung stehen interdenominationeile oder nicht-denomina- tionelle Agenturen wie MCC, Wycliff, World Vision, Evangelical Fellowship of Canada, etc., zum Leben der Gemeinde in den verschiedenen Ländern? Nimmt man diese manchmal wahr, als stünden sie im Konflikt mit den Inte¬ ressen der Gemeinde oder eher als die Gemeinde unterstützend? 7. In welchem Ausmaß waren/ sind ausländische Missionare eine Hilfe für das Wachstum der Gemeinde und in welchem Ausmaß trägt ihre Anwesenheit zu einer ungesunden Abhängigkeit bei Personal und Finanzen von außen bei? Wie beeinflusst die Anwesenheit von ausländischen Missionaren das Wachstum der nationalen Leitung? 8. Welches sind die zentralen theologischen Einstellungen und Betonungen, die die Gemeinde in dem jeweiligen Land charakterisieren? In welcher Bezie¬ hung stehen diese zu den Problemen, mit denen die frühen Täufer des sech¬ zehnten Jahrhunderts oder die Mennoniten Brüder der 1860er zu kämpfen hatten? 9. Welches waren die wichtigsten theologischen Herausforderungen oder Kämpfe, denen die Gemeinde gegenüberstand (z.B. soziale Reaktion auf das Kastensystem, Nationalismus, Polygamie, religiöser Pluralismus, Abtrei¬ bung, Geschlechterkämpfe, etc.)? In welcher Beziehung stehen diese zu der früheren Geschichte der Täufer und Mennoniten? 10. Benenne die jeweiligen kulturellen Probleme und Herausforderungen, der die Gemeinde in jedem Land innerhalb ihres Kontextes gegenüber steht. 11. Zu welchem Grad ist die Mennoniten Brüdergemeinde in einem bestimmten Land von einer anderen christlichen Denomination in dem Land beeinflusst worden? Welche Aspekte dieses Einflusses sind positiv, welche negativ? 12. Welche Art von Beziehung hatten man zu anderen Mennoniten und Menno¬ niten Brüderkonferenzen? Wie wichtig sind diese Beziehungen in der Ver¬ gangenheit gewesen und was können solche Beziehungen zu der Gemeinde in Zukunft beitragen? 13. Welches waren die Prioritäten und hauptsächlichen Herausforderungen in der historischen Entwicklung der Gemeinde in jedem Land? Wie hat die Täufer/ Mennonitenidentität der Mennoniten Brüdergemeinde die Reaktion der Gemeinde auf diese Herausforderungen beeinflusst? 14. Welche Ressourcen oder kennzeichnenden Gaben hat die Gemeinde in jedem Land oder welche Erfahrungen hat sie gemacht, die wertvoll für die globale Gemeinschaft der Mennoniten Brüdergemeinde wären? Welche Gaben kön¬ nen Mennoniten Brüder in anderen Ländern der Gemeinde in jedem Land bringen, um ihr dabei zu helfen das zu werden, was Gott möchte? 15. Ist es in Ländern mit mehreren Sprachen und kulturellen Gruppen (z.B. Paraguay, Indien, Kanada) ratsam, in Gemeinden, Konferenzstrukturen und Institutionen zusammenzuarbeiten oder wäre es besser in separaten Insti¬ tutionen zu arbeiten, damit sich Gottesdienste, Bildung und Evangelisation kulturgerecht entwickeln können? 16. Welches waren einige der positiven oder negativen Beiträge und Einflüsse von ausländischen Missionaren in diesem Kontext? 359 17. Die Internationale Gemeinschaft von Mennoniten Brüdern hat ein Glau¬ bensbekenntnis für die globale Mennoniten Brüdergemeinschaft veröffent¬ licht. Sollten Mennoniten Brüdergemeinden in der ganzen Welt das gleiche Glaubensbekenntnis haben? Warum oder warum nicht? 18. Die Mennoniten Brüder haben dem missionarischen Mandat des Evangeli¬ ums eine hohe Priorität gegeben. Wie ist dieses Mandat im jeweiligen Kon¬ text verstanden und ausgedrückt worden? 19. Welches sind einige der Höhepunkte in der Entwicklung der Gemeinde in einem bestimmten Land, die man feiern sollte? 20. Welche Gaben kann eine Gemeinde in einem bestimmten Land mit den Christen anderer Denominationen in dem Land teilen? 21. Welches sind einige der aktuellen Prioritäten der Gemeinde in den jeweiligen Ländern und welches sind einige der wichtigsten Herausforderungen für die Zukunft? 361 Literaturhinweise Allgemein Burkholder, Byron, ed. 7hey Satv His Glory: Stories of Conversion and Service. Winnipeg, MB: Kindred Press, 1984. Dyck. Cornelius J., ed. An Introduction to Mennonite History. 3rd ed. Scottdale, PA; Herald Press, 1993. 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Klassen, Peter P. Die russlanddeutschen Mennoniten in Brasilien. Band 1, II. Palmeira, Brazil: Mennonitischer Geschichtsverein e.V. Boianden-Weierhof, 1995,1998. _. Die russlanddeutschen Mennoniten in Brasilien, Band 2. Palmeira, Brazil: Mennonitischer Geschichtsverein e.V. ßolanden-Weierhof, 1998. Ratzlaff, Gerhard. Ein Leib - viele Glieder: Die mennonitischen Gemeinen in Paraguay. Asun¬ ciön, Paraguay: Macrografic, 2001. 364 Ratzlaff, Gerhard und Willy Janz. Gemeinde unter dem Kreuz des Südens. Asuncion, Paraguay: Südamerikanische Konferenz der Mennonitischen Brüdergemeinden. 1980. Toews, Jacob J. The Mennonile Brethren Mission in Latin America. Fresno, CA: Board of Chris¬ tian Literature of the General Conference of the .Mennonite Brethren Church, 1975. 365 Autoren Injamuri P. Asheervadam ist der Exekutivsekretär der Historischen Kommission der Mennoniten Brüder in Indien und Professor für Kirchengeschichte am MBC Bibel College in Shamshabad in Indien. Er ist der Autor des Asien-Teils des glo¬ balen Mennonitengeschichtsprojekts der Mennonitenweltkonferenz. Seine Frau, Christina Asheervadam, ist Dozentin für Friedensstudien und Englisch am Bibel College. Abe Dueck ist Studiendekan für öffentliche Vorlesungen an der Canadian Men- nonite University. Er war Leiter des Zentrums für Mennoniten Brüderstudien und Exekutivsekretär der Historischen Kommission der Mennoniten Brüderge¬ meinde in Nordamerika. Er hat zahlreiche Artikel zur Geschichte der Mennoni¬ ten in Russland und Kanada veröffentlicht und ist der Editor von Moving Beyond Secession: Defining Russian Mennonite Brethren Mission and Identity, 1872 -1922 (1997). Johannes Dyck ist ein ordinierter Prediger in der Mennoniten Brüdergemeinde in Lemgo in Deutschland. Er ist 1955 im östlichen Sibirien geboren und in Kara¬ ganda aufgewachsen. Jetzt lebt er mit seiner Frau Eva in Deutschland wo er als Software-Entwickler arbeitet. Er hat einen MTh in Baptisten/Täufer-Studien. Otto Eck ist als Kind von Einwanderern aus dem Kaukasus in Russland (Ein¬ wanderung 1929) in Bage in Brasilien geboren. Die Familie wanderte 1968 von Brasilien nach Reedley in Kalifornien aus. Er hat einen MDiv in Missiologie von der California State University und dem Mennonite Brethren Biblical Seminary. Nach einem kurzen Einsatz mit MBMSI in Brasilien, ging Otto mit seiner Frau Marjorie 1989 nach Portugal, um bei der Pionierarbeit der Gemeindegründung in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon zu mitzuarbeiten. Harold Ens ist ein ordinierter Pastor in der US-Konferenz der Mennoniten Brüdergemeinden. Zurzeit ist er in Rente und lebt in Fresno in Kalifornien. Er begann seinen Dienst bei der MBMSI 1966, indem er in Kolumbien Missionars¬ kinder unterrichtete. Er schloss seinen Dienst mit der MBMS International 2006 ab, nachdem er auch im Kongo und in Panama und im Hauptbüro, sowohl als Lateinamerikasekretär (1985-1991) als auch als Generaldirektor (1992-2004) gearbeitet hatte. Er ist mit Helen verheiratet. 366 Junichi Fujino ist der Pastor der Hirakata Christusgemeinde (MB) in Osaka Prefecture, hat ais Moderator der japanischen Mennoniten Brüderkonferenz gedient und war ICOMB-Delegat der japanischen MB-Gemeinde (2000-2003). Er unterrichtet in Teilzeit am EBS (Evangelical Biblical Seminary, JMBC). Er ist mit Chizuko verheiratet. Cesar Garcia ist der Pastor der Strong Tower Gemeinde (MB) in Bogota in Kolumbien. Er ist auch Professor für Bibel und Theologie am Center for Mini- stry Development in Bogota und war Präsident der MB-Gemeinden in Kolum¬ bien von 2002 - 2008. Er ist mit Sandra Baez verheiratet. Bruce Guenther ist Dozent für Kirchengeschichte und Mennonitische Studien am Mennonite Brethren Biblical Seminary (Langley Campus), einer der Partner, aus denen sich die ACTS Seminaries an der Trinity Western University in Lang¬ ley, BC zusammenstellen. Er hat seine doktoralen Studien in Kanadischer Reli¬ gionsgeschichte an der McGiil Universität in Montreal in Quebec abgeschlossen. Bruce ist mit Lois verheiratet und lebt in Abbotsford, BC. Monsieur Jean-Claude KIKWETA Mawa Wabala ist der Sohn von Kikweta Manass^, der ein ehemaliger Leiter der CEFMC war. Er hat einen Master- Abschluss in Theologie und Soziologie gemacht. Einen Großteil seiner Zeit opfert er für die Forschung und das Schreiben über die Geschichte der CEFMC. John N. Klassen ist Absolvent des Mennonite Brethren Biblical Seminary in Fresno, CA und hat einen Doktorabschluss vom Füller Theological Seminary und der Fresno State Universität in Kalifornien. Er ist Kandidat an der Universität von Südafrika für einen Abschluss in Missiologie. Er arbeitete in einer Partnerschaft mit MBMSI, war Pastor in verschiedenen Gemeinden in Deutschland, unterrich¬ tete an etlichen theologischen Schulen und war ab 1992 Dozent am Bibelseminar Bonn, Er ist mit Mary verheiratet, in Rente und lebt in Abbotsford, BC. Monsieur Maurice MATSITSA - N‘singa ist Mitglied der Mennoniten Brüder¬ gemeinde in der DR Kongo. Er hat einen Abschluss in Geschichtswissenschaften. Einen Großteil seiner Zeit opfert er für die Forschung und das Schreiben über die Geschichte der CEFMC und arbeitet als Verbindungsmann mit der MBMSI in der DR Kongo. 367 Alfred Neufeld ist Dekan der School of Theology der Protestantischen Univer¬ sität in Paraguay und ist ein ordinierter Pastor in der Concordia MB-Gemeinde in Asunciön. Rolando Neyra war Professor an der Living Languages School der Paraguay Evangelical University. Er ist Mitglied in der Mennoniten Brüdergemeinde Sullana und diente dort als Sonntagsschullehrer. Er ist Absolvent vom Asuncion Biblical Institute in Paraguay und diente als Hauptpastor in der Gemeinde Mira- fiores bis September 2008. Er diente für drei Amtszeiten als Präsident der perua¬ nischen Mennoniten Brüderkonferenz. Er ist mit Jacqueline verheiratet. Lutiniko Landu Miguel Pedro ist im Dezember 1959 in Angola geboren. Er hat an der DRC studiert und erhielt später seinen Master-Abschluss von der Centre Vniversitaire de Missiologie (1996) und seinen Doktor-Abschluss von der Uni¬ versität von Pretoria (2008). Er ist ein ordinierter Prediger bei der Mennoniten Brüdergemeinde von Angola (lEIMA) und lehrt am Biblical Institute of Mission in Luanda. Franz Rathmair ist in einer katholischen Familie aufgewachsen und wurde 1972 zum Nachfolger Christi durch die evangelistische Arbeit der MB-Gemeinde Steyr. Nach einer grundlegenden biblischen Ausbildung in Deutschland diente er dieser Gemeinde als Pastor. Nach der weiteren theologischen Ausbildung in Fresno in Kalifornien unterrichtete er in einer kleinen interdenominationellen Bibelschule in Österreich und danach als Leiter der MBMSI Europa. Er ist mit Regina verheiratet. Gerhard Ratzlaffhat seinen Abschluss in Geschichte an der California State Uni¬ versity gemacht. Er diente als Gemeindeleiter, Konferenzleiter, Prediger und Mit¬ arbeiter in verschiedenen Komitees und Organisationen, darunter auch eine län¬ gere Zeit als Mitglied des Generalkonzils der Mennoniten Brüderweltkonferenz. Er unterrichtete dreißig Jahre lang am Instituto Btblico Asunciön und neunzehn Jahre lang am Centro Evangelico Mennonita de Teologta. Er gründete das histori¬ sche Mennonitenarchiv in Asunciön und war bis zu seiner Rente dessen Leiter. Ratzlaff ist mit Luise Voth verheiratet. Valerie Rempel ist Teil der Fakultät am Mennonite Brethren Biblical Seminary in Fresno, CA, wo sie im Bereich Geschichte und Theologie unterrichtet. Valerie diente für zwei Amtszeiten als Sekretärin der Generalkonferenz der Mennoni- 368 ten Brüdergemeinden und war Mitglied der Arbeitsgruppe, die mit der letzten Revision des nordamerikanischen MB-Glaubensbekenntnisses beauftragt war. Sie auch im US. Konferenz-Leitungsausschuss gedient. Valerie ist Mitglied der College Community Gemeinde, Mennoniten Brüder, in Clovis in Kalifornien, wo sie zurzeit im Gemeinderat dient. John B. Toews ist Professor Emeritus für Kirchengeschichte und Täuferstudien am Regent College in Vancouver, BC und hat vorher an der Universität von Cal- gary unterrichtet. Er hat eine Vielzahl von Büchern über die Geschichte der rus¬ sischen Mennoniten und Mennoniten Brüder geschrieben, darunter sind Czars, Soviets and Mennonites (Faith and Life Press, 1982) und Perilous Journey (Kind¬ red Press, 1988). Zurzeit lebt er mit seiner Frau Lilian in Abbotsford, BC. Victor Wall ist Absolvent von der Fresno Pacific University und des Menno- nite Brethren Biblical Seminary. Er ist Mitglied in der MB-Gemeinde Concor- dia in Asuncion, wo er auch zehn Jahre lang als Pastor diente. Er war der Vorsit¬ zende der MB-Konferenz und ist zurzeit Dekan der School of Humanities and Education an der Evangelical University von Paraguay und Exekutivsekretär der ICOMB. Er ist mit Margita verheiratet. Ray Harms Wiebe ist Teamleiter des Global Programs, die sich im internatio¬ nalen Büro der MBMSl in Abbotsford, BC befindet. Er hat einen BA von der Columbia International University und einen MDiv in Weltmission vom Men- nonite Brethren Biblical Seminary in Fresno, CA. Er und seine Frau Judy waren achtzehn Jahre lang MBMSI-Missionare in Säo Paulo, Brasilien, mit dem Schwer¬ punkt Gemeindegründung und Leiterausbildung. Victor Wiens ist Absolvent der Fresno Pacific University, Mennonite Brethren Biblical Seminary und Füller Theological Seminary. Er diente fünfundzwanzig Jahre lang als MBMSI-Missionar in Brasilien. Zurzeit ist er Koordinator für das Mission Capacity Building und Portuguese Recource Missionary mit MBMSL Er ist mit Marty verheiratet. Sie sind Mitglieder der Butler MB-Gemeinde in Fresno, CA. Hugo Zorrilla ist in Kolumbien geboren und wurde 1960 Mitglied der Men¬ noniten Brüdergemeinde in Cali Columbia, wo er bald darauf Leiter wurde, Er studierte am Latin American Biblical Seminary in San Jose, Costa Rica, Trinity Divinity School in Deerfield, IL, USA und schloss seine doktoralen Studien an 369 der Pontifical University von Salamanca in Spanien. Er unterrichtete und war der akademische Dekan am Latin American Biblical Seminary und unterrich¬ tete später am Mennonite Brethren Biblical Seminare und an der Fresno Paci¬ fic University in Fresno, CA. Er lebt in Rente mit seiner Frau Norma in Ephrata, Pennsylvania. Die Mennoniten-Brüdergemeinde entstand inmitten von religiösem und gesellschaftlichem Aufruhr in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts im russischen Reich. Nicht lange danach etablierte sie sich in Nordamerika, dann in Indien und bald In verschie¬ denen weiteren Ländern. Heute ist die Gemeinde ein Teil einer großen weltweiten täuferisch-mennonitischen Familie. Dieser Band erzählt die Geschichte einer Gemeinschaft, die starke Glaubensbeziehungen zueinander pflegt, obwohl sie sich kulturell und ethnisch sehr vielfältig entwickelt hat. In den erzählten Geschichten spürt man ein Ringen um Identität, Wachstum und Möglichkeit im relevanten Kontext Gemeinde und Theologie zu leben. Importierte Methoden und Ansichten vom globalen Norden und Westen waren für kurze Zelt gut und notwendig, aber echte Zeichen des Wachstums und der Selbständigkeit zeigten sich erst, als importiertes Wissen für Mission im eigenen Land brauch¬ bar umgesetzt wurde. Dieses Umdenken war nicht immer leicht. Aber es kann uns helfen, das Evangelium über kulturelle Grenzen hinweg zu verkünden. David Wiebe, Executive Director, Canadian Conference of MB Churches An ihrem 150. Jubiläum im Jahre 2010 zelebriert die Mennoniten- Brüdergemeinde die Segnungen Gottes beim Bau seines Reiches. Als mennonitische Erneuerungsbewegung hatte die Mennoniten-Brüder¬ gemeinde von Anfang an eine missionale Vision. Dieses Anliegen ist bis heute stark geblieben. Gleichzeitig weiß sie sich der täuferisch- mennonitischen Erkenntnis von Glauben und Leben verpflichtet. Diese weltweite Gemeinschaft zeichnet sich aus durch eine Vielfalt ihrer Mitglieder, in Formen der Anbetung und in verschiedenen Diensten als Gemeinde. Genieße und lass dich inspirieren! Peter J. Klassen, Professor Emeritus of History, California State University, Fresno, CA. www.ambd.de www.btg-online.de www.icomb.org